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Der Hexer 32

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer, Band 24
Der Zug, der in den Alptraum fuhr

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 04. März 1986, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Sebastia Boada

Vor einer Sekunde war die Gasse noch leer gewesen; nicht als eine Lücke zwischen zwei Häusern, in der sich der Schmutz und der Unrat von Jahrzehnten angesammelt hatten. Jetzt war etwas da. Es war nicht genau zu definieren, was es war. Es war schwarz und formlos und bewegte sich, auf eine widerwärtige, kriechende Art. Es lebte nicht und war doch nicht tot. Es dachte nicht und hatte trotzdem einen Auftrag. Töten. Keine Macht dieser Welt konnte es von der Erfüllung dieses Auftrag abhalten. Mein Pech. Denn ich war der Mann, den es töten sollte …

Leseprobe

Die Welt des Hexers

Die Suche nach Necrons Drachenburg – das ist das nächste große Ziel des Hexers. Irgendwo in den Weiten der Mojave-Wüste soll sie liegen; die dunkle Festung, von der aus der uralte Magier aus Salem seine Fäden zieht, von wo aus er seine Drachenkrieger ausschickt, die SIEBEN SIEGEL DER MACHT zu suchen.

Drei der Siegel sind bereits in Necrons Besitz, und fügt er alle sieben zusammen, so erwachen die GROSSEN ALTEN, die dämonischen Götter aus grauer Vorzeit, aus ihrem ewigen Schlaf.

Über den Umweg nach Arcenborough – ein verschlafenes Nest in Kanada, das sich aber speziell zu Robert Cravens Begrüßung in eine todbringende Falle verwandelt hat (natürlich ohne Erfolg) – gelangt der Hexer nach San Francisco. Schon 1666 war Frisco eine brodelnde, lebendige Stadt mit unzähligen Spielsalons, Nachtclubs, Bars und halbseidenen Etablissements; natürlich noch ohne Autos, einarmige Banditen, Juke-Boxes und Lieutenant Mike Stone.

Überhaupt muss man sich bei dieser Serie immer wieder vor Augen führen, wie wenig entwickelt die Welt damals noch war. Elektrizität war gerade erfunden, und Glühbirnen wurden von der Bevölkerung als wahre Weltwunder bestaunt. In Deutschland zuckelte gerade Gottlieb Daimlers erstes Automobil über die Kopfsteinpflaster (Teer war auch noch ferne Zukunftsmusik), und wo heute in Paris der Eiffelturm steht, grasten noch friedlich die Kühe, während die Franzosen mit dem Gedanken spielten, im Hafen von New York eine lächelnde Dame mit Fackel und Schrifttafel zu errichten.

Fließendes Wasser war in vielen Häusern noch Glückssache, und in den Rauchwarenläden fanden sich die allerersten Romanhefte; ein Gros der Menschen war allerdings des Lesens und Schreibens nicht mächtig. Und auch der Wilde Westen, wie Ihr in den nächsten Bänden bemerken werdet, war noch richtig wild. Butch Cassidy. Sundance Kid, Buffalo Bill Cody, Wyatt Earp, die Dalton-Bande – nur einige Zeitgenossen des Hexers. Der Bürgerkrieg war gerade überstanden, viele der Indianerstämme lagen noch im Krieg mit den verhassten Bleichgesichtern, und mehr als ein weißer Fleck zierte die Landkarten der USA.

Ein Grusel-Held im Wilden Westen?

Natürlich. Es war seine Zeit. Und ihr werdet merken, dass unser Robert Craven mit so manchen historischen Begebenheiten mehr zu tun hat, als die Geschichtsbücher wissen wollen.

 

*

 

Irgendjemand verfolgte mich.

Ich hatte keinen Beweis dafür, nicht einmal ein Indiz, nicht den allergeringsten Hinweis.

Aber ich wusste es.

Seit dem frühen Morgen, seit ich mein Hotelzimmer verlassen hatte und in die Stadt gegangen war, war jemand hinter mir her, und wer immer es war, er stellte es sehr geschickt an, denn bisher hatte ich nicht einmal einen Schatten gesehen, geschweige denn meinen Verfolger selbst.

