Archive

Die Kreuzfahrer – Erster Band – 2. Kapitel

Felix Dahn
Die Kreuzfahrer
Erzählung aus dem 13. Jahrhundert
Verlag Otto Janke, Berlin, 1884
Erster Band, Erstes Buch
Am Saum der Wüste
Zweites Kapitel

Es war eine wundersame Gestalt, die sich nun langsam durch die Vorhänge des Eingangs hereinschob.

Kaum mittelgroß, behäbig, nicht gerade fett, aber auch wahrlich nicht mager: Ein recht wacker gepflegtes, doch nicht unmäßiges Bäuchlein wiegte sich auf etwas zu kurz geratenen und nicht sehr geraden Beinen. Das vollwangige, beinahe feiste Gesicht strahlte vom Glanz der Gesundheit, die kleinen runden Äuglein blitzten recht lustig, ja verschmitzt in das Leben hinaus, die Nase war von so alteingewurzeltem Rot, dass die kurze Kreuzfahrt auch unter der Sonne der Levante die Farbe unmöglich so tief gesättigt haben konnte. Seltsamen Gegensatz zu dem weltlustigem pfiffigen Gesicht bildete die frisch geschorene Tonsur in dem dickzottigen und bereits mit Weiß gesprenkelten Braunhaar — die Kapuze und, darüber gebunden, den flachen, breitkrempigen Sonnenhut trug er auf dem Rücken — und das halb graue, halb braune Mönchgewand, das viel zu eng schien für des Trägers gedeihlichen Leib, und der lange Pilgerstab mit den daran klappernden Jordan-Muscheln in den fleischigen dicken Fingern des kreuzfahrenden Bruders.

Mit halb staunenden, halb unwilligen Augen maß ihn der Ritter, ohne die Ehrfurcht, die er sonst Trägern dieses Gewandes, dieser Gelübdezeichen nie verweigerte. »Ihr bringt einen Brief des Herrn Hermann«, rief er ihm kurz entgegen. »Gebt ihn mir!«

Der Mönch schnaufte. »Gestattet, dass ich mich auf den Schemel niederlasse, den Ihr mir soeben anzubieten vergaßet. Uff Der Weg ist weit … und heiß … und es ist ein durstig Lund, wo der Herr gewandelt ist.«

Er blinzelte hinüber zu dem Becher, der zu Friedmuths Häupten stand. Da er sah, dass derselbe leer war, fuhr er fort: »Aber auch dies Dürsten wird uns als ein erheblich Marterleiden angerechnet werden am Jüngsten Tage.«

»Den Brief!«

»Ja,« erwiderte der Mönch schmunzelnd, mit dem Ärmel über die heiße Stirn fahrend, »freilich der Brief! Je nun, so recht im Sinne der Schreiber – einen schriftlichen Brief, was man so gewöhnlich einen Brief nennt, habe ich nicht. Aber …«

»Was?«, rief der Ritter, zornig auffahrend. »Als Bringer eines Briefs ließet Ihr Euch doch melden?«

»Seid klug wie die lieben kleinen glatten Beißwürmer, heißt es in den zehn Geboten. Nicht da? Wirklich nicht? Nun – dann woanders! Das ist gleich.«

»Ihr seid mir eine sonderbare Art von Mönch!«

»Und ohne solchen Glauben hättet Ihr mich wahrscheinlich abgewiesen.«

»Sehr wahrscheinlich! Und ich sehe, ich hätte recht daran getan! Ihr lügt ja, frommer Bruder.«

»Selten. Und wirklich niemals ohne etlichen Grund. So auch jetzt! Hört mich an. Ihr wisst, ich bin der Beichtvater der Fürstin von …«

»Weiß ich nicht! Was gehen mich die Sünden fremder Weiber an!«

»Mehr als Ihr ahnt. Aber ich bin auch bei des Kaisers gewaltiger Person sehr wohl gelitten. Wiederholt traft Ihr mich in seinem Zelt.«

»Hat mich jedes Mal sehr gewundert.«

Der Mönch lachte. Dann sagte er: »Hört einmal, Schlossherr von der Fragsburg, grob seid Ihr aber schon wie …«

»Wie ein Etschtaler«, brummte Friedmuth.

»Ja, zwischen Etschtalern und Isartalern tat dem Teufel einmal die Wahl weh, als sie um den Weltpreis der Unhöflichkeit vor ihm wettschimpften.«

»Welches Stammes seid denn Ihr?«, forschte der Ritter. »Ihr sprecht auch mit oberdeutscher Zunge! Ich meine, Ihr seid ein …«

»Gesalbter des Herrn«, fiel der Mönch rasch ein.

»Also ich komme im stillen Auftrag des Kaisers und einer gar vielschönen Frau.«

»Wird wohl wieder gelogen sein«, meinte Friedmuth ganz gutmütig.

