Als E-Book erhältlich

Archive

Der Wildschütz – Kapitel 3

Th. Neumeister
Der Wildschütz
oder: Die Verbrechen im Böhmerwald
Raub- und Wilddiebgeschichten
Dresden, ca. 1875
Drittes Kapitel

Die drei Masken

Der glückliche Finder hatte bereits die Hälfte des Rückweges erreicht, ohne irgendetwas zu bemerken, was ihn hätte beunruhigen können. Da fühlte er sich aber bis zum Umsinken ermattet, die Bürde sank von seiner Schulter herab und er setzte sich auf einen Felsblock, um ein wenig auszuruhen.

Da kam es ihm vor, als bemerke er in geringer Entfernung mehrere Personen, welche sich ihm schnellen Schrittes näherten. Schon wollte er die Flucht ergreifen, als ihn der Ton einer rauen Stimme zurückhielt. Er fühlte sich vor Schreck außer Stand gesetzt, die geringste Bewegung zu machen und gab sich verloren. Der Angstschweiß perlte in großen Tropfen auf seiner Stirn, denn wer konnten die Nahenden anders sein als der Förster des Grafen Praßlin nebst seinen Leuten, die ihn nun zu ertappen im Begriff standen.

Der arme Martin stand wie vernichtet neben dem Zeugen seines Vergehens. Er wagte es kaum, die Herankommenden anzublicken. Als er endlich den Blick zu ihnen emporhob, bemerkte er drei Männer­gestalten, welche, dicht in ihre Mäntel gehüllt, ihn umstanden.

»Heda, wer ist das?«, begann nun eine Stimme, während einer von den Vermummten den zitternden Martin am Arm erfasste und festhielt. »Was treibst du hier zu einer so späten Stunde?«

»Ach Gott«, stöhnte der Gefragte, »habt Erbarmen! Ich will alles gestehen und die Wahrheit sagen; richtet eine arme Familie nicht vollends zu Grunde. Vor etwa einer Stunde kam ein Frem­der an meine Tür und forderte mich auf, ein Stück Wild hereinzuholen, welches nach seiner Angabe am Saum des Waldes liegen sollte. Ich wollte anfänglich nichts von der Sache wissen, allein der Mann redete mir zu, bis ich mich dazu bewegen ließ und hinausging, wo ich auch wirklich die Beute fand, die ich eben nach Hause zu tragen im Begriff stand, als ich durch Euer Hinzukommen daran verhindert wurde.«

Als Martin schwieg, ließ der Vermummte ein höhnisches Ge­lächter erschallen. »Es gehört ein starker Glaube dazu, um diese Fabel als Wahrheit anzusehen«, rief er darauf, sich gegen seine Begleiter wendend. »Und wie könnte der Schurke verlangen, seine Lüge für wahrscheinlich zu erachten?«. fuhr er dann fort. »Diese Angaben vermögen es nicht, dich frei zu machen; folge uns, wenn du weiter nichts mehr zu deiner Rechtfertigung anzuführen hast.«

»Ich habe nichts mehr zu sagen«, entgegnete Martin mit beben­der Stimme, »aber ich bitte Euch flehentlich um meine Freilassung.«

»Davon kann keine Rede sein«, versetzte der bisherige Sprecher, »du musst mit uns, und wenn du dich sträubst, so haben wir Mittel und Wege, um dich zu zwingen.«

»Gott, steh mir bei«, jammerte Martin in der Angst seines Herzens, »ich bin verloren!« Er rang verzweifelnd die Hände und flehte fortwährend um Mitleid, allein ein paar kräftige Rippenstöße, die er plötzlich erhielt, überzeugten ihn, dass alles Bitten vergeblich sei. »Armes Weib«, stöhnte er, »der Teufel hat mich geblendet.«

»Halt dein Maul, du feiger Schuft«, rief ein anderer, ihn mit kräftiger Faust mit sich fortziehend. »Du bist unser Gefangener und hast nichts weiter zu tun, als uns zu folgen.«

Der Aufgeforderte ging nun willig mit, ohne noch länger zu widerstreben. Man schlug den Weg zum Walde ein, und nach­dem derselbe erreicht worden war, ging es auf einem verwilderten Pfad weiter fort, wobei die Wandernden oft über Felsstücke und umgestürzte Baumstämme klettern mussten, um vorwärtszukommen.