Dabei hatte ich alle Tricks zur Anwendung gebracht, die ich nur kannte, um einen Verfolger abzuschütteln; und deren waren es nicht gerade wenige.

Während meiner Jugend in den Slums von New York hatte ich gelernt, wie man Profi-Verfolger abschüttelt, und ich vermute, dass meinetwegen so mancher Angehörige der New Yorker Polizei am Rande eines Nervenzusammenbruches angelangt war, wenn ich ihm nach stundenlanger Verfolgungsjagd doch noch eine lange Nase gedreht hatte und entkommen war.

Diesmal schienen all meine Tricks nicht zu funktionieren.

Es war später Nachmittag, und seit nun fast acht Stunden vergnügte ich mich damit, vor jemandem davonzulaufen, den ich bisher nicht einmal zu Gesicht bekommen hatte. Bloß abgeschüttelt hatte ich ihn nicht.

Es war zum wahnsinnig werden! Ich sah niemanden, ich hörte niemanden, aber ich spürte seine Nähe, so deutlich, als stünde der Kerl neben mir und stänke nach Knoblauch wie ein ganzes Regiment besoffener Husaren!

Ich ging ein wenig schneller, tauchte – wohl zum hundertsten Male an diesem Tag – in den quirlenden Strom von Passanten ein, der die Mainstreet von San Francisco füllte, und wusste im gleichen Moment, dass mir auch dieses Manöver nichts anderes eintragen würde als einige weitere Knuffe in die Rippen und ein paar weitere Tritte auf die Zehen.

Ich erreichte eine Straßenkreuzung, blieb stehen und sah mich unschlüssig um. Auf geradem Wege setzte sich die Mainstreet fort, so weit ich blicken konnte, ehe sie sich im Dunst der Großstadt verlor. Zur Linken wurden die Häuser merklich schäbiger, und auch der Strom von Passanten nahm ab; zur Rechten erhoben sich einige Häuser, deren Äußeres zwar alles andere als vertrauenerweckend war, die meinen Bedürfnissen aber schon näher kamen – es gab einen chinesischen Waschsalon, ein paar Bordelle, zwei oder drei Restaurants und, gleich schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite, einen Spielsalon, über dessen weit geöffnetem Eingang ein Schild die Millionen-Dollar-Chance versprach, was wohl höchstens für den Besitzer dieses Etablissements zutraf.

Ganz offensichtlich war ich an der Grenze des Vergnügungsviertels angelangt; eine Gegend, um die ich normalerweise nicht nur in Frisco, sondern auch in allen anderen Städten einen weiten Bogen gemacht hätte.

Nicht zuletzt, weil es noch gar nicht so lange her war, dass ich mir selbst meinen Lebensunterhalt damit verdiente, eben diese Gegenden unsicher zu machen. Im Moment allerdings schien mir die Straße genau das richtige. Wenn ich überhaupt eine Chance hatte, meinen Verfolger irgendwie loszuwerden, dann hier.

Ich sah mich noch einmal um – natürlich ohne ihn zu erblicken –, griff in die Rocktasche und tat so, als überprüfe ich meine Barschaft; eine Geste, die mir genau richtig schien, den unbedarften Touristen zu spielen, der hierhergekommen war, um das große Abenteuer zu erleben. Dann überquerte ich forschen Schritts die Straße und trat durch den Eingang des Spielsalons.

Es war wie ein Schritt in eine andere Welt. Der Lärm und das Licht von San Francisco blieben hinter mir zurück, und vor mir, nur noch durch einen halb zurückgeschlagenen Vorhang getrennt, neben dem ein breitgesichtiger Schlägertyp herumlungerte, begann die glitzernde Plüschwelt des Spielsalons. Gedämpftes Stimmengemurmel drang in den Vorraum, das Klirren von Glas, das helle Klickern einer Roulettekugel, dazwischen ein helles Frauenlachen, der Geruch nach abgestandenem Qualm und Whisky …

Wie lange war es her, dass ich selbst in dieser Welt zuhause gewesen war?

