Vergessene Helden 6
Alles begann in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, als mit der frühen Tonfilmzeit Cowboy- und Westernfilme ihre Blüte erlebten und praktisch jedes Studio monatlich vier oder fünf Low-Budget Produktionen in Form von Kurzfilmen und Westernserien auf den Markt warf.
Neue Helden schossen wie Pilze aus dem Boden. Da es sich aber bei diesen, dem damaligen Zeitgeist entsprechend, allesamt um coole, maskuline, praktisch unbesiegbare Männer handelte, die Waffen jeglicher Art bis zur Perfektion beherrschten und ihre Abenteuer stets darin bestanden, das Böse, egal ob weiß oder rot, zu besiegen und am Schluss mit einer zumeist blonden Maid in den Sonnenuntergang zu reiten, wurden die Filmchen auf Dauer ziemlich vorhersehbar und langweilig.
Deshalb erschufen die Drehbuchautoren auch auf Druck der Studios sogenannte Sidekicks, bei den Western hauptsächlich Comical Sidekicks.
Fortan wurde jedem Helden ein etwas verschrobener, aber lustiger Partner zur Seite gestellt, der mit seinen Taten und Sprüchen die Abenteuer des Protagonisten etwas auflockerte und ihnen auch überraschende Wendungen gab.
Einer dieser Sidekicks war eine Figur namens Fuzzy, die dem Gehirn irgendeines Drehbuchschreibers entsprang und im Jahre 1937 zum ersten Mal auf der Leinwand erschien. Mit der Rolle wurde der allseits bekannte Schauspieler Alfred Al St. John bedacht, der bereits auf eine ansehnliche filmische Erfahrung zurückgreifen konnte. St. John, am 10. September 1892 in Santa Ana, Kalifornien, geboren, hatte sich seit 1913 bei den Mack Sennetts Keystone Studios als komödiantischer Nebendarsteller hochgearbeitet, sich etabliert und inzwischen sogar schon an der Seite damaliger Größen wie Buster Keaton, Harold Lloyd und Charlie Chaplin in diversen Filmproduktionen mitgewirkt.
Legendär waren seine wilden Akrobatik-Einlagen in dem Film He Did and he Didn’t von 1916 sowie sein Auftritt in Buster Keatons Klassiker Der General.
Zu dem Zeitpunkt, als er die Rolle annahm, ahnte weder er noch irgendjemand anderes aus der Filmindustrie, dass ihm diese Rolle förmlich auf den Leib geschrieben war, und nicht nur er, sondern auch der Protagonist Fuzzy später einmal weltberühmt werden sollten.
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Zunächst spielte St. John für die Spectrum Pictures Studios zwischen 1937 bis 1938 den Fuzzy in sieben Filmen an der Seite des singenden Cowboydarstellers Fred Scott. Danach für das Producers Releasing Corporation Filmstudio, abgekürzt PRC, und das in gleich drei Filmserien. Die erste und langlebigste davon war Billy the Kid, die später in Billy Carson umbenannt wurde. Hier spielte St. John von 1940 an bis 1946 zunächst in 6 Filmen an der Seite von Hauptdarsteller Bob Steele den Fuzzy, den er danach in 36 weiteren als Sidekick des Hauptdarstellers Buster Crabbe darstellte. Parallel dazu gab es die Serie Lone Rider, von der von 1941 bis 1943 siebzehn weitere Fuzzy Filme gedreht wurden, und von 1947 bis 1952 die Serie Cheyenne, die später in Lash La Rue umbenannt wurde und die es auf immerhin 20 Filme brachte.
In all diesen Filmen überzeugte St. John derart als Fuzzy, dass diese Figur so populär wurde, dass von da an alle Filme im Vorspann gleich nach dem Filmtitel den Zusatz »with Al Fuzzy St. John« erhielten und es später sogar Filme gab, in denen Fuzzy nicht den Sidekick spielte, sondern die Hauptrolle. Davon sind mit den Titeln Fuzzy Settles Down von 1944, His Brother’s Ghost von 1945 und Outlaws oft he Plains von 1946 leider nur noch drei bekannt. Es gilt aber als sicher, dass es da noch viele weitere gab. Zum Schluss kam es so weit, dass Fuzzy für die Vermarktung der Filme, vor allem in Europa, wichtiger und populärer war als die eigentlichen Hauptdarsteller.
In Deutschland kamen diese Low Budget Western, deren Herstellung selten länger als eine Woche dauerte, sogar nur unter dem Titel Fuzzy in die Kinos.
Insgesamt verkörperte Al St. John jenen eigensinnigen, alten Cowboy beziehungsweise Dorftrottel namens Fuzzy samt allen gängigen Klischees bis hin zur kratzigen Stimme und seinen Sprüchen in über 80 Filmen derart überragend, dass er auch heute noch untrennbar mit dieser Rolle verbunden ist. Er war Fuzzy und Fuzzy war Al. St. John, der eine konnte ohne den anderen nicht leben. Am besten ist das daran zu sehen, dass Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre das Publikumsinteresse an diesen Billigfilmchen von durchschnittlich 25 bis 60 Minuten rapide absank, nachdem die Studios vermehrt Spielfilme mit fast 90 Minuten auf die Leinwand brachten, die aufgrund ihres hohen Budgets und der Auswahl an professionellen Regisseuren und Schauspielern so perfekt waren, dass die Menschen tausendfach ins Kino strömten. Beste Beispiele waren Filme wie das 1939 verfilmte Meisterwerk Stagecoach oder Fred Brannons 1947 erschienener Film Jesse James reitet wieder. Die Billigwestern wurden schlagartig out und damit auch die darin agierenden Schauspieler. Als dann Anfang der Fünfziger sich auch noch das Fernsehen durchzusetzen begann, fand die Ära dieser Serienfilmchen und damit auch jene von Fuzzy ein abruptes Ende.