Endlich kamen sie in der Nähe eines hohen, steilen Felsens an, dessen Vorderseite zum Teil mit verkrüppeltem Schlagholz bewachsen war. Am Fuße desselben befand sich ein von Gesträuch verborgen gehaltener Eingang, der nicht so bald von jemand bemerkt werden konnte, und in den die Vermummten nun traten, wohin auch Martin, von ihnen in die Mitte genommen, folgen musste.

Nachdem die Männer etwa 80 Schritte unter einer niedrigen, wie es schien, von der Natur gebildeten Wölbung fortgegangen waren, erreichten sie einen weiten Raum, worin nächst der dichtesten Finsternis zugleich eine wohltuende Wärme herrschte, aus welchem Um­stand Martin schloss, dass die Höhle bewohnt sein müsse. Er konnte jedoch nicht das Geringste erkennen und sah sich gezwungen, geduldig das Kommende zu erwarten.

Bald darauf zog einer von seinen unbekannten Begleitern ein Feuerzeug heraus, und im nächsten Augenblicke wurde die Umgebung von einer hell aufflackernden Pechfackel erleuchtet. Ein auf dem Boden der Höhle liegender Haufen Nadelholz wurde in Brand gesteckt. Während die Flamme gierig emporschlug, fand Martin Gelegenheit, die Gesellschaft, bei welcher er sich befand, genauer in Augenschein zu nehmen, wo er denn nicht wenig überrascht war, als er wahrnahm, dass die drei Männer schwarze Masken trugen, ein Umstand, der seine Lage, wenn nicht gefährlich, doch umso rätselhafter machte. Überdies waren die Maskierten gut bewaffnet, und Martin bemerkte bei dem zufälligen Auseinanderschlagen der langen Mäntel, dass sie Pistolen bei sich trugen, Auch überzeugte sich nun der Gefangene voll­kommen, dass er sich keineswegs in den Händen der Forstbeamten des Grafen von Praßlin befinde.

»Du frierst, armer Teufel«, begann nach einigem Schweigen die ihm am nächsten stehende Maske, »tritt näher ans Feuer und wärme dir deine dürren Knochen. Da trink einmal«, fuhr der Sprecher fort, eine volle Flasche hervorziehend und sie dem betroffenen Martin hinhaltend. Der Letztere griff zitternd danach, und nachdem er nur wenig genossen, gab er sie dem Eigentümer zurück.

»Was treibst du denn eigentlich zu Hause?«, fuhr der Maskierte nach einer kleinen Pause fort. »Du hast, wie du uns vorhin sagtest, Weib und Kinder daheim sitzen. Ist es dir denn möglich, sie in der schlechten Zeit zu ernähren?«

»Mit Gottes Hilfe gelang es mir, und ich hoffe, dass es auch ferner noch geschehen wird«, antwortete Martin, »der Allgütige wird mich stärken.«

»Schafkopf«, murmelte die Maske ungeduldig, und sich zu ihrer Kumpane wendend, sagte sie: »Das ist auch so ein Esel, der im Ver­trauen zu seinem Gott und in der Hoffnung, dass es nächstens ge­bratene Tauben und Speckseiten vom Himmel regnen wird, damit er sich den zusammengetrockneten Leib füllen könne, verhungern will. Du bist ein dummer Kerl«, fuhr er zu Martin gewendet fort. »Hilf dir selbst, das ist gegenwärtig die Losung, und nebenbei bemerkt ist es das beste Mittel, um sich in der Welt durchzuschlagen. Hast du mich verstanden?«

»Nicht so ganz«, versetzte Martin, unmutig über den erlittenen Hohn. »Mir scheint es, als ob ihr diejenigen für einfältig und dumm hieltet, die ihre Hoffnung und ihr Vertrauen auf höhere als auf menschliche Hilfe setzen.«