Wirklich schon fast vier Jahre? In diesem Moment kam es mir vor wie vier Tage. Ich kannte sie, diese Welt, die auf der anderen Seite des Vorhanges begann, wenngleich auch aus einer ganz anderen Sicht. Wie viele Nächte hatte ich in Lokalen wie diesem verbracht, hinter der Theke stehend und Gläser spülend, Spucknäpfe auswechselnd, hatte sie Summen verspielen sehen, für die ich zehn Jahre hätte arbeiten müssen?

Ich verscheuchte den Gedanken, ging weiter und warf dem Muskelberg ein Lächeln zu, während er mich kalt betrachtete, mit geübtem Blick meine Kleidung und mein Auftreten einschätzte und zu dem Ergebnis kam, dass ich einzulassen wäre. Nach einer Sekunde faltete er sogar die Arme auseinander und verzog sein Gesicht zu etwas, das er für ein freundliches Lächeln halten mochte.

»Einen Tisch, Sir?«

Ich überlegte einen Moment, dann schüttelte ich den Kopf, deutete auf die Bar, die eine ganze Seitenwand des Raumes einnahm, und schnippte dem Breitgesicht im Weitergehen noch einen Vierteldollar zu.

Erneut nahm mich die glitzernde Welt des Spielsalons gefangen, kaum dass ich ein paar Schritte weitergegangen war, und für Augenblicke vergaß ich sogar meinen Verfolger und den eigentlichen Grund, aus dem ich hier hereingekommen war.

Es war wie eine Heimkehr. Die blitzende Strasswelt rings um mich herum stieß mich ab, und gleichzeitig zog sie mich an, auf eine schwer in Worte zu fassende, fast morbide Art. Vielleicht war es einfach das Gefühl, zum ersten Mal im Leben auf der anderen Seite des Vorhanges zu stehen; in jeder Bedeutung des Wortes.

Ich ging zur Bar, setzte mich auf einen freien Hocker, bestellte ein Bier und sah mich noch einmal um, etwas gründlicher diesmal.

Der Raum war sehr groß, wirkte aber klein, denn an den zwei Dutzend unterschiedlich großen Spiel- und anderen Tischen drängelten sich an die zweihundert Menschen, wenn nicht mehr. Leichtgekleidete Mädchen bewegten sich zwischen den Tischen oder rückten den Spielern näher, die gewonnen hatten, ein altersschwacher Chinese wieselte umher und tauschte übervolle Aschenbecher und Spucknäpfe gegen frische aus, und wohl ein Dutzend Kellner balancierte mit einmaligem Geschick Tabletts durch das Menschengewühl. Kurz, es war ein unglaubliches Chaos.

Genau das, was ich brauchte. Das Beste allerdings war die Tatsache, dass es mit Ausnahme zweier Türen hinter der Bar keinen weiteren Ausgang gab. Wenn mein unsichtbarer Verfolger nicht Gefahr laufen wollte, mich entweder zu verlieren oder so lange draußen zu stehen, bis er Wurzeln schlug, dann musste er wohl oder übel durch das Hauptportal hereinkommen.

Und ich wusste, dass ich ihn erkennen würde, im gleichen Moment, in dem er auch nur die Nase durch die Tür steckte.

Der Gedanke wirkte irgendwie ernüchternd auf mich, denn er führte einen zweiten, alles andere als angenehmen mit sich: die Frage nämlich, wer es war, der mir seit dem frühen Morgen an den Fersen klebte, und warum.

Prinzipiell gab es zwei Möglichkeiten. Die eine war, dass es sich schlichtweg um einen Gauner handelte, der aus meiner nicht gerade ärmlichen Kleidung und dem superteuren Hotel, aus dem ich gekommen war, auf ein Opfer schloss, dem er ohne großes Risiko den Geldbeutel abknöpfen konnte. Diese Version hätte ich vorgezogen.

Aber sie war nicht sehr wahrscheinlich. Kein Gelegenheitsdieb hätte das Geschick aufgebracht, mich den ganzen Tag über zu narren; die Geduld übrigens auch nicht.

Die zweite – und weitaus unangenehmere – Möglichkeit war, dass es sich um einen meiner alten Freunde handelte; einen von Necrons Drachenkriegern.

Diese Überlegung brachte mich vollends in die Wirklichkeit zurück.

