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Der Detektiv – Band 23 – Die Rose von Rondebosch – Teil 1

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 23
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Die Rose von Rondebosch

Teil 1

»Die Stadt liegt wirklich wundervoll«, sagte Harald Harst zu mir und deutete hinab auf das an der Südseite der Tafelbay sich hinziehende und mit seinen modernen Häusern, geraden Straßen und großen Parkanlagen so ganz europäisch wirkende Kapstadt, den Sitz der Regierung der englischen Kapkolonie.

Wir standen auf der Spitze des 1082 Meter hohen Tafelberges, hatten zur Rechten den Teufels- und zur Linken den Löwenberg, die die prächtige Stadt und ihre Umgebung amphitheatralisch im Westen und Süden einschließen. Wir waren nicht allein auf der Höhe des Tafelberges. Den warmen, sonnigen Vormittag hatten noch andere Ausflügler zu einer Partie zu der tafelförmigen Kuppe benutzt.

Harst holte sein Zigarettenetui hervor und hielt es mir hin.

»Bitte, bediene dich, lieber Schraut. Ich fürchte, mit unseren Ferien ist es vorbei. Uns wird sofort ein älterer Herr ansprechen, der soeben sehr eilig den steilen Pfad heraufgekeucht kam, dann die zwei Dutzend Menschen hier oben prüfend musterte und nun nur noch Augen für uns hat. Ich kenne ihn nicht. Es ist fraglos ein wohlhabender Engländer, und zwar ein Einheimischer. Ein so stark gebräuntes Gesicht findet man nur bei denen, die jahrelang unter der heißen Sonne Afrikas lebten. Der Herr ist verheiratet und dürfte 50 Jahre alt sein. Er ist Liebhaber von Diamanten. Seine Ringe und seine Busennadel stellen ein Vermögen dar. Aber er hat Sorgen. Er sieht verstört aus. Ich wette, er hat aus den hiesigen Zeitungen erfahren, dass ich seit drei Tagen hier im Hotel Atlantik wohne, ist im Hotel gewesen, hat nach uns gefragt und wird von unserem Landsmann und Zimmerkellner den Bescheid erhalten haben, wir hätten eine Tour zum Tafelberg unternommen.«

Hinter uns – denn wir standen dicht am steilen Abhang – nun ein tiefe Stimme:

»Gestatten die Herren eine Frage …«

Wir wandten uns um. Ein Herr mit grauem Spitzbart lüftete den breitrandigen Strohhut.

»Habe ich die Ehre, Herrn Harald Harst vor mir zu sehen? Mein Name ist Jones Fitzgerald.«

Sein Deutsch war fließend. Der Eindruck, den er auf den ersten Blick machte, recht sympathisch. Er war hager und groß und für seine Jahre fast zu modern gekleidet.

»Ich bin Harald Harst«, erklärte dieser höflich. »Dies hier mein Freund und Privatsekretär Schraut. Ich kann nur annehmen, dass Ihnen etwas Unangenehmes passiert ist, Herr Fitzgerald. Sie haben sehr wahrscheinlich im Hotel gehört, dass wir hier zu finden seien.«

Jones Fitzgerald tupfte sich die Schweißperlen von der Stirn. Seine Hand zitterte. In seinen grauen, großen Augen lag ein Ausdruck von Sorge und Angst.

»Sie haben recht, Herr Harst. Ich war soeben in Ihrem Hotel«, antwortete er überhastet. »In meiner Villa ist in der verflossenen Nacht ein rätselhafter Diebstahl verübt worden. Ich übertreibe nicht: Die Sache ist völlig unerklärlich. Wäre dem nicht so, würde ich es wahrhaftig nicht wagen, Sie mit der Bitte zu belästigen, mir zu helfen, diese geheimnisvolle Angelegenheit aufzuklären. Ein Mann von Ihrem Weltruf – jede Schmeichelei liegt mir fern – gibt sich kaum mit Lappalien ab. Um es kurz zu sagen: Mir ist ein Edelstein gestohlen worden, der unter dem Namen Die Rose von Rondebosch eine gewisse Berühmtheit besitzt, ein Stein von zartrosa Färbung, die äußerst selten ist, und von der Größe eines Taubeneis.«

