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Ein Ostseepirat Band 2 – Kapitel 16

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman, Zweiter Band
XVI.
 Aut vincere, aut mori

Es war Herbst geworden.

Der Krieg tobte nun fast überall in Europa, besonders in Deutschland.

Man schlug sich in Schlesien, in Ostpreußen, an der schwedischen Grenze, an der hannöverschem, am Rhein und in Sachsen.

Russen, Österreicher, Sachsen, Franzosen, Schweden griffen von verschiedenen Seiten Preußen an und Preußen hatte ihnen eben nur Preußen entgegenzusetzen. Friedrich Il. hatte keine Bundesgenossen oder nur solche, die groß im Wort, klein in der Tat und engherzig im Betreff des Geldbeutels waren.

Von allen Feinden fürchtete der König die Schweden am wenigsten, obwohl er sie vielleicht am höchsten achtete. Er hatte dem schwedischen Staatskörper zugefügt, was man in der Chirurgie und Anatomie einem tierischen Körper die Adern unterbinden nennt.

Außerdem sandte er dem schwedischen Armeekorps den Reiter Obersten Belling mit seinen zehn Schwadronen entgegen und diese mussten hinreichend sein, die Schweden in Schach zu halten. Truppen hatte Friedrich nicht weiter dazu übrig.

Nun, Belling war gerade der Mann dazu, ein solches Vertrauen zu rechtfertigen, und seine Husaren waren Leute, die ihn nicht im Stich ließen, und besonders solche, die ihm Ehre machten.

Sie trugen damals schwarze Dolmanns, diese Husaren mit grünen Schnüren, die ungarische Filzmütze und vor derselben ein Totengerippe mit dem Wahlspruch aut vincere, aut mori.

Entweder siegen oder sterben, lauteten diese lateinischen Worte und ihnen treu warfen sich die Kühnen nieder auf die Feinde, wo sie dieselben fanden, gleichviel, ob sie ihnen an Zahl überlegen oder die Verhältnisse sonst für sie ungünstig waren.

Die Totengerippe erwarben auch daher einen gewaltigen Respekt bei den Schweden, ja man darf wohl sagen, sie wurden gefürchtet und verursachten ihnen panischen Schrecken.

Infolge dieses Umstandes vollführten die kühnen Reiter viele lustige und verwegene Streiche, von denen die Leute in der Gegend noch lange sprachen.

»Teufel, es ist kalt!«, sagte dann auch eines Abends ein Husar auf Feldwache, »ich muss mir einen warmen schwedischen Mantel holen. Wer will mit?«

Es fanden sich noch mehr Verehrer der warm gefütterten schwedischen Wintermäntel. Sie stiegen in den Sattel, ritten über eine der vielen, über die Peene führenden Brücken, jenseits welcher die Schweden standen, und kamen jeder mit einem Kleidungstück der erwähnten Art versehen zurück.

Freilich folgten ihnen ein Mann und ein Pferd, doch dafür waren ein Dutzend Schweden kampfunfähig gemacht und nebenbei ein Fouragemagazin angezündet worden.

Die Husaren, welche diesen Streich ausgeführt hatten, gehörten zur Grieben’schen Schwadron, denn unser Freund, der Major von der Grieben, war als Oberstleutnant und Eskadronchef dem tapferen Belling’schen Regiment einverleibt worden. Seine Schwadron stand hart an der Grenze zum Vorpostendienst.

Als jene abgelöst wurde und um die Mittagszeit in dem bereits bezogenen Kantonnementsquartier der Eskadron wieder eingetroffen waren, saß ein Mann ab und ging direkt auf den Oberstleutnant, der bei ihrer Ankunft gegenwärtig war, zu.

»Herr Oberstleutnant!«, meldete der Husar, »ich habe erfahren, dass ein schwedischer Husar oder Fähnrich der uns gegenüberstehenden Husaren in Jarmen eine Liebschaft unterhält und allwöchentlich über die Peene kommt. Wenn es erlaubt ist, möchte ich mir den jungen verliebten Herrn greifen.«

Grieben schwieg einige Zeit. Der Handel war im Grunde genommen nicht der Rede wert und es mochte immerhin der Husar den Menschen zu fangen versuchen; doch endlich machte er eine abwehrende Be­wegung.

»Du gehst doch nicht allein!«, antwortete er dem Husaren. »Leutnant von Wardow!«

Der berufene, natürlich ebenfalls unser alter Bekannter, kam schnell herbei und stellte sich mit dienstlichem Gruß vor seinen Vorgesetzten und Schwiegervater auf.

»Da meldet mir dieser Mann eben etwas, das der Beachtung wert sein könnte«, sagte Grieben. »Du kannst mit einem halben Zug der Sache ein Ende zu machen versuchen. Setze dich deshalb mit dem Husaren in nähere Verbindung.«

»Komm, Lorenz«, sagte der nunmehrige Husarenoffizier nach einer Verbeugung. Beide entfernten sich. Mit Einbruch der Dunkelheit des früh beginnenden Abends ritt Wardow an der Spitze eines Husarentrupps der Gegend voll Jarmen zu.

Jarmen ist ein hübsches Gut, welches ehedem einer adligen Familie, – vielleicht auch noch, – des Landes gehörte. Dieselbe war allerdings nicht den reicheren und bedeutenderen Geschlechtern des Landes beizuzählen und überhaupt war eigentlich nichts weiter adlig an derselben als der Name, während sie sonst recht und schlecht bürgerlich sich gerierte.

