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Das Buch vom Rübezahl – Teil 21

Das Buch vom Rübezahl
Neu erzählt von H. Kletke
Breslau, 1852

22. Wie Rübezahl den Wirt macht

Bisweilen fiel es Rübezahl ein, auf dem Ge­birge in irgendeinem Haus, welches gerade unbewohnt war, seine Wohnung zu nehmen. Als er sich einst in einem solchen aufhielt, kamen etliche vornehme Leute vorbeigereist, die der Meinung waren, dies Haus sei eine Herberge, darin zu Nacht bleiben wollten. Rübezahl, welcher in guter Laune war, benahm ihnen diese Meinung nicht, sondern lud sie freundlich ein, bei ihm abzutreten. Als die Gäste in die Stube traten und alles leer fanden, glaubten sie, jede Hoffnung auf eine gute Mahlzeit aufgeben zu müssen. Der Wirt beruhigte sie jedoch und wollte, wenn er sich auch heute keiner Gäste versehen habe, für alles Rat schaffen.

Nach einer kurzen Weile wurde der Tisch gedeckt und auf die Bänke wurden etliche leere Fässer gelegt. Sodann öffnete Rübezahl ein Fen­ster, welches wie ein Schrank verkleidet war, nahm eine Schüssel nach der anderen heraus, mit kalten und warmen Speisen, und setzte sie auf den Tisch. Die Gäste waren über diese schnelle Zurichtung nicht wenig erstaunt, und noch mehr, als Rübe­zahl immer neue Gerichte hervorlangte, welche der unerschöpfliche Schrank verborgen hatte.

Nachdem sie also vortrefflich gespeist hatten, em­pfanden sie großes Verlangen nach einem guten Glas Wein, fragten daher, ob kein solches vorhanden sei. Sogleich nahm Rübezahl seinen Stab und schlug damit an die Wand. Ein schöner Jüngling trat heraus, in jeder Hand einen gol­denen Becher, mit welchem er zu einem der Fässer ging und guten spanischen Wein daraus zapfte, den er den Gästen vorsetzte. Sodann schlug der Wirt auf eine andere Seite der Wand und alsbald erschien eine anmutige Jungfrau mit einem ganzen Korb voll goldener und silber­ner Trinkgeschirre. Diese Jungfrau ging zu einem anderen Fass und zapfte vortrefflichen Rheinwein, welchen sie gleichfalls den Gästen darbot.

Oben über dem Tisch hing ein hölzernes Rohr. Wenn jemand frisches Wasser verlangte, brauchte er nur sein Glas darunter zu halten. Das Wasser floss so lange, bis er an das Rohr klopfte. Wie aber Wasser da hineinkam, konnte niemand entdecken, denn das Rohr hing an einem Zwirnsfaden.

Hierauf brachte der Wirt noch mehr Speisen von seltsamen Vögeln und wundersamen Fischen, dergleichen nun in ganz Schlesien nicht mehr gefunden werden. Als die Gäste bei solcher Bewirtung lustig und guter Dinge wurden, traten ganz unvermutet einige Spielleute ins Zimmer und spielten so schön, dass die Hörer ganz Ohr waren. Auch ging Rübezahl während der Musik wieder an seinen Schrank und brachte allerhand ausländische Früchte hervor, die vor Wohlgeschmack fast im Munde zergingen.

Nach­dem man so eine Weile fröhlich gewesen war, sprach einer von den Gästen zu Rübezahl: »Herr Wirt, lasst uns nun auch ein seltsames Stücklein sehen.«

Rübezahlentgegnete, es wäre genug für dieses ­Mal, er habe der Stücklein, gleichwie die anderen Herren und Frauen, hinlänglich gesehen, was auch die übrige Gesellschaft, welche mit der genossenen Kurzweil sehr zufrieden war, sämtlich bezeugte. Weil aber jenem der gute Wein in den Kopf gestiegen war, ließ er nicht nach, sondern bat nur um eines zu guter Letzt.

»Nun, so sei es«, versetzte Rübezahl, »Ihr sollt Euren Willen haben!« Und damit hatte der andere plötzlich einen Ochsenkopf mit zwei gewaltigen Hörnern. Da stand er mit dem Stücklein, welches er verlangt hatte und wofür er nun von allen weidlich ausgelacht wurde. Das verdross ihn so sehr, dass er mit argen Schimpfreden dreinfahren wollte; aber es ging nicht, denn er brummte und brüllte wie ein na­türlicher Ochse. Seine Frau, welche inzwischen hinausgegangen war, um die Gegend ein wenig zu betrachten, kam auf den Lärm herbeigerannt und geriet nicht schlecht in Zorn, da sie den Mann mit einem Ochsenkopf erblickte, den Übrigen zum Gelächter. Wie sie aber ganz erbost mit dem Wirt zu zanken anhob, bekam sie gleich­falls zur Gesellschaft einen Kuhkopf. Da ging das Lachen noch viel ärger los. Das unglück­liche Paar, welches plärrte und brummte, ohne ein menschliches Wort hervorzubringen, musste sich endlich in Ruhe fügen und den Zorn zu ver­schlafen suchen. Als sie am anderen Morgen auf­wachten, lagen sie sämtlich in einer wüsten Gegend auf der Erde. Es war ihnen, als sei alles nur ein Traum gewesen.