Slatermans Westernkurier 05/2022
Auf ein Wort, Stranger, kennst du noch Simon Girty, die weiße Bestie des Grenzlandes von Pennsylvania?
Die Menschen an der Frontier des 18. Jahrhunderts verfluchten nichts mehr als die Indianer des Grenzlandes, aber ihr Hass, ihr tödlicher Hass, richtete sich nur gegen einen.
Simon Girty war zwar einer der Ihren, galt aber, wie einer seiner Zeitgenossen schrieb, als eine derart brutale, elende und verworfene Kreatur, wie sie noch kein anderes Land und kein Zeitalter jemals hervorgebracht hatte.
Aber selbst diese drastischen Worte waren noch, gelinde gesagt, Untertreibung.
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Simon Girty wurde 1741 als Sohn von Simon Girty the Elder und Mary Newton in Harrisburg, Pennsylvania, geboren, das damals noch an der Grenze zur Wildnis und dem Indianerland lag. Er verlebte eine schwere Kindheit, sein Vater war ein Säufer und so musste er, kaum dass er laufen gelernt hatte, zusammen mit seinen drei Brüdern Tom, James und George, bereits schwere Arbeiten verrichten, damit die Familie nicht verhungerte.
Eines Nachts, Simon war etwa zehn Jahre alt, zechte sein Vater in ihrer Hütte mit einem als friedlich geltenden Indianer. Irgendwann gerieten die betrunkenen Männer in Streit, ein Wort gab das andere und dann musste Simon zusehen, wie der Indianer seinem Vater mit einem Tomahawk den Schädel spaltete. Bald darauf heiratete seine Mutter ein zweites Mal, aber auch diesmal waren es die Indianer, die das Familienglück der Girtys jäh zerstörten.
Fünf Jahre nach dem Tod seines Vaters überfiel eine Horde räuberischer Delaware Indianer die Farm der Familie und verschleppten ihn, seine Mutter und seine Brüder. Wieder musste Simon mit ansehen, wie Indianer seinen Vater, diesmal seinen Stiefvater töteten. Sie folterten ihn vor seinen Augen, skalpierten ihn und brachten ihn anschließend um.
Während seine Mutter und seine Brüder von den Delawaren verschleppt wurden, verkaufte man ihn an die Senecas, bei denen er drei Jahre blieb.
Als die Indianer seiner überdrüssig waren, schickten sie ihn 1759 wieder zurück zu den Weißen. Girty war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt und hatte bis dahin nichts anderes gesehen oder gelernt als Skalpieren, Töten, Saufen, Huren und Raufen.
Er galt trotz seiner Jugend schon damals als verdorbenes Geschöpf mit düsterer Vergangenheit und einer böse verheißenden Zukunft.
Simon arbeitete danach in der Gegend von Fort Pitt als Dolmetscher zwischen Indianern und Händlern und war für kurze Zeit auch als Werber für die Kontinentalarmee tätig, bis er 1777 bei einer Beförderung zum Captain übergangen wurde. Voller Wut und Enttäuschung darüber machte er sich heimlich davon und bot in Detroit den Briten seine Dienste an. Die Aussicht auf Geld und Ruhm veranlasste auch seine Brüder James und George, ihm zu folgen.
Danach sorgten die Girty-Brüder fast zwanzig Jahre lang dafür, dass die Flamme des Krieges an der Grenze immer wieder aufflammte, sobald sie hier und da zu erlöschen drohte.
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Simon Girty tat sich dabei besonders hervor. Er war geradezu beseelt von dem Gedanken, die Indianer aufzuhetzen, um jeden Weißen entlang der Grenze zu massakrieren. Er kleidete sich inzwischen nicht nur wie ein Indianer, er sah auch so aus. Sein Schädel war bis auf eine Skalplocke
kahlrasiert und er bemalte sich des Öfteren sein Gesicht.
Er mischte sich unter die Mingo, Shawnee und Wyandot und predigte, angestachelt von den Briten, Tod und Zerstörung gegen alle, die sich für eine Unabhängigkeit Amerikas einsetzten.
