Der Hexer Band 44
Robert Craven (Arndt Ellmer)
Der Hexer, Band 44
Endstation Hölle
Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 09. Dezember 1986, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Rodney Matthews
»Talsah, gib mir deine Hand!« Die Stimme lag ruhig und ausgeglichen über der von weichem Moos bewachsenen Felsbalustrade, hoch über dem grünen Tal des Bhima. Ihr Klang trug die Weisheit des Alters in sich; eine Weisheit von solcher Eindringlichkeit, dass die Bewohner des Dorfes drunten am Fluss ihr nur mit Furcht gelauscht hatten. Bis sie den blinden Alten schließlich fortjagten und die fürchterlichsten Drohungen für den Fall ausstießen, dass er jemals zurückkehrte. Jetzt lebte er hier oben, nahe dem Himmel, weit weg von den Störenfrieden und ihren Nachkommen, und richtete seinen Geist auf das, was in ihm war. Manchmal erschrak er selbst vor diesen unbeschreiblichen Kräften, die ihn über die anderen Menschen erhaben machten. »Talsah, deine Hand!«, wiederholte er. Talsah tat, wie ihm befohlen, und Rajniv Sundhales begann zu sehen.
Leseprobe
Die Welt des Hexers
Nachdem Robert Craven und Sill el Mot ihr Abenteuer im Inneren der Erde glücklich überstanden haben, wenden wir uns mit diesem Band wieder Howard Lovecraft und seinem Diener Rowlf zu. »Endstation Hölle« ist die Fortsetzung von Bd. 40: »Das unheimliche Luftschiff«. Es kann also nicht schaden, sich diesen Roman noch einmal durchzublättern, bevor man mit dem zweiten Teil beginnt.
Ein Diener der GROẞEN ALTEN, ein Shoggote, kommt nach London, um Howard Lovecraft in eine Falle zu locken. Er übernimmt den Körper des verbrecherischen Professors James Moriarty und schließt mit dem Weltreisenden Phileas Fogg eine zweite Wette ab, die jene vor 14 Jahren, in achtzig Tagen um die Welt zu reisen, noch übertrifft – sollte Fogg es diesmal in nur sechzig Tagen schaffen, gewinnt er fünfzigtausend englische Pfund!
Natürlich ist diese Wette nur Teil eines Planes, und der kleine schwarze Beutel, den Moriarty dem Weltreisenden mitgibt – zur Überwachung seiner Route, wie Moriarty behauptet –, birgt einen magischen Stein in sich, der Foggs Handeln beeinflusst und ihn zu einer sorgsam vorbereiteten Falle lenkt, in die Howard Lovecraft tappen soll.
Und die Rechnung geht auf: Kaum hat der Shoggote Howard die Botschaft übermittelt, Fogg trage eines der SIEBEN SIEGEL DER MACHT bei sich, brechen er und Rowlf auf, dem Briten und seinem Diener Passepartout zu folgen.
Doch Fogg hat einen Vorsprung, und allen Widernissen zum Trotz, in die er und Passepartout geraten, gelingt es den Verfolgern nicht, ihn einzuholen.
Dann jedoch geschieht etwas, das selbst die GROẞEN ALTEN nicht voraussehen konnten. Eines ihrer Kinder, Cthugha der Flammende, erwacht aus seinem äonenlangen Schlaf, in den die ÄLTEREN GÖTTER ihn einst versetzten. Er sprengt sein Gefängnis, einen Eisberg, und irrt orientierungslos umher, ohne Ziel, ohne Erinnerung. Cthugha ist nicht böse – sein Denken ist das eines Kindes, und er sucht nur nach einem Kontakt, um sich in dieser fremden Welt zurechtzufinden.
Und stößt auf die Ausstrahlung des mysteriösen Beutels! Gleichzeitig aber nimmt er auch Howards magische Fähigkeit als Time–Master auf. Er ist verwirrt – an wen soll er sich wenden? Als der Shoggote einen ersten Versuch unternimmt, Lovecraft zu töten, hilft Cthugha ihm bei dieser Aktion. Doch Howard und Rowlf können entkommen.
Phileas Fogg ist unterdessen immer weiter dem verderblichen Einfluss des Beutels verfallen – so weit, dass er gar zum Mörder wird, als die beiden Verfolger ihn endlich in Indien einholen!
