Jens Lubbadeh – Der Klon
Thriller, Paperback, Klappenbroschur, Heyne Verlag, München, Juni 2022, 480 Seiten, 15,00 EUR, ISBN 9783453320130
2033 … Noch wirkt diese Jahresangabe auf so manchen nach Science-Fiction; nach einer durchaus naheliegenden, gleichwohl ungreifbaren Zukunft. Hat Jens Lubbadeh demnach etwa lupenreine SF fabriziert? Worin liegt der Zweck, den Plot von Der Klon ausgerechnet in den frühen 30er Jahren den 21. Jahrhunderts anzusiedeln?
Bereits der antike Schreiber Thukydides wusste, dass die Geschichte eine ewige Wiederholung ist, insofern lohnt der Blick zurück nicht nur, sondern ist sogar zwingend erforderlich. Doch gemach.
Niemand außer Alina Schalk ist sich bewusst, wer da an diesem Tag im Jahr 2033 von den Kontrollen am Berliner Flughafen durchgewunken wird; wer dieser junge Mann namens Arthur in Wahrheit ist. Mag die rechte Hand von Bernd Sörensen, seines Zeichens Vorsitzender der Partei Der Deutsche Weg, den mit einem unverkennbaren künstlerischen Talent gesegneten jungen Mann auf den ersten Blick lediglich protegieren, dient er als Türöffner, als Mittel zum Zweck, der etwas mit der Gegenwart zu tun hat. Wie auch der anstehenden Zukunft. Immerhin ist Wahljahr. Und wie Sörensen ist auch Schalk mehr wie angefressen, in einem Deutschland dahinvegetieren zu müssen, das von einer schwarz-grünen Regierung endgültig zum Dritte-Welt-Land degradiert wird; massive Besteuerung von Verbrennungsmotoren, fehlende Sicherheit, die weiterhin anhaltenden Nachwehen der Pandemie, der geradezu fanatische Klimaschutz … Und obendrein ein grüner Bundeskanzler! Wo soll dies noch alles hinführen?
Noch weiß die ebenso resolute als auch eigensinnige Reporterin Alina Schalk nicht, wie sie all diese Puzzlestücke richtig zusammensetzen soll. Einzig, dass vom Deutschen Weg und deren Vorsitz sehr viel Gefahr ausgeht, das lässt sich nicht von der Hand weisen. Doch wie hängt dann ein Treffen aus dem Jahre 2005 damit zusammen, als sich Schalk und Sörensen, offenbar unter Vorwand mit einem koreanischen Biologen einigten, der neben verstorbenen Tieren unter der Hand und für horrende Summen wohl auch sämtliche Ethik gut sein ließ und Menschen klonte?
Gemeinsam mit den reichlich unterschiedlichen und ebenfalls geklonten Zwillingen Friedrich und Robin Wohlpflug begibt sich Mara auf Spurensuche. Ihr größter Widersacher? Neben dem Deutschen Weg, der ihr auf die Schliche gekommen ist, eindeutig die Zeit. Denn sollte es der Partei gelingen, als stärkste politische Kraft das Rennen um die Macht in Deutschland zu gewinnen, sollte sie es schaffen, jenen vermeintlichen Heiland namens Arthur Hendrich im Zentrum der Macht zu installieren, stehen nicht bloß düstere Zeiten bevor – es würde sich nach präzise einem Jahrhundert das finsterste Kapitel der deutschen Geschichte wiederholen …
Nein, Jens Lubbadeh ist wahrlich nicht der Erste, der einen kompletten Roman der Thematik Klonen von Menschen gewidmet hat. Bereit Aldous Huxleys Schöne Neue Welt skizzierte diese Technik und in Kazuo Ishiguros Alles, was wir geben mussten verkommt der Klon zur reinen Organfabrik; ein Gebrauchsgegenstand, der nur äußerlich einem Menschen gleicht. Auch bei dem überaus provokative Gedankenexperiment, einen oder direkt mehrere geklonte Hitlernachfolger in die Welt zu entsenden, war der Erschaffer von Rosemary‘s Baby, Ira Levin, früher dran, erschien The Boys From Brazil bereits 1976. Doch da enden im Grunde die Parallelen. Was zuvorderst wirklich beziehungsweise lediglich reine Überlegungen waren, erhält in der Gegenwart respektive mit der Aussicht auf eine sich womöglich in der Tat wiederholende Vergangenheit einen völlig anderen Stellenwert, sind die mannigfaltigen Déjà-vus innerhalb des Buches demnach ausnahmslos gewollt. So erinnern etwa Bernd (oder war es Björn?) Sörensen und Alina Schalk nicht zufällig an die kontrovers-gefährlichen Brandstifter einer rechten Partei, die im wahren Leben nicht ganz auf Der Deutsche Weg hört, gleichwohl Lubbadeh eine zerrissene wie umherstolpernde Gesellschaft aufzeigt; uneins zwischen Vernunft, Frust und Hass. Letzteres prächtiger Nährboden für antidemokratische Hetzer, eben leider nicht nur in der fiktiven Welt. Wie weit diese zu gehen bereit sind, hat eben die Vergangenheit gezeigt. Und mithilfe moderner Technik? Warum eben nicht einen Hitler-Klon fabrizieren?
Doch Lubbadeh weiß, dass dies nicht die einzigen Ingredienzien für einen überzeugenden Near Future-Thriller sein dürfen. Bester Beweis dafür? Seine Vorgängerwerke Transfusion (2019), Neanderthal (2017) sowie Unsterblich (2016), allesamt spannende als auch zum Nachdenken anregende Romane. Wobei Der Klon – bislang – den Höhepunkt des Lubbadeh‘schen Schaffens darstellt. Funktioniert das Buch nicht nur als einwandfreier Thriller, dringt dessen spitze Nadel tiefer, subkutan sozusagen. Da wäre besagte Gefühlskälte potenzieller Umstürzler als auch die Fragilität jenes zarten und freilich beschützenswerten Pflänzchens namens Demokratie, doch ebenso hinterfragt Lubbadeh den radikalen Weg der anderen Seite(n). Bewirken – durchaus – gerechtfertigte Proteste und dergleichen in Sachen Klima- und Umweltschutz letztlich eher das Gegenteil? Dazu erwähnte, bisweilen ziemlich verstörende Déjà-vus, die sich nicht nur auf das Historische beschränken. Und überdies: Kann man den Klon eines der größten Massenmörder der Geschichte für die Verbrechen des Originals belangen? Trägt dieser automatisch denselben Keim des Bösen in sich?
Man merkt, Der Klon schießt scharf – und zwar von allen Seiten. Jens Lubbadeh hat nicht einfach einen mustergültigen Reißer erschaffen, sondern zeichnet vielmehr ein brandaktuelles Bild der Gesellschaft, einschließlich einer höchst explosiven Mischung, die unter Umständen alles mit sich in den Abgrund reißen könnte. Doch auch an eine mögliche Lösung, einer Wiedergutmachung, an einen Ausweg aus dem potenziellen Dilemma wurde gedacht. Alles in allem eine mehr als runde Mischung. Wem bei Er ist wieder da das Lachen im Halse stecken blieb, darf sich auf etwas gefasst machen …
(tsch)
Hallo Geisterspiegel-Team:
Das neue Aussehen mit dem grauen Hintergrund ist zu kontrastarm.
Rote Schrift verschwimmt vor den Augen, schwarz ist fast unleserlich.
Bitte um zügige Änderung – danke schön.
Danke Prima, das alte Geisterspiegelaussehen ist zurück