»Ich habe von dem Stein bereits gehört, Herr Fitzgerald. Ich bin gern bereit, mit zu Ihrer Villa zu kommen. Gehen wir also. So, vielleicht sagen Sie mir nun, wo und wie Sie wohnen, wo der Stein aufbewahrt wurde und ob Sie gegen irgendjemand Verdacht haben.«

Der Pfad ist schmal, der zur Bergkuppe führt, sodass ich hinter den beiden Herren bleiben musste. Trotzdem vernahm ich jedes Wort, denn Fitzgeralds Stimme war sehr kräftig.

»Ich wohne in dem Villenvorort Rondebosch südlich von Kapstadt, Herr Harst«, begann der Engländer. »Ich bin alleiniger Eigentümer der Exportfirma Blaker und Fitzgerald. Mein Kompagnon starb vor vier Jahren. Meine Villa liegt abseits in einem großen Park. Ich bin verheiratet. Meine Frau weilt seit drei Monaten in London bei …« Eine kurze Pause. »Bei einem Spezialarzt. Sie leidet an Netzhautablösung, falls Sie diese gefährliche Augenerkrankung kennen. Kinder haben wir nicht. Bei uns wohnt jedoch ein Neffe meiner Frau, der in meinem Geschäft Zweiter Kassierer ist. Er heißt Edward Pook. Außer ihm befinden sich in der Villa noch ständig die Köchin, ein Stubenmädchen und ein Gärtner. Diese drei sind Engländer wie ich. Dann habe ich noch zwei schwarze Diener, die seit acht Jahren in meinem Dienst stehen. Mithin hat die Villa zurzeit außer mir und Edward noch fünf Bewohner. Die beiden Schwarzen sind jedoch in einem Nebengebäude untergebracht, und Simpson, der Gärtner, haust am Parkeingang in einem kleinen Häuschen, sodass sich in der vergangenen Nacht nur vier Personen in der Villa selbst aufhielten: die Köchin, das Stubenmädchen, Edward und ich.«

Zu meinem Erstaunen schnitt Harst nun ein anderes Thema an: Augenkrankheiten! Er erkundigte sich teilnehmend nach Frau Fitzgeralds Augenübel und bewies, dass er über Netzhautablösung besser Bescheid wusste als Jones Fitzgerald selbst. Als dieser das Gespräch wieder auf den Diebstahl bringen wollte, meinte Harst, das Weitere möchte er sich lieber am Tatort schildern lassen.

Gegen zwölf Uhr mittags kamen wir vor dem Parktor der Besitzung Fitzgeralds an. Schon die Mauer aus Backsteinen, das schmiedeeiserne Tor und das Gärtnerhäuschen daneben verrieten, dass Fitzgerald sehr reich sein musste. Alles hier trug den Stempel des Gediegenen und bewies auch Geschmack. Die Villa lag in einer Lichtung des Parkes hinter einer weiten Rasenfläche, war im italienischen Stil gebaut und hatte zwei Stockwerke. Wir trafen vor dem Haus den Gärtner an, der ein Zierbeet frisch bepflanzte. Fitzgerald nickte dem Mann zu und fragte: »Was Neues, Simpson?«

»Nichts, Herr Fitzgerald.«

Simpson war ein schon bejahrter Mann mit kurzem Vollbart und einem Buckel. Den Kopf trug er schief wie Leute, deren Nackenmuskeln nicht in Ordnung sind.

Wir gingen weiter. »Simpson hat mal einen Speer ins Genick bekommen«, sagte Jones Fitzgerald so nebenbei. »Er ist ein unruhiger Geist. Auch so etwas Abenteurernatur, wie ich es einst war.«

Dann führte er uns in den ersten Stock der Villa in ein großes, dreifenstriges Vorderzimmer, das direkten Zugang vom Flur hatte und das Fitzgerald erst aufschließen musste.

In dem Zimmer war es blendend hell. Die Fenster hatten nur gelbe Sonnenvorhänge, die zurückgezogen waren. Man glaubte sich hier in einem Museum zu befinden.

