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Nick Carter – Eine sensationelle Gerichtsverhandlung – Kapitel 6

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Eine sensationelle Gerichtsverhandlung
Ein Detektivroman

Nick Carter vor Gericht

Durch seine unermüdlich fortgesetzten Nachforschungen war Nick Carter zu der felsenfesten Überzeugung von Herbert Masons Unschuld gelangt, und er hatte nicht gezögert, einen seiner Freunde zur Bürgschaftsstellung für den ihm äußerst sympathischen jungen Mann zu veranlassen, sodass derselbe an dem Tag, an welchen die Gerichtsverhandlung in Sachen Henry Alden gegen die Vereinigten Feuerversicherungsgesellschaften anberaumt war, sich wieder auf freiem Fuß befand.

Die Sachlage war eine äußerst verworrene. Siegte Mr. Alden in seinem Prozess, so geschah es, weil der Gegenpartei der Nachweis nicht gelang, dass das Schadenfeuer vorsätzlich und zum direkten Vorteil des Klägers angelegt worden war. Konnten dies die Beklagten nicht erhärten, so vermochten sie natürlich auch nicht zu beweisen, dass Herbert Mason der Brandstifter war.

Sache der beklagten Partei war es, die Beschuldigung vorliegender Brandstiftung zu erheben und dafür schlüssige Beweise zu erbringen. Das geschah alsbald, und einer der ersten Zeugen, welchen die beklagte Partei zu diesem Behuf auf den Zeugenstuhl berief, war Nick Carter.

Natürlich hatte die Verhandlung das weiteste Interesse erregt, und bei Prozessbeginn war der Gerichtssaal mit Zuhörern überfüllt, die nun mit gespanntem Interesse aufschauten, als in üblicher Weise der Name des großen Detektivs aufgerufen wurde. Kannte ihn doch jedermann vom Hörensagen, doch fast niemand unter den Anwesenden vom Sehen. Deshalb streckte man die Hälse nach ihm aus, als Nick Carter sich nun elastischen Schrittes zu dem Zeugenstuhl begab.

Selbst der Richter schaute voll gespannter Erwartung auf den mit unbefangener Miene im Zeugenstuhl sich Niederlassenden. Nachdem Nick vereidigt worden war, musste er auf Befragen des Anwalts der beklagten Partei in üblicher Weise Namen und Stand angeben.

»Nicholas Carter«, lautete die Antwort. »Von Beruf bin ich Detektiv.«

»Sind Sie mit der Detektivzentrale in direkter Verbindung, Mr. Carter?«

»Nein«, lautete die Antwort, »ich bin Privatdetektiv.«

Nachdem der Anwalt für die Beklagten sich vergewissert hatte, ob sich der Zeuge gewisser Vorgänge in der kritischen Nacht erinnerte und bejahende Antwort erhalten hatte, fuhr er fort: »Erinnern Sie sich, dass in jener Nacht ein Feuer ausbrach, welches Büro und Warenvorräte der Firma Henry Alden & Sohn von Grund auf vernichtete?«

»Jawohl, ich erinnere mich.«

»Waren Sie in jener Unglücksnacht in der Nähe des betreffenden Gebäudes?«

»Jawohl.«

Martin schaute ihn erstaunt und zugleich beunruhigt an. Doch Nick gewahrte auch im Zuhörerraum einen zweiten Mann, augenscheinlich aufs Höchste interessiert, aufstehen und sich vorbeugen. Trotz der gut gewählten Verkleidung erkannte er in diesem Mann Pullam, und ein stilles Lächeln breitete sich über seine Züge.

»So berichten Sie uns die von Ihnen gemachten Wahrnehmungen«, bedeutete ihm der Anwalt.