»Diesmal nicht, wie Ihr einräumen werdet, sobald Ihr Fürst von Paluzzo und Gemahl des prachtvollsten, süßesten, minniglichsten, allerwunderholdesten Weibes seid, das je Frau Sonne grüßte.«

So begeistert, so lebhaft sprudelte er die letzten Worte heraus, dass ihm der Schweiß wieder ausbrach. Er wischte sich die triefende Stirn.

»Seid Ihr toll? Was bedeutet das?«

»Das bedeutet, dass Gioconda von Paluzzo zwanzig Jahr alt ist.« Er schwieg.

»Nun, und?«

»Und seit zwei Jahren Witwe.« Er schwieg wieder.

»Und?«

»Nun, und? Das ist schon viel, recht viel für sich allein! Da Ihr aber für ein ausgewachsenes Mannsbild erstaunlich fischblütig von Natur und infolgedessen recht langsam von Ahnung seid, füge ich bei: Witwe des alten Fürsten von Paluzzo, dem man das Kind vermählt hatte. Ihr Urgroßvater konnte er sein, der Treffliche. Frau Berahta verzeihe mir die Sünde, dass ich solchen Gräuel Vermählung nenne.«

»Frau Berahta? Ei, frommer Bruder, was geht Euch die an? Soll eine Königin oder Göttin der Heiden gewesen sein! Stünde Euch besser an, der Jungfrau Maria zu gedenken.«

Und mit einem schönen Blick in die Höhe fügte der Ritter bei: »Gesegnet sei ihr Name für und für.«

Der Mönch war rot geworden; ungeduldig riss er an dem abgegriffenen Rosenkranz, der von seinem Gürtelstrick herabhing, und rief: »Ach, was versteht die von der Minne! Rein gar nichts! Wie wollte sie auch? Ihr aber, Herr Ritter, seid lediglich Laie und habt einen geweihten Priester, einen Geschorenen des Herrn, nicht zu meistern, sondern mit ehrdienigem Gehorsam zu ihm aufzuschauen. Also die liebe junge Frau Fürstin! Ach, ist sie schön! Ist sie es etwa nicht?«, schrie er zornig. »Habt Ihr je ein so schönes Geschöpf gesehen?«

Nach einigem Nachdenken sagte der Ritter, der alles sehr streng und genau nahm: »Nein. Ich glaube nicht. Aber es ist mir gleichgültig.«

Der Mönch sah ihn mit leisem Kopfschütteln von der Seite an. »Erstaunlich!«, sagte er zu sich selbst. »Kurzum«, fuhr er dann laut fort, »ich bleibe nicht mehr Beichtiger der süßen Frau. Ich kann es nicht mehr aushalten. Mein letztes gutes Werk in ihrem Dienst aber ist, dass ich Euch sage, was sie Euch nie sagen würde – eher spränge sie in einen brennenden Kohlenmeiler – und was zu merken Euch der Himmelsherr den Verstand, will sagen, die Gnade verweigert hat: Sie liebt Euch!« Und befehlend, drohend, fuhr er fort, »und Ihr werdet sie heiraten. Es ist beschlossen, sagen die Moslime, die gar nicht so übel sind.«

»Hoho«, lachte der Ritter laut auf, »dazu gehören zwei – dank Gott und den Heiligen!«

»Ja gewiss: Ihr und sie. Sie will. Und Ihr müsst. Bald werdet Ihr sehr wollen, ach wie sehr. Sagt, Fragsburger, seid Ihr denn wirklich so …, nun ich will es nicht nennen! Habt Ihr denn nichts gespürt unter Euren Rippen, als neulich das Wonneweib, diese Frau Venus – aber dabei jungfräulich wie der Alpenschnee des hohen Ortlers – sich nach der Reiherbeize von Euch vom Zelter heben ließ und gar den Weg nicht mehr fand aus Euren Armen herab auf die Erde? Und sie will ja nicht, wie so viele schöne, üppige und vornehme Frauen, die das Hoflager des Kaisers füllen …«

»Ja, leider!«, zürnte Friedmuth und seine keuschen Augen leuchteten.

»Kurze Lust von Eurem Kuss genießen! Sie stürbe vor Scham, wüsste sie, was ich Euch verrate.«

»Also das ist ihr stiller Auftrag durch Euch an mich, Lügenmönch?«

Allein dieser fuhr zornig fort: »Haltet das Schweigen. Es gilt das Glück des schönsten Erdenweibes. Tausend Lügen löge ich darum! Aber der Kaiser selbst – macht Eure tauben Ohren auf – hört Ihr?« Er schrie nun so, dass über das Gehörtwerden kein Zweifel möglich war, »des römischen Kaisers Majestät, der der schönen Jungfrau wohl näher als durch bloße Vormundschaft verbunden ist – ja, Jungfrau sagt ich! Denkt nur nicht Übles von Eurem Kaiser, rate ich! Und Eures großmächtigen Freundes, Herrn Hermanns, Weisheit wollen, dass Ihr sie heiratet.«

Der Mönch schnaufte nun gewaltig. Aber er sah nicht widrig, nicht hässlich aus, sondern von ehrlicher Überzeugung fortgerissen; ganz jugendlich machte den wohl bald Fünfzigjährigen der Eifer.

