Die Gespenster – Dritter Teil – 23. Erzählung
Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil
Dreiundzwanzigste Erzählung
Der von Geistern geplagte schlesische Kandidat
In Schlesien lebte in der Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts ein aus Sachsen gebürtiger ordinierter Kandidat der Gottesgelehrtheit als Hauslehrer bei den Kindern verschiedener adliger Familien. Er war ein guter, ehrlicher Mann, aber kein weiser, denkender Erzieher. Dies ist das Urteil einer seiner ehemaligen Lehrlinge selbst, der nun als Oberamtsregierungsrat in Schlesien1 lebt und die Güte gehabt hat, mir nachfolgende Geschichte für diesen dritten Teil meiner Gespenster handschriftlich mitzuteilen.
Die Richtigkeit dieses Urteils, sofern es dem Lehrer zur Unehre gereicht, erhellt schon daraus, dass er die tolle Gewohnheit hatte, seinen Lehrlingen des Abends mit Ammenredseligkeit allerlei Geschichtchen von erschienenen Geistern zu erzählen und so in den Schlaf hinüberzuschwatzen. Eine dieser Erzählungen lautete also:
Als Hofmeister zu Hangwitz im Herrnstädtischen wohnte ich in einer furchtbaren Spukstube dieses ursprünglichen, fürstlichen Jagdschlosses. Den Namen – nomen enim omen habet – hielt dieses Schloss von dem Baumeister desselben, dessen Baurechnung mit dem Geld nicht stimmen wollte; er wählte unglücklicherweise einen Balken des nachmaligen Hofmeisterzimmers aus, um sich an demselben zu erhängen. Daher dann der Name Hangwitz, den es von dem hier verübten Selbstmord bekam. Auch war vor meiner Zeit in diesem Schloss ein gar gottloses Wesen getrieben worden. Zwei Besitzerinnen desselben führten eben keinen vestalischen Wandel und sollen mitunter ganz im Stillen verbotene Früchte der Liebe abgelegt und zu meinem Unglück auch wieder in dem Gemäuer der von mir daselbst bewohnten Hauslehrerstube vermauert haben. Selbst zu meiner Zeit noch machten sich die Eltern meines damaligen Zöglings, eines einzigen Kindes, kein Gewissen daraus, in der heiligen Zeit (in den Advents- und Fastenwochen) zu verreisen. Mich ließen sie zwar gewöhnlich zurück, aber ich hatte dann das traurige Schicksal, Zeuge der Spukereien und Schreckensszenen sein zu müssen, die indessen das herrschaftliche Schloss erfüllten und mich und den armen Nachtwächter sehr in die Enge trieben.
Fast keine Nacht hatte ich Ruhe vor den Geistern und sah mich genötigt, in der Regel aus dem Tag Nacht zu machen, weil diese letzten gewöhnlich in Seelenangst und schlaflos von mir durchwacht wurden; denn des spukenden Polterns auf dem Oberboden war kein Ende.
»Aber gingen Sie denn niemals hinauf?«, fragte jezuweilen ein naiver Zögling, »um zu sehen, wer da so polterte?«
»Beileibe nicht, liebes Kind!«, hieß es dann, »wer vermag, gegen Geister zu streiten?«
Aber ich hielt mir einige große Hunde, denen ich die nächtliche Lagerstätte auf dem Oberboden angewiesen hatte. Indessen, auch die treuesten Hunde tun den Geistern nichts, weil diese nichts Fleischiges an sich haben.
Einst ging ich während der Abwesenheit der Herrschaft zu meiner Erholung ins nächsten Städtchen, aus welchem ich, weil eben Mondlicht war, erst spät abends zurückkehrte. Kaum war ich ins Haus getreten, so begann nach alter Weise das Poltern auf das Fürchterlichste. Und doch folgte diesmal dem schrecklichen Lärm eine noch weit schreckensvollere Szene. All meine Hunde stürzten mit einem bedeutungsvollen Gewinsel vom Oberboden herab und schmiegten sich fortwinselnd an die verschlossene Tür meines Zimmers. Nunmehr erreichte das Ungetüm den höchsten Grad der Furchtbarkeit. Ich hatte mich, um die tägliche Hausplage, unter welcher ich seufzte, zu verschlafen, bereits tief in das Bett gehüllt und schlummerte vielleicht auch schon ein wenig. Aber so gern ich auch in dieser meiner Verborgenheit vor mir selbst und vor den Geistern das Licht des nächsten Tages erwartet hätte, so war mir doch so gemütlich, als ob ich einer körperlichen Ausleerung wegen ein wenig aufstehen müsse. Ich tat dies auch, aber dem Himmel sei es geklagt, welch ein Gesicht ich hatte! Ich erblickte und meiner guten Natur sei es gedankt – glücklich überstehen half.
Ja wohl seiner guten, starken Leibesbeschaffenheit! Denn was seinem Geist an Kräften abging, das hatte die Natur seinem Körper doppelt zuteilwerden lassen. Dies erhellt schon aus der Fertigkeit, womit er täglich das Übermaß des sehr dicken und starken Biers, welches er im nächsten Städtchen zu sich nahm, verdaute. Frei von allen anderen Leidenschaften hatte er sich ganz dem Genuss dieses Getränkes ergeben. Achtzehn schlesische Quart waren das Nonplusultra seiner Bacchanalien. Dieser Lüsternheit frönte er besonders seit dem Zeitpunkt, wo er durch die Kabale zweier über das Patronatsrecht streitenden Mitpatronen, die Vokation zu einer Pfarre wieder verlor, die er nicht nur bereits in Händen, sondern worauf er auch sogar schon die ins Amt einführende Ordination erhalten hatte. In Verzweigung über dieses sein Missgeschick verließ er sein Vaterland und irrte in Schlesien, Mähren, Ungarn und Böhmen umher, bis er endlich seine Habe verreist hatte, wieder in verschiedenen schlesischen Häusern Hauslehrer wurde und fortfuhr, seinen bedauernswürdigen Zöglingen die Ausgeburten seiner mit Ammenmärchen geschwängerten Fantasie auszukramen, und das verächtliche Spielzeug des mutwilligen Hausgesindes zu sein, welches seine kindische Furcht vor Gespenstern kannte, und diese seine Schwäche sich zu Nutzen machte, besonders wenn die verreiste Herrschaft ihn nicht in Schutz nehmen konnte.
Für denkende Leser bedarf diese Erscheinungsgeschichte hoffentlich keines aufklärenden Zusatzes mehr. Ein jeder sieht leicht, dass es ein ungleich größeres Wunder als selbst das eben erzählte anscheinende Wunder in Hangwitz gewesen sein würde, wenn der herzlich einfältige Mann, welchen in Abwesenheit der Herrschaft die Hausgenossen zum Gegenstand ihrer Abendbelustigungen machten, um ihn das Köpfchen vollends zu verdrehen, keine Gespenster zu hören und zu sehen geglaubt hätte. Was scheint nicht alles da zu sein, wenn man im Übergenuss des dicken Bieres mit dem winzigen gesunden Verstandes zugleich auch den Mut und einen ruhigen, erquickenden Schlaf versoffen und vom Lager verscheucht hat oder gar – wie hier ebenfalls geschah – im letzten Kampf zerstörter Körper- und Geisteskräfte eben eine hitzige Krankheit ausbrütet?