Instinktiv blickte ich zur Tür, aber das einzige, was ich sah, war das dümmliche Viertel-Dollar-Grinsen des Rausschmeißers. Ich erwiderte es, griff nach meinem Glas und nippte vorsichtig daran. Aber das Bier wollte mir nicht mehr schmecken.

Ich war nervöser, als ich zugeben wollte. Aber wenn meine Befürchtung zutraf, hatte ich auch Grund dazu. Es gibt ein paar Dinge, die noch tödlicher sind als ein Drachenkrieger mit einem Mordauftrag. Ein Hurrikan zum Beispiel, einer von den ganz großen. Oder ein Fallbeil, das auf den Mann unter der Guillotine zurast. Aber damit hörte die Auswahl auch schon beinahe auf.

Eigentlich nicht aus Lust an einem Spiel – ich habe niemals gern gespielt – ging ich zum Kassier, schob ihm eine zusammengefaltete Hundert-Dollar-Note in seinen vergitterten Affenkäfig und ließ mir dafür Jetons geben.

Unschlüssig drehte ich mich zweimal im Kreis, bis ich einen freien Platz an einem Tisch erspähte, von dem aus ich einen prachtvollen Blick auf den Eingang hatte.

Ich ging hin, ließ mich auf den Stuhl fallen und baute meine Jetons in vier gleichen Türmchen vor mir auf. Erst danach lehnte ich mich zurück und musterte die anderen Spieler, die noch am Tisch saßen.

Es waren fünf – vier Männer und eine Frau.

Aber es war nicht irgendeine Frau. Ihr Anblick schlug mich sofort in seinen Bann.

Sie war …

Schön allein wäre das falsche Wort. Ich war in meinem Leben einer Menge schöner Frauen begegnet, und gerade in Etablissements wie diesem war ein hübsches Gesicht etwas, das man geradezu erwarten konnte. Und doch war sie anders.

Ganz anders.

Sie hatte schwarzes, lang über die Schulter fallendes Haar, dunkle Augen, die eine Spur zu groß waren und einen Teint, der mir den trivialen Vergleich mit Alabaster geradezu aufdrängte. Hier traf er zu. Ihr Gesicht war von einem sonderbaren, schwer zu beschreibenden Schnitt; im gleichen Maße sanft und natürlich wie … ja, es gab keine bessere Bezeichnung dafür: edel.

»Verzeihung, Sir.«

Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass die Worte keinem anderen als mir galten. Verlegen fuhr ich zusammen, rettete mich in ein Lächeln und wandte mich dem Mann zu, der mich angesprochen hatte.

»Meinen Sie mich?«

Der andere – ein hochgewachsener, schwarzhaariger Schnauzbärtiger in piekfeiner Kleidung, mit manikürten Fingernägeln und dem unverkennbaren Ausdruck des Berufsspielers auf den Zügen – nickte. Schon dieses Nicken allein reichte, ihn mir auf Anhieb unsympathisch werden zu lassen. Vielleicht lag es auch nur daran, dass er zur Rechten der unbekannten Schönheit saß und ihre Hand in eindeutiger Manier auf seinem Unterarm lag.

»Ich meine in der Tat Sie, Sir«, antwortete der Mann ärgerlich. »Sind Sie gekommen, um zu spielen, oder meine Braut anzustarren?«

Die Art, in der er das Wort Braut betonte, machte ihn mir nicht gerade sympathischer. Aber ich verstand den Wink, lächelte noch einmal verzeihungsheischend und beeilte mich zu versichern: »Natürlich zum Spielen. Verzeihen Sie.«

»Schon gut«, antwortete der andere. Seine Begleiterin musterte mich mit einem Blick, in dem gleichzeitig ein sanftes Interesse wie auch Spott lag. Ein wenig zu hastig griff ich nach den Karten und begann zu mischen. »Mein Name ist Teagarden«, stellte sich mein Gegenüber vor. »Ralph Teagarden. Und das ist meine Braut Annie.« Er deutete abermals auf die schwarzhaarige Göttin, dann zauberte er eine dekorative Falte zwischen seine Brauen. »Und mit wem haben wir das Vergnügen, wenn ich fragen darf?«

»Craven«, antwortete ich. »Robert Craven. Was spielen wir?«

»Haschmich bestimmt nicht«, versetzte Teagarden patzig und grinste.

