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Ein Ostseepirat Band 2 – Kapitel 26

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman, Zweiter Band
XXVI. Die Gefangenen

Acht Tage waren vergangen, seit die Damen der Griebenʼschen Familie so hinterlistig verlockt nach Stralsund gebracht worden waren und in den traurigen Räumen des alten Stadtgefängnisses Aufnahme gefunden hatten.

Wir können indessen wegen dieses letzteren Umstandes keinen Stein auf die schwedische Verwaltung werfen, denn man machte damals überall noch keinen besonderen Unterschied zwischen Verurteilte, Verbrecher, und des Verbrechens Angeklagte. Letzteres war aber hinsichtlich der Frauen geschehen und man behandelte sie deshalb demgemäß.

Die Wände des Loches, in dem man die Damen untergebracht hatte, waren nicht getüncht, schwarz und schmutzig, ein roher Tisch stand in der Mitte des Zimmers, drei Holzschemel derselben kunstlosen Arbeit boten die Bequemlichkeiten zum Sitzen dar und das Lager bestand, wie in allen Zellen des Hauses, aus einem Strohsack und einer wollenen Decke auf einem Holzgestell.

Was die armen Damen empfinden mussten, kann man sich leicht denken. Das Gefühl ihrer Unschuld konnte sie dabei kaum aufrecht erhalten, denn verfolgt von einem Mann, der sie offenbar hasste, durften sie von einer willkürlich gehandhabten Gerechtigkeit auch in diesem Fall nicht viel Gutes erwarten.

Die Zeit schlich ihnen nebenbei langsam dahin. Zur besonderen Qual wurden die langen Nächte, weil man ihnen kein Licht erlaubte. Der Abend brach schon um drei Uhr des Nachmittags an und erst um neun am nächsten Morgen tagte es. Sie mussten also volle achtzehn Stunden im Finsteren bleiben.

Man hätte indessen noch manche Bequemlichkeit haben können, wenn nicht Frau von der Grieben so unvorsichtig gewesen wäre, dem Mann, der sie zu dem Gefängnis gebracht hatte, ihre Barschaft in der Meinung zu übergeben, dass er sie später auch beaufsichtigen werde.

Der Mensch war niederträchtig genug, das Geld zu nehmen, ließ sich aber später nicht wieder sehen. Somit waren die Damen nicht imstande, demjenigen, welcher später für sie hätte sorgen können, die nötigen Mittel zu überantworten.

Glücklicherweise war der Aufseher oder Schließer des Gefängnisses ein Mensch, der in seinem traurigen Geschäft noch nicht gänzlich verhärtet worden, so, dass er wenigstens nicht zu allen anderen Übeln noch absichtliche Böswilligkeit hinzufügte.

Doch er war nur Unteraufseher und der eigentliche Verwalter des Hauses zeigte sich umso viel barscher und unfreundlicher, sodass die armen Frauen der täglichen Visite desselben nur mit Schrecken entgegensehen konnten.

Diese erfolgte meistens des Morgens gleich nach der Frühstückszeit. Es gab kaum einen Gegenstand in der armseligen Zelle, den dieser Biedermann nicht beschnüffelte. Es durfte nur ein Stuhl nicht genau auf seinem bestimmten Ort stehen, so erging er sich in den unanständigsten Zurechtweisungen und fügte sogar Drohungen hinzu, die Verhafteten wegen solcher Abweichungen von dem Hausgesetz kraft der ihm zustehenden Disziplinargewalt zu bestrafen.

Dies konnte, wie die Damen wenigstens glaubten, nicht der Ausdruck der Gesinnung des Mannes gegen sie sein, denn sie hatten demselben früher nie zu nahe treten können, ja, ihn nicht einmal gesehen oder dem Namen nach gekannt . Er wusste daher wohl, wenn es bei ihm nicht etwa stehende Regel war, seine Pflegebefohlenen ohne Ausnahme auf diese Weise zu behandeln, besondere Instruktion deswegen empfangen haben.

Am neunten Tag nach ihrer Verhaftung zeigte sich dieser Mensch besonders roh in seinen Ausbrüchen, sodass endlich Clara, erregt durch eine ihrer Mutter zugefügte Beleidigung, eine heftige Entgegnung wagte.