»Du hast es vollkommen erraten«, erwiderte jener. »Es ist eine Torheit, sich solchen Träumereien hinzugeben. Wir wollen es an dir selbst erproben, du frommer Christ, wie weit deine Geduld und dein Vertrauen ausreichen wird. Ich sage dir, dass du bald die Schickung des Himmels oder vielmehr deine eigene Dummheit verfluchen wirst, die dich in das tiefste Verließ des Waldschlosses führen wird, und zwar deshalb, weil du dem Grafen Praßlin Wild gestohlen hast.«

Martin erschrak von Neuem. »So wollt Ihr mich wirklich dem Grafen überliefern?«, rief er von Entsetzen ergriffen. »Ach, ich bitte Euch, tötet mich lieber auf der Stelle, als dies zu tun, denn der finstere Graf würde nicht allein die härteste Strafe über mich ver­hängen, nein, nein, er würde auch mein armes Weib und meine Kinder aus der Hütte jagen, die ihm gehört. O, habt Mitleid, und wenn Ihr mein Flehen nicht achtet, so habt wenigstens Erbarmen mit meinen armen Kindern.«

Die Bitte des Unglücklichen schien diesmal einen günstigen Ein­druck auf die Vermummten zu machen. Sie schwiegen ein Weilchen, dann aber begann der frühere Wortführer, während Martin kaum seine Augen auf die unheimlichen Gestalten, die ihn umstanden, zu richten wagte: »Eine Wahl zwischen Kerker und Freiheit ist noch vorhanden. Schlägst du den Vorschlag aus, so ist dein nächster Weg zum Schloss des Grafen.«

»So lasst hören«, unterbrach Martin den Sprecher, »was kann ich tun, um die quälenden Befürchtungen, meiner Familie entrissen zu werden, schwinden zu sehen?«

»Das sollst du gleich erfahren«, erwiderte der Gefragte, »doch zuvor musst du uns schwören, niemand, dein Weib nicht aus­genommen, ein Wort von demjenigen zu sagen, was du noch in dieser Nacht sehen und hören wirst. Brichst du diesen Schwur, dann würde dich selbst ein Wunder nicht vor unserer Rache retten können. Du würdest dir und deiner ganzen Familie den Untergang bereiten. Nur diesen Ausgang hast du zu erwarten, wenn du nicht schweigen wolltest, überhaupt aber hast du nur noch die Wahl zwischen Freiheit nach unseren Begriffen und den Verfügungen des Grafen. Überlege wohl, was es sagen will, als überwiesener Wildräuber vor dem Richter zu stehen. Darum mach schnell, deine Wahl wird über dich entscheiden.«

Martins Kopf begann zu platzen. Er sollte sich zu einer Handlung entschließen, durch welche unmöglich ein rechtschaffener Zweck erzielt werden konnte, denn wäre das Letztere der Fall gewesen, zu was waren dann die geheimnisvollen Vorbereitungen nötig?

Der arme Schelm befand sich in einer kritischen Lage und es war ihm nicht anders zu Mute, als stehe er im Begriff, mit dem Gott-sei-bei-uns einen Pakt zu unterschreiben. Doch der Kummer um seine Familie und die Furcht vor der angedrohten Strafe siegten endlich über ihn und er entschloss sich, seine Zukunft in die Hände der drei unheilvollen Masken zu legen, die ihn wie Dämonen der Hölle umzingelten.

»So sei es denn«, rief er mit halb erstickter Stimme, »ich gehe in Eure Bedingungen ein und gelobe hiermit, bei dem Wohl meiner armen Seele über alles zu schweigen, was ich in dieser Nacht gesehen und vielleicht noch sehen werde, und möge mich alles Unheil treffen, wenn ich je mein geleistetes Versprechen durch einen Laut verletze.«

Martin schwieg vor Erschöpfung. Er taumelte wie bewusstlos gegen die nahe Felsenwand und verhüllte sich mit den zitternden Händen das blasse Gesicht.