»Well, ich verfolgte eine von mir beargwöhnte Person. Ich folgte ihr bis an die Ecke von Wall- und Frontstreet, und in letzterer Straße verschwand mein Mann plötzlich. Als ich nun in jenem Block seinem Verbleiben nachspürte, kam ich auch an dem in der Waterstreet gelegenen Geschäftshaus der Firma Henry Alden & Sohn vorüber. Die Ladentür stand halb offen, und ich sah in dem hell erleuchteten Kontor noch zwei Männer an ihren Pulten sitzen.«

»Kannten Sie diese beiden Männer?«

»Damals kannte ich nur einen von ihnen, und zwar Mr. Alden, den Firmeninhaber selbst.«

»Der Kläger im heutigen Prozess?«

»Denselben. Seither habe ich den anderen als Mr. Herbert Mason kennen gelernt.«

»Es war dies Mr. Aldens Vertrauensclerk?«, fragte der Anwalt dazwischen.

»So habe ich inzwischen gehört. Doch um fortzufahren: Ich suchte weiter nach dem von mir Verfolgten. Als ich, gerade dem Alden’schen Geschäft gegenüber, einen geeigneten Versteckort fand, verbarg ich mich dort in der Hoffnung, mein Mann werde wieder auftauchen. Etwa nach Verlauf einer halben Stunde, ungefähr gegen elf Uhr nachts, gewahrte ich ein Cab, das vor dem Alden’schen Hause vorfuhr. Der Kutscher sprang vom Bock, trat an die Ladentür und rief den im Kontor befindlichen Männern etwas zu. Gleich darauf trat der von mir für Mr. Alden gehaltene Mann auf die Straße hinaus, stieg in den Wagen und fuhr davon. Doch als der Wagen fortfuhr, blieb ein Mann auf dem Bürgersteig zurück, der sich sofort versteckte.«

Martin, der sich bisher eifrig Notizen gemacht hatte, sprang bei den letzten Worten des Zeugen rasch auf und rief erstaunt: »Was ist das – was soll das heißen?«

Lächelnd wiederholte der Detektiv seine letzte Aussage nochmals. Der Gegenanwalt aber wendete sich Martin zu und fragte, augenscheinlich belustigt: »Hat der Kollege eine Einwendung?«

»Durchaus nicht … Ich verstand den Zeugen nicht recht, das ist alles!«, stammelte Martin.

»Nun, Zeuge, dann fahren Sie fort!«

»Etwa zehn Minuten später trat Herbert Mason unter die Ladentür, blieb einen Moment stehen und eilte dann zur Pinestreet. Dort weilte er kurze Zeit, begab sich wieder zum Laden zurück und lief von Neuem zu der Ecke der Wallstreet. Dort schaute er sich um, rief laut nach einem Policeman und kehrte wieder zum Laden zurück, unter dessen Tür er stehen blieb.«

»Hörte denn ein Policeman den Ruf?«, wollte der Anwalt der beklagten Partei wissen.

»Auf jeden Fall, denn ein solcher erreichte die Ladentür fast gleichzeitig mit mir.«

»So gaben auch Sie dem Ruf Folge, Mr. Carter?«

»Gewiss. Ich hörte den Buchhalter dem Policeman auseinandersetzen, dass sein Chef, Mr. Alden, aus Versehen die Schlüssel mitgenommen haben müsste; Mason wollte nun einen Polizisten herbeirufen, um diesen den Laden bewachen zu lassen, während er selbst Mr. Alden nacheilen und sich von ihm die Schlüssel wiedergeben lassen wollte.«

»In Wirklichkeit hatte Mr. Alden aber die Schlüssel gar nicht mitgenommen?«

»Das weiß ich nicht, Herr Anwalt.«

»Sie wissen auch nicht, dass es nicht der Fall war?«, fragte der Anwalt scharf.

»Nein. Ich weiß nur, dass ich den Schlüsselbund in der Ladentür stecken sah und Mr. Mason darauf erklärte, kurz zuvor hätte der Schlüssel nicht darin gesteckt.«

»Und Sie schenkten seiner Versicherung Glauben?«, wollte der beklagte Anwalt wissen.

»Ich schenkte seiner Versicherung Glauben«, bestätigte der Zeuge.

Der Anwalt schaute ihn unschlüssig an. »Fahren Sie fort«, sagte er schließlich.

