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Ein Ostseepirat Band 2 – Kapitel 34

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman, Zweiter Band
XXXIV. Eine Diversion

Es muss in mancher Hinsicht in der Stadt Stralsund während des Siebenjährigen Krieges eine herrliche Wirtschaft gewesen sein; eine Zucht, in der niemand recht gewusst hatte, ob er Koch oder Keller­meister, ob er zu befehlen oder zu gehorchen habe.

So nimmt ein höherer Offizier Frauen gefangen und klagt sie an; das Gouvernement setzt eine Kommission nieder, die Sache zu untersuchen, und diese untersucht vergnügt darauf los, während die armen Frauen wider Recht und Gesetz in einem elenden Kerker schmachten, und dies alles nimmt plötzlich, jedoch ohne Urteil, ein Ende, sobald sich jener erste Herr soweit vergisst, sogar im Haus seines Vorgesetzten den Herrn zu spielen und die Tochter des Gouverneurs sich der Misshandelten offen annimmt.

Es ist dieser Fall für die Verwaltung charakterisierend, er bezeichnet deutlich, dass im Ganzen ein Willkürregiment herrschte, welches nur durch den, im Grunde wenig zu Ausschreitungen geneigten Charakter der beiden hier zusammengewürfelten Nationalitäten gemildert wurde.

Denn im Grunde genommen war auch die Arrestverhängung über Staelswerd ein Akt der Willkür, und der Oberst, obwohl er sich auf die Hauptwache begab, war nicht willens, denselben so ruhig hinzunehmen, sondern richtete von der Wache aus an den Kommandanten der Festung eine Anzeige und Beschwerde.

Der Kommandant, General von Bolterstjern, verfügte sich denn auch anderen Tags zu dem Gou­verneur, der soeben die Meldungen der Stadtwache erhalten hatte, um mit ihm Rücksprache zu nehmen.

Dass sich die Herrn recht schnell verständigten, darf uns nicht Wunder nehmen, denn im Grunde wurde ihr Interesse nur durch die Verhaftung Staelswerds beteiligt, und diesen überließ der Kommandant gutwillig und gern dem Gouverneur. Dagegen gab dieser mit Freuden den Frei­schiffer an den Kommandanten ab, und was die Frauen betraf, so hielt man dafür, sie einstweilen in anständiger Haft zurückzubehalten, jedoch das Verfahren gegen sie einzustellen und die eingesetzte Kommission aufzulösen.

Somit war die Sache größtenteils geordnet.

Indessen hatte der verwundete Schließer seine Vermutung ausgesprochen, dass noch mehr von Ja­cobsons Leuten in nächster Zeit erscheinen dürften, und man richtete deshalb auf sie die Aufmerk­samkeit.

Die Männer erschienen den früher von ihrem Chef erhaltenen Weisungen gemäß, und wenn auch nicht alle, so wurden doch noch sieben derselben festgenommen. Über diesen Kasus also war man in Stralsund fort, doch nicht über einen anderen Punkt, der für die Schweden schwer genug ins Gewicht fallen sollte.

Belling hatte seine Unterstützung zur Befreiung der Damen zugesagt, und weshalb sollte er auch nicht, es war Krieg, und jede Veranlassung, dem Feind strenger auf den Pelz zu rücken, gleichgültig.

Er konzentrierte deshalb den größten Teil seiner Streitkräfte bei Anklam, und zwar so, dass die Schweden dies bemerken mussten, die denn ihrer­seits ebenfalls dorthin ihre Hauptmacht wendeten. Inzwischen war Grieben mit vier Eskadron im Süden an der mecklenburgischen Grenze ver­blieben, um hinter dem entblößten Flügel des Feindes am bestimmten Tag möglichst weit nach Stralsund vorzugehen. Dies war in der gegenwärtigen Jahreszeit allerdings möglich, da die Gewässer und Sümpfe, bereits zugefroren, überall passiert werden konnten.

Natürlich war der Hauptzweck dieser Expedition die Aufnahme der durch die Seeleute aus der Festung geholten Damen; der Nebenzweck Beun­ruhigung der Kantonnements des Feindes, Ver­brennung der Magazine, Wegnahme der Kassen, und was sonst durch einen schnellen Coup ausgeführt werden konnte, dem Feind zu schaden.

Belling begann seinen Angriff mit Heftigkeit und drang am ersten Tage fast bis nach Greifs­wald vor, während die Seeleute Jacobsons auf dem Eis vorgehend, seinen rechten Flügel bildeten. Nach Greifswald eilte denn auch der Höchstkommandierende des schwedischen Korps, der General von Stedingk.

Obwohl Belling nur Feldgeschütze bei sich hatte, tat er doch, als wolle er den befestigten Ort an­greifen. Um diese Absicht jedoch deutlich merken zu lassen, hatte er auf Schlitten schweres Schiffsgeschütz herbeischleppen lassen und tat, als wolle er grimmig die arme Stadt bombardieren, doch platzten die ge­worfenen Bomben und Granaten alle in der Luft.

Der schwedische General musste nun annehmen, dass Verstärkungen der Preußen angelangt seien oder doch anlangen dürften, und dass man wirklich Ernst machen werde. Indessen war er noch unsicher, von welcher Seite der Hauptangriff stattfinden werde. Er ließ daher schnell den früheren Schauplatz rekognoszieren, und als ihm berichtet wurde, dass derselbe gänzlich von den Preußen verlassen zu sein scheine, zweifelte er nicht mehr daran, dass von Anklam her der eigentliche und einzige Angriff gemacht werden solle. Dorthin beorderte er denn alle, nur irgend an anderen Orten abkömmliche Truppen. Man schlug sich bei Greifswald ganze zwei Tage umher wie noch nie an dieser Stelle während des Krieges. Doch am Morgen des dritten Tages waren die Preußen verschwunden, als seien sie durch die Luft davongeflogen oder in die Erde versunken. Nun merkte Stedingk, dass er hintergangen sei. Bald eingehende Meldungen bestätigten diese Vermutung zu Genüge. Er eilte nach Stralsund.