Fitzgerald blieb in der Mitte unter dem elektrischen Kronleuchter stehen. »Ich sammle afrikanische Altertümer und Raritäten, Herr Harst«, erklärte er mit einer Handbewegung auf die großen Glasschränke ringsum und die Tische mit Glaskästen. Er schritt auf ein einzelnes Tischchen an einem Fensterpfeiler zu, auf dem ein kleiner, viereckiger, flacher Glaskasten stand, der mit schwarzem Samt ausgeschlagen war. Seine Stimme vibrierte, als er fortfuhr: »Hier wurde der rosa Diamant aufbewahrt, den man jetzt Rose von Rondebosch nach meinem Wohnsitz nennt. Als ich heute um acht Uhr früh dieses Zimmer betrat und die in die Wände eingelassenen eisernen Fensterschiebeladen aufschloss und zurückschob, galt wie immer mein erster Blick diesem Glaskasten. Aber er war leer. Sie sehen, Herr Harst, der Kasten ist verschlossen und ganz unbeschädigt. Er hat ein Kunstschloss, zu dem nur ich den Schlüssel besitze. Jeden Abend schließe ich die Fensterladen und ebenso die beiden Türen zu diesem Zimmer, die gleichfalls derart gesichert sind, dass kein Unberufener sie öffnen kann. Ihre Kunstschlösser sind so eingerichtet, dass mit Nachschlüsseln daran nichts auszurichten ist. Und doch ist der Stein gestohlen worden. Ich wollte zuerst sofort die Polizei benachrichtigen. Dann besann ich mich, Ihren Namen in einer hiesigen Zeitung gelesen zu haben. Deshalb wollte ich zunächst Sie bitten …«

»Danke«, meinte Harst zerstreut. »Wo bewahren Sie die Schlüssel zu den Kunstschlössern auf, Herr Fitzgerald?«

Hier wurden wir durch den Eintritt der Köchin gestört, einer hageren, unfreundlich aussehenden Person, die ihren Herrn im Auftrag des Gärtners fragte, ob dieser in die Stadt gehen und Grassamen einkaufen dürfe.

»Gewiss doch«, meinte Fitzgerald ungeduldig. »Bessy, diese Herren hier bleiben heute zu Tisch. Richten Sie das Essen danach ein.«

Die Köchin ging wieder. Sie hatte uns nicht gerade liebenswürdig gemustert.

»Sie ist seit neun Jahren bei uns«, sagte Fitzgerald wie entschuldigend. »Sie hat ihre Eigentümlichkeiten, hängt aber sehr an meiner Frau. Herr Harst, die Schlüssel befinden sich stets in einem Stahlschrank in meinem Schlafzimmer. Ich gebe sie nie aus der Hand.«

Harst begann dann auf seine Weise das Zimmer zu durchsuchen. Das dauerte über eine Stunde. Darauf wandte er sich an Fitzgerald.

»Sie haben nicht zu viel gesagt. Dieser Diebstahl ist in der Tat rätselhaft und interessiert mich. Waren Sie heute bereits in Ihrem Geschäft? Wenn nicht, so lassen Sie sich bitte nicht stören und gestatten Sie uns, bis zu Ihrer Rückkehr das Haus und den Park zu besichtigen. Sie können uns hier kaum irgendwie helfen. Im Gegenteil – ich arbeite lieber allein. Sie verstehen mich, Herr Fitzgerald: Ich brauche Ruhe zum Überlegen und zu einer Aussprache mit meinem Freund Schraut.«

Fitzgerald schien es sehr lieb zu sein, dass wir ihn entbehren wollten. Er ließ durch einen der schwarzen Diener einen Einspänner vorfahren, reichte uns die Hand und war bald in der Allee zum Parktor hin verschwunden. Wir standen auf der Freitreppe der Villa und schauten ihm nach. Harst schob dann seinen Arm in den meinen und sagte: Bummeln wir durch den Park. Dort kann uns niemand belauschen.«

»Hast du bereits irgendetwas entdeckt?«, fragte ich gespannt.

