Die Gespenster – Dritter Teil – 25. Erzählung
Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil
Fünfundzwanzigste Erzählung
Die Gewalt der Zauberei
Die französische Schrift La philosophie de la nature, wovon seit 1773 zu Frankfurt und Leipzig eine deutsche Übersetzung erschienen ist, erzählt folgende wunderbare Tatsache, welche im Jahre 1757 zu Paris sich ereignete, als ein lehrreicher Beitrag zur Geschichte des menschlichen Verstandes zu betrachten ist und ohne Zweifel hier in den Gespenstern ein Plätzchen verdient.
Die Hauptauftritte dieses traurigen Lustspiels haben sich in der Galerie des Louvre, und zwar in dem Zimmer des berühmten van Loo zugetragen. Die Hauptperson des Schauspiels war ein Schüler von der Malerakademie. Er wollte selbst dem entschlossensten Zweifler die Wirklichkeit der Gespenster beweisen. Die handelnden Personen waren: ein Zauberer, welcher die Rolle der Pythonisse machte, und ein Zuschauer, welchen man für den Glauben an Geistererscheinungen zum Enthusiasten machen wollte.
Der Zauberer ließ diesen Letzten in ein Nebenzimmer gehen, welches man mit dem Schlüssel verschloss. Hierauf schrieb eine Person aus der Versammlung den Namen des Toten, dessen Schatten man aus dem Grab rufen sollte, auf ein Papier. Der Zauberer machte seine Gaukeleien, der eingesperrte Ungläubige sah das Gespenst und, um jedermann davon zu überzeugen, nannte er den Namen desselben den Zuschauern aus dem Innersten seines versperrten Zimmers.
Der Vorhang wurde aufgezogen, der Schatten war gezeichnet und der Teufelsbanner begann im Beisein der ganzen Versammlung seine Beschwörungen. Er kleidete sich aus, streifte seine Arme bis an den Ellenbogen auf, stach das Herz eines Lammes voll Nadeln und verbrannte auf einer Kohlpfanne Gewürze, deren fast betäubende Wohlgerüche die ganze Galerie erfüllen. Darauf nahm er ein Messer und zeichnete damit auf die Mauer, Fenster und Türen allerlei Charaktere. Schon wirkte die Zauberei. Die Blicke des Zauberers wandten sich mit Schrecken von dem Kabinett hinweg, der Schauer des Entsetzens verbreitete sich über jedes seiner Glieder und die zusammengezogenen Arme wurden ganz steif, als ob sie das Gespenst, welches er beschwört, zurücktreiben wollten. Nachdem er einige Zeit mit seiner Herzhaftigkeit im Kampf gewesen war, streute er endlich glühende Kohlen auf den Boden und rief, das Messer in der Hand, mit dumpfer Stimme: »Nehmt Euch in Acht!«
Der Eingeweihte im Kabinett nahm an allen Bewegungen des Zauberers Anteil und erwiderte auf jenen Zuruf in gebrochenen Tönen, wie die Angst sie auspresst, dass er das Gespenst gesehen habe und machte es namhaft. In diesem Augenblick fiel der Beschwörer in grässlichen Verzuckungen auf die Erde. Man öffnete die Tür und der Eingeweihte lag selbst in Ohnmacht.
Ein alter Soldat vermutete, dass in diesem Schauspiel eine grobe Betrügerei obwalte.
»Mich wird man nicht betrügen«, sagte er, »ich will selbst mit dem Gespenst reden. Ich bin bei vierzehn Belagerungen und siebzehn Schlachten gewesen und habe den feindlichen Kanonen so getrotzt, dass der Anblick eines Gespenstes mich nicht zu erschrecken vermag. Man öffne mir das Kabinett und das Gespenst erscheine vor mir, wenn es das Herz hat!«
Sein Anerbieten wurde nicht gleich angenommen, vielmehr öffnete man einem Neugierigen, welcher sich diese Gunst schon früher ausgebeten haben sollte, das Kabinett. Der beleidigte Offizier beschloss, wo möglich entweder seinen Mitwerber oder den Beschwörer zu verwirren und verlangte, dass man den Teufel erscheinen lassen solle.
