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Slatermans Westernkurier 12/2022

Auf ein Wort, Stranger, wie war das eigentlich damals mit dieser Schlacht von Kelley Creek?

War es tatsächlich eine Schlacht oder gar das letzte Massaker, das an den Indianern Nordamerikas verübt wurde, wie uns damalige Berichte glauben machen wollen?

Um diese Geschichte zu verstehen, muss man wissen, dass der sogenannte Wilde Westen im engeren Sinne nur die Zeitspanne von 1850 bis 1890 umfasst. 1890 verkündete der US State Census am 2. Juni das endgültige Aus der Frontier. Dennoch war diese Epoche noch längst nicht zu Ende, selbst weit bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein hinterließ sie noch so manche Spuren in der Geschichte Amerikas.

Dazu zählt zum Beispiel die Geschichte um Tom Horn, einem Weidedetektiv, der im Johnson County Weidekrieg eine undurchsichtige Rolle spielte und schließlich am 20. November 1903 in Cheyenne, Wyoming, nach ebenso undurchsichtigen Vorgängen gehängt wurde. Als Nächstes wäre da das Revolverduell, das im Sommer 1904 in Arizona auf der Hauptstraße des kleinen Städtchens Quartzsite auf offener Straße stattfand.

Der Sieger, sprich der Überlebende, ließ sich widerstandslos festnehmen und wurde noch am gleichen Tag mit der Bescheinigung, in Notwehr gehandelt zu haben, freigelassen. Noch im Jahr 1920 überfielen Cowboys eine Schafherde in Colorado, erschossen 150 Tiere gleich auf der Weide und trieben dann weit über 1000 davon über eine Klippe in den Blue Mountains. Auch die Apachen und Yaqui-Banden, die noch bis in die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein in den unwirtlichen Bergen im Grenzgebiet zwischen Mexiko und Texas auf den Kriegspfad gingen, rechnet man dazu.

Und dann war da eben noch diese Sache am Kelley Creek

Allerdings scheiden sich hier die Geister.

Der Westernkurier ist der Meinung, dass man diese sogenannte Schlacht von Kelley Creek selbst mit viel gutem Willen nicht als ein letztes Aufbäumen dieser Ära gegen die sogenannte moderne Zeit bezeichnen kann, auch wenn dem manche Historiker widersprechen und auch wenn die mehr als ein Dutzend Toten und Verletzte zum größten Teil indianischer Abstammung waren. Diese sogenannte Schlacht war nichts anderes als eine Auseinandersetzung zwischen brutalen Viehdieben und Vertretern des Gesetzes.

Aber möge der Leser selbst urteilen.

 

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Mike Daggett, auch Shoshone Mike genannt, war der Chief einer kleinen Bande aus Shoshone und Bannocks. Die elf Mitglieder der Gruppe waren bis auf zwei Männer alles Mitglieder von Mikes Familie, zu der drei Frauen und fünf Kinder gehörten.

Im Frühjahr 1910 führte Daggett die Bande aus dem Fort Hall Reservat in Rock Creek, Idaho, zuerst in den Norden Nevadas, dann nach Westen, nach Oroville in Kalifornien und schließlich wieder zurück nach Nevada, um den Winter im Little High Rock Canyon im Norden des Washoe Countys zu verbringen.

Man nimmt an, dass die Gruppe auf ihren Stationen im Norden Nevadas und in Kalifornien keine Arbeit fand und damit auch ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten konnten. Das Washoe County dagegen war fruchtbar und galt als wildreich und die Bergwelt um den besagten Canyon bot Schutz vor den kalten Winterstürmen. Aber das war früher, jetzt hatten sich dort Farmer und Viehzüchter niedergelassen, die kein Interesse an einem großen Wildtierbestand hatten, sondern die Weiden für ihr Vieh benötigten. Ohne Arbeit und ohne Geld gingen Daggett und seine Bande schon bald die Vorräte aus, und um nicht zu verhungern, stahlen sie einige Tiere eines örtlichen Viehzüchters und schlachteten sie. Ihre Tat blieb allerdings nicht unentdeckt. Ein baskischer Schäfer namens Bert Indiano beobachtete sie bei ihrem Treiben und alarmierte die Bewohner des nahen Surprise Valley im benachbarten Kalifornien. Die Menschen dort entsandten ein Aufgebot, das aus Harry Cambron sowie den beiden baskischen Schäfern Pierre Erramouspe und John Laxague bestand, die zusammen mit Indiano den Vorfall untersuchen und die Viehdiebe bestrafen sollten. Als die Gruppe am 19. Januar den Little High Rock Canyon betrat, wurde sie von dem Daggett-Clan bereits erwartet.

Das Aufgebot hatte keine Chance, als die Bande sie aus dem Hinterhalt überfiel. Die vier Männer starben im Gewehrfeuer der Indianer, bevor sie überhaupt wussten, wie ihnen geschah.