Er löst kaltblütig die vorbereitete Falle aus – Howard, Rowlf und ihr indischer Führer werden von der Erde verschlungen. Diesmal gibt es kein Entkommen. Unsere Freunde scheinen verloren …
*
Die Berge spien weiße, feurige Glut über das gesamte Land zwischen den Abgründen, ließen die kleinen Meere verdunsten und füllten die entstandenen Täler mit Schlacke und Asche. Brodelnde Lava wälzte sich unaufhaltsam die Hänge hinab wie glühende Schlangen, um über die Fliehenden und die Bestraften hereinzubrechen und sie in den Bann ihres steinernen Kerkers zu ziehen. Sie warf sich über sie und erstarrte, erstarrte in Millionen kleiner und kleinster Brocken, porös und schwarz wie alles aus dieser alten Zeit. Was in ihnen eingesperrt wurde, war gefangen für alle Ewigkeit, und was so töricht gewesen war, seine Lungen mit dem giftigen Odem aus dem Erdinnern zu füllen, atmete ihn nun auf immer, ohne die Möglichkeit, ihm jemals zu entkommen.
Nein, zu diesen Zeiten war es eine andere Welt, ein Reich voller Düsternis, eine Welt, die noch kein eigenes Leben entwickelt hatte und sich die Opfer bei denen suchte, die von außen gekommen waren. Viele erwiesen sich als zu schwach und suchten ihr Heil in der Flucht, ohne entkommen zu können. In ihrem Bewusstsein dämmerte die Erkenntnis, dass ihr Unheil allein damit begonnen hatte, dass sie hergekommen waren, um ihre Macht zu festigen.
Die Erde fraß sie alle, dieser unheilvolle Planet mit seiner Entsetzen verbreitenden Natur.
Vor Äonen waren sie gekommen, gewaltige Wesen von unbeschreiblicher Bosheit und Kälte, einen Panzer aus Eis hinter sich herziehend und mit schrillen, spitzen Schreien an den Toren wachend, jederzeit bereit, diese beim geringsten Anzeichen von Verfolgern zu zerstören. Sie waren aus der Finsternis gekommen und schleppten den Schatten des Todes mit sich, den verderblichen Hauch, und die kahle und tote Welt begann sich gegen sie zu wehren, als hätte sie den Keim des Lebens bereits in sich und müsste ihn nur noch gebären. Ein Heulen und Jaulen lag über den Landmassen, und es nahm beständig an Lautstärke zu, bis es die Schreienden an den Toren übertönte. Die Tore erloschen, die Ankunft war abgeschlossen.
Und damit begann alles.
Sie machten sich die Erde Untertan und begannen, die Geheimnisse unter ihrer Oberfläche zu ergründen in der Absicht, diese Welt für alle Ewigkeit zu ihrem Eigentum zu machen. Der maßlose Wille nach absoluter Macht beherrschte sie, und in ihrem Gefolge befanden sich Legionen Schwächerer, die ihnen dienten und die dennoch so gewaltig und unendlich stark waren, dass sich kein normales Lebewesen gegen sie behaupten konnte.
Die Herrscher besaßen Namen, die man nicht aussprechen soll, will man nicht Gefahr laufen, sie dadurch zu rufen und den Preis für ihr Kommen zu zahlen. Einen schrecklichen Preis, der aus Tod und Verderben besteht, aus Untergang und Vergessen, aus Finsternis und erloschenem Seelenfeuer. Wehe, sie kehren einst zurück und zerbrechen den Kerker, in den sie von den ÄLTEREN GÖTTERN einst gepfercht wurden!
Aber so weit war es noch nicht. Die GROẞEN ALTEN begannen erst, sich die Erde untertan zu machen. Und sie schickten ihn hinauf in die Kälte, dorthin wo es keine speiende Lava gab, wo keine Bergketten einstürzten und die nimmermüden Helfer unter sich erschlugen und für die Ewigkeit mit sich in die Tiefen rissen. Dort, wo das ewige Eis lag, knirschte der Schnee, und die Kälte machte ihm mehr zu schaffen als alles andere. Das Eis befand sich in einem Kampf mit dem Eis. Eis hatte sich auf dieser kalten und kahlen Welt gebildet, lange bevor sie gekommen waren. Aber die, GROẞEN ALTEN hatten selbst einen Panzer aus Eis mit eingeschleppt, und er überwachte dessen Ablagerung in den Polregionen.
Das Eis kämpfte gegen das Eis, wie sich ein Körper gegen eine Krankheit zur Wehr setzt. Es versuchte, das andere zu fressen und zu zerstören, und die Wogen der Eismeere schlugen höher, bildeten Wände von großer Höhe und rollten über das Eis, um es wegzufegen vom eigenen, kalten Untergrund.