Der Zauberer begann nun seine Beschwörungen auf das Neue und setzte sie fort, bis er zuletzt außer Atem kam und anscheinend tot zu Boden fiel. In diesem Augenblick klagte der erbärmlich schreiende Eingeweihte, dass ihn der Teufel hole.
Es entstand ein allgemeines Entsetzen. Der Offizier, welcher allein bei ganz kaltem Blut blieb, benutzte diesen Augenblick der Verwirrung, zündete ein Licht an, ging in das Kabinett und fand niemanden. Erstaunt, aber nicht überzeugt, ging er wieder in den Saal zurück. Plötzlich brachen aus allen Winkeln der Mauer Feuerflammen, das Licht erlosch und der Offizier zitterte das erste Mal in seinem Leben. Furcht vor Schande hielt ihn allein noch zurück, aber die Feuerflammen brachen bald wieder aufs Neue hervor. Das Getöse wurde stärker und der starke Geist stürzte sich aus dem Kabinett mit vollem Geschrei, dass er mit Geistern sich nicht schlagen könne.
Ein unverletzliches Gesetz in diesem theurgischen Geheimnis brachte es so mit sich, dass während der Erscheinung des Gespenstes nur ein Einziger im Kabinett sein durfte. Ein Philosoph, welcher an die Blendwerke der Zauberei nicht glaubte, suchte daher und fand eine Gelegenheit, unbemerkt in das Kabinett zu schleichen und sich darin zu verbergen.
Kaum hatte aber der Zauberer seine Zeremonien angefangen, als sein Blut in heftige Wallung zu kommen schien, seine Augen sich verdunkelten und er im Ton eines Besessenen schrie: »Ein Ungeweihter hat unsere Geheimnisse entheiligt! Wehe ihm, wehe mir! Einer von uns beiden muss sterben!«
Der Philosoph, dem diese deutlich vernommene Alternative nicht gefiel, hielt es nicht für ratsam, die Erfüllung der Drohung zu erwarten, und versuchte eilig aus dem Kabinett zu entkommen. Durch einen besonderen Zufall kam eine Hauskatze, welche die Tür des Kabinetts offen sah, mit dem Philosophen zugleich heraus. Der Zauberer, den dieser Umstand nicht entging, rief in einem begeisterten Ton, indem er sich zur Versammlung wandte: »Der unglückliche Spruch wird nicht widerrufen, die Hölle will indessen nur ein Opfer. Der Schuldigste von uns sei gleich des Todes!« Kaum war dieses letzte Wort ausgesprochen, so sah man die Katze in Verzuckungen fallen, die Augen schließen, zappeln und sterben.
Dies ist das getreue Gemälde einiger Wunder dieses magischen Schauspiels. Bei jeder Verstellung sah man die Anzahl der Ungläubigen sich verringern. Sobald der Eingeweihte schrie, dass er das Gespenst sähe, so machte der Pöbel das Zeichen des Kreuzes; der Priester führte den Saul an, und der Philosoph war in großer Verlegenheit, weil er den gordischen Knoten weder auflösen konnte noch sich erkühnte, ihn zu zerhauen.
Nachdem wir dieses Schauspiel vom Parterre aus angesehen haben, so ist es nunmehr auch Zeit, es im Theater zu sehen. Man hat keinen Betrug mehr zu befürchten, wenn man seinen Platz bei dem Maschinenmeister nimmt.