»Well, es gibt nicht mehr viel zu berichten. Mit den wiedergefundenen Schlüsseln verschloss Mr. Mason die Tür und entfernte sich. Da ich die Spur des von mir Verfolgten in dem entstandenen Durcheinander ohnehin verloren hatte, ging auch ich meiner Wege.«

»Wann geschah dies ungefähr?«

»Etwa um Mitternacht.«

»Wie lange nachher brach das Feuer aus, Mr. Carter?«

»Wie ich gehört habe, etwa eine Stunde später. Aus eigener Wahrnehmung kann ich darüber nichts sagen.«

»Jedenfalls verließ der Buchhalter als Letzter die Ladenräumlichkeiten, nicht wahr?«

Lächelnd schüttelte Nick mit dem Kopfe. »Das möchte ich nicht behaupten.«

»Warum nicht? Sie waren doch dabei, wie er die Tür verschloss?«

»Das wohl. Doch er muss nicht die letzte Person gewesen sein«, wich der Detektiv von Neuem lächelnd aus.

»Gut«, erklärte der Anwalt mit einer Handbewegung an Martin. »Der Zeuge steht zu Ihrer Verfügung.«

In der Hand das Papier mit den inzwischen gemachten Notizen, erhob sich Martin. Scharfe Beobachter hätten wahrnehmen können, dass seine Hand mit dem Blatt darin nervös bebte. Es war ihm anzusehen, dass er mühsam nach Fassung rang. Irgendetwas, das der Gegenpartei noch unbekannt war, musste ihn beunruhigt haben. Er beugte sich zu seinem Gehilfen, der sich gleichzeitig mit ihm erhoben hatte, und sprach flüsternd auf diesen ein. Doch da mischte sich auch schon der Richter mit der scharfen Bemerkung ein: »Der Gerichtshof wartet auf die Partei.«

»Euer Ehren«, wendete sich Martin in einiger Verwirrung an den Vorsitzenden, »während der Vernehmung des Zeugen wurde mir eine Information zuteil, welche mich bei der Befragung wesentlich beeinflussen dürfte. Ich bitte den Gerichtshof, mir etwa zwei Minuten, die ich zur Feststellung brauche, zu gewähren.«

»Ich widerspreche«, fiel der Gegenanwalt ein.

»Meine Bitte bezieht sich weniger auf diesen Fall als auf einen anderen, der unmittelbar aus ihm folgen muss«, meinte Martin von Neuem.

»Soll das heißen, dass Sie einen anderen Zeugen gehört haben wollen, ehe Sie an Mr. Carters Vernehmung gehen?«, erkundigte sich der Richter.

»Unter keinen Umständen«, erklärte Martin hastig. »Ich will nur eine oder zwei Fragen an eine Person stellen, die sich eben noch im Gerichtssaal befand. Ich wünsche den Letzteren auf etwa zwei Minuten verlassen … Das ist alles.«

Inzwischen hatte Martins Gehilfe bereits die den Zeugenraum absperrende Barriere geöffnet, und von dem erhöhten Zeugenstuhl aus vermochte Nick Carter deutlich zu gewahren, wie von verschiedenen Orten des Zuhörerraumes aus drei Männer sich erhoben, um den Saal zu verlassen. In dem einen hatte er bereits Pullam erkannt; die beiden anderen schienen ihm trotz ihrer, seiner Ansicht nach, herzlich ungeschickten Verkleidung Smiler Brooks und Doxey Hart zu sein.

»Sie haben die Verhandlung bereits länger als zwei Minuten aufgehalten«, entschied der Richter. »Nötigenfalls können Sie den Zeugen später nochmals hören. Jetzt beginnen Sie mit der Gegenbefragung …«

Doch da ereignete sich ein seltsamer Zwischenfall, der auch die Aufmerksamkeit des Vorsitzenden erregte. Nick Carter erhob sich aus seinem Stuhl und winkte in besonderer Weise mit der Rechten. Das war schnell geschehen, und in der Sekunde darauf saß er schon wieder im Stuhl.