Das fremde Eis klammerte sich an. Es bildete Myriaden um Myriaden feiner und feinster Krallen, dünne Splitter, die sich in den Untergrund bohrten und festhielten. So trugen die Wogen nur einen Teil mit sich weg, und dieser fasste an anderen Orten Fuß, und so konnte er nach vielen langen Jahren melden, dass seine Aufgabe erfüllt war.
Das war der Anfang. Millionen Jahre vergingen, bis der Erste Krieg begann. Sie entschieden ihn für sich, aber durch ihren Sieg machten die GROẞEN ALTEN die ÄLTEREN GÖTTER auf sich und ihren Hunger nach Macht aufmerksam, und diese kamen und verbannten die GROẞEN ALTEN nach langem und entsetzlichem Kampf vom Antlitz des verwüsteten Sterns.
Nur einer fand Gnade.
Er.
Er war ein fürchterliches Wesen, doch in den Augen der ÄLTEREN GÖTTER war er schwach.
Und er war ein Kind, geboren lange vor der Flucht auf die Erde, getrennt von seinen Erzeugern, die irgendwo zwischen den Sternen weit draußen ihr feuriges Leben ausgehaucht hatten. Er war der letzte seiner Art, ein gewaltiger Gott in den Augen urzeitlicher Völker. Doch es sollte ihm nicht gegeben sein, jemals diese Rolle zu spielen.
Die ÄLTEREN GÖTTER erlaubten ihm zu schlafen. Sie räumten ihm ein, dass er sein kindhaftes Leben unbeschadet behalten durfte, und sie wussten zu genau, dass er ihre Entscheidungen und Maßnahmen nachträglich nicht zu durchkreuzen vermochte. Dazu war er zu schwach, dazu wusste er viel zu wenig von der Welt der ›Erwachsenen‹, die eigentlich gar nicht seine Welt war. In ihm lebte der Spieltrieb wie in jedem Kind, und ihm fehlte das Urteilsvermögen, um zwischen Recht und Unrecht unterscheiden zu können.
Er wählte sich den Bereich um den Nordpol für seine Ruhestatt. Längst war das fremde Eis mit dem vorhandenen verschmolzen, bildete eine friedliche Einheit und wehrte sich nicht gegen seine Annäherung. Die geflügelten Boten der ÄLTEREN GÖTTER schufen die Kaverne, und sie wiesen ihn an, hinabzusteigen.
»Wann werde ich erwachen?« fragte er immer wieder, doch erhielt er keine Antwort. Das Eis umschloss ihn, und es verhinderte, dass er jemals seine verderblichen Fähigkeiten gegen irgendein Lebewesen würde einsetzen können. Er legte sich zur Ruhe, und aus Cthugha, dem Flammenden, wurde Cthugha, der Eisige. Kälte und Finsternis umfingen ihn, während die Helfer der ÄLTEREN GÖTTER die Kaverne verschlossen.
»Schlafe, kleines Kind«, vernahm Cthugha endlich eine ihrer Stimmen. »Du hast den Schlaf bitter nötig. Du bist in eine falsche Welt geboren, denn du hast eine andere verdient. Doch merke dir: Was immer auch sein wird, es liegt an dir selbst, was aus dir wird. AUF WESSEN SEITE DU EINES TAGES STEHEN WIRST.«
»Wann werde ich erwachen?«
Sie blieben ihm die Antwort schuldig, und Cthugha wurde schläfrig und dachte nicht mehr an die Zukunft. Er besaß keine Vergleichsmöglichkeit, und so war in seinen Gedanken Zufriedenheit über sein bisheriges Leben, Zufriedenheit über die Handlungen der GROSSEN ALTEN und die Rebellion der Shoggoten und ihrer Helfer.
Cthugha nahm es hin, wie ein Kind etwas hinnahm, was es nicht ändern konnte. Er verdrängte die schlimmen Gedanken und wollte nur noch schlafen. Er fragte sich nicht, wie lange der Schlaf dauern würde.
Es spielte keine Rolle.
Nicht für ihn, den flammenden Cthugha.
Der Schlaf übermannte das Kind, und das Eis flüsterte ihm zu, dass er der letzte seiner Familie war.
Cthugha schlief, und vielleicht war in ihm jene Art von wohliger Wärme, die bei Menschenkindern ein so stilles und sanftes Lächeln auf das Gesicht wirft, wenn sie träumen.