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Slatermans Westernkurier 01/2023

Auf ein Wort, Stranger, erinnerst du dich noch an den Ashtabula Horror?

Horror, und das beim Westernkurier, passt das eigentlich zusammen?

Leider ja, denn die Ereignisse, über die wir in dieser Ausgabe unserer Kolumne berichten wollen, haben sich als das Ashtabula Railroad Desaster oder der Horror von Ashtabula nicht nur in die Geschichtsbücher der Vereinigten Staaten von Amerika eingebrannt, sondern auch in die Köpfe der damals Beteiligten und deren Nachkommen und in die jener nachfolgenden Generationen, die damals dort eines oder mehrere Familienmitglieder verloren hatten.

Mehr als 90 Tote, Männer, Frauen, Kinder, sowohl Alte als auch Junge, und davon über die Hälfte derart verstümmelt, zerquetscht und verbrannt, dass man sie nicht mehr identifizieren konnte.

Wobei der eigentliche Horror kurz nach dem Geschehen die Gewissheit war, dass dies alles zu vermeiden gewesen wäre, wenn man auf den Eisenbahningenieur Charles Collins gehört hätte.

Doch schon damals galt in Amerika jenes schneller, höher, weiter, das wir auch heute noch nur allzu gut kennen.

Eine der treibenden Kräfte für diese unseligen Eigenschaften waren die Menschen, die nach dem Ende des Bürgerkrieges den Westen auf der Suche nach ihrem Glück regelrecht überfluteten, aber auch die Eisenbahn, die dabei sogar eine entscheidende Rolle spielte.

Sie war es, die Entfernungen zum Schrumpfen brachte, die notwendige Transportkapazität eines ununterbrochenen Nachschubs für Armee, Städtebauer, Farmer und Viehzüchter schaffte, aber auch neue und bessere Verbindungen zu den Absatzmärkten für Handel, Gewerbe, Landwirtschaft und Industrie. Man nannte es Aufbruch in eine neue Zeit, Fortschritt, Zukunft und die Geschichte der amerikanischen Eisenbahn ist sowohl an diesen Begriffen reich als auch an großartigem menschlichem Wagemut und genialen technischen Erfindungen. Sie ist aber gleichzeitig auch eine Geschichte von hemmungsloser Habgier, unvorstellbarer Brutalität und unzähligen Tragödien, die innerhalb von nur vier Jahrzehnten Tausende von Todesopfern forderten. Es waren vor allen Dingen die Rücksichtslosigkeit der Eisenbahnunternehmen gegenüber Menschenleben, welche Entgleisungen, Brückeneinstürze, Zusammenstöße oder Kesselexplosionen herbeiführten, die einen hohen Blutzoll forderten.

Eine der blutigsten Katastrophen war jenes Horrorereignis, von dem wir nun berichten wollen.

 

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Ashtabula, nahe Cleveland gelegen, ist eine Stadt im Bundesstaat Ohio in den Vereinigten Staaten mit heute noch ungefähr 17.000 Einwohnern, Tendenz weiter rückläufig. 1960 waren es noch knapp 25.000, im Jahr 1990 noch 21.600 und 2003 noch genau 20.355. Die im Jahre 1803 gegründete Stadt liegt an der Mündung des gleichnamigen Flusses und grenzt im Norden an den Eriesee. Ihr Name entstammt im Übrigen der Sprache der Irokesen und bedeutet so viel wie »Fluss der vielen Fische«.

Am 29. Dezember 1876, kurz nach 18 Uhr, verließ der Zug Nr. 5 der Lake Shore and Michigan Southern Railway, der Pacific Express, den Bahnhof der Stadt Erie in Pennsylvania.

Der von zwei Lokomotiven gezogene Zug, der aus insgesamt elf Wagen bestand, wovon zwei Expresswagen, zwei Gepäckwagen, drei Reisezugwagen, einer ein Gesellschaftswagen und drei davon Schlafwagen waren, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als zwei Stunden Verspätung, was den unerwartet starken Schneefällen des vergangenen Tages geschuldet war.

Späteren Untersuchungen nach sollen 156 Menschen an Bord gewesen sein.

Die Stelle, an der sich die Tragödie von Ashtabula dann abspielte, war eine Brücke über den gleichnamigen Fluss, nur ca. dreihundert Meter vom Bahnhof der Stadt entfernt. Sie besaß eine Spannweite von etwa fünfzig Metern und war von dem Ingenieur Charles Collins und dem Architekten und Designer Amasa B. Stone erdacht und konstruiert und wurde nach dem Ende des Bürgerkrieges im Herbst 1865 fertiggestellt. Die Brücke war die erste schmiedeeiserne Fachwerkbrücke dieses Typs.

Doch trotz aller Vorschusslorbeeren und Anerkennung war Collins mit der Konstruktion der Brücke nicht einverstanden. Er fand sie seiner Meinung nach zu experimentell, seine Art der Bezeichnung von Murks und Schrott.

Der Ingenieur ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sich seine düsteren Vermutungen trotz allem Eisen und Stahl, das man zum Bau der Brücke verwendet hatte, bereits elf Jahre später auf blutigste Weise bestätigen sollten.

 

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Der Zug war vor der Unfallstelle zunächst mit einer Geschwindigkeit von ca. zehn Meilen pro Stunde, also etwa 19 km/h unterwegs. Kurz vor dem Unglück erhöhte der Zugführer entgegen allen Sicherheitsvorschriften auf der Brücke die Geschwindigkeit um ein Vielfaches, um gegen den hohen Schnee auf den Gleisen und den starken Gegenwind auf der Ashtabula-Brücke anzukommen.

