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Der Hexer 30

Robert Craven (Frank Rehfeld)
Der Hexer, Band 22
Die Hand des Dämons

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 04. Februar 1986, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Gabriel

Der Wald war wie eine düstere Wand aus ineinander verwobenen Schatten und mannshohem Unterholz, die nicht nur das Licht, sondern auch jeden Laut wie ein gewaltiger Schwamm aus gestaltgewordener Nacht verschluckte. Die Kronen der knorrigen, uralten Bäume waren im Lauf der Jahrhunderte zu einem fast undurchdringlichen Dach zusammengewachsen, da auch am hellen Tage noch einen Zustand beständiger Dämmerung erzeugte, und abgesehen vom monotonen Prasseln der Regentropfen auf den Blättern war es totenstill. Nicht einmal Vogelzwitschern war zu vernehmen, als spürte selbst die Tiere die verderbliche Magie dieses Ortes.

Leseprobe

Die Welt des Hexers

Die Insel Krakatau ist durch einen gewaltigen Vulkanausbruch vernichtet worden; auch das Ringen um das zweite der SIEBEN SIEGEL DER MACHT hat Robert Craven verloren. Aber er hat erfahren, dass Priscylla, seine totgeglaubte Freundin, noch lebt – und sich in Necrons Gewalt befindet. Necrons Sitz ist die Drachenburg, irgendwo in den Weiten der Mojave-Wüste. Sie zu finden, ist Roberts nächstes Ziel. Nicht allein, um den uralten, verhassten Feind zu töten und damit die Jagd auf die Siegel zu beenden. Er liebt Priscylla noch immer, und er hat sich geschworen, sie zu retten.

Soweit der kurze Rückblick. Den verbleibenden Platz möchte ich nutzen, um noch einmal – für alle Leser, die erst jetzt in die Serie eingestiegen sind – die HEXER-Saga zu erklären:

Wir schreiben das Jahr 1886. Robert Craven, der Sohn eines Magiers, kämpft einen verzweifelten Kampf gegen eine uralte Rasse mächtiger, in Halbschlaf versunkener Wesen: die GROßEN ALTEN. Dreizehn von ihnen bedrohen die Erde. Ein Teil ihres Geistes gelangte durch einen Dimensionsriss auf unsere Welt und versucht, die noch schlafenden Körper zu erwecken. Ihre Diener, die Shoggoten – vergängliche Protoplasma-Wesen – bereiten ihre Wiederkunft vor.

Zusammen mit seinem Freund und Mentor Howard Lovecraft und dessen hünenhaftem Diener Rowlf stellt sich Robert Craven den Göttern aus grauer Vorzeit entgegen.

Necron, der Herr der Drachenburg, dessen Vorfahren einen Fluch gegen Roberts Vater aussprachen und ihn durch einen der GROßEN ALTEN töten ließen, verfolgt gefährliche Pläne. Mit der Hilfe von sieben Kleinodien, den SIEBEN SIEGELN DER MACHT, will er die ALTEN erwecken. Zwei der Siegel sind bereits in seinem Besitz; fügt er alle zusammen, sprengt er den Kerker zwischen den Dimensionen, in dem die uralten Dämonen gefangen sind. Und die Erde ist verloren.

In Necrons Besitz befindet sich das NECRONOMICON, das Buch des Bösen, das einst Roberts Vater besaß. Mit seiner Hilfe kann er sich, wenn die GROßEN ALTEN erwachen, zum Herrn der Welt aufschwingen.

Verständlich, dass es jemanden geben muss, der das verhindern will. Ratet mal, wer es ist …

 

*

 

Vernon Brewster musste sich ducken, um sich nicht das Gesicht von tief hängenden Zweigen zerkratzen zu lassen. Er schauderte. Obwohl er die Strecke seit Jahren jeden Tag zweimal zurücklegte, hatte er sich nicht an die unheimliche Atmosphäre gewöhnt, die in diesem Teil des Waldes herrschte. Die Stille wirkte auf eine furchterregende Weise fremdartig, wie ein lähmender, sich mit jedem Schritt steigernder Schrecken, eine kreaturliche Furcht, die wie auf dürren Spinnenbeinen durch seinen Geist kroch und tief in seinem Inneren etwas berührte, gegen das jede logische Überlegung machtlos war. Hunderte Male hatte er dieses unterschwellige Grauen schon empfunden und es niedergekämpft, denn er wusste, dass es nach wenigen Dutzend Yards verblassen würde. Und trotzdem war es jedes Mal so schlimm wie am ersten Tag.

Er schritt schneller aus. Bei jedem Schritt versanken seine Füße ein wenig in dem Morast, in den der Regen den Waldboden verwandelt hatte. Tropfen fielen von den Blättern herab und trafen sein Gesicht wie kleine eisige Nadeln. Mit klammen Fingern griff die Feuchtigkeit nach ihm, drang durch seine Kleidung und verursachte ein zusätzliches körperliches Unbehagen. Brewster fluchte und zog die Kapuze noch ein wenig tiefer in die Stirn.

Endlich sah er zwischen den Bäumen das Gerüst des Feuerturms und ging schneller, um die kleine Lichtung zu erreichen, in deren Mitte der Turm stand.

Beinahe schlagartig wich die dumpfe Beklemmung, die ihn befallen hatte. Dafür war er dem Regen nun schonungslos ausgesetzt. Rasch lief Brewster das kurze Stück bis zum Fuß der Treppe, die sich in kleinen Absätzen zwischen den Masten in die Höhe schraubte.

Irgendetwas stimmt nicht mit diesem Wald, dachte Brewster, während er mühsam die steile Treppe emporstieg, deren Holz bei jedem Schritt knarrte. Er strahlt eine ungesunde Atmosphäre aus, eine düstere Aura, der sich niemand zu entziehen vermag.

Zahlreiche Legenden rankten sich um finstere Geheimnisse, die im Zentrum des Waldes verborgen liegen sollten, dort, wo sich das Anwesen des Grauen Bredshaw befand.

Das war auch der Grund, warum Vernon Brewster hergekommen war. Die Einwohner von Arcenborough mieden den Wald, und keiner von ihnen war auch für viel Geld dazu zu bewegen gewesen, als Brandwache auf den Feuerturm zu steigen, da er kaum mehr als eine Meile von dem Anwesen entfernt lag. Der hohe Sold für den Posten hatte Vernon dazu verlockt, nach Arcenborough zu ziehen. Es gab nicht viele Stellen für einen einarmigen Krüppel, und er hatte eine Familie zu versorgen. Er konnte nicht wählerisch sein.

Andernfalls hätte er den Job längst aufgegeben. Im Ort wurde er wie ein Aussätziger behandelt. Die Menschen mieden seine Nähe, als hätte sich die düstere Ausstrahlung des Waldes wie eine unsichtbare Aura auf ihn übertragen.

Brewster erreichte die Höhe der Baumkronen und schließlich die Plattform des Turmes. Das Holz der Tür war im Laufe der Zeit aufgequollen. Das vertraute, schabende Quietschen ertönte, als er sie aufstieß, und ein Schwall feuchtkalter, nach Moder riechender Luft schlug ihm entgegen. Vernon Brewster trat ein und schloss die Tür rasch wieder hinter sich. Er zog den tropfenden Mantel aus und hängte ihn an einen Haken.

Eine schmale Brüstung umrahmte die Plattform, darüber waren Glasscheiben eingesetzt, die einen ungehinderten Blick in alle Richtungen erlaubten. Vernon trat an sie heran und blickte auf das Land, das sich unter ihm ausbreitete. Zum wiederholten Mal verfluchte er seinen Job. Es war nicht nur völlig unnötig, sondern geradezu idiotisch, an Tagen wie diesem eine Brandwache aufzustellen. Der Regen hatte alles so durchnässt, dass keinerlei Gefahr bestand, irgendwo könnte ein Feuer ausbrechen.

Im Sommer sah das schon anders aus. Wenn es manchmal wochenlang nicht regnete und die Sonne das Land austrocknete, mochte ein winziger Funke genügen, einen Waldbrand auszulösen. Aber bei einem Sauwetter wie diesem?

Vernon dachte an seine kleine, aber behagliche geheizte Stube zu Hause, und seine Laune sank noch tiefer. Langsam drehte er sich um seine Achse und ließ den Blick über das monotone Grün des Waldes schweifen.

