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Carrier, der Erzteufel – Teil 2

Carrier, der Erzteufel, in eine Menschenhaut eingenäht, der in wenigen Monaten in der französischen Stadt Nantes mehr als fünfzehntausend Menschen von jedem Alter und Geschlecht erwürgen, ersäufen, erschießen, martern und guillotinieren ließ, ein blutdürstiges Ungeheuer und höllischer Mordbrenner
Zur Warnung vor blutigen Revolutionen
Von Dr. F. W. Pikant (Friedrich Wilhelm Bruckbräu)
Verlag der J. Lutzenbergerschen Buchhandlung, Altötting, 1860

Ein heuchlerischer Gerichtsdiener

Brial hatte recht, den Besuch der Gerichtsdieners Chablais zu weissagen, der einige Minuten später in den Laden trat und mit einer demütig bescheidenen Miene fragte: »Stör ich dich vielleicht, Bürgerin Vidot?«

»Ah! Bürger Chablais, du kommst zu mir! Das freut mich! Vorbeigehen sehe ich dich oft, und wenn du immer so eiligen Schrittes dahin ziehst, bedauere ich dich im Stillen und denke mir: Der Bürger Chablais muss einen beschwerlichen Dienst haben, der ihm gar keine Ruhe vergönnt.«

»Da hast du die Wahrheit gesagt, Bürgerin Vidot, Tag und Nacht keine Stunde Ruhe. Mittags muss ich oft im Stehen essen. Es geht halt jetzt hier gar so lebhaft zu.«

»Tödlich, meine ich«, erwiderte Frau Vidot mit einem gekünstelt wilden Lachen. »Aber solange nicht gründlich ausgefegt wird, hier und in ganz Frankreich, solange die fremden Armeen, welche unser schönes Land überschwemmen, nicht heimgejagt und im Rhein ersäuft sind, was wohl bald geschehen wird, hat kein guter und treuer Republikaner einen frohen Augenblick zu hoffen.«

»Mir aus der Seele gesprochen, Frau Vidot. Wenn alle Frauen so gute Republikanerinnen wären wie du, so würden sie selbst ihre verdächtigen Ehemänner an die Revolutionstribunale ausliefern, wovon man leider nur wenige Beispiele hat. Eben recht! Wo steckt denn dein Mann, der brave Bürger Vidot, den alle Leute lieb haben, ich auch, dass ich ihn schon lange nicht mehr gesehen habe?«

»Ei, wie solltest du dies nicht wissen, Bürger Chablais! Mein Mann ist mit einem Pass des Wohlfahrtsausschusses nach Ostende gereist, um dort eine große Ladung der besten und fettesten Austern und auf dem Rückweg in der Champagne 3000 Flaschen des feinsten Weines zu kaufen, alles von der Stadtgemeinde Nantes auf ihre Kosten bestellt und zur Verfügung des ruhmvollen Bürgers Carrier bestimmt, des großen Republikaners.«

»So, so, das ist schön!«

»Aber ich habe in meinem Laden auch vortreffliche Austern, wie man sie hier und weit und breit nicht besser finden kann. Da, trink, Bürger Chablais! Das ist köstlicher alter Kognak, und iss einige Dutzend Austern dazu, die ich dir gleich mit Zitronensaft zurichten will!«

»Danke, danke schönstens, Bürgerin Vidot. Ich habe keine Zeit, mich länger aufzuhalten, aber doch so viel, den Kognak auf deine Gesundheit auszutrinken. Wahrhaftig, sehr gut, sehr fein, delikat und von Geist. Sag mir doch, wer ist denn der Mann, der vorher in deinen Laden trat, während ich auf der anderen Seite der Straße vorüberging? Er kam mir so bekannt vor und weiß nicht, wo ich ihn hintun soll. Er hat ein recht einnehmendes Gesicht, dem ich wirklich gut sein könnte. Und woher kommt es, dass ich ihn nicht mehr aus deinem Laden herausgehen sah?«

»Wer dieser Mann ist, Bürger Chablais, das weiß ich selbst nicht. Ich habe ihn um seinen Namen nicht gefragt, und er hat ihn nicht genannt. Ich vermute, dass er zur Dienerschaft des großen Republikaners Bürger Carrier gehört und etwa vorausgekommen ist, um allerlei zu besorgen, denn er bestellte bei mir hundert Dutzend der besten Austern für den Bürger Carrier. Und ich wollte eben die Körbchen Nummer 1 hervorsuchen, als du eintratest, Bürger Chablais.«

