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Ein Ostseepirat Band 2 – Kapitel 35

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman, Zweiter Band
XXXV. Der zuständige Richter

Der schwedische Befehlshaber hatte sein Haupt­quartier früher in der kleinen Stadt Franzburg ge­habt. Als derselbe nach der erhaltenen Meldung von den Vorfällen im Westen von Greifswald zu­rückkehrte, fand er die Beamten seines Generalstabes, welche zurückgeblieben waren, verjagt, sein Büro zerstört und seine Wohnung geplündert.

Der General hatte schon verschiedentlich nach Schweden berichtet, dass seine schwer bepackte und schwer berittene Kavallerie es in keiner Weise mit der preußischen aufnehmen könnte, und deshalb gebeten, hierin eine Änderung eintreten zu lassen.

Doch in Schweden dachte man nicht an solche Notwendigkeiten, und die Sache blieb beim Alten.

Dieser letzte Streich der preußischen Husaren war indessen der Art, dass es nicht ratsam erschien, länger in einer kleinen unbefestigten Stadt zu verweilen, weshalb die Exzellenz beschloss, das Hauptquartier nach Stralsund zu verlegen, wohin er auch sofort für seine Person abging und in der allerbösesten Laune anlangte.

Die Behörden der Stadt beeilten sich, dem Höchstkommandierenden ihre Huldigungen darzubrin­gen, bei welcher Gelegenheit ihm auch die Meldung von der Gefangennahme Jacobsons und Wardows gemacht wurde.

»Was!«, rief der gestrenge Feldherr, »ohne Lorbeeren, der Pirat und der Deserteur? Sofort Kriegsrecht über beide, meine Herren, veranlassen Sie das Nötige!«

Diese letzten Worte waren an seine Adjutanten gerichtet, und der Gouverneur wagte die Bemerkung, dass der Pirat in der Stadt einen Mord begangen und eigentlich Gefangener der Zivilbehörde sei.

»Was wollen Sie damit sagen, Excellenz?«, fragte der General. »Ich meine, dass das Gericht der Stadt die zuständige Behörde sei, über das Verbrechen zu urteilen.« »Bah!«, rief der General, »um die Sache Jahre lang hinzuschleppen und dem Freibeuter Gelegenheit zu geben, zu entwischen. Übrigens ist es gleich, ob derselbe gehängt oder geköpft wird, und der einzige zuständige Richter in allen Kapitalsachen der Provinz bin ich gegenwärtig.«

Der Gouverneur verbeugte sich und trug noch seine Beschwerde über den Oberst Staelswerd vor, welchen der General nie leiden konnte.

»Kann morgen ebenfalls gleich sein Urteil erfahren!«, sagte der General, »ich danke Ihnen, meine Herren!«

Die Herren gingen.

Schon am nächsten Morgen nach Wardows Gefangennahme war dieselbe in der ganzen Stadt bekannt. Es gab sehr viel Leute, die den jungen munteren Mann früher gekannt hatte, eine gute Anzahl, die ihm näher gestanden haben. In Erinnerung an die Befreiung Griebens schenkte man dem armen Offizier ein allgemeines Bedauern.

Welcher Schmerz aber Frau von der Grieben und Sophie ergriff, als sie die schreckliche Mär ver­nahmen, kann man sich denken, besonders wenn in Betracht gezogen wird, dass sie das Schicksal, welches jetzt Wardow bevorstand, auch jeden Augenblick, den Vater betreffend, fürchten mussten.

Die Baronin suchte die Damen zwar in ihrer halb leichtsinnigen, halb energischen Weise zu er­mutigen und zu trösten; sie war voll neuer kühner Hoffnungen, in der Meinung, dass es gelingen werde, Jacobson zu befreien, und dieser dann auch Wardows Befreiung bewirken werde. Doch ihre Hoffnung ward gänzlich niedergeschlagen, als der Vater zu Hause angelangt war und mitteilte, wie schnell sich schon das Schicksal der beiden Män­ner entscheiden solle und auf ihren ausgesprochenen Wunsch, eine Verzögerung der Sache zu bewirken, erklärte, dass er dazu in keiner Weise beitragen könne, wenn er sich nicht in den Augen des Generals kompromittieren wolle. Ja, dass er nicht einmal wisse, inwiefern er jetzt auch für die Frauen werde etwas tun können.

Die Baronin besann sich indessen schnell, machte sich auf und eilte zu dem Höchstkommandieren­den, um ihn um Aufschub für die Gefangenen zu bitten.

