Der Wolfsbenjamin – Teil 3
Friedrich Gerstäcker
Der Wolfsbenjamin
Aus den Backwoods Amerikas
Teil 3
Der andere Morgen kam und mit ihm ein reges Leben in die kleine Gesellschaft, denn Scipio musste schon vor Tagesgrauen auf und die Pferde füttern. Mrs. Stuart selber bereitete das Frühstück und backte noch außerdem eine Quantität Maisbrote im Vorrat, damit die Wolfsjäger etwas davon mitnehmen könnten und nicht zu darben brauchten.
Um acht Uhr etwa war alles hergerichtet, und von Questen saß schon vollständig gerüstet und wartete auf seine Begleiter, als Benjamin, der ebenfalls neben seinem Pferd stand, zu dem gerade aus dem Haus tretenden Stuart sagte: »Habt Ihr vielleicht eine Büchse, Stuart, die Ihr mir heute Abend borgen könnt? Man weiß doch nicht, was vorfällt.«
»Haben Sie denn kein Gewehr bei sich?«, fragte von Questen aufs Äußerste erstaunt, einen solchen alten Jäger in einem solchen Wald ohne Waffe anzutreffen.
»Na«, sagte Benjamin ruhig, »in dem verbrannten Sumpf hier, und noch dazu mit zwei Pferden, hat man Mühe und Not genug mit beiden Händen frei. Fehlte mir auch noch, ein altes Schießeisen zum Vergnügen mit herumzuschleppen! Habt Ihr keins, Stuart?«
»Ihr könnt meine Büchse die Nacht draußen behalten«, sagte der alte Jäger, »schießen tut sie gut genug; haltet nur richtig hin.«
Damit war das Letzte beseitigt, was der kleinen Expedition noch im Wege stand. Scipio kletterte mit ein paar zusammengebundenen Äxten auf sein Thier, eine alte, riesige Fuchsstute, hinauf, und kaum eine halbe Stunde später trabten die vier Reiter den breiten Weg entlang ihrem nächsten Ziel, Brushy Lake entgegen.
Brushy Lake war eigentlich kein See, wie der Name vielleicht glauben machen könnte, sondern nur eine flache Slew oder ein Sumpfwasser, das sich, wie die übrigen etwas größeren Flüsse, von Norden nach Süden gegen den Arkansas zu zog. Aber besonders in seiner Nachbarschaft zeigte es viel Grunderniedrigungen und hie und da, wo das Land ein klein wenig höher lag, selbst Schilfbrüche, sogenannte Cane breaks, die der Lieblingsaufenthaltsort der Wölfe geworden waren. Hier hinein folgten ihnen nicht einmal gern die Hunde – wenn sich diese überhaupt an Wölfe gewagt hätten, denn zusammengebrochenes und trockenes Rohr lag überall kreuz und quer, und Sägedornen durchwucherten das Ganze zu einem oft wirklich undurchdringbaren Chaos.
Etwa eine halbe englische Meile diesseits Brushy Lakes zügelte endlich Stuart sein Pferd ein. Hier begann das Wasser im Weg, das den Pferden selber in der eigentlichen Slew bis unter den Bauch ging. Der alte Jäger besah sich prüfend die Platz.
»Was meint Ihr, Benjamin?«, fragte er dabei, »sollte das hier nicht die richtige Stelle sein? Der Platz hier ist gerade offen genug, um das Mondlicht hereinzulassen, denn die beiden alten Bäume, der Sassafras und die Eiche, sind bei dem letzten Sturm umgeschlagen und haben, wie Ihr seht, das benachbarte Unterholz ebenfalls mit in die Büsche hineingeworfen und kurz und klein gebrochen.«
»Und die Overcup-Eiche hier passt prächtig zum Hinaufsitzen«, rief Benjamin. »Der Blitz hat den oberen Wipfel schon abgeschlagen, und bei dem anderen könnte man leicht ein bisschen mit der Axt nachhelfen und nach dem Weg zu freie Bahn machen. In zwei Stunden wollte ich die Geschichte in Ordnung haben.«
»Gut, dann lasst uns auch gleich hier an die Arbeit gehen«, sagte Stuart, indem er aus dem Sattel sprang und sein Pferd mit dem Zügel an einen der nächsten Zweige befestigte, »gleich hier rechts im Busch ist etwas hohes Land, wo wir ein Feuer anzünden können. Und während Scipio und Benjamin das Nötige besorgen, zeige ich dem Fremden drin im Wald den Rand des Schilfbruchs, an dem er heute Abend sein Experiment versuchen kann.«
Stuart und Benjamin waren beide zu praktische Leute, um ein weiteres Wort der Verständigung zwischen ihnen nötig zu machen. Sie wussten ganz genau, was sie zu tun hatten. Während der kleine dicke Ben mit Scipio daran ging, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen, ritt Stuart nun mit von Questen südlich in den Wald hinein und bat ihn besonders, wohl auf die Richtung Acht zu geben, damit er sich heute Abend, mit der Mischung unter seinen Sohlen, nicht etwa im Wald verirre, denn in dem Fall könne der Spaß allerdings böse ablaufen.