Ich verbiss mir im letzten Moment die scharfe Antwort, die mir auf der Zunge lag. Teagarden wollte ganz offensichtlich ausprobieren, wie weit er mit dem unbeholfenen Gecken, der sich aus lauter Geltungsbedürfnis eine weiße Strähne ins Haar hatte färben lassen, gehen konnte. Unter normalen Umständen hätte ich das Spiel sicher mitgespielt und ihm eine Lektion erteilt, an die er noch am St. Nimmerleinstag denken sollte. Aber im Moment hatte ich andere Sorgen.

»Ich würde Schwarzer Peter vorschlagen«, antwortete ich eisig. »Als Einsatz einen Penny pro Runde. Einverstanden?«

Teagarden erbleichte, während es in den Augen seiner Begleiterin abermals spöttisch aufblitzte. Aber diesmal zog er es vor, die Sache nicht auf die Spitze zu treiben.

»Okay, Craven«, sagte er ruhig. »Wir sind quitt. Lassen Sie sehen, ob Sie beim Spielen genauso schlagfertig sind. Wir spielen Stud-Poker. Kein Limit. Mindesteinsatz zehn Dollar.« Er lächelte, sehr falsch und sehr kalt. »Mit dem Taschengeld da werden Sie nicht weit kommen«, fügte er mit einer Kopfbewegung auf die Jetons vor mir hinzu.

Ich zuckte mit den Achseln, forderte ihn mit einer Kopfbewegung auf, abzuheben – was er auf die gleiche Weise ablehnte – und teilte Karten aus.

Ich hätte nicht einmal meine Hexer-Fähigkeit gebraucht, um schon beim ersten Spiel zu bemerken, dass Teagarden betrog. Er verlor auf Anhieb an die achtzig Dollar an mich, obgleich er das bessere Blatt hatte.

Nun – diesen Trick kannte ich ebenso gut wie er. Ich wäre nicht der erste Trottel, der ein paar Dollar gewinnt und dadurch leichtsinnig genug wird, um wie eine Weihnachtsgans ausgenommen zu werden.

Beim zweiten Spiel verlor ich, beim dritten gewann ich meinen Verlust zurück, samt zusätzlichen dreihundert Dollar. Einen Moment lang überlegte ich, jetzt schlichtweg aufzuhören und Teagarden mit einem dummen Gesicht und um fast vierhundert Bucks ärmer sitzen zu lassen, aber dann zuckte ich mit den Achseln, mischte erneut und gab Karten.

Teagarden nahm die seinen nicht einmal auf, sondern blickte mich mit einem sonderbaren Lächeln an. »Was halten Sie davon, einmal richtig zu spielen, Mister Craven?«, fragte er.

»Wie meinen Sie das?«

Teagarden deutete mit einer Kopfbewegung auf meine Jetons. »Das da ist doch nur Kleingeld. Was halten Sie von einem richtigen Einsatz, um die Sache spannend zu machen?« Er grinste, griff in die Jackentasche und zog ein Bündel Geldscheine heraus, das ungefähr dem Gegenwert eines kleinen Landhauses in England entsprechen mochte.

»Fangen wir mit tausend an«, schlug er vor. »Vorausgesetzt, Sie sind flüssig.«

Ich seufzte, tat so, als überlegte ich, dann griff auch ich in meinen Rock und zog meine Brieftasche hervor. Ich hatte längst nicht so viel Bargeld dabei wie er, aber zwischen den vier oder fünf Hundert-Dollar-Noten, die ich eingesteckt hatte, lag ein Kreditbrief der Bank of America; ohne Begrenzung. Ein Mann wie Teagarden musste sofort erkennen, dass er da praktisch einen Goldesel vor sich hatte.

»Ganz wohl ist mir nicht bei der Sache«, gestand ich mit gespieltem Zweifel. »Ich … spiele nicht oft. Und schon gar nicht um solche Beträge.«

»Dafür spielen Sie verdammt gut«, sagte Teagarden. »Vielleicht haben Sie ja auch nur eine Glückssträhne.«

»Ja, vielleicht«, bestätigte ich. »Aber Sie haben recht – warum nicht einmal etwas riskieren?« Ich lächelte, winkte einen der Saaldiener herbei und bat ihn, mir beim Kassierer den Kreditbrief bestätigen zu lassen und Jetons für zehntausend Dollar zu holen, ganz bewusst im gleichen Ton, in dem Teagarden sich vielleicht einen Drink bestellt hätte.