»Brüder!«, rief er die Indianer auf. »Die Langmesser sind in euer Land eingefallen und haben sich eurer Jagdgründe bemächtigt. Sie haben die Zuckerrohrfelder zerstört, den Klee zertrampelt, Hirsche und Bisons getötet. Brüder! Wenn ihr nicht aufsteht und mit eurer Macht diese ganze Rasse ausrottet, werdet ihr die Jagdgründe eurer Ahnen und Väter für immer verlieren.«
Dabei verteilte er immer wieder im Namen der Briten Gewehre, Pulver und Blei an die Indianer, ohne zu begreifen, dass ihn die Engländer aufgrund seines Wissens über die Indianer – er sprach unter anderem mehr als zehn verschiedene Stammessprachen – dazu benutzten, die Ureinwohner in den Kampf gegen die verhassten Amerikaner zu führen. Die Briten wussten sehr wohl, dass die Kampfweise der Indianer und deren Kenntnisse des Landes den verhassten Kolonisten mehr Verluste zufügen konnten als eine ganze Armee englischer Soldaten. Außerdem wurden so auch die Verluste in den eigenen Reihen an Mensch und Material klein gehalten.
Die Gewehre waren es schließlich, die unzählige Kriegsrotten Girty folgen ließen und ihn bei seinen Überfällen von Detroit aus bis hinunter nach Kentucky begleiteten.
Wie es heißt, ermutigte er die Indianer stets, ihre Gefangenen zu foltern, und sah angeblich mit Ergötzen dabei zu.
Als der amerikanische Colonel William Crawford 1782 von den Indianern bei lebendigem Leib verbrannt werden sollte, wandte sich dieser an Girty und bat ihn darum, ihn zu töten.
Wie berichtet wird, drehte ihm dieser dabei den Rücken zu und sagte: »Ich habe keine Waffe.«
Die Kolonisten setzten schließlich 800 Dollar Kopfgeld auf ihn aus, worauf Girty mit noch größeren Grausamkeiten reagierte.
Als er 1791 an der Spitze von 300 Indianern Dunlap’s Station belagerte, befahl er einem weißen Gefangenen Folgendes: »Richte deinen Leuten im Fort aus, dass wir ihnen weder ein Leid antun noch uns an ihrem Eigentum vergreifen werden, wenn sie aufgeben. Aber bei Gott, wenn sie es nicht tun, werden wir dich töten.«
Das Fort ergab sich nicht und Girty hielt sein Wort.
Die Indianer zogen den Gefangenen nackt aus, banden seine ausgestreckten Arme und Beine fest und entzündeten auf seinem Bauch und zwischen seinen Beinen ein Feuer. Die Schmerzensschreie gellten die ganze Nacht in den Ohren der Fortbesatzung, wurden allmählich schwächer und verstummten schließlich, als der neue Tag anbrach.
Als der Unabhängigkeitskrieg für die Briten verloren war, floh Girty vor der Rache der Kolonisten im Jahr 1796 nach Kanada, wo er in späten Jahren an Rheuma erkrankte, allmählich erblindete und schließlich 1816 starb.
Nachtrag von C.C. Slaterman
Dies ist ein Bericht über das Leben von Simon Girty aus der Sicht eines amerikanischen Autors, gestützt durch Berichte amerikanischer Siedler und Kolonisten der damaligen Zeit.
Die nächste Ausgabe des Westernkuriers wird sich noch einmal mit dem Leben von Simon Girty beschäftigen, aber diesmal aus der Sichtweise amerikanischer und kanadischer Historiker mit dem Wissen des 21. Jahrhunderts. Danach möge der Leser selbst über den Menschen Simon Girty urteilen.
Quellenhinweis:
- Paul O’Neil: Der Weg nach Westen, aus der Time Life Buchreihe Der wilde Westen, Redaktionsleitung der deutschen Ausgabe: Hans Heinrich Wellmann, Textredaktion: Sybille Dralle und Jürgen Hofmann, Original US Edition 1977 Time Life Books Inc, und aus dem Englischen übertragen von Hans Hausner
Danke dir Gerold Slaterman.
Immer wieder gerne, Paule.
Es freut mich, wenn der Westernkurier auch nach mehr als fünfzehn Jahren auf Interesse stößt. Das ist für mich nicht nur die Bestätigung, das es trotz allen Unkenrufen noch viele Westernfans gibt, sondern gleichzeitig auch Ansporn weiterhin lesenswerte Artikel zu verfassen, die nicht unbedingt immer dem Mainstream folgen.
Western ist weit mehr als nur Cowboys, Indianer, Sheriffs und böse Buben.