Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl – 4. Kapitel
Heinrich Döring
Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl
Verlag C. F. Schmidt, Leipzig, ca. 1840
Viertes Kapitel
Wie der fleißige Bauersmann Peter immer tiefer in Armut und Not versinkt
Als nun Rübezahl wieder in sein Waldgebiet zurückgekehrt war, erwachte die unwiderstehliche Lust in ihm, jeden, den sein Weg durch das Riesengebirge führte, durch allerlei Possen und lose Schwänke zu necken. Den harmlosen Wanderer schreckte er in den mannigfachsten Gestalten, bald als Köhler, bald als Waidmann, mitunter auch wohl als ein Hase oder Hirsch mit stattlichem Geweih. Am meisten verdross ihn die wiederholte Erzählung seines Liebesabenteuers im Munde vorüberziehender geschwätziger Bauerdirnen. Da ließ er plötzlich alle Winde brausen, die dann mit ihren Gewändern ein gar unverschämtes Spiel treiben. Bier weiten rächte er sich aber auch wohl noch empfindlicher und verwandelte das schwellende Moos, auf dem sie sich niedergelassen hatten, plötzlich in einen garstigen Sumpf, und ein gellendes Gelächter erschallte, wenn sie darin hinabgesunken waren. An solchen und anderen losen Streichen fand er lange Gefallen. Aber es gab auch Augenblicke, wo sein Unmut und Menschenhass einem besseren Gefühl wich, und wo Armut und unverschuldetes Unglück an ihm eine kräftige Stütze fanden.
Das war algemein bekannt, und besonders wussten die Leute in der Gegend, wo heute der schlesische Badeort Warmbrunn gelegen, viel von Rübezahls Huld und Freigebigkeit zu erzählen, die er einem armen Bauersmann erwiesen hatte. Der hieß Peter, und ließ es sich gar sauer werden Tag und Nacht, um seiner Frau und seinen fünf Kindern Brot zu verschaffen. Aber es war, als ob kein Segen auf seiner Arbeit ruhte. Denn obwohl Peter sich selbst auch die kleinste Labung versagte, so wollte der karge Verdienst doch nicht ausreichen. So drückten ihn Kummer und Mangel, und das Herz wollte ihm brechen vor Wehmut, wenn er abends bei seiner Heimkehr kaum so viel mitbrachte, um seiner Kinder Hunger zu stillen.
Wenn er nun nachts vor Kummer nicht schlafen konnte, entwarf er wohl manche Pläne, seine Lage zu verbessern. Aber sie scheiterten alle an seiner Armut.
»Nur einhundert Taler«, sprach er einst zu seiner Frau, »und mir wäre geholfen. Da kaufte ich mir einen Acker und einen Stier dazu und wollte dann das Feld nach Herzenslust bestellen.«
Wie er nun hin und her sann, an wen er sich wohl mit Erfolg wegen eines solchen Darlehens verwenden könnte, da sprach seine Frau: »Wie wäre es, Peter, du gingest zu meinen Verwandten da drüben im Gebirge und legtest ihnen unsere Not dringend ans Herz. Sie sind wohlhabende, reiche Leute.«
»Aber eben deshalb hart und lieblos«, entgegnete Peter, »denn in ihrem Überfluss wissen sie gar nicht, wie es dem Armen zumute ist.« Indessen gab er doch seiner Frau dringenden Bitten nach, nahm herzlich Abschied von ihr und den Kindern und machte sich auf den Weg zu seiner Frau Verwandten jenseits des Riesengebirges.