Teagarden schluckte, während seine Begleiterin plötzlich sehr ernst aussah. Ja, der Blick, den sie mir zuwarf, war beinahe beschwörend. Fast hatte ich den Eindruck, dass sie mich davon abhalten wollte, weiterzuspielen.

»Fangen wir doch schon einmal an.« Ich nahm all meine Jetons und schob sie über den Tisch, ohne meine Karten auch nur anzusehen. »Dies als ersten Einsatz.«

Teagarden starrte mich an und presste die Lippen zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammen. Dann nickte er, hielt mit und nahm, mit ganz leicht zitternden Fingern, seine Karten auf.

Wir warteten, bis der Saaldiener mit meinen Jetons zurück war. Dann schob ich – noch immer ohne meine Karten gesehen zu haben – drei weitere Eintausend-Dollar-Chips auf den mittlerweile schon beachtlich angewachsenen Stapel und nahm endlich meine Karten zur Hand.

Ich hatte zwei Asse und einen König. Immerhin mehr als Teagardens Damenpaar, das ich durch seine Augen gesehen hatte.

»Karte?«, fragte ich.

Teagarden nickte, warf drei Karten auf den Tisch und bekam von mir eine Sieben, die Kreuz-Acht und eine dritte Dame zu seinem Pärchen. Schließlich bin ich kein Unmensch.

»Und Sie?«, fragte Teagarden lauernd.

Ich schüttelte den Kopf und legte meine Karten aus der Hand. »Es reicht«, sagte ich leichthin – und schob weitere zweitausend Dollar auf den Stapel. Teagarden erbleichte ein ganz kleines bisschen, während seine Begleiterin mich erschrocken ansah. Aber er hielt mit.

Wenn auch nicht, ohne zu seinen drei Damen eine weitere hinzuzufügen, die aus seinem Ärmel kam. Er war nicht einmal sehr ungeschickt dabei.

Unser Spiel hatte mittlerweile eine gehörige Menge Neugieriger angezogen, denn auch hier wurde wohl selten um solche Beträge gespielt, aber außer mir – und Teagardens Begleiterin, da war ich sicher – bemerkte niemand den Betrug.

Ich zögerte. Eine innere Stimme sagte mir, dass es klüger wäre, aufzugeben. Ich konnte den Verlust verschmerzen, und ich glaubte zu spüren, dass Teagarden ein gefährlicher Mann war, nicht nur am Kartentisch. Aber es versetzte mich in Rage, dass dieser Tölpel glaubte, mich so leicht hereinlegen zu können.

Mit einem perfekt geschauspielerten, nachdenklichen Stirnrunzeln nahm ich meine Karten auf und betrachtete sie drei, vier Sekunden lang. Als ich sie wieder auf den Tisch legte, waren aus den zwei Assen vier geworden; was übrigens rein gar nichts mit Hexerei zu tun hatte. Aber ich hatte während meiner Ausbildung eine Menge Tricks gelernt, von denen ein zweitklassiger Falschspieler wie Teagarden nicht einmal träumen würde.

»Machen wir es spannend«, sagte ich – und schob den Rest meiner Jetons über den Tisch.

Teagarden erbleichte nun sichtlich. Wahrscheinlich überlegte er, wie er eine fünfte Dame zu seinen vier hinzufügen konnte, ohne dass es auffiel.

»Ist Ihnen der Einsatz zu hoch?«, fragte ich freundlich. »Oder sind Sie nicht flüssig? Ich helfe Ihnen gerne aus.«

Teagarden starrte mich geradezu hasserfüllt an, hob die Hand und winkte einen Saaldiener zu sich. »Ich brauche fünftausend«, sagte er grob. »Beeilung.« Dann wandte er sich wieder an mich. »Einen Moment Geduld, Mister Craven.«

»Ach, wozu«, antwortete ich und deckte das erste As auf. »Für die paar Dollar sind Sie mir gut, mein Bester.«

Teagarden knirschte hörbar mit den Zähnen und deckte seine erste Dame auf. Ich nickte, zeigte mein zweites As und spielte den Beeindruckten, als Teagarden mit seiner zweiten Dame konterte.