Um 19:28 Uhr, bei der Überquerung der Brücke, brach diese dann zusammen und ließ den Zug 20 Meter in die Tiefe stürzen. Die vordere Lokomotive mit dem Namen Socrates hatte die Überquerung gerade noch so geschafft, als die Columbia, die zweite Lokomotive, mitsamt den restlichen Wagen in die Tiefe stürzte und damit auch sie mitriss. Die Trümmer des Zuges gingen nach dem Aufschlag auf der zugefrorenen Eisdecke des Ashtabula-Rivers sofort in Flammen auf, da die gesamten Aufbauten der Zugwaggons, wie es damals üblich war, nur aus Holz bestanden und das Innere durch Öfen und Lampen mit Kerosin befeuert wurde. Unmittelbar nach dem Aufschlag brannte alles lichterloh und dabei entwickelte sich eine derartige Hitze, welche die Eisdecke des Flusses binnen kürzester Zeit zum Schmelzen brachte. Die Trümmer der Wagen versanken im Minutentakt und die darin eingeschlossenen Passagiere ertranken jämmerlich in den eisigen Fluten.

92 Menschen verloren bei dem Unglück ihr Leben, darunter auch Philip Paul Bliss und seine Frau. Bliss war zu diesem Zeitpunkt einer der bekanntesten Komponisten von Evangeliums Liedern, dessen Werke auch in Deutschland den Einzug in kirchliche Gesangsbücher hielten. 48 der Toten waren derart verstümmelt, dass sie nicht einmal mehr von ihren Eltern oder nahestehenden Angehörigen identifiziert werden konnten. 64 Menschen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt.

Im Nachhinein stellte man fest, dass die meisten der Menschen nicht durch den Sturz oder durch Ertrinken im eiskalten Wasser ums Leben gekommen waren, sondern durch das Feuer.

Ein weiterer Grund für die vielen Todesopfer war die Hilflosigkeit der Rettungskräfte. Die örtliche Feuerwehr war auf eine solche Katastrophe überhaupt nicht vorbereitet, es gab keinerlei Organisation und Feuer, Rauch, Dunkelheit, das unwegsame Gelände sowie die Kälte und der viele Schnee erschwerten die Rettungseinsätze zusätzlich. Ohne die Hilfe herbeigeeilter Bewohner und den Überlebenden des Unglücks wäre die Zahl der Opfer wahrscheinlich noch auf weit über hundert angestiegen.

 

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Am 19. Januar 1877 wurden etwa zwei Dutzend der nicht identifizierten Opfer nach einem Trauergottesdienst auf dem Chestnut Grove Cemetery von Ashtabula bestattet. Am 30. Mai 1895 wurde über ihrem Grab ein Denkmal errichtet, das zum Teil von Ohios Gouverneur und dem späteren US-Präsidenten William McKinley sowie der ehemaligen First Lady Lucretia Garfield finanziert worden war.

Die offizielle Untersuchung der Katastrophe durch eine Jury des zuständigen Coroners begann bereits am Tag nach dem Unglück, am 30. Dezember 1876. Während der 68-tägig andauernden Untersuchung wurden auch Dutzende von Zeugen vernommen. Charles Collins sagte aus, dass er die Brücke erst elf Tage zuvor inspiziert hatte und ihm dabei nichts aufgefallen war. Am Ende wurden acht Schlussfolgerungen aus dem Unglück gezogen. Dazu zählte, dass die Brücke, wie Collins noch vor der Inbetriebnahme behauptet hatte, tatsächlich Konstruktions- und Baufehler aufwies, niemals eine qualifizierte Inspektion des Bauwerks stattgefunden hatte und die hölzernen Eisenbahnwaggons höchst fahrlässig mit offenem Feuer beheizt und beleuchtet wurden.

Die Untersuchung stellte des Weiteren fest, dass die Katastrophe hauptsächlich von der Eisenbahngesellschaft zu verantworten war. Eine Mitschuld wurde den örtlichen Rettungskräften gegeben, die mit Panik und Chaos auf das Unglück reagierten, anstatt gezielt Leben zu retten.

Die Eisenbahn zahlte eine Entschädigung von 500.000 Dollar, weigerte sich aber, die Verantwortung zu übernehmen.

 

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Nachzutragen wäre noch, dass der Ashtabula Horror, wenn auch indirekt, später noch einmal zwei Todesopfer forderte.

Charles Collins wurde einen Monat nach den Ereignissen mit einer Schusswunde im Kopf aufgefunden. Ursprünglich vermutete man, dass er sich aus Schuldgefühlen umgebracht hatte, aber dann ergaben die polizeilichen Ermittlungen, dass sich Collins die Wunde nicht selbst zugefügt haben konnte. Sein Tod wurde jedoch nie weiter genau untersucht und ein vermeintlicher Mörder nie ermittelt. Man ist noch heute der Überzeugung, dass dabei die Eisenbahngesellschaft ihre Hände im Spiel hatte, zu beweisen war es jedoch nie.

Collins wurde nur wenige Meter neben dem Massengrab der Toten des Zugunglücks begraben.

Amasa Stone, der Designer der Brückenkonstruktion, erschoss sich am 11. Mai 1883 und bei ihm waren es eindeutig Schuldgefühle.

Quellen: