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Die Kreuzfahrer – Erster Band – 4. Kapitel

Felix Dahn
Die Kreuzfahrer
Erzählung aus dem 13. Jahrhundert
Verlag Otto Janke, Berlin, 1884
Erster Band, Erstes Buch
Am Saum der Wüste
Viertes Kapitel

»Beim reichen Gott im Himmel«, rief Friedmuth, »das ist Herrn Walthers Stimme!« Er sprang hastig auf und eilte aus dem Zelt, dem Ankömmling entgegen; langsamer folgte Herr Hermann.

Bald schritten ihm jene beiden Hand in Hand entgegen.

Der neue Gast zählte gut über fünfzig Jahre. Aus der offenen Kesselhaube, welche über dem Stirndach zwei fliegende Lerchen im blauen Feld wies, quoll das lange Haar, das noch in Fülle das edle Haupt, das freundliche und heitere Antlitz umrahmte. Das Gelock war schön kastanienbraun, aber schon stark mit Grau gemischt: noch mehr der krause Bart, der auf dieser Fahrt gar lang und breit gewachsen war. Der kluge, herzgescheute und herzgewinnende Blick des goldbraunen Auges war aber noch so jugendlich und noch so warm! Um den fein geschnittenen Mund spielte Güte und heitere, schalkhafte Laune, reichtönig und weichtönig erklang die schöne, die vielgeübte Stimme.

»Gott willkommen, edler Herr Walther! Welch guter Wind hat Euch gerade hierher geblasen?«

»Das Herz, mein hoher Herr von Salza, hat mich hergezogen. Friedilo und ich, wir sind alte gute Gesellen und Herzensfreunde, ob ich gleich sein Vater sein könnte, und Nachbarn seit vielen Jahren.«

»Nun, nähere Freunde als Nachbarn«, fiel dieser ein. »Aber zum Freund ist es niemals weit und gar oft habe ich frohe Rast gehalten und reiche Weide gefunden, als wäre ich selbst ein Falke und vom Kaiser Herrn Walther zur Pflege überwiesen, im guten Haus zur Vogelweide.«

»Leider ist es arm, das Häuslein und gar karg sind seine Zinse. Habe ich nur einmal, um das ich schon gar manchen Fürsten und drei römische Kaiser angesungen, habe ich nur erst ein Lehen, dann sollt Ihr den Walther als milden Wirt erkennen. Als ich nun in Eurer holden, buchengrünen Heimat, Herr Hermann, im Thüringer Land fahrend vernahm, der Herr Kaiser habe die Reichsministerialen des Etschlandes zur Kreuzfahrt aufgemahnt, – befehlen kann er es ja nicht! –, da wusste ich, dass der Fragsburger nicht säumen werde. Und so entschloss ich mich, die lang von mir gelobte Fahrt nun endlich anzutreten, der kleinen Schar an, welche der junge Landgraf, Herr Ludwig – frohe Tage habe ich gelebt auf seiner Wald umrauschten Wartburg – durch Bayerland über die Alpen und durch mein Eisacktal führte. Mein Dienstherr, der von Gufidaun, sah mich zwar ungern ziehen, aber zuletzt gab er mir doch Urlaub und schenkte mir zur Fahrt diesen grünen Waffenrock von Flanderzeug, und dieses wackere Hemd von Eisenschuppen und Maschen, in dem ich stecke vom Scheitel bis zur großen Zehe. Auch die Etschtaler Dienstmannen zogen Herrn Ludwig zu und wie warm empfing mich zu Bozen dieser Friedilo! So ritten wir denn zusammen die Etsch entlang nach Wälschland hinein, nur kurze Zeit getrennt bei Genua, wohin mich der Kaiser entbot und wo ich damals Euch, Herr Hermann, traf. Bei Perugia traf ich mit Friedmuth wieder zusammen und wir blieben beieinander bis zur Lagerung vor Joppe. Von da aus wurde der junge Held hierher geschickt, zur äußersten Vorhut an der Wüstemark. Mich Alten behielt der Herr Kaiser bei sich zurück.«

»Er wusste wohl warum«, gab Friedmuth lachend von sich. »Er liebt die edle, die frohe Kunst. Und wer in seinen weiten Reichen, wer singt, seit die Nachtigall von Hagenau, Herr Reinmar der Alte, verstummt ist, so süß wie dieser Liedermund?«

»Jawohl«, bestätigte der von Salza, »hat doch selbst Gottfried von Straßburg …«

»Den hat Frau Minne selbst gelehrt!«, unterbrach Walther.

»Nach Reimars Tod gesungen:

Wer leitet nun der Sänger Schar
Im süßen Minnesang?
Ich finde die, ich bin nicht bang,
Die würdig unser Banner trag′
Die Meisterin, die wohl das mag,
Die von der Vogelweide.«

Da fuhr Friedmuth fort:

Wie schallt ihr Lied so wundervoll
Hin über Flur und Heide!
Wie reich sie wandelieret,
Wie fein sie modulieret.