In nördlicher Richtung sah Brewster das verträumt zwischen den sanft ansteigenden Hügeln liegende Dorf wie einen Bestandteil einer anderen Welt als der, in die er sich vorgewagt hatte. Im Südwesten konnte er das Anwesen des Grauen Bredshaw erkennen, ein scheinbar normales Landhaus, wenn auch von seiner Größe und Pracht her ungewöhnlich für diese Gegend, in der es fast nur Holzfällerhütten und einige Dutzend Farmen gab.

Es fiel Vernon Brewster auf eine unerklärbare Weise schwer, den Blick auf die Gebäude gerichtet zu halten. Sobald er sich länger als ein paar Sekunden darauf konzentrierte, verschwamm das Bild vor seinen Augen, als lege sich ein substanzloser grauer Schleier darüber, der zwar nicht völlig undurchsichtig war, aber trotzdem verhinderte, dass er das Anwesen wirklich sah.

Auch mit dem Fernglas hatte er es schon versucht, aber das Ergebnis war noch bescheidener gewesen. Es war ihm nicht gelungen, die Linsen scharf einzustellen, alles war schemenhaft und verschwommen geblieben. Ein unerklärbares Rätsel, das sich zu den zahlreichen Legenden gesellte, über die Brewster sich bemühte, nicht weiter nachzudenken.

Er ließ sich auf einer Holzbank nieder. Wie jeden Tag griffen Langeweile und Einsamkeit nach ihm, zwei Empfindungen, die ihn im Laufe der Jahre gelehrt hatten, seinen Job aus vollem Herzen zu hassen. Wenn er wenigstens lesen könnte, wäre alles erträglicher gewesen. Aber sein Vater war ein einfacher Viehzüchter auf einer großen Ranch gewesen und hatte sich den Luxus eines Schulgeldes für seinen Sohn nicht leisten können, zumal Vernon nicht einmal das einzige Kind gewesen war. Auch er hatte bereits in jungen Jahren gelernt, wie man Rinder großzog und die Tiere zum Verkauf in die Städte trieb, bis er vor vier Jahren von einer durchgehenden Herde fast zu Tode getrampelt worden wäre. Sein rechter Arm war zerquetscht worden und hatte bis fast zur Schulter hinauf amputiert werden müssen. Vernon vertrieb den Gedanken. Es gab Erinnerungen, die noch schlimmer als die Einsamkeit hier oben waren.

In quälender Langsamkeit verstrichen die Stunden. Das Wetter besserte sich nicht. Die Ausläufer der Sierra Nevada im Südwesten Amerikas waren berüchtigt für ihr raues Klima, und im Oktober war Sonnenschein schon eine Seltenheit. Drei Wochen dauerte es noch bis zur Winterpause, die bis zum Februar währte. Immerhin wurde er auch in dieser Zeit voll bezahlt. Die freien Monate waren ein Ersatz für die Wochenenden und die Feiertage, die er durcharbeiten musste.

Vernon freute sich auf die freie Zeit. Außerhalb der Winterpause gab es für ihn so gut wie kein Familienleben. Er dachte an seine Kinder, die dreijährige Rebecca und den siebenjährigen Timothy, die praktisch ohne Vater aufwuchsen, weil es dem Halsabschneider von Rancher gelungen war, den Unfall als sein eigenes Verschulden hinzustellen. Wenn er abends nach Hause kam, lagen sie bereits in ihren Betten, und wenn er morgens das Haus verließ, dann schliefen sie noch. Im Grunde, dachte er betrübt, waren seine Kinder für ihn nichts weiter als zwei schlafende, blasse Gesichter auf verschlissener Bettwäsche.

Ein Schrei riss Vernon Brewster in die Realität zurück. Er schrak hoch und blickte sich verwirrt um. Der Schrei war laut und schrill gewesen, seltsam verzerrt und auf eine bizarre Art unmenschlich. Aber es war auch nicht der Schrei eines Tieres gewesen. Vernon war sich sicher, dass er einen so entsetzlichen Laut noch niemals zuvor gehört hatte, nicht einmal hier, auf dem Turm, dessen Einsamkeit der beste Nährboden für Illusionen und Trugbilder war. Der Schrei war so laut gewesen, als ob er unmittelbar neben ihm ausgestoßen worden wäre.

Und doch war er allein auf dem Turm …