Der Kerl schwieg erst, während er einen scharfen Blick auf die junge Dame warf, dann lächelte er höhnisch.

»Vielleicht sprechen wir uns später aus«, meinte er endlich, »es soll mir diese aufgeschobene Unterhaltung ein besonderes Vergnügen gewähren. Für jetzt habe ich noch zu sagen, dass man sich bereithalten möge, eine Stunde später zum Verhör geführt zu werden.«

Der Mann ging. Neuer Schreck durchbebte die Frauen. Wie er gesagt hatte, wurden die Damen zur bestimmten Zeit aufgefordert, einem Diener des Gouvernementsgerichts zu folgen, was sie mit Zittern taten.

Man führte sie in das alte große Rathaus der Stadt, wo sich eine Kommission versammelt hatte, das Verfahren gegen sie zu eröffnen.

Die Mutter erschien zuerst vor dieser und es wurden ihr Fragen über ihr und der ihrigen Verhältnis zu Jacobson vorgelegt; alsdann andere, ihren Gemahl und den ehemaligen Fähnrich von Wardow betreffend.

Frau von der Grieben beantwortete alle der Wahrheit gemäß, was hätte sie auch für Ursache gehabt, etwas davon zu leugnen.

Gegen sie benahmen sich die Kommissionsmitglieder der Art, wie man es von höhergestellten Leuten erwarten dürfte.

Anders war dies in dem Verhör mit Clara der Fall, nicht allein dass man ihr Verhältnis zu dem Freischiffer nicht umging, bezeichnete man dasselbe auch durch Ausdrücke, die ihr Tränen erpressten.

Sophie, obwohl sie weniger als die Schwester zu leiden hatte, wurde dennoch während des Verhörs ohnmächtig. Als alle drei zurückgeführt wurden, bemächtigte sich ihrer ein Gefühl, wie sie es bisher noch nie kennengelernt hatten.

In ihrer Zelle angelangt, umarmten sich Mutter und Töchter, sobald sie ohne Zeugen waren, unter heftigem Weinen und Schluchzen. Man sprach nicht, es war niemand imstande, ein Wort hervorzubringen, doch die Tränen aller mischten sich.

Das Verhör hatte lange gedauert und man brachte gleich nach ihrem Eintreffen das Mittagessen, worauf die Armen wahrlich keinen Appetit hatten.

Der Wärter schien, als er das Geschirr auf den Tisch gesetzt hatte, etwas sagen zu wollen, doch schwieg er und ging der Tür zu.

An der Tür angekommen, zögerte der Mann, warf scheu unsichere Blick zurück und ließ endlich ein Papier fallen, danach entfernte er sich schnell und verschloss die Tür doppelt, ja legte noch, was sonst nie geschah, einen Querriegel vor.

Diese Zeichen und Manöver mussten unzweifelhaft von Bedeutung sein, doch die Mutter sowie Sophie hatten dieselbe sicher nicht begriffen. Clara indessen schoss ein besonderer Gedanke durch den Kopf. Sie erhob sich, ging zur Tür und nahm das Papier auf!

Ein lauter Ausruf entfuhr ihr, als sie einen Blick auf dasselbe geworfen hatte.

»Mein Gott!«, rief sie, »wir sind dennoch nicht verlassen. Er weiß um unsere Lage, er wird uns befreien. Meine Hoffnung hat mich nicht betrogen!«

Die Mutter und Schwester blickten Clara forschend an. Diese las.

Wir haben erfahren, auf welche Weise Sie hinters Licht geführt und festgesetzt worden sind. Behalten Sie Ruhe, Besonnenheit, Mut und namentlich hoffen Sie. Ich bin hier, Sie zu befreien und zu retten. Viele Grüße von dem Herrn Oberstleutnant und dem Herrn von Wardow. Dem Mann, der Ihnen dieses überbringt, dürfen Sie vertrauen. Ihr Quälgeist soll noch heute unschädlich gemacht werden. Vernichten Sie dies und sprechen Sie etwaige Wünsche dem Schließer aus. Er ist mit Mitteln zur Erfüllung derselben versehen!

»Gott, dir sei Dank!«, sagte die Mutter, ihre Hände faltend, indem sie einen Blick nach oben sandte.