Inzwischen hatte Grieben seine vier Eskadron in der Stille bei Demmin gesammelt, ging mit denselben am Abend über die Peene und eilte in der klaren Winternacht auf vier verschiedenen Wegen, die linke Flügel-Eskadron hart an der mecklenburgischen Grenze, auf Stralsund zu. Am nächsten Morgen befanden sich die vier Eskadron in Zügen und halben Zügen aufgelöst auf der Strecke von Reinberg, El­menhorst, Richtenberg bis Senntow, im Rücken der schwedischen Armee auf alle Wege und Pässe verteilt, um alles aufzufangen, was sich vom Norden her nähern werde.

Es ist unnötig anzuführen, was die kühne Streifschar alles noch nebenbei in den Kantonnements des Feindes verrichtete. In der Hauptsache warteten sie jedoch bis zum Nachmittage vergebens, Wardow und Blücher suchten bei dem Oberstleut­nant um die Erlaubnis nach, noch weiter vorgehen zu dürfen, wenn es sein müsse, bis unter die Mauern von Stralsund.

Grieben gab seinem zukünftigen Schwiegersohn nur ungern die Erlaubnis dazu, schlug das Gesuch Blüchers gänzlich ab und beauftragte mit der oberen Leitung des Unternehmens einen älteren Offizier. Zwei Züge rückten zu dem Zweck vor, womöglich zu erfahren, weshalb die Expedition Jacobsons noch nicht zurückgekehrt sei.

Diese Husaren stießen bei Steinhagen bereits auf eine schwedische Reiterpatrouille; denn man hatte schon in der Festung die Annäherung der Preußen erfahren. Die Preußen jagten jedoch die Schweden zurück und folgten ihnen bis zur Triebseer Vorstadt von Stralsund.

Von dieser aus erschien mehr schwedische Reite­rei auf dem Platz. Man schlug sich in der Däm­merung wild umher. Wardow nun fast gewiss, dass Jacobsons Unternehmen gescheitert sei, beteiligte sich mit toller Wut an dem Kampf, bis ein Schuss sein Pferd zu Boden streckte.

Dies wäre in der Mitte der seinen für den jungen Mann kein großes Unglück gewesen; in der Dunkelheit davon zu kommen, wäre auch zu Fuß gegangen. Doch er hatte sich zu weit vorgewagt. Sein Unheil voll zu machen, war er mit einem Bein unter das verendete Pferd geraten und wurde dadurch festgehalten. Rufen durfte er nicht, und somit blieb der einzige Ausweg, abzuwarten, ob die Preußen wieder vorgehen würden, ihn zu befreien, oder die Nacht ihm Gelegenheit bieten werde, davonzukommen.

Inzwischen fand wenige Schritte von dem jun­gen Offizier ein anderes Ereignis statt, welches für ihn von der größten Wichtigkeit werden sollte. Zwischen die fechtenden Reiter hindurch, suchte ein Mensch zu entfliehen, der endlich den Steig­riemen eines Preußen erfassend, denselben bat, ihn zu seinem Offizier zu führen.

Der Reiter erkannte bald, dass dies einer von Jacobsons Gesellen war, und tat, wie jener ver­langte.

Der kommandierende Offizier war bald gefunden, und jener Mensch bestätigte, was man schon ver­mutete, dass Jacobsons Unternehmen missglückt, er selbst gefangen und in Ketten geschlagen auf der Hauptwache verwahrt werde; die Damen jedoch aus dem Gefängnis befreit und im Haus des Gouver­neurs, obwohl als halbe Gefangene, Aufnahme ge­funden hätten.

Nach diesen Mitteilungen des Mannes war die Aufgabe des kleinen Husarentrupps zu Ende. Der Offizier ließ Appell blasen, sammelte seine Leute und eilte nun eine kurze Strecke verfolgt zurück, um seinen Vorgesetzten Meldung zu machen. Zu spät vermisste man bei diesem eiligen Rückzug den Leutnant von Wardow.

Dieser hörte das Signal Appell mit Gefühlen, die man sich denken kann; gab indessen noch nicht alle Hoffnung auf. Doch bald betraten Leute das Gefechtsfeld, welche, statt sich zu schlagen, vorzogen, die Gefallenen zu plündern. Diese fanden Wardow, zogen ihm die reiche Uniform aus und schleppten ihn dann halb nackt zur Stadt, wo er einstweilen auf der Torwache untergebracht wurde.

Wardow verkannte keinen Augenblick seine Lage und beschloss daher, sich einen falschen Namen zu geben, da er nur noch die Beinkleider eines Offiziers trug, sich für einen gemeinen Husaren aus­zugeben.

Als man ihm die Frage vorlegte, ob er Offizier sei, antwortete er mit Nein; infolgedessen wurde er in die Kasematten zu anderen Gefangenen gebracht. Und dies sollte gerade sein Unglück sein, denn ein unter ihnen befindlicher Husar seines Regiments erkannte ihn und redete ihn seiner Charge gemäß an.

Dies wurde gehört, und fiel auf. Die Verleugnung seiner Charge musste eine Ursache haben, und man führte ihn auf die Hauptwache; hier wurde er erkannt und sofort, mit Fesseln belastet, in ein dunkles Loch geworfen. Wardow begriff, dass er nun verloren sei.