Turnier- und Ritterbuch – Teil 5.1
Heinrich Döring
Turnier- und Ritterbuch
Verlag von E. F. Schmidt, Leipzig
Sitten und Gebräuche des Rittertums im Mittelalter
Fünftes Kapitel
Die Gottesurteile
Allgemein verbreitet war im Mittelalter der Glaube, dass der allmächtige und allwissende Gott in Fällen, wo kein menschlicher Beweis hin oder wieder möglich sei, die Wahrheit durch Wunder ans Licht ziehen müsse. Daher herrschte besonders unter den Deutschen die Sitte, dass Beklagte, deren Schuld oder Unschuld auf gewöhnliche Art nicht zu ermitteln war, sich einer Handlung unterziehen mussten, bei welcher, ohne den besonderen göttlichen Beistand nach gewöhnlichen menschlichen Ansichten nicht anzunehmen war, dass sie unbeschädigt davon kommen würden. Solche Handlungen nannte man Godes Ordele (Ordalien, Judicia Dei). Ihr Ursprung ist sehr alt und sie waren schon üblich bei den Deutschen, als sie noch dem Götzendienst zugetan. Nach ihrer Bekehrung behielt man sie bei und die Geistlichen beförderten sogar jenen Gebrauch dadurch, dass sie damit den Exorzismus verbanden. Es waren aber die Ordalien von vielfacher und verschiedener Art.
1. Der Zweikampf
Nach altdeutscher Sitte gab der Zweikampf bei wichtigen Angelegenheiten den besten und gültigsten Ausschlag. Der Sieger war stets der Gerechte; denn man glaubte, die Gottheit stehe den Kämpfenden bei. Daher wurde der Zweikampf nicht nur durch die Gesetze bestätigt, sondern selbst geboten. Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts erhielt sich der Gebrauch, auf diese Weise die Unschuld zu erproben, sowohl in bürgerlichen als in peinlichen Rechtsfällen. Doch musste der Richter darüber erst befragt werden. Bestätigte er den Kampf, so ging derselbe vor sich. Indessen gab es auch Fälle, wo der Beklagte den Zweikampf ablehnen konnte, unter anderen, wenn der Kläger von geringerer Geburt war als der Beklagte, während ein Vornehmerer stets das Recht hatte, einen Geringeren zum Kampf zu fordern. Ferner konnte der angebotene Kampf nachmittags verweigert werden, desgleichen Fremden, Anverwandten, Gebrechlichen usw.
War aber kein solches Hindernis vorhanden, so musste der Beklagte, wollte er nicht für schuldig gehalten werden und den Prozess verlieren, den Kampf annehmen. Doch konnte er Fristen erhalten von vierzehn Tagen bis zu sechs Wochen, ehe er sich stellte. Während dieser Zeit durfte keiner den anderen beleidigen. Geschah dies, so traf den Beleidiger die Strafe, nach dem Friesendrecht gerichtet zu werden. Erschien nun endlich der zum Kampf bestimmte Tag, so mussten Sachverständige genau Acht haben, dass die Waffen gehörig angelegt worden waren. Eine alte Verordnung besagt ausdrücklich: Leder und Leinenzeug mögen sie anziehen, so viel sie wollen, doch sollen Haupt und Füße bloß sein, und an den Händen sollen sie nichts haben als dünne Handschuhe. Sie sollen führen ein blankes Schwert in der Faust, und eins oder zwei Schwerter, wie es beliebt, im Gurt. Am linken Arm sollen sie haben ein Schild, an welchem nichts sei als Holz oder Leder, außer den Buckeln, die müssen wohl eisern sein. Über der Rüstung sollen sie haben einen Rock ohne Ärmel.
Traten die Kämpfer nun in den Schranken gegeneinander auf, so schworen sich beide, »dass ihnen Gott gnädig sei zum Kampf.«
Dem zuschauenden Volk wurde bei Lebensstrafe geboten, sich ruhig zu verhalten, einen jeden Kämpfer aber ein Mann beigesellt, der einen Baum trug. Doch durften sich diese Leute, Kreiswärtel genannt, (ein Name, den sie auch späterhin bei den Turnieren beibehielten) sich nicht eher in den Kampf mischen, bis einer der Kämpfenden fiel oder verwundet wurde und um den Baum trat. Dann trennte dieser, mit des Richters Genehmigung, die Kämpfenden und machte dem Gefallenen Luft. Ehe der Kampf begann, wurde die Sonne geteilt, das heißt, keiner durfte sie im Gesicht haben. Wer in dem Kampf unterlag, hatte verloren.
Oft wurde auf Tod und Leben gekämpft, und in diesem Fall wurde eine Totenbahre auf den Kampfplatz gestellt. Sie diente zugleich zur Gewährleistung, dass der Unterlegende ein ehrliches Begräbnis erhalten sollte. Es geschah mitunter, dass die Kämpfenden vor Beginn des Kampfes sich heilig gelobten: Der Sieger wolle redlich sorgen für das Begräbnis des Besiegter. Erschien einer der Kämpfenden nicht, so wurde er vom Richter für besiegt erklärt. Dann tat der, der sich gestellt hatte, zwei Hiebe und einen Stich gegen den Wind. Damit aber war die Sache zu seinem Gunsten abgetan.
Selbst Frauen konnten sich gegen Männer zum Kampf stellen und ihre Unschuld verteidigen. Der Mann stand in diesem Fall bis an den Gürtel in einer Grube und war mit einem Kolben bewaffnet. Die Frau aber hatte als Waffe in der Hand ein Tuch, woran ein Stein von einigen Pfunden geknüpft war. Der Mann musste versuchen, die Frau in die Grube zu ziehen und zu überstürzen. Besonders merkwürdig ist der Zweikampf, den der französische Ritter Macaire mit dem Hund des Aubry de Montdidier im Jahr 1371, unter der Regierung König Karl V. oder des Weisen, bestand.