Beim dritten As wurde er nervös. Seine Finger zitterten unmerklich, als er seine dritte Dame aufdeckte. Ein erstauntes Raunen ging durch die Reihen der Zuschauer.

Ich konnte spüren, wie der halbe Saal den Atem anhielt, als ich meine vierte Karte aufdeckte.

Es war eine Sieben. Das letzte As ließ ich vorerst noch unsichtbar.

Teagarden blinzelte, begann plötzlich zu grinsen wie ein Honigkuchenpferd und knallte seine vierte Dame so wuchtig auf den Tisch, dass die Ecke einknickte. Mit einem bösen Lachen beugte er sich vor und grabschte nach den Jetons.

»Einen Moment«, sagte ich ruhig.

Teagarden erstarrte. »Was ist denn noch?«, fragte er.

»Oh, nichts«, antwortete ich freundlich. »Ich hätte nur gerne Ihre letzte Karte gesehen. So, wie es aussieht, haben Sie nämlich verloren«, fügte ich bedauernd hinzu. »Es sei denn, Sie hätten noch eine fünfte Dame auf dem Tisch.«

Und mit diesen Worten deckte ich meine letzte Karte auf.

Teagarden schluckte, starrte erst mich, dann das As, dann wieder mich und wieder meine Karten an und fiel mit einem Ruck auf seinen Stuhl zurück. »Das … das ist …«

»Ja?«, fragte ich, als er nicht weitersprach.

In seinen Augen blitzte es auf. »Das ist unmöglich!«, behauptete er. »Sie … Sie betrügen, Craven.«

»Nicht mehr als Sie«, antwortete ich gelassen.

Für eine Sekunde schien Teagarden zu erstarren. »Was wollen Sie damit sagen?« fragte er dann gefährlich leise. Seine rechte Hand verschwand unter dem Tisch. Aber auch damit hatte ich gerechnet. Ich spannte mich ein wenig.

»Wollen Sie behaupten, ich spiele falsch?«, fragte er lauernd.

»Aber ich bitte Sie!«, sagte ich jovial. »Ein Ehrenmann wie Sie, Mister Teagarden? Sie haben Pech gehabt, das ist alles. Tragen Sie es mit Fassung.«

Teagarden brüllte vor Wut und riss die Pistole in die Höhe, die er aus der Jackentasche gezogen hatte.

Und ich ruckte den Tisch nach vorn.

Ich hatte selbst kaum damit gerechnet, dass der Trick funktionieren würde, denn ein Mann wie Teagarden war sicher nicht das erste Mal in einer solchen Situation.

Aber es klappte.

Teagardens Wutschrei wurde zu einem überraschten Keuchen, als ihm die Tischkante wegsackte. Er klappte nach vorn und kollidierte unsanft mit dem harten Holz, ehe ich dem Tisch einen zweiten, etwas heftigeren Stoß versetzte, der Teagarden vollends aus dem Gleichgewicht brachte und umkippen ließ.

Ich gab ihm keine Gelegenheit, wieder auf die Füße zu kommen, sondern setzte über den Tisch hinweg, trat ihm die Waffe aus der Hand und zerrte ihn grob in die Höhe.

Dann griff ich mit einer fast gemächlichen Bewegung in seinen Jackenärmel, zog hintereinander drei Karten heraus und machte Anstalten, sie ihm in den Hals zu stopfen, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber es blieb bei dem Versuch. Jemand packte mich grob am Arm, und eine halbe Sekunde später presste sich etwas Hartes, Rundes zwischen meine Schulterblätter. Das anschließende metallische Klicken wäre nicht einmal nötig gewesen, mich davon zu überzeugen, dass es sich um nichts anderes als einen Revolverlauf handelte.

»Keine Bewegung mehr, Mister«, sagte eine Stimme hinter mir. »Es wäre Ihre letzte.«

Ich ließ Teagardens Kragen los, hob ganz langsam die Hände in Schulterhöhe und drehte mich noch langsamer um. Der Revolverlauf, der sich gerade noch zwischen meine Schultern gepresst hatte, wanderte in die Höhe und verharrte einen Fingerbreit vor meinem rechten Auge.