»Alles in der Ordnung, liebe Frau Bürgerin Vidot, aber warum sah ich den Mann nicht wieder aus dem Laden kommen?«

Bestellt und fortgegangen war bei ihm eins. Bei den vielen Leuten, die heute auf den Straßen hin und her rennen, ist es sehr leicht möglich, dass du sein Herausgehen übersehen hast.«

Chablais schüttelte den Kopf. »Sagte er nicht, wann und wohin du ihm die bestellten Austern schicken sollest, oder ob er sie selbst abhole, und wann?«

»Er sagte, dass er sie morgen werde holen lassen.«

»Um welche Zeit?«

»Davon sprach er nicht.«

»Ich werde mir alle Mühe geben, diesen lieben Mann aufzufinden, der auf mich einen so guten Eindruck gemacht hat. Seinen Anzug habe ich mir gut gemerkt. Ich will ihn auf den ersten Blick wiedererkennen.«

»O, gewiss würde er sich recht freuen, wenn er wüsste, wie gut du ihm bist, Bürger Chablais!«

»Sag ihm nichts von unserer Unterredung, Bürgerin Vidot, im Falle du ihn früher sehen solltest als ich, weil ich ihn mit der Versicherung meiner Freundschaft gerne überraschen möchte.«

»Kein Wort, Bürger Chablais, kein Wort! In der Liebe wie in der Freundschaft machen die Überraschungen das meiste Glück. Verlass dich darauf!«

»Nun muss ich fort, ich habe schrecklich viel zu tun. Morgen kommt das berühmte und höchst verdienstvolle Mitglied des Nationalkonvents in Paris, der große Republikaner Bürger Carrier, der ein Meister in der Kunst, recht lustige rote Springbrunnen täglich nach den Hunderten zu machen. Ha, ha, ha!«

Er lachte! Es war das Lachen eines Teufels!

»Auf Wiedersehen, liebe, charmante Bürgerin Vidot!«

»Nein, nein, so darfst du nicht fort, Bürger Chablais!«

»Was soll ich?«

»Dieses Körbchen mit den besten Austern meines Vorrates an- und mitnehmen, damit du mich irgendwo, wenn nach guten Austern gefragt wird, aus eigener Überzeugung bestens empfehlen kannst.«

»Gut, ich nehme es an. An meinem Lob deiner Austern soll es nicht fehlen. Auf Wiedersehen!«

»Was rasselt denn so schwerfällig auf der Straße?«

»I, das ist der lebendige Futterkasten für die Guillotine, 16 Stück lebendiges Menschenfleisch. Da muss ich zuschauen. Ich sehe es für mein Leben gern, wenn die abgeschlagenen blutigen Köpfe in den Sack fallen! Fort, fort, sonst komme ich zu spät!«

Er rannte fort.

»Fahr zum Teufel, Kanaille!«, murmelte Frau Vidot, band eine neugewaschene Schürze um, legte ein Häubchen auf, versperrte die Ladentür und eilte hinten hinaus durch den Hofraum in eine nahe gelegene Straße, in welcher Brials Haus stand.

Frau Brial saß allein im Laden und strickte.

»Bürgerin Brial, wie man jetzt jagen muss, aber unter vier Augen liebe Nachbarin, ist dein Mann zu Hause?«

»Nein.«

»Weißt du nicht, wo er in diesem Augenblick ist?«

»Ich weiß es nicht, aber der Zeit nach vermute ich es.«

»Höre mich an!«

Und nun erzählte Frau Vidot schnell und ausführlich den Besuch des Blutgierigen Gerichtsdieners Chablais und gab ihr den Rat, für eine Verkleidung ihres Mannes zu sorgen, die ihn völlig unkenntlich machen müsse, denn im Falle er bei einer Begegnung von Chablais erkannt würde, entginge er der Guillotine nicht mehr.

Vor Schrecken erbleichend und zitternd, erwiderte Frau Brial: »Tausend Dank, liebe Frau Nachbarin, für deine Warnung und guten Rat, den ich sofort befolgen will.« Frau Vidot war flugs wieder in ihrem Laden, wo sie Häubchen und Schürze, diese Zeichen des Ausgehens, ablegte.