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Die Gespenster – Dritter Teil – 21. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Einundzwanzigste Erzählung

Der wandernde Stuhl1

In einem Bremer Handlungshaus hielt sich vor einigen Jahren des Hauswirts Vetter – ein Kandidat – auf. Aus Mangel an Raum kehrte, und nach zwölf Uhr noch wachend im Bett lag. Plötzlich fing ein vor seinem Bett stehender Stuhl an, von der Stelle zu gehen. Angst und Entsetzen ergriff ihn über den Anblick der unnatürlichen Bewegung. Er zog die Decke über den Kopf, hörte aber noch immer das Schurren des spukenden Stuhls, fasste endlich ein Herz und lauschte unter der Decke ein wenig hervor; aber bald jagte der noch immer tanzende Stuhl ihn in die Dunkelheit des vom Angstschweiß triefenden Bettes zurück. Endlich wurde es still; er konnte indessen die ganze Nacht nicht schlafen. Am nächsten Morgen erzählte er dem Hauswirt die Geschichte. Anstatt Teilnahme zu finden, wurde er aber von diesem, der ein denkender Mann war, herzlich bemitleidet und tüchtig verlacht.

»Vetter«, hieß es, »es spukt in Eurem Kopf, nicht in meinem Haus.«

Nach einiger Zeit begann neuerdings der Stuhl seine übernatürlichen Wanderungen. Die Tür seines Schlafgemachs war verschlossen und er war fest überzeugt, dass außer ihm niemand im Zimmer sein könne. Er sah und hörte den unbegreiflichen Stuhltanz, schwitzte aufs Neue große Schweißtropfen und die Haare standen ihm zu Berge. Lange vermochte er es nicht, diesen Kampf mit sich selbst auszuhalten. Er entsprang endlich herzhaft dem Bett, ergriff entschlossen –  nicht den Stuhl – nur die Hose – und entfloh glücklich und unergriffen dem lebenden Holz. Ader auch nur wenig fehlte, er wäre die halbe Treppe hinabgestürzt. Er schlug die Lärmtrommel; alles im Haus wurde wach. Zwei von den Hausbewohnern kehrten mit ihm zurück, um die Sache zu untersuchen, und fanden alles in Ordnung, außer, dass der Stuhl vom Bett, wo er zuvor stand, zur Mitte des Zimmers gewandert war.

Der Kandidat blieb ohne Trost sich selbst überlassen und durchwachte den übrigen Teil der Nacht, weigerte sich aber auch standhaft, fernerhin in dem verwünschten Spukzimmer zu schlafen. Indessen löste sich nun das Rätsel: Einer von den aufgeweckten Ladendienern, der die läppische Furcht des Kandidaten vor Gespenstern kannte, wollte sich das Verdienst um ihn erwerben, ihn von der Verächtlichkeit und Torheit dieser Furcht zu überzeugen, und versuchte am Ende folgende Pferdekur mit dem Schwachen:

Er bohrte an der einen Seite des Zimmers ein Loch in den Fußboden, zog einen Bindfaden hindurch und legte denselben in eine Spalte der Dielen des Fußbodens, da, wo diese nicht recht zusammenpasste. Um ihn dem Auge ganz zu verbergen, streute er Sand darauf. So hing nun das eine Ende des Fadens in das untere Zimmer hinab; das andere war am Stuhlbein gebunden. Man konnte also vom unteren Zimmer aus den Stuhl mittelst des Bindfadens vom Bett weg, fast bis an die gegenüberstehende Wand ziehen. Beim kaltblütigen Aufheben des wandernden Stuhles würde der zu leicht getäuschte Poltron den ihm gespielten Betrug auf der Stelle entdeckt haben. Aber der Ladendiener kannte wahrscheinlich seinen Helden.

Show 1 footnote

  1. Diese Geschichte ist mir in einem Brief, der bloß mit Schmidt bei Huntemann unterschrieben war, aus Bremen zugesandt worden. Zugleich war ihr eine Berichtigung der im zweiten Teil enthaltene Geschichte des Bremer Bleikellergespenstes beigefügt, die ich, da es mir nicht um Erzählungen allein, sondern um wahre, in allen Hauptzügen völlig glaubhafte Tatsachen zu tun ist, dem Publikum hier mitzuteilen schuldig bin; wie ich sie denn auch der etwaigen dritten Auflage jener Geschichte (für die zweite Auflage des zweiten Teils der Gespenster traf die Berichtigung zu spät ein) beifügen werde.
    Der kleine schwarze Teufel im Bleikeller zu Bremen ritt eben auf einem der Särge, als der Küster mit dem Fremden zu ihm hinab kam, und wies diesen grinsend die Zähne. Beide (nicht der Küster allein) eilten vor Entsetzen mit wankenden Knien die Treppe wider hinaus, ließen die Natur des Gespenstes völlig ununtersucht, froh, dass der Teufel sie ungeschoren ließ. Das durch die beiden Kommenden in Verlegenheit gesetzte Gespenst benutzte den Augenblick, in welchem diese vor Angst entflohen, und enteilte selbst unentdeckt und unerkannt dem Bierkeller mittels der Röhre eines Luftzuges. Die Teufelserscheinung, die bald ganz Bremen beschäftigte, würde daher ihr unbegreiflich wunderbares Ansehen nie verloren haben, wenn nicht der wahrheitsliebende Teufel selbst (des Schornsteinfegermeisters Herrn Fahles Lehrbursche ) sich sehr geschmeichelt gefunden hätte, den Schlüssel zum Rätsel allein in Händen zu haben.

    So viel zur Steuer der Wahrheit. Übrigens ersieht man aus dieser Berichtigung, dass es oft nur von dem guten Willen eines Einzigen abhängt, ob eine unbegreifliche Gespenstergeschichte auf immer unerklärbar bleiben, auf immer den Anschein der höchsten Wunderbarkeit behalten soll.