Ihre Leichen wurden Wochen später, am 8. Februar, von unzähligen Schusswunden übersät, von einem Suchtrupp aus dem kalifornischen Eagleville in einem Bachbett gefunden. Als die Nachricht von den Morden bekannt wurde, evakuierte man in den umliegenden Siedlungen Frauen und Kinder, und die Männer, die zurückblieben, trugen fortan ständig Waffen bei sich. Anfangs glaubte man, dass für die Taten Gesetzlose aus Oregon oder eine Bande von Modocs dafür verantwortlich war. Jedenfalls organisierte die Staatspolizei von Kalifornien und Nevada gemeinsam eine wehrhafte Posse unter dem Kommando von Captain J. P. Donnelly, der außer fünf Polizisten noch mehrere entschlossene Bürger und ein Gerichtsmediziner und Arzt angehörten.

Daggett indessen hatte beschlossen, in das Duck Valley Indianerreservat zu flüchten, um dort unterzutauchen. Donnellys Truppe erreichte den Little High Rock Canyon am 13. Februar, aber da war die Daggett-Bande schon längst über alle Berge. Doch die Truppe trotzte der extremen Kälte und dem unberechenbaren Winterwetter, und so gelang es ihr, am 25. Februar 200 Meilen weiter die verbrecherische Bande in einem Gebiet am Kelley Creek, nordöstlich von Winnemucca, der Hauptstadt des Humboldt-Countys, aufzuspüren.

Es ist bis heute nicht erwiesen, welche Partei zuerst mit dem Schießen anfing, aber der nachfolgende Kampf währte über drei Stunden. Mike Daggett war eines der ersten Opfer, aber sein Tod ließ die Bande nur noch entschlossener kämpfen. Berichten zufolge sollen sich die Frauen und Kinder noch wilder als die Männer zur Wehr gesetzt haben. Als sie zum Ende des Kampfes keine Munition mehr besaßen, kämpften sie mit Pfeil und Bogen, Speeren und Tomahawks weiter. Am Ende der Auseinandersetzung war Ed Hogle, einer der Zivilisten aus Donnellys Truppe, tot und von der Daggett-Bande lebten nur noch ein sechzehnjähriges Mädchen namens Mary Jo Estep und drei kleine Kinder.

 

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Am Ende dieser Schlacht fand das Aufgebot mehrere Beweise für den Mord an den vier Männern aus dem Surprise Valley. Unter anderem auch die Uhr von Harry Cambron, die sein Bruder Ben Cambron identifizierte. Die Posse sprengte mit Dynamit einen Krater in die Felslandschaft, in dem die Toten der Daggett-Bande begraben wurden. Die Überreste von Ed Hogle hingegen wurden nach Eagleville gebracht, wo sie auf dem städtischen Friedhof begraben wurden.

Nachzutragen bleibt noch, dass die drei überlebenden Kinder der Indianergruppe bis 1913 alle verstarben, während Mary Jo Estep alle anderen Beteiligten überlebte und erst 1992 verstarb.

Wir finden, dass man aufgrund der heutigen Kenntnis diese Affäre nicht als Schlacht oder den letzten Aufstand freilebender Indianer bezeichnen kann, sondern dass es sich hierbei lediglich um die Verhaftung einer kriminellen Familie handelte.

Der Autor und Historiker Frank Bergon sieht es in seinem 1994 erschienenem Buch Shoshone Mike genauso.

Quellenangabe:

  • Frank Bergon, Shoshone Mike, erschienen 1994 im Verlag University of Nevada Press, ISBN 9780874172447
  • Battle of Kelley Creek

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Nun noch zu etwas, das mir persönlich sehr am Herzen liegt.

Es ist zwar an anderen Stellen schon mehrfach darüber berichtet worden, trotzdem möchte ich hier im Westernkurier noch einmal an Dietmar Kuegler erinnern, der seit Samstag, den 3. 12. 2022 nicht mehr unter uns weilt.

Sein überraschender Tod hat nicht nur mich bis ins Mark getroffen.

Dietmar war mehr als nur ein Westernautor, er war Buchautor, Historiker, Verlagschef und Leiter von Reisen in den Wilden Westen, genauso wie Ehemann und Mensch voller unendlicher Güte und großem Herzen. Ich hatte leider nie die Möglichkeit, ihn persönlich kennenzulernen, aber wir hatten immer wieder per Internet Kontakt. Trotz seiner unzähligen Verpflichtungen steuerte er für diese Kolumne ohne große Fragen zwei der wohl bedeutendsten Beiträge in der über fünfzehnjährigen Geschichte des Westernkuriers bei.

Dietmar Kuegler und das kann ich mit Fug und Recht behaupten, hinterlässt eine Lücke, die wahrscheinlich nie mehr zu schließen ist.

R.I. P. Dietmar

Für mehr fehlen mir einfach die Worte.