Im nämlichen Augenblick erhoben sich zwei Männer im Zuhörerraum und eilten aus dem Saal, gefolgt von einer jungen Dame, die gleichfalls unter den Zuhörern gesessen hatte.

»Was soll das bedeuten?«, wendete sich der Richter an den Detektiv.

Dieser lehnte sich über den Richtertisch und sprach auf den Vorsitzenden in leiser, nur diesem verständlicher Weise ein.

Martin trat vor. »Ich will wissen, was der Zeuge gesagt hat!«, rief er herausfordernd.

»Die Bemerkung des Zeugen hat mit dem uns beschäftigenden Fall nichts zu tun«, lehnte der Richter kurz das Ansinnen ab.

»Die Bemerkung gehört ins Sitzungsprotokoll!«, rief der Anwalt erregt.

Der Vorsitzende schaute ihn scharf an. »Nein, sie gehört nichts in Protokoll, sondern war lediglich eine Privatbemerkung. Sie konnte auch von der Jury nicht gehört werden.« Er wendete sich an den Gerichtsstenographen. »Haben Sie die Bemerkung des Zeugen aufgenommen?«

»Das konnte ich nicht, denn ich habe keine Bemerkung gehört«, lautete die Antwort.

Auch die Geschworenen hatten nichts gehört, wie der Richter durch deren Befragung feststellte. »Well«, sagte er nun mit erhobener Stimme, »der Gerichtshof stellt fest, dass der Zeuge im Zuhörerraum drei Männer wahrnahm, welche in einem anderen, von dem heute uns beschäftigenden unabhängigen Fall verdächtig erscheinen. Der Zeuge sah diese drei Männer den Saal verlassen, und seine auch vom Gerichtshof bemerkte Handlungsweise enthielt nur einen Wink an seine gleichfalls im Zuhörerraum befindlichen Gehilfen, die Verdächtigen nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist alles. Nun, Anwalt Martin, fahren Sie in der Verhandlung fort.«

Nick schien die Erklärung des Richters augenscheinlich nicht angenehm zu sein. Sicherlich hätte Martin, der besser wusste, was des Detektivs Handlungsweise eigentlich zu bedeuten hatte, über die naive Auffassung des Vorsitzenden gelächelt, wäre er nicht zu aufgeregt gewesen.

Die Gehilfen des Detektivs hatten indessen schon den Saal verlassen, als der Richter seine Erklärung abgab, und es blieb Martin nichts anderes übrig, als mit der Befragung des Zeugen zu beginnen. Wie um seiner Gereiztheit Luft zu machen, stieß er hervor: »Well, Zeuge, Sie sind also, was man einen berühmten Detektiv nennt?«

»Wie soll ich das wissen?«, antwortete Nick gelassen.

Allgemeines Gelächter durchbrauste den Saal, in welches auch der Richter mit nachsichtigem Lächeln einstimmte. Das schien indessen Martin nur noch mehr zu verdrießen.

»Well«, sprudelte er hervor, »pflegen berühmte Detektive die von ihnen Verfolgten unterwegs zu verlieren?«

Unter erneutem Lachen des Auditoriums erwiderte Nick ernsthaft: »Manchmal, wenn der von dem berühmten Detektiv Verfolgte noch schlauer als der Verfolger ist.«

»Ich wünsche, dass der Zeuge keine billigen Witze reißt«, donnerte der Anwalt unter der erneuten Heiterkeit der Anwesenden. »Die uns beschäftigende Sache ist dafür zu ernst. Ich frage den Zeugen, folgte er in der kritischen Nacht einem ihm verdächtig Erscheinenden?«

»Ja, das tat ich«, antwortete Nick gelassen. »Der Polizeichef einer westlichen Stadt bat mich, mich nach einem flüchtigen Bankkassierer, der wahrscheinlich hier in New York Unterschlupf gesucht hatte, umzusehen. Nach der mir zugänglich gewordenen dürftigen Personalbeschreibung glaubte ich in einem mir zufällig in den Weg laufenden Mann den Gesuchten zu erkennen, und ich folgte diesem nur zu dem Behuf, seine Persönlichkeit festzustellen.«

»Bringen Sie nun diesen Mann in irgendwelche Verbindung mit der Feuersbrunst?«

»Durchaus nicht. Ich möchte eher annehmen, dass er zur Zeit des Feuerausbruchs weit entfernt von der Waterstreet war. Ich betonte bereits, dass der ganze Vorfall nur erklärt, warum ich gerade zu jener Stunde in der Nähe des Alden’schen Ladens mich befand.«

»Sie sagten nun aus, dass Mr. Mason nach Mr. Aldens Entfernung allein im Laden zurückblieb, also die einzige Person in diesem war … die letzte Person vor Ausbruch des Feuers?«

»Das habe ich durchaus nicht ausgesagt.«

»Wie?«, ereiferte sich Martin. »Bezeugten Sie nicht unter Ihrem Eide, dass die letzte Person im Laden, bevor dieser geschlossen wurde, Mr. Mason war?«

»Nein, das sagte ich nicht aus.«

Sofort forderte der Anwalt den Gerichtsstenografen auf, in seinem Protokoll nachzusehen, und es ergab sich aus diesem, dass der Detektiv recht hatte.

»Well«, knurrte der Anwalt. »Sie bezeugten das Anfahren eines Wagens vor dem Alden’schen Geschäft?«

»Nein, ich bezeugte, dass ein einspänniges Cab vorfuhr, dass der Kutscher von seinem Sitz kletterte, sich unter die Ladentür begab und von dort aus laut in den Laden rief.«

»Auf den Ruf hin kam Mr. Alden auf die Straße?«

»Jawohl, ein Mann, welchen ich für Mr. Alden hielt.«

»Und Sie nahmen an, dass das Cab vorher von Mr. Alden bestellt worden war?«

»Allerdings.«

»Sie sahen also nun Mr. Alden aus dem Laden kommen?«

»Gewiss, den von mir für Mr. Alden gehaltenen Mann«, antwortete Nick gelassen.

»War es hell genug in der Straße, um Ihnen eine solche Wahrnehmung zu gestatten?«

»Eine elektrische Bogenlampe hing über der Tür und verbreitete genügende Helle.«

»Sie wissen also, dass es Mr. Alden war?«, betonte der Anwalt.

»Ich glaubte, ganz sicher zu sein, dass es Mr. Alden war«, räumte der Detektiv ein.

»Hm, kennen Sie denn auch den Cabkutscher?«, fragte Martin gedehnt.

»Jawohl, ich kenne ihn«, lautete die lächelnd gegebene Erwiderung.

»Sie erkannten ihn ebenso genau, wie Sie Mr. Alden erkannten?«, erkundigte sich der Anwalt, stutzig werdend.

Der Detektiv nickte. »Ja, ich weiß ebenso genau, wer der Kutscher war.«

Diese Antworten schienen dem Anwalt nicht zu gefallen. Er zögerte nachdenklich eine Weile, und statt seiner fragte plötzlich der Richter: »Nennen Sie den Namen des Kutschers, Zeuge.«

»Doxey Hart«, lautete Nicks blitzschnell gegebene Antwort.

Wie von einer Tarantel gestochen fuhr Martin auf; doch er beherrschte sich und sagte: »Eh, dieser Doxey Hart wird in einem bekannten Leihstall als Kutscher beschäftigt, was?«

»In der kritischen Nacht wurde er als Aushilfskutscher verwendet. Er verrichtet indessen nur Kutschdienste, wenn er nicht seiner eigentlichen Beschäftigung als Feuerwanze nachgeht.«

Nicks Antwort erregte die ungeheuerste Sensation, und dies umso mehr, als gerade im selben Moment Martins Gehilfe, in Begleitung Doxey Harts, wieder in den Saal trat. Von seinem Sitz aus vermochte der Detektiv wahrzunehmen, dass unmittelbar hinter den beiden Smiler Brooks und Pullam auftauchten und diesen auf dem Fuße Chick und Patsy folgten, die sich nun in unmittelbarer Nähe der Ausgangstür niederließen.