Der Zauberer war ein Mann von Kühnheit und Talenten. Schon seine Figur glich einer Maske, die nach seinem Willen alle Leidenschaften annahm und ausdrückte. Die Natur hatte seine Seele auf sein Gesicht gelegt, er würde auf der Schaubühne Garrick gewesen sein, war aber zufrieden, es in der Gesellschaft zu sein. Der junge Mensch, welcher in der Regel die Rolle des Eingeweihten spielte, hatte teil an seinen Talenten und war in das Geheimnis eingeweiht. Diese zwei miteinander völlig einverstanden, regierten die Bewegung der ganzen Maschine. Zwanzig Jahre eher würde Fontenelle sie mit den Priestern Saturns verglichen und mit ihren Gaukeleien seine Geschichte der Orakelsprüche bereichert haben.
Der Eingeweihte, der in dem Kabinett eingeschlossen war, erfuhr auf folgende, nun ziemlich allgemein bekannte Art den Namen des Gespenstes, welches man beschwören sollte: Der Zauberer schlug an die Tür und die Zahl der Schläge, welche er mit seinem Messer tat, bezeichnete die Buchstaben des Alphabets. Ein Schlag war das A, zwei Schläge das B, usw.. Eine Linie, welche längs der Tür gezogen wurde, drückte das E aus; wenn auf diese Linie ein Schlag geschah, so war es das F, folgten zwei Schläge, das G, usw.., zwei Linien das K. So wurden auch die übrigen Buchstaben ausgedrückt. Der Zauberer wiederholte mit aller Sorgfalt sein tönendes Alphabet auf der Mauer des Zimmers, damit er wegen der Einförmigkeit der Linien die Zuschauer betröge. Waren die Beschwörungen beendet, so sagte er zu seinem Eingeweihten: »Nehmt Euch in Acht!« Er gab ihm dadurch zu erkennen, dass der Schatten, welchen er sehen sollte, der Schatten einer Mannsperson wäre. Wurde dieser Ruf wiederholt, so war das Gespenst weiblichen Geschlechts. Der Eingeweihte hatte also zu seinen Betrügereien nichts weiter nötig als Bleiweiß, ein wenig Gedächtnis und viele Kunstgriffe. Wenn dieser junge Mensch sich vom Teufel holen ließ, so durfte er nur ein Fenster öffnen und sich langsam auf das Dach eines Hauses, welches gleich an dem Schauplatz war, hinunterlassen. Die Feuerflammen, welche den Offizier um seine Herzhaftigkeit brachten, waren künstliche Feuerwerke, welche sehr geschickt an den Wänden des Kabinetts herum angeordnet waren. Und zum Beschluss hatte die Katze, die just so gelegentlich starb, das mit Nadeln angefüllte Lammsherz verzehrt, welches zu den Beschwörungen des Teufelbanners gedient hatte. Ganz gewiss hatten unsere Künstler einen guten Teil ihres Glücks dem Ungefähr zu danken, doch war ihre Geschicklichkeit von noch größerem Nutzen für sie. Sie bedurften ihrer auch umso mehr, da sie nicht mehr in dem Jahrhundert der Druiden und in der Höhle der Sibyllen waren.
Hätten diese Teufelsbeschwörer zur Zeit des Einfalls des Pizarro in Peru gelebt, so zweifle ich nicht, dass die Untertanen des Ynkas sie vergöttert und das spanische Glaubensgericht sie verbrannt haben würde. Und wer zweifelt, dass die Erfinder dieses magischen Schauspiels bei einem nur wenig größeren Ruf auch hier hätten vergöttert und verfolgt werden können wie in der Neuen Welt? Wenigstens ist es gewiss, dass, wenn es in Paris im Jahre 1757 Philosophen gab, man daselbst auch Peruaner und viele Inquisitoren fand. Gaukler von Kopf und Unternehmungsgeist werden ihren Zweck, die Menschen in Erstaunen zu setzen, fast immer erreichen, wenn man ihnen große Schauspiele darstellt und den Stoff dazu aus der übersinnlichen Welt entlehnt. Denn von dem Erstaunen ist vielleicht nur ein einziger Schritt bis zur Leichtgläubigkeit. Der Philosoph allein zweifelt, weil er dem, was er sieht und hört oder sich einbildet, nie ganz traut.