Es war der Viertel-Dollar-Grinser. Aber der Ausdruck auf seinem stoppelbärtigen Gesicht war im Moment alles andere als freundlich.

»So, Sie sind also der Meinung, dass ich falsch spiele, Craven?«, fragte Teagarden lauernd. Er hatte jetzt wieder sichtlich Oberwasser – was bei einem Fünfundvierziger, der genau auf mein rechtes Auge gerichtet war, und einem Finger am Abzug dieser Waffe, der Teagarden vermutlich mehr gehörte als seinem eigentlichen Besitzer, kein sonderliches Wunder war. Die alte Überheblichkeit war in seine Stimme zurückgekehrt.

»Ich bitte dich, Ralph, lass ihn in Ruhe«, sagte seine Begleiterin.

»Wer sagt denn, dass ich ihm etwas antun will?«, entgegnete Teagarden feixend. »Ich möchte bloß eine Antwort auf meine Frage, meine liebe Annie.« Er wandte sich wieder an mich. »Also, Craven, wie war das? Sie glauben, ich spiele falsch?«

»Ja«, antwortete ich, einem Trotz gehorchend, für den ich mich selbst hätte ohrfeigen können. »Ich weiß es. So wie jeder hier.«

Teagarden antwortete nicht. Aber ich sah, wie er seinem Schläger einen Wink mit den Augen gab.

Der Fünfundvierziger sackte plötzlich ein Stück nach unten, beschrieb einen engen Bogen und näherte sich rasend schnell wieder meinem Gesicht.

Aber er traf nicht, denn ich duckte mich, vollführte gleichzeitig eine halbe Drehung und packte Teagarden bei den Rockaufschlägen. Er stolperte nach vorn – und bekam den Revolverlauf in den Magen, der ursprünglich für mich gedacht war.

Noch während er zurücktaumelte, fuhr ich abermals herum und trat dem Rausschmeißer vor das rechte Knie. Teagarden und sein gekaufter Schläger gingen gleichzeitig zu Boden.

Aber es war nur ein kurzer Triumph, den mir diese Dummheit einbrachte. Und ein höchst trügerischer dazu.

Denn statt des schadenfrohen Gelächters, das ich erwartet hatte, breitete sich ein fast geisterhaftes Schweigen um mich herum aus.

Als ich aufblickte, starrte ich in ein gutes Dutzend Revolvermündungen. Teagarden schien hier mehr Freunde zu haben, als ich geahnt hatte.

Ich fluchte lautlos in mich hinein, wich zwei, drei Schritte zurück und ahnte die Bewegung mehr, als dass ich sie sah. Blitzschnell duckte ich mich, spürte etwas an meinem Ohr vorbeipfeifen und stieß den Ellbogen zurück.

Ich traf, steppte einen Schritt in die andere Richtung und fuhr herum, im gleichen Moment, in dem der Mann, der mir den Gewehrkolben über den Schädel hatte ziehen wollen, keuchend zusammenbrach.

Eine Faust stieß nach meinem Gesicht. Ich fing sie auf, verdrehte sie samt dem dazugehörigen Arm und stieß den Angreifer zurück. Er fiel und riss dabei drei oder vier andere Männer mit sich.

Für einen Moment hatte ich Luft. Aus irgendeinem Grund verzichteten Teagardens Schläger noch darauf, ihre Waffen zu benutzen, und für die Dauer eines Atemzuges schöpfte ich sogar Hoffnung. Wenn ich nur zwei, drei Sekunden Zeit fand, mich zu konzentrieren, konnte ich diese ganze Bande unter meinen Willen zwingen und sie dazu bringen, sich gegenseitig zu verdreschen.

Aber mir blieben nicht einmal diese zwei Sekunden. Denn in diesem Moment stemmte sich Teagarden keuchend in die Höhe und deutete wild gestikulierend in meine Richtung.

»Packt ihn!«, brüllte er mit überschnappender Stimme. »Schlagt das Schwein tot!«

Und im nächsten Augenblick stürzten sich an die zwanzig Mann gleichzeitig auf mich, um seinem Wunsch nachzukommen …