»Und wie sie jetzt sich schämet, zu reich mit Lob verbrämet!«, ergänzte Walther lachend.

»Als ich nun aber erfuhr, dass zu den Scharen links von dir Verstärkungen geschickt werden sollten, erbat und erhielt ich die Erlaubnis, mitzureiten. Ich bog nach rechts ab, als ich von fern dein Lagerfeuer sah. Ich wollte dir doch wieder einmal in die

steten Augen blicken. Morgen früh reite ich hinüber

auf meinen Posten.«

»Und ich mit Euch«, fügte Herr Hermann bei, »ich habe einen Auftrag an den Führer.«

»Was sind es für Ritter und wer ist der Führer?«, fragte Friedmuth.

»Schwaben vom Lech und Allgäuer von der Iller; und es führt sie der Freiberger.«

»Wie? Der Freiberger ? Der vieledle Herr von Eisenberg?«

»Jawohl, Herr Julius.«

»Den segne der lichte Himmelsherr!«, rief Friedmuth.

»Er hat ihn schon gesegnet«, sprach feierlich der Herr von Salza. »Denn er hat ihm das reinste Herz gegeben.«

»Mir aber hat heute der milde Gott hellste Freude gegönnt«, rief Friedmuth. »Er schickt mir die zwei liebsten Menschen, die mir auf Erden leben.«

»Gut, dass dich nicht Frau Wulfheid hört, die vielgestrenge«, sprach Walther lachend. »Sie trägt mir ohnehin wenig Gunst! Ein Sänger däucht ihr ein Tage­dieb in Gottes Welt und die Harfe gar unnützer Hausrat.«

»Ach ja«, meinte Friedmuth gutmütig. »Darüber gab es wohl oft Streit. Aber darüber auch allein. Sie mag nichts von der Dichtung hören. Und mir – mir ist sie so teuer! Mir selber ist Lied und Sang gänzlich versagt, aber ich höre es gar so gern! Ein edles Lied, zumal dieses Vogelweiders da, könnte mich fortziehen, fortreißen, berauschen wie edler starker Wein; aber nur zu guten Werken.«

»Und das«, erwiderte Walther froh gestimmt, »war Euer einziger Streit? Höre, Friedilo, du bist gar zu vergesslich! Oder gar zu gut! Eifersucht ist Frau Wulfheid so unentbehrlich zum Leben … so notwendig ihrer Art … wie … ja wie Atemholen! Da ihr nun der Getreueste aller Ehemänner nie auch nur die Möglichkeit des Argwohnes wegen eines Schürzleins gibt, wirft sich ihr unbeschäftigter Zorn auf seine Freunde.«

»Ja«, meinte Herr Hermann lächelnd, »in Eifersucht um ein Weib möchte ich die tapfere Tochter Herrn Wulfs nicht gerne sehen. War sie doch einmal unwirtlich gegen mich, nur weil ich ihr zu viel von ihren Mannes Gunst und Gedanken für mich zu nehmen schien.«

»Jawohl! Ist sie doch sogar auf Tiere eifersüchtig! Schenke ich dem guten Friedmuth da, weil ich weiß,  er hat die Vöglein gar lieb, wie jedes sinnige Menschenkind muss: Wer Vöglein nicht mag, der ist dumm oder böse oder beides zumal! Schenke ich ihm einen Steinrötel, ich sag Euch, Herr Hermann, einen Vogel – ich hatte ihn selbst gezogen, viel gescheiter als die meisten Menschen, einen Vogel wie ein liebes Englein! So zahm, so zutraulich! Und gelungen hat er – schöner als die Chorknaben im Dom. Hat denn auch Friedmuth große Freude an dem klugen Tier gehabt und hat ihm das Futter selbst aus Hand und Mund gereicht und hat ihn gestreichelt – so! Über die Flügeldecken hin! Und hat oft gar lange seinem herrlichen Gesang gelauscht.

Nun kurz: Wie ich wieder auf die Fragsburg komme, ist der Vogel fort und Fran Wulfheid sagt mir, im Glauben, ganz recht getan zu haben. Sie hat nämlich immer recht! Das dumme Vieh habe ich fliegen lassen, weil sich Friedmuth mehr mit ihm abgegeben hat als mit mir!«

»Das ist nun einmal ihre Art, zu lieben!«, entschuldigte Friedmuth.

»Die lohne ihr der üble Höllenwirt«, schmunzelte Walther.

Hermann sah, dass des Freundes offenes, heiteres Antlitz sich leise umwölkt hatte und lenkte ab.

»Wo habt Ihr Streitross und Reiseross gelassen?«, fragte er Walther.