Geschmeidig hatte sich Martins Gehilfe durch die Menge gewunden. Nun stand er neben seinem Chef und wisperte diesem aufgeregt etwas zu; die ebenso leise gegebene Antwort Martins schien den Ersten lebhaft zu beunruhigen.

Wieder sah der Vorsitzende sich veranlasst, Martin zum Fortfahren zu nötigen.

Unwillkürlich wendete sich der Anwalt wieder nach dem Zeugenstuhl. Zögernd meinte er: »Euer Ehren, ich beantrage die Streichung der letzten Antwort aus dem Protokoll. Wir sind nicht hier, um die Meinung dieses Privatdetektivs über dritte, einerlei, ob es sich um ehrliche Leute oder Schurken handelt, zu hören.«

Ehe der Vorsitzende aber sprechen konnte, war Nick Carter ihm schon ins Wort gefallen.

»Euer Ehren«, sagte er mit erhobener Stimme, »es ist kein bloßer Argwohn. Doxey Hart wurde festgenommen, angeklagt, verhört und verurteilt. Er hatte als gefährlicher Brandstifter mehrere Jahre im Zuchthaus zu Sing Sing Aufenthalt zu nehmen.«

Umsonst hatte Martin dem Zeugen ins Wort fallen wollen; nun bestand er erregt darauf, dass wenigstens die letzte Antwort aus dem Protokoll gestrichen werden sollte.

Der Richter ordnete die Streichung an. Doch es geschah mit einem Blick auf den Anwalt der beklagten Partei, der zu sagen schien: »Sieh zu, dass die Antwort ins Protokoll kommt!«

»Well«, meinte Martin nun mit erhobener Stimme. »Ich wünsche, Mr. Carter, dass Sie sich in Zukunft nur auf Beantwortung Ihnen gestellter Fragen beschränken. Um zur Sache zu kommen: Als Mr. Alden fortfuhr, waren Ihre Wahrnehmungen ziemlich zu Ende, eh?«

»Nicht ganz«, erklärte Nick lächelnd. »Es fehlt noch eine Kleinigkeit. Als der Wagen fortfuhr, stand ein Mann auf dem Trottoir, der dort nicht gestanden hatte, als das Cab angekommen war.«

Diese Antwort schien Martin und seinen Gehilfen zu bestürzen, und der Erstere fragte rasch: »Woher kam dieser Mann?«

»Woher?«, fragte Nick Carter gedehnt zurück. »Nun, aus der Kutsche kam er.«

»Was, Sie sagen, der Mann stieg aus dem Cab, als Mr. Alden aus dem Laden trat, um einzusteigen?«

»Ganz gewiss. Eine andere Erklärung für sein plötzliches Auftauchen gibt es nicht.«

»Wollen Sie auf Ihren Zeugeneid aussagen, dieser Mann sei nicht identisch mit dem von Ihnen Verfolgten gewesen?«, fragte Martin mit hohlem Pathos.

»Das nehme ich auf meinen Eid – und ebenso beschwöre ich, dass dieser Mann Smiler Brooks, ein anderer berüchtigter Brandstifter, war«, lautete die Antwort.

»Euer Ehren, diese Antwort muss gestrichen werden!«, wendete sich Martin erregt an den Vorsitzenden.

»Abgelehnt!«, entschied dieser unter abweisendem Kopfschütteln.

Noch verdutzter als zuvor wendete Martin sich wieder an den Zeugen. »Auf Ihren Eid hin behaupten Sie, die Schlüssel im Schloss der Ladentür steckend gefunden zu haben?«

»Ganz gewiss.«

»Dann ist also Masons Aussage, die Schlüssel hätten auf Mr. Aldens Pult gelegen, erlogen?«

»Hm, ich halte sie für wahr, zumal auch Mr. Alden dies behauptet hat.«

Martin wurde immer verwirrter. »Das ist richtig«, stotterte er. »Doch wie kamen die Schlüssel dann ins Türschloss?«

»Ich nehme an, Mr. Alden nahm den Schlüsselbund mit sich fort.«

»Und steckte die Schlüssel in die äußere Ladentür?«, rief Martin rasch dazwischen.