Der General hörte die Dame ernst an. Als sie geendet hatte, schüttelte er das weiße Haupt.

»Madame!«, antwortete er, »ich bin der Ansicht, dass ihre Bitte passender für Ihren Herrn Gemahl angebracht worden wäre. Ich weiß kaum, was ich über Sie denken soll?«

Die junge Dame errötete, verbeugte sich, und eilte davon. Jetzt war sie völlig gewiss, dass beide verloren sein mussten.

Der Offizier, welcher die nach Stralsund vor­geschobenen Truppen kommandierte, fragte später jeden einzelnen Mann nach dem Leutnant von Wardow, ohne jedoch Auskunft über denselben zu erhalten. Indessen wusste hier auch jener Seemann, der die erste Hiobspost gebracht hatte, Auskunft zu geben. Er hatte einen Husaren weit vorn, zwischen den feind­lichen Reitern gesehen, auf den er zuerst habe zu­eilen wollen; derselbe sei jedoch in demselben Moment, als er jene Absicht gefasst hatte, gefallen. Er vermutete, dass es wohl ein Offizier gewesen war.

Die Gesellschaft ritt daher trist zurück, denn wenn schon die Gefangennahme jedes Offiziers ein Unglück zu nennen war, so konnte die Wardows für ein großes gelten. Wieder bei dem Oberstleutnant eingetroffen, stellte er demselben den Seemann vor, welcher auch an Grieben seinen Bericht abstattete, der dabei na­türlich erschrak. Doch fast noch mehr erregte ihn die Meldung, dass Wardow vermutlich gefallen oder verwundet, vielleicht gefangen sei.

»Ich hätte ihn nicht gehen lassen sollen!«, rief Grieben.

Man tröstete sich sogar mit dem ge­ringeren Unglück, welches dem jungen Mann begegnet sein könne, nämlich, dass er getötet worden war. Grieben gab das Signal zum Aufbruch, und man zog sich zurück, wie man gekommen, mit Blitzesschnelle. Grieben hatte den Marsch seiner Eskadronen beim Rückzug bereits mehr nach Osten dirigiert, er ließ sie in der Gegend bei Trantow stehen und eilte, nur von dem Offizier, der nach Stralsund vor­gerückt war, von Blücher und dem Seemann begleitet, nach Anklam, um den Obersten aufzusuchen.

Belling hatte inzwischen ebenfalls durch zurück­gekehrte Seeleute das Misslingen des Unternehmens Jacobsons und seine Gefangennahme erfahren. Wardows Verschwinden vermehrte das Unheil und er schüttelte heftig den Kopf.

»Das sind böse Händel!«, fügte er hinzu, »doch ich will versuchen, was sich tun lässt. Blücher, Sie können sich das Vergnügen machen, zum König nach Schlesien zu reiten. Ich halte den Fall für wichtig genug, um Seiner Majestät Meldung darü­ber zu machen!«

Blücher eilte, sich zu dem weiten Ritt vorzu­bereiten, und der Oberst brachte während dieser Zeit seinen Rapport zu Papier.

Nachdem Blücher abgefertigt war, sendete der Gene­ral einen anderen Adjutanten, von einem Trompeter begleitet, mit folgendem Schreiben an den Oberbe­fehlshaber der Schweden ab.

Exzellenz!

Ich vermute, dass zwei Offiziere Seiner Majestät, meines Königs und Herrn, unter Umständen in Ihre Gewalt geraten sind, die ein zweideutiges Licht auf ihren Charakter werfen könnten. Ich ersuche Sie mit der Beurteilung dieser Umstände nicht zu eilen, sondern abzuwarten, bis die Entschei­dung meines Königs, wie ich mich in diesem Fall Ihnen gegenüber zu verhalten habe, angelangt sein kann. Es wird die Einholung derselben nur so lange Frist erfordern, wie ein guter Reiter braucht, von hier nach Schlesien und zurück zu gelangen. Die Ge­währung meines Ansuchens wird mich zu gleichen Diensten verpflichten. Sollten Sie jedoch wider Erwarten die ganze Strenge der Kriegsgesetze anzu­wenden Veranlassung nehmen, so werde ich jeden von jetzt ab in meine Gewalt kommenden schwedi­schen Offizier auf die Weise behandeln, wie sie et­wa den königlichen Marinekapitän Jacobson und den Leutnant in meinem Regiment von Wardow. Übrigens habe ich die Ehre usw.