»Verschiedenes, mein Alter.«

Wir begegneten dem schwarzen Diener, der seinem Herrn das Parktor geöffnet hatte. Es war ein schlanker Mann mit recht intelligentem Gesicht. Harst sprach ihn an.

»Wie lange bist du bereits hier im Dienst?«, fragte er auf Englisch.

»Acht Jahre, Master.«

Harst wollte dann noch allerlei anderes wissen. So auch, ob Frau Fitzgerald bereits längere Zeit an den Augen leide.

Der Schwarze erklärte, er wisse nichts darüber. Nur dass Mistress Fitzgerald zum Arzt nach London gefahren sei.

Harst hatte dann plötzlich großes Interesse für die Nebengebäude hinter der Villa. Es waren dies ein Stall, eine Wagenremise und eine Wasch- und Wirtschaftsküche, die einen kleinen Hof einschlossen. Der Schwarze führte uns umher. Im Stall stand nur ein Pferd, ein brauner, obwohl sechs Boxen vorhanden waren.

»Master Fitzgerald hat jetzt nur zwei Pferde«, erklärte der Diener auf Harsts Frage. »Die vier anderen sind vor einem halben Jahr verkauft worden.«

In der Remise hingen an der Wand zwei Autoschläuche. Der Bedienstete gab Harst Bescheid, dass Master Fitzgerald das Auto abgeschafft habe, nachdem er einmal beinahe damit verunglückt wäre.

»In welcher Weise?«, wollte Harst wissen.

»Oh Master, es war gar nicht so schlimm mit dem Unfall. Ich bin als Chauffeur ausgebildet. Master Fitzgerald lenkte damals den Wagen. An einer Biegung gerieten wir in den Straßengraben. Aber Master Fitzgerald wollte von da an nichts mehr mit Autos zu tun haben. So wurde denn der schöne, neue Wagen verkauft.«

Harst entließ den Schwarzen nun. Wir gingen eine Allee entlang, die zu einem Pavillon führte.

»Was hast du denn entdeckt?«, fragte ich. »Mir scheint, du beargwöhnst Fitzgerald selbst. Dass du ihn so halb und halb wegschicktest, machte mich stutzig.«

Harst blieb stehen. »Lieber Alter, zunächst ist das eine sicher, dass Frau Fitzgerald nicht augenkrank ist. Ihr Mann behauptete, sie leide seit zwei Jahren an Netzhautablösung. Und dabei hat er als ihr Gatte von diesem Augenübel so gut wie gar keinen Schimmer. Merktest du, dass er eine etwas zu lange Pause machte, als er von dem Spezialarzt sprach. Für diese Pause lag kein Grund vor, wenn Frau Fitzgerald wirklich zur Befragung eines Spezialisten nach London gefahren wäre. Ich bezweifle dies sehr stark. Auffallend ist doch auch, dass ein Diener, der doch in acht Jahre mit seiner Herrschaft eng verwachsen sein muss, nichts von einer solchen Erkrankung weiß. Jedenfalls stimmt in diesem Punkt irgendetwas nicht. Das wäre Nummer eins. Dann weiter: Jones Fitzgeralds ganzes Benehmen drückte nicht lediglich Bestürzung und Ärger über den rätselhaften Diebstahl aus, sondern auch Angst; irgendeine Angst vor irgendwelchen Folgen, die dieses Verschwinden des Steines nach sich ziehen könnte. Vielleicht hegt er Misstrauen gegen den Neffen seiner Frau. Diese scheint nach des schwarzen Dieners Andeutungen sehr verwöhnt und sehr launenhaft zu sein. Auch diese Angst Fitzgeralds werden wir beachten müssen. Drittens: Der Diamant kann nur mithilfe der richtigen oder doch tadellos gearbeiteter Nachschlüssel gestohlen worden sein. So, nun wollen wir umkehren und uns von dem Stubenmädchen das Haus zeigen lassen. Denke daran, dass das Personal noch nichts von dem Diebstahl weiß. Wir sind harmlose Bekannte Fitzgeralds. Benimm dich danach.«