»Gut gemacht, jetzt bist du unser, was wir schon längst ge­wünscht haben«, sagte einer von den Männern, zu ihm herantretend, »und du hast nicht länger Ursache, dich vor dem Grafen Praßlin zu fürchten. Wir werden dich vor ihm zu schützen wissen. Doch genug davon, du sollst nun erfahren, worin die Bedingung besteht, welche dir dein uns geleisteter Schwur auferlegt.« Dann fuhr er fort: »Etwa eine Stunde von hier befindet sich die Wohnung eines reichen Pächters. Wir wollen demselben noch in dieser Nacht einen Besuch abstatten. Du sollst dabei mitwirken und als Neuling wenigstens einen Wachtposten übernehmen, während wir uns in das Innere des Hauses begeben. Der Pächter ist nicht zu Hause, wovon wir bestimmt unterrichtet sind und was für uns umso besser ist, da wir zufolge dessen desto eher mit den anwe­senden Bewohnern fertig werden.«

Martin erschrak heftig über diesen Antrag. Die Schuppen fielen ihn nun mit einem Male von den Augen und seine Gefühle sträub­ten sich bei dem Gedanken, sich bei einer so schändlichen Handlung zu beteiligen. Sein Blick ruhte mit dem Ausdruck heftiger Ent­rüstung auf den verkappten Bösewichten, die sich unter höhnischem Lachen über den ihm gespielten Betrug freuten.

»Nicht gezittert«, rief ihm einer zu, »du hast zu unserer Fahne geschworen und nur der Galgen kann dein Versprechen lösen. Du musst uns folgen, denn von nun an bist du unser Gefährte, unser Kumpan; der geringste Widerstand würde dich und deine ganze Familie verderben.«

Diese Bemerkung schleuderte den Unglücklichen zu Boden, seine Familie, – sie war in der Gewalt jener Schurken.

»Ich kann Euch nicht begleiten«, rief er angstvoll, »der Pächter Andreas kennt mich genau und die Sache würde sofort verraten sein; wir sind dann alle verloren.«

»Nicht doch, dafür lass uns Sorge tragen«, entgegnete jener. »Nimm diese Maske und dann wirft du einen Mantel über; kein Mensch ist alsdann imstande, dich zu erkennen.«

In wenigen Minuten war die Maskerade, trotz Martins Wider­streben, auch wirklich so täuschend zustande gebracht, dass es un­möglich gewesen sein würde, die Gestalt desselben von seinen Ge­fährten zu unterscheiden.

Unterdessen war das Feuer fast niedergebrannt und es begann in der Höhle immer dunkler zu werden, worauf man der Rumflasche nochmals die Runde machen ließ. Nachdem der Inhalt zur Neige gegangen war, sagte der vermutliche Anführer: »Lasst uns nicht länger verweilen, es ist schon spät geworden, und die beste Zeit zu unserem Werk ist herangekommen.«

Man machte sich hierauf fertig und nachdem die zu nehmenden Maßregeln getroffen waren, verließen die drei Vermummten mit dem ebenfalls maskierten Martin, der nun ohne fernere Weigerung folgte, ihren sicheren Schlupfwinkel.

Außerhalb der Höhle angekommen, folgten sie einen minder beschwerlichen Weg als zuvor, und wie sehr wurde Martin überrascht, als er die Mauern des düsteren Waldschlosses in geringer Entfernung erblickte. Der Pfad führte am Fuß des Schlossberges vorüber und verlor sich in dem jenseitigen Gebüsch.

Das alte Gebäude schien drohend von seiner Höhe auf die Vorüberziehenden herabzuschauen und Martin konnte sich bei seinem Anblick eines Schauers nicht erwehren. Bald darauf erreichten sie die eigentliche Straße, auf welcher sie rasch vorwärts eilten. Martin folgte mit schlotternden Knien, aber die Furcht trieb ihn unaufhörlich weiter, obwohl ihn der Ge­danke an den Ausgang des nächtlichen Raubes den Angstschweiß in großen Tropfen über das Gesicht trieb.