»Bei den Knechten. Die letzte Strecke ging ich zu Fuß neben dem Reisegaul. Ich hatte unterwegs ein Lied eingefangen – oder das Lied mich – das in der Nachtluft flog. So die erste, die Grundgestalt eines Stückleins sinniert sich ganz gut im Sattel, aber Reim und Gegenreim findet man besser zu Fuß. So ließ ich mir denn die kleine Harfe vom Kamel – denn auch ein solches gab uns der Kaiser mit – herunterreichen. Die hatte es auch nicht geahnt, da sie der Meister zu Wien baute, dass sie einmal auf eines solch ungefügen Tieres Rücken liegen werde! Und hob an, zu greifen. Die Handschuhe an dem Schuppenhemd des Gufidauners habe ich mir längst abgehackt, nun trage ich sie über den Sattel gehängt, denn sonst müsste ich mich immer erst bis aufs Wams ausziehen, wenn mir was einfiel und ich es auf den Saiten spielen wollte. So ging ich denn zu Fuß im tiefen Sand und sang dazu, als ob ich mit der Herrin auf grüner kühler Heide zöge.«

»Weißt du es noch, Walther, wie du, so zu Fuß wandernd und steile Stiege stapfend, da wir über den Jaufen stiegen, auf der Bärenjagd im Waltental, aus dem Stegreif ein Lied sangst? Wie war es doch:

Deutsche Männer sind wohlgezogen,
Recht wie Engel sind die Frau′n von Art.«

»Ja! Das war dazumal!«

»Ja! Und Herr Leutold von Saeven war der Dritte! Weißt du noch, wie der dich damals ansang?«

Höre, Walther, wie′s mir steh,
Mein Trautgeselle von der Vogelweide!

»Wohl, wohl! Aber wer war doch der Vierte?«

»Das war dein Schüler, der eifrigste von allen, die dir nachstreben: der junge Herr von Rubein.«

»Freilich! Der ist so eifrig, dass er manchmal, ohne es zu merken, meine Reime in die seinen mengt! Nun! Schadet nichts! Ich mache halt neue!«

»Der träumt von dir am hellen Tag. Weißt du noch – wir anderen schliefen nach dem Jagdschmaus – da hatte er ein langes Loblied auf dich ersonnen und trug es uns vor. Ich glaube, ich kann es noch, so oft musste er es mir später wiederholen.«

»Als ich nicht dabei war!«

»Nun einmal«, meinte der Herr von Salza, »könnt Ihr es mir zuliebe wohl aushalten. Sag es mir, Friedilo, wenn du es noch weißt.«

Und Friedmuth hob an:

Kein liebes Vöglein kommt zu Leide,
Das dir in Garn und Schlaghaus geht!
Im Winter, wenn durch Wald und Heide
Der Eiswind und der Hunger weht,
Da trifft in deiner Halle Weide,
Was zierlich Schopf und Fittich dreht:
Frei, sonder Käfig, hüpfen sie
Auf Harfe dir, auf Buch und Knie.

Dann ruhst du, deckend Bein mit Beine,
Das Kinn geneigt zur Hand geschmiegt,
Bei mattem Wintersonnwendscheine
Durch Hänflingsang in Lenz gewiegt,
Indess nach Donau, Mur und Rheine
Erdenken frührer Zeit dir fliegt,
Gedenken, wie du rangst und strittst
Und wie du minntest, sangst und littst.

Doch, wann der Frühling kaum vom Weiten
Den scheoen Gruß der Halde beut,
Wann in dem roten, eisbefreiten
Geknosp der Saft sich schwellend neut,
Wann schüchtern um die Dämmerzeiten
Zuerst die Amsel lockt – wie heu′t!
Dann schließt du auf die Winterveste
Und hui entschwirren deine Gäste.

Und Undank ist nicht Vöglein Weise!
Sie kennt dich gut, die lust′ge Schar:
Ziehst du im Mai anf grüne Reise,
Wirst du geleitet wunderbar.
Das singt und flattert laut und leise
Zu Häupten dicht dir um das Haar
Und grüßt: Herr Wirt der Winterrast,
Im Wald bist du nun unser Gast.

Und nun hebt′s an. In Ätherreine
Trilliert der Lerchen Morgenchor,
Schwarzköpflein singt im Busch das Feine,
Herr Fink schlägt schmetternd dir ins Ohr,
Bachstelzlein wippt auf feuchtem Steine
Und aus dem Eichstumpf lugt hervor,
Mit silbertönigem Gepiep,
Zaunköniglein, der kleine Dieb.

Ja, rings im Buchhag schwankt kein Reislein,
Von dem kein Waldwillkomm! dir hallt:
Im Klopfen rasten Specht und Meislein.
Pirol, der flötet, dass es schallt,
Durch′s nied′re Weidicht schreit das Zeislein:
Herr Wather kam zum grünen Wald.
Und Nachtigall setzt sich zu ruh′n:
D kamst und singst; so schweig′ ich nun.