»Nicht doch«, widersprach der Detektiv mit unverwüstlicher Ruhe. »Er händigte sie Brooks aus, mit welchem er am Wagenschlag zusammentraf.«

»Das können Sie nicht wissen, das können Sie nur annehmen!«, entgegnete Martin lebhaft.

»Doch, ich weiß es!«, versetzte Nick unter atemloser Spannung im Zuhörerraum.

»Aber woher wollen Sie das wissen können?«, krähte der Anwalt.

»Weil ich hörte, wie Brooks selbst es zu einem Ihrer Klienten, einem gewissen Mr. Pullam, sagte!«, rief Nick mit einer durch den ganzen weiten Raum tönenden Stimme.

Seine Worte erregten ungeheures Aufsehen. Selbst der Distriktanwalt, der bisher der Verhandlung nur als unbeteiligter Zuhörer beigewohnt hatte, trat interessiert näher, während Martin in wortloser Bestürzung ingrimmig den gefährlichen Zeugen mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.

»Euer Ehren, die Antwort muss gestrichen werden!«, sagte er schließlich, mühsam seine Fassung bewahrend.

»Ich widerspreche, Euer Ehren!«, fuhr der gegnerische Anwalt dazwischen. »Wie mir soeben der öffentliche Ankläger versichert, nützen die von meinem Kollegen im Kreuzverhör gewonnenen Zeugenaussagen der Gerechtigkeitspflege mehr als die ganze bisherige Advokatenpraxis meines ehrenwerten Kollegen.«

»Abgelehnt!«, sagte der Richter scharf.

»Wollen Sie behaupten«, fuhr der in die Enge getriebene Martin den Zeugen wieder an, »dass Brooks in den Laden später einzudringen versuchte?«

»Nein, das behaupte ich durchaus nicht!«

»Nun, was behaupten Sie dann?«, höhnte der Anwalt.

»Ich behaupte, dass Brooks sich schon vorher in den Alden’schen Laden eingeschlichen und sich in ihm versteckt hatte, als der ahnungslose Herbert Mason die Ladentür abschloss.«

Lebhafte Unruhe und Erregung folgten dieser unerwarteten Zeugenaussage. Martins Gehilfe stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte, einigen Personen im Zuhörerraum lebhaft zuzuwinken. Sofort erhoben sich auch drei Mann, augenscheinlich in der Absicht, den Saal zu verlassen.

Doch Chick und Patsy standen bereits mit dem Rücken gegen die Ausgangstür, und der diese bewachende Gerichtspolizist tat, rasch von ihnen verständigt, ein Gleiches.

Das allgemeine Durcheinander wurde von der ärgerlichen Stimme des Richters übertönt, der anordnete, dass es niemandem gestattet werden sollte, in den Saal einzutreten oder diesen zu verlassen.

»Wissen Sie auch, Zeuge«, rief der klägerische Anwalt empört aus, »dass Sie in Ihrer rücksichtslosen Weise einen ehrenwerten Mann beschmutzen?«

»Well, das ist meine Absicht. Ich halte Brooks für den Brandstifter«, äußerte Nick gelassen.

Unter maßloser Erregung erklärte Martin fast schreiend, dass nicht von Brooks, wohl aber von Mr. Henry Alden die Rede sei und dieser verunglimpft erscheine.

Es kostete den Richter gewaltige Anstrengung, wieder Ruhe im Saal herzustellen. Dann erklärte Martin, der inzwischen eifrig Rücksprache mit seinem Gehilfen genommen hatte, dass er an den Zeugen keine Frage mehr zu stellen habe. Doch ehe Nick sich zum Verlassen des Zeugenstandes anschicken konnte, rief der gegnerische Anwalt, augenscheinlich auf Veranlassung des neben ihm stehenden Distriktanwalts: »Bleiben Sie sitzen, Mr. Carter, denn ich habe noch einige Fragen an Sie zu richten!«