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Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl – 3. Kapitel

Heinrich Döring
Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl
Verlag C. F. Schmidt, Leipzig, ca. 1840

Drittes Kapitel

Wie der Großknecht Michel ein Paar Eselsohren bekam

Weg mit Liebes- und Freiersgrillen!
Weg! Um eines Weibes willen
härmt sich nur ein Tor.
Nein! In meinem luftigen Reiche
treibe ich meine lustigen Streiche
Nach wie vor.

So tröstete sich der Berggeist, als er mit dem festen Vorsatz, sich nie wieder zu verlieben, aus seiner unterirdischen Behausung emporstieg und das lang entbehrte Sonnenlicht begrüßte. Es mochten seitdem wohl dreihundert Jahre vergangen sein, und kaum erkannte er, als er den Gipfel der Riesenkoppe betrat, die Gegend wieder. Unten im Tal reihte sich Dorf an Dorf, ein großer Teil der Waldung war ausgerottet und die Mauern und Türme einer geräumigen Stadt erhoben sich da, wo damals das Schloss des Fürsten Bersanuph gestanden hatte. Keine Spur mehr war davon vorhanden und selbst der Name jenes Fürsten war verschwunden mit seiner einst so mächtigen Herrschaft.

Als er nun so die Gegend ringsumher beschaute, die ihm völlig fremd schien, da murmelte er vor sich hin: »Wie doch die Menschen gehaust und gewirtschaftet haben auf meinem Grund und Boden, als ob sie Herren wären und ich gar nicht vorhanden. Indes – ich will doch einmal sehen, wie sie es treiben.«

Mit diesem Vorsatz stieg der Berggeist das Tal hinab und trat in der Gestalt eines hübschen rüstigen Burschen als Knecht in eines reichen Bauers Dienste. Wie er nun fleißig war und treu und redlich dazu, da hatte sein Herr darüber eine große Freude und rühmte und beschenkte ihn oft in der anderen Knechte Gegenwart. So wurde nun Hans, wie er sich nannte, allmählich geheilt von seinem Menschenhass. Es wollte ihn bedünken, als sei das Erdenvölklein doch nicht so schlimm, wie er bisher geglaubt hatte.

Es begab sich aber, dass er einst von seinem Brotherrn in ein entferntes Dorf gesandt wurde, jenseits der Riesenkoppe gelegen, über die ihn sein Weg führte. Als er nun reisefertig stand, den Quersack über den Rücken, den Knotenstock in der Hand, da klopfte ihm eine junge, hübsche Bauersfrau auf die Schulter und sprach freundlich: »Schreitet nur wacker zu, lieber Hans, dass Ihr noch vor Abend die Riesenkoppe wieder hinter Euch habt und sicher seit vor Rübezahls Neckereien.«

»Rübezahl? Wer ist das?«, entgegnete Hans, sichtbar betroffen und tief verletzt, den Spottnamen zu hören, der ihn an sein vor dreihundert Jahren erleb­tes Liebesabenteuer erinnerte. Da stemmte aber die hübsche Bäuerin die Hände in die Seiten und rief, in ein unmäßiges Gelächter ausbrechend, den hinzutretenden Knechten und Mägden entgegen: »Ei du mein Gott! Denkt euch nur! Hans weiß nicht, wer Rübezahl ist! Sollte man es glauben! Den Rübezahl nicht zu kennen! Aber er soll ihn kennenlernen!«

So sprechend, wurde Hans, so sehr er sich sträubte, wieder von ihr zurückgezogen in die Stube und musste es sich gefallen lassen, mit mannigfachen Zusätzen ausführlich zu vernehmen, wie es ihm mit der Prinzessin Emma, des Fürsten Bersanuph Tochter, ergangen war. So hintergangen zu werden, meinte die hübsche Bäuerin, das habe der garstige Kobold wohl verdient; denn es sei ja allgemein bekannt, wie er harmlose Wande­rer auf mannigfache Weise necke und schrecke und sie oft tückisch hinabschleudere in tiefe Schluchten und Abgründe. Als nun aber Hans etwas zur Verteidigung des Berggeistes vorbringen wollte, fiel ihm der Großknecht, Michel geheißen, ein ziemlich vorlau­ter Bursche, rasch ins Wort und behauptete steif und fest, den Berggeist schon einmal gesehen zu haben auf dem Gipfel der Riesenkoppe, in eines rußigen Köhlers Gestalt, mit glühenden Augen, dem roten Judasbart und dem Kuhschwanz, der ihm hinten aus der Hose hervorgeguckt habe. »Er hatte mich schon gepackt«, sprach Michel, »aber ich hielt ihm einen geweihten Rosenkranz vor und schlug ihn so in die Flucht, indem ich ihm seinen Spottnamen nachrief.«

Hans sah ihm ernst ins Gesicht. »Das nenn ich unverschämt lügen«, sprach er. »Du hast ihn nie gesehen, den Rübezahl.«

Da wurde aber der Großknecht Michel entrüstet und entgegnete: »Wie kannst du so frech behaupten, dass ich gelogen habe?«

»Höre«, sprach Hans, »wiedererkennen müsstest du doch den Rübezahl, wenn du ihn einmal gesehen hast.«

»Das versteht sich«, versetzte Michael. »Aber er wird sich hüten, mir zu erscheinen und sich wieder an mir zu ver­greifen.«

»Meinst du?«, rief Hans.

In demselben Augenblick erhielt der Großknecht Michel von ihm ein Paar derbe Ohrfeigen.

»Nun kannst du sagen, dass du den Rübezahl gesehen hast,« rief Hans mit höhnischem Gelächter, »und kannst, falls man es dir nicht glauben sollte, es keck bei deinen Eselsohren beschwören.«

Es war aber, als Hans so sprach, dem Großknecht Michel an seinem Haupt zur Rechten und zur Linken ein Eselsohr emporgeschossen.

»Das nehmt euch zur Warnung«, rief Hans den erstaunten Knechten und Mägden zu, »und lasst euch nicht gelüsten, den Berggeist bei seinen Spottnamen zu nennen. Es könnte euch leicht noch übler bekommen.« So sprechend verließ er des reichen Bauers Haus, dessen Bewohner ihm voll Schreck und Staunen nachblickten. Zeitlebens aber behielt der Großknecht Michel seine garstigen Eselsohren, die, wenn er sie stutzte, immer wieder schnell emporwuchsen.