Das letzte Jahrzehnt seines Lebens trat Al St. John nur noch auf Volksfesten oder Rodeo Veranstaltungen als Fuzzy auf, bis am 21. Januar 1963 im Bundesstaat Georgia in einem Hotelzimmer ein Herzinfarkt seinem Leben ein Ende bereitete.
Damit war nach beinahe einem dreiviertel Jahrhundert Berühmtheit auch die Figur des Fuzzy gestorben.
Anzumerken sei noch, dass die Figur des Fuzzy vor allem in Deutschland in den 1980er Jahren ein Comeback erlebte, als das ZDF in seiner Fernsehserie Western von Gestern ihn und die anderen Protagonisten der Billigfilme von damals noch einmal acht Jahre lang in 155 Folgen immer zur besten Sendezeit im Vorabendprogramm dem Publikum präsentierte.
Bevor wir die Kolumne nun schließen, noch ein paar Kuriositäten zu Fuzzy und seinen Western.
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Obwohl Fuzzy in allen Filmen stets als skurriler, scheinvertrottelter Western-Opa mit vorlauter und krächzender Stimme dargestellt wurde, war Al St. John erst Anfang vierzig, als er die Rolle spielte.
Mit diesem Wissen ist es geradezu belustigend anzusehen, wie St. John mit angeklebten, teilweise buschigen Bärten und Gebiss-Kaubewegungen sein Alter kaschierte und einen Opa spielte.
Die kratzige Stimme, für die Fuzzy in den Filmen bekannt war, wurde erst in Deutschland in der TV-Synchronisation von Hans Jürgen Dietrich zum Kult, und obwohl Fuzzy in weit mehr als 80 Filmen mitwirkte, wurde sein eigentlicher Vorname Jonathan nur ein einziges Mal, und zwar 1945 in dem Film His Brother’s Ghost erwähnt.
Da die Filme alle Low Budget Produktionen waren, musste auf Teufel komm raus gespart werden.
So wurde der Hufschlag der Verfolgungsritte aus Ersparnisgründen mit Kokosnussgeklapper nachgestellt und bei den Außendreheinstellungen deutlich erkennbar immer wieder dieselben Bäume, Felslandschaften und Abzweigungen gezeigt. Also eine Einstellung für Dutzende Filme. Obwohl die Männer dabei, was gar nicht möglich war, ohne nachzuladen Dutzende von Kugeln aus ihren Revolvern abfeuerten, wurde nie jemand verletzt, denn ein Stuntman, der sich kameragerecht ohne gesundheitliche Schäden vom Pferd hätte fallen lassen, war viel zu teuer.
Um trotzdem Action und Spannung zu erzeugen, wurde aus diesem Grund auch auf teure Effekte verzichtet und stattdessen ausführliche Faustprügeleien mit den üblichen Faustschlägen bis kurz vors Kinn, Rangeleien und witzigen Umfallern eingebaut. Das Ganze wurde noch aufgepeppt mit zerbrechenden Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen, die aus Pappe, Sperrholz und morschen Zweigen gebaut und mit Farbe gekonnt übermalt waren, sodass sie selbst bei der geringsten Berührung auf spektakuläre Art barsten und zerbrachen.
Westernserien und Kurzfilme mit Fuzzy gab es viele, richtige Kinofilme dagegen nur 23.
Der erste davon stammt aus dem Jahr 1940, hieß im Original Billy the Kid’s Gun Justice und kam in Deutschland unter dem Titel Fuzzy außer Rand und Band in die Kinos. Der letzte Film wurde 1951 als The Thundering Trail abgedreht und lief in Deutschland als Fuzzy und der Kutschentrick.
Abschließend sei noch angemerkt, dass der eingedeutschte Begriff Fuzzi für einen nicht ganz ernst zu nehmenden Menschen sogar Eingang in unsere Umgangssprache gefunden hat.
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Bis auf ein paar neu überarbeitete DVDs, die bei den üblichen Online-Händlern zu beziehen sind, erinnert heute fast nichts mehr an Fuzzy. Er, ein unbestrittener Held des Wilden Westens, ist heute, Fans und Nostalgiker ausgenommen, so gut wie vergessen. Ein Schicksal, das er mit dem Westerngenre, das ihn einst groß gemacht hatte, inzwischen teilt.
Quellenhinweis:
- David Rothel: Those Great Cowboy Sidekicks, Scarecrowpress, Metuchen NJ 1984, ISBN 0810817071
- Updatet Edition Empire Puplishing, Madison NC 2001, ISBN 0944019358
- Artikel Al St. John
(gsch)