Die Bewohner der Grenze waren in einer bösen Lage. Um nicht Gewalttätigkeiten ausgesetzt zu sein, mussten sie es mit beiden Teilen der kriegführenden Parteien halten, wenigstens sich den Anschein geben, als hingen sie dem jeweiligen Sieger an; und wenn dies schon überhaupt galt, so galt es von den Besitzenden noch ganz besonders.

Der gegenwärtige Besitzer von Jarmen versicherte deshalb, obwohl er eigentlich Preuße war, den Schweden, wenn sie bei ihm erschienen, dass er gut schwedisch gesonnen sei. Kamen jedoch die Preußen wieder, so beteuerte er, seine alte bekannte Loyalität nie im Leben zu vergessen.

Wahrscheinlich wussten die Offiziere beiden Parteien, was sie von diesen und solchen Versicherungen überhaupt zu halten hatten.

Überhaupt muss man sowohl Preußen als auch Schweden zum Ruhm nachsagen, dass sie in diesem Krieg nach Möglichkeit die Bewohner des Landes und deren Eigentum respektierten.

Indessen hatte der Jarmer Herr auch zwei erwachsene Töchter. Diese machten ihm bei Weitem mehr Sorgen in der trüben Zeit als sein anderes Besitztum.

Bis zum letzten Sommer war es ihm jedoch gelungen, auch diese Schätze so zu hüten, dass sie ungefährdet geblieben waren, doch um jene Zeit rückte ein neues schwedisches Regiment an die Grenze und mit ihm ein junger Mensch, der nach der Bekanntschaft mit den Töchtern nicht gewillt zu sein schien, dieselbe so schnell wieder aufzugeben.

Ähnliche Absichten hatten zwar schon früher junge schwedische und preußische Offiziere gezeigt, doch die Töchter selbst hatten ihnen keine Ermutigung gegeben und deshalb war ihre flüchtige Neigung meistens mit der Entfernung verschwunden.

Bei dem jungen schwedischen Fähnrich, der nun in dieser Weise den Schauplatz betrat, zeigte es sich jedoch zum Schrecken des Vaters, dass die Neigung seiner älteren Tochter der des jungen Mannes begegne.

Der Vater hätte im Grunde nichts dagegen gehabt, wenn ein Offizier, gleichviel ob Preuße oder Schwede, aus anständigem Haus mit seiner Familie in eine vorläufige nähere Verbindung getreten wäre, denn nach dem Krieg musste Friede werden und mit dem Frieden die alten freundschaftlichen Verhältnisse wieder eintreten, welche früher an der Grenze bestanden.

Doch der junge Springinsfeld, welcher nun das Herz der Tochter gewonnen hatte, war zunächst noch nicht einmal Offizier. Sodann ergab eine Unterhaltung mit demselben, dass er arm sei und sein Name als auch seine Familie waren endlich so unbekannt, dass man noch nie im Land, selbst nicht in der Geschichte von beiden hörte oder las. Wer kannte anno 1757 den Namen, wer wusste um jene Zeit und auch noch später etwas von dem Namen Blücher?

Der brave Herr verbat sich daher, als die Besuche des jungen Husaren nicht wie frühere der Art von selbst aufhörten, dieselben in seinem Haus.

Das war recht schön soweit; aber leider erkannte die Liebe auch nicht einmal die väterliche Autorität an. Obschon die junge Dame dem Gebot des Vaters vorläufig wörtlich nachkam, so ließ sie doch ihren Verehrer wissen, weshalb er sich nicht sehen lasse.

Gut!, dachte Blücher, es gibt viel Wege zu jedem Ziel, ich werde mich auf andere Weise einführen!

Der junge Mann stellte nun seine Besuche bei Tag ein, kam jedoch jede Nacht nicht bei Jarmen, sondern etwas oberhalb über die Peene, band sein Pferd im Garten an und verplauderte bei schönem Wetter in diesem, bei schlechteren im Zimmer seines Liebchens, einige Stunden mit demselben.

Es ist klar, dass diese Ausflüge des Fähnrichs oder Kornetts nicht ohne Gefahr sein konnten, besonders zu den Zeiten, wenn die Preußen lebhafter andrängten, wozu sie sich übrigens nur selten günstige Gelegenheit entgehen ließen.

Möglich, dass einzelne Leute des Jarmer Hofes um diese Besuche wussten, jedoch mit Rücksicht auf das Fräulein nicht zu Verrätern derselben wurden. Wer aber lange keine Ahnung davon hatte, war der Vater.

Desto zorniger wurde er, als durch irgendeinen Zufall diese Zusammenkünfte der Liebenden ihm verraten wurden. Und doch wusste er nicht, was er in dieser Hinsicht für Mittel ergreifen sollte, um der Sache ein Ende zu machen. Als gegen Morgen kurz nach Entfernung des jungen Schweden, die auf Mänteleroberung ausgerittenen Preußen bei Jarmen anhielten, um eine Verstärkung anzufordern.

Der Böse musste dem Jarmer Herrn den schlechten Gedanken eingegeben haben, doch es schien ihm, als ob er eine Macht habe, den kecken Burschen zu verraten. Den Führer des Trupps allein rufend, teilte er demselben mit, was er in dieser Nacht entdeckt hatte, mit der Versicherung, dass er demjenigen, der ihn von diesem Besuch befreien werde, noch eine gute Belohnung zukommen lassen wolle.

Das war Wasser auf der Mühle des Bruder Lorenz, der da gedachte, die versprochene Belohnung allein zu ergattern. Wie wir gesehen haben, wurde ihm ein Strich durch die Rechnung gemacht. Als der Trupp unter Führung des Leutnant von Wardow durch das Abenddunkel nach Jarmen zog, ritt er recht verdrießlich mit allerlei hämischen Gedanken im Kopf hinter demselben her.