Die Richtung war aber – durch einige vortreffliche Landmarken oder Zeichen eingeschlossen – kaum zu verfehlen. Stuart nahm den Deutschen erst noch eine kurze Strecke mit auf der Straße zurück, bis dorthin, wo sie den letzten Bach überquert hatten. Dessen Ufer nach Süden folgend, brachen sie dann erst in den Wald hinein und hielten diese Richtung etwa eine englische Meile, bis sie zu dem Rohrbruch kamen, dessen Rand ein fruchtbares Gründorndickicht einschloss.
An dieser Stelle sollte von Questen an dem Abend beginnen, seine Sohlen zu bestreichen und dann dem Rand des Rohrbruchs in ziemlich genauer Richtung gen Westen folgen, welchen Weg sie nun ebenfalls einschlugen, bis sie zu den übergetretenen Wassern des Brushy Lake kamen, denen er dann nur wieder aufwärts gen Norden zu folgen hatte, bis er die Straße und zugleich das dort aufgerichtete Versteck erreichte.
Der ganze Weg dauerte etwa anderthalb Stunden, und an dem Rohrbruch hin bestrichen sie das Hauptterrain der Wölfe, die hier ziemlich sicher jeden Abend heraustreten, denn Stuart behauptete, sie dort jedes Mal nachts gehört zu haben, wenn er einmal da im Dunkeln vorbeigeritten wäre. Außerdem zeigte er dem Deutschen überall in dem weichen Boden ihre langen, deutlich erkennbaren Fährten. Diesem schlug das Herz fast hörbar in der Brust, wenn er an den heutigen Abend dachte. Er konnte die Dämmerung kaum erwarten.
Etwa um elf Uhr erreichten sie, dem Brushy Lake aufwärts folgend, wieder die Straße und hörten schon, in der Nähe derselben angelangt, die fleißigen Axtschläge der beiden Arbeiter, die indessen wahrlich nicht gefaulenzt haben mussten. Scipio hatte eine Art weiter hergestellt, indem er zwei junge Bäume umschlug und säuberte und die Sprossen dann durch Weinreben fest und sicher an die Stangen schnürte. Benjamin dagegen, dem besonders darum zu tun schien, eine vollkommen sicheres Versteck zu haben, in dem ihnen die etwa anrückenden Wölfe nicht zu Leibe konnten, war auf die Overcup-Eiche gestiegen und hatte durch geschicktes Aushauen der im Wege stehenden Äste wie durch Einbinden von ein paar ganz bequemen Sitzen einen so prachtvollen Hochstand in Arbeit, wie man ihn sich nur wünschen konnte.
Stuart fand die Anlage vortrefflich und stieg selber hinauf, um dort oben zu probieren, wie man am besten sitzen und dabei schießen könne. Es ging ausgezeichnet, und mit dem gerade günstigen Vollmond und klaren Himmel hätte man sich keine bessere Gelegenheit zu wünschen brauchen. Was aber nun noch zu tun blieb, konnten die beiden Jäger auch allein besorgen. Nachdem Scipio noch auf dem bestimmten Lagerplatz ein tüchtiges Feuer angeblasen hatte, befahl ihm sein Herr, wieder aufzusitzen und des Deutschen als auch Bens Pferd ebenfalls mit an den L’anquille zurückzunehmen. Kamen die Wölfe in der Nacht, so taten die Pferde hier keinem gut. Der alte Jäger versprach ihnen, die Tiere am nächsten Morgen wieder herauszuschicken, wenn er sie nicht gar selbst brächte, um das Schlachtfeld in Augenschein zu nehmen.