»Wieder gelogen«, sagte Friedmuth ruhig, »was Herrn Hermann betrifft. Und dem Kaiser sagt, was er nicht weiß, aber was ich Euch hier zeige.« Nicht gerade sehr sanft stieß er ihm den Rücken der rechten Hand gegen die Nase. »Kennt Ihr das? Ein Ehering! Ich habe schon ein Weib. Das scheint mir entscheidend.«

Unmutig warf er sich auf die andere Seite, Sebastian den Rücken kehrend.

»Meint Ihr?«, fragte der Mönch unverzagt weiter. »Da sieht man Eure laienhafte Unwissenheit. Für uns, das heißt für mich, den Kaiser und die Kirche, ist das gar nichts. Ich will diese Ehe, weil ich an der schönen Frau was gutzumachen … weil ich es nicht aushalte, dass sie liebt, ohne geliebt zu werden. Der Kaiser, weil er alle Ursache hat, seine herrliche Mündel glücklich zu wünschen. Er wollte sie schon dem Herzog von Österreich vermählen, bis er durch mich der schönen Witwe Wunsch erfuhr.«

»Das nennt Ihr Beichtgeheimnis?«

»Sie hat es mir nie gebeichtet! Denn so, wie sie Euch liebt, darf sie Euch lieben sonder Sünde.«

»Ich habe schon eine Frau«, rief Friedmuth sehr ungeduldig.

»Das ist gerade, was wir bestreiten! Das heißt, Ihr habt eine, solange Ihr wollt. Nur von Euch hängt es ab. Ein Wort, ein Wink, und Frau Wulfheid wird sehr klar gemacht, dass sie keinerlei Recht an Euch, über Euch, gegen Euch hat. Bitte, lasst mich ausreden und werft mich erst dann aus diesem Zelt. Es ist richtig: Ihr seid vor fünf Jahren in der Kapelle des heiligen Albuin zu Brixen mit der Erbtochter der Fragsburg bei Markt Meran im Etschtal getraut worden. Und Ihr heißet seither Ritter von Fragsburg, statt wie ehedem von Schenna. Ich will nun hinunterschlucken, dass die herbe Frau ihre guten sieben Neujahrskerzen mehr geopfert hat – wenn sie nicht zu geizig war! – oder doch opferte konnte als Ihr. Ich will auch die Kinder hinunterwürgen, die sie Euch nicht geboren hat …«

»Was geht das Euch an!«

»Allerdings, mich weniger als Euch. Aber man hat, Fleisch und Blut und Menschenart betrachtet, alle Ursache anzunehmen – der Most riecht stark nach seinen Trauben – sagen wir Weinschänke.«

»Was?«

»Ich war nämlich«, fuhr Sebastian hastig fort, »im Zustand meiner sündhaften Weltlichkeit jenem feuchten und allerlei Lastern zugänglichen, aber nicht langweiligen Gewerk zugezünftet. Also, man hat Ursache anzunehmen, dass …! Nun, Eure nächsten Freunde, Herr Hermann und Herr Walther, haben es dem Kaiser, der einem alles aus der Seele Grund fragen kann, wenn er es mit seinem Adlerblick darauf anlegt, einbekannt, dass recht leichtlich eine andere Frau gefunden werden möchte, die besser zu Euch passte als des gestrengen Herrn Wulfgang gestrengere Frau Tochter. Ja, man flüstert: Noch niemals haben Leute, die Euch beide beisammen gesehen haben, gefunden, Ihr seiet gut gepaart. Nun wohlan: Es kostet Euch nur ein Wort – nein, nicht ein Wort, wenn Ihr es nicht gern aussprecht – nur einen Wink – nur ein Blinzeln mit dem einen Auge – mit dem rechten – so! – oder mit dem linken – seht so! – Und sie wird von der Kirche für nichtig erklärt, diese Scheinehe.«

»Scheinehe?«

»Ja, Unehe. Denn Ihr beiden seid vor Eurer Verlobung Paten des Kindes des Grafen von Tirol gewesen. So ist Eure sogenannte Ehe, sobald Ihr wollt …«

Er konnte nicht vollenden.

Der lang angesammelte Zorn des Ritters brach nun los. Er schien ihm in die Fäuste gefahren zu sein. Wenigstens entlud er sich hier. Mit einem kräftigen und wenig ehrerbietigen Stoß schleuderte er den erstaunten Redner an die Eingangslücke des Zeltes; hier blieb der niedere Schemel liegen. Sein bisheriger Besitzer flog noch etwas weiter. Er wurde im Zelt nicht mehr gesehen.

Ein ziemlich ungeistlicher Fluch wurde draußen vernehmbar.

Friedmuth warf sich mürrisch auf die andere Seite.

»Alle sagen es: Wir passen nicht zusammen. Aber wirklich, alle. Ach was! Ich habe noch keine gesehen, die besser zu mir passte.«