Wolfsben und von Questen blieben nun allein; sie machten sich vor allen Dingen daran, ihre mitgebrachte Mittagsmahlzeit herzurichten, indem sie seine unter den Vorräten gefundene Kaffeekanne ans Feuer rückten, etwas Wildbret von einem Hirsch, den Stuart gestern Morgen geschossen hatte, brieten und dann das Ganze mit einem tüchtigen Schluck Whiskey aus Questens Feldflasche würzten. Damit war es etwa zwölf Uhr geworden, und beide gingen nun scharf daran, ihre Arbeit zu beenden.
Wolfsben stieg wieder in den Baum hinauf, um die noch nötigen Äste auszuhauen. Der junge Deutsche arbeitete indessen unten, um das herabgefallene Holz aus dem Weg zu schaffen; eine keineswegs leichte Aufgabe, denn die zähen Äste hingen überall – durch Schlingpflanzen oft noch außerdem verbunden – ineinander und mussten erst mit Axt und Messer getrennt und dann mit aller Macht beiseite gerissen werden. Das nahm aber nicht zu lange Zeit in Anspruch. Wolfsben begann nun die Mischung, zu welcher von Questen die Ingredienzen in einem Lederbeutel bei sich trug, herzustellen. Es ging das rascher, als sie erwartet hatten, und der Deutsche strich sich die geronnene, ziemlich scharf riechende Salbe in eine kleine Pomadenbüchse, die er zu diesem Zweck erst geleert hatte. In dieser konnte er sie bequem in seiner Kugeltasche transportieren.
Um zwei Uhr waren sie mit allem fertig; noch durfte der Deutsche aber seinen Rundmarsch nicht beginnen, denn die Wölfe kamen nicht so früh aus ihrem Versteck, und bis völlig Nacht hätte sich die Mischung vielleicht verriechen können. Jedenfalls war es besser, sie so frisch wie möglich zu versuchen. Er beschloss deshalb, wenigstens noch eine Stunde oder anderthalb zu warten, bis er sein etwas gefährliches Experiment versuchte. In Wahrheit fürchtete er sich aber nicht im Geringsten davor, ja freute sich eher auf den Marsch durch den Wald, wo er wusste, dass ihm jeder Schritt die Verfolger auf die Fersen locken könnte.
Wolfsben hatte indessen Stuarts zurückgelassene Büchse untersucht und die Kugeln in der Kugeltasche gezählt. Es war Munition genug da. Und nun nichts zu tun bis zum Abend, machte er dem Deutschen den Vorschlag, noch eine Stunde pürschen zu gehen; vielleicht dass sie einen Hirsch in der Nachbarschaft antrafen und dann noch gleich eine bessere Lockspeise am Feuer gehabt hätten. Von Questen war aber zu müde; das Holzschleppen und Hacken, beides ungewohnte Arbeiten, hatte ihn völlig mürbe gemacht, und mit dem Abendmarsch noch vor sich, wie einer ganzen Nachtwache, zog er es vor, sich lieber eine Stunde am Feuer ordentlich auszuruhen; dann war er nachher wieder frisch bei Kräften. Wolfsben konnte ja lieber eine Stunde allein pürschen; zusammen hätten sie überdies nicht gehen dürfen.
Auch damit war der kleine Mann einverstanden, schulterte die lange und schwere Büchse und schritt rechts von der Straße in den Wald hinein, um den Distrikt nicht zu stören, der heute Abend in so wunderlicher Art bejagt werden sollte.
Von Questen indessen, um sich auf seinen baldigen Marsch vorzubereiten, verzehrte noch ein tüchtiges Stück des schon vorher gebratenen kalten Wildbrets, nahm dazu einen recht herzhaften Schluck aus einer anderen kleinen Privatflasche, die echten Kognak enthielt, zündete sich eine Zigarre an, da er sich von Strongs einen Vorrat mitgebracht hatte, und streckte sich dann, seinen Kopf auf dem Sattel, behaglich auf der neben das Feuer gebreiteten wollenen Decke aus, um noch etwa eine Stunde hier Siesta zu halten und dann seine Wanderung zu beginnen.