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Die Gespenster – Dritter Teil – 17. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Siebzehnte Erzählung

Das feuerspeiende Gespenst

Der verstorbene Probst V… zu P.., ein denkender und redlicher Mann, nahm nicht nur auf der Kanzel, sondern überall jede sich ihm darbietende Gelegenheit wahr, die Macht des Aber-  und namentlich des Gespensterglaubens zu bekämpfen. Von mancher seinen Hausgenossen unerklärbaren Erscheinung hatte er den natürlichen Grund mühsam aufgesucht und anschaulich gemacht, sodass um ihn her niemand mehr an Gespenster glaubte, als nachstehende Geschichte sein schon bekehrtes Gesinde zu dieser Art des Aberglaubens fast zurückgeführt hätte.

Als der Probst eines Abends mit seiner Gattin von einer Reise zurückkehrte, kamen ihm zitternd Mägde und Kinder mit der Erzählung entgegen, dass sich vor dem Fenster der im zweiten Stock nach dem Hof hinaus gelegenen Kinderstube ein schwarzes Gespenst gezeigt und Feuerfunken gegen die klirrenden Fensterscheiben gespien habe. Er beruhigte, so gut es sich vor der Hand tun ließ, die Geängstigten und vernahm am folgenden Morgen noch einmal jeden besonders über die näheren Umstände dieser Erscheinung. Aller Aussagen stimmten in der Hauptsache überein, wenngleich Furcht und Einbildung das Gespenst der jüngsten Magd besonders fürchterlich dargestellt zu haben schienen. Ungeachtet aller Mühe, welche der forschende Probst sich gab, entdeckte er doch nichts von der Ursache der Erscheinung. Es blieb ihm nur die Hoffnung übrig, dass das Gespenst öfter und auch wohl einmal in seiner Anwesenheit erscheinen werde.

Bald nach diesem Vorfall war die Pröpstin mit ihrem Gatten einmal wieder über Land gewesen. Bei ihrer Rückkehr hörten beide zu ihrem Verdruss, dass das Gespenst wieder und in derselben Gestalt erschienen sei, diesmal aber die in der Kinderstube gegenwärtig gewesenen Mägde und Kinder länger als das erste Mal geängstigt habe.

Auch nun wieder forschte der Probst im Stillen mit aller Sorgfalt nach dem Grund dieser Erscheinung, aber vergebens.

Es mochten zwei Monate verflossen sein, während welcher sich das Gespenst wieder einige Male, jedoch immer in Abwesenheit des Hausherrn hatte sehen lassen, als dieser wieder eine Reise in Amtsgeschäften zu machen hatte. Die Vorbereitungen dazu ließen erwarten, dass sie einige Tage währen dürfte. Mittags fuhr er ab, und seine Frau ging gleich nach der Abreise zu einer Freundin, wo sie zu Abend blieb.

Zu Hause beschäftigte das Spinnrad die Mädchen. Es war ein finsterer Abend; düstere Wolken hatten den ganzen Himmel überzogen und verbargen jedes sonst flimmernde Sternchen. Ein kalter Herbstwind jagte zuweilen einen Regenschauer gegen das Fenster von des Probstes Kinderstube und hieß die Mädchen das wohltätige Kaminfeuer suchen, wo sie, von Müdigkeit überkommen, mitunter einnickten.

Als ob eine Katze sich im Fallen am glatten Glas mit den Krallen vergebens zu halten sucht, so kratzend und kreischend fuhr es plötzlich an der Außenseite des Fensters der Kinderstube hinunter. Die Mädchen erschraken heftig und starrten unwillkürlich zu dem schon berüchtigten Fenster hin. Abermals erblickten sie das schwarze menschenähnliche Gespenst, welches von den Lichtstrahlen glühender Funken, die es zischend aus dem fürchterlichen Rachen spie, erhellt und vergrässlicht wurde, in demselben Augenblick aber mit dem Angstgeschrei Herr Jesus! in den Hof hinunterfuhr. Kaum war dies geschehen, als auch die jüngste Magd Herr Jesus! schrie und zur Tür hinauslief.

Wie betäubt saßen die beiden anderen Mägde, bis sie deutlich vom Hof herauf des Probsts Stimme hörten, der ihnen zu ihm zu kommen befahl. Mit dem Licht in der zitterndem Hand lief die älteste Magd voran und die zweite folgte ihr mit den Kindern. Alle fanden auf dem Hof die Erklärung der Gespenstererscheinung.

Ein Leineweber des Ortes war der Liebhaber der jüngsten Magd des Probsts. Um sie ungestört sprechen zu können, hatte er mit gerahmtem Gesicht und einer halb glühenden Kohle zwischen den Zähnen auf einer angesetzten Leiter das Gespenst vor dem Fenster gemacht. Wenn er die Funken aus der Kohle blies und mit den Nägeln das Fenster entlang kratzte, pflegte die jüngste Magd den Anblick am wenigsten ertragen zu können. Sie lief dann fort aus einer Stube, vor deren Fenster es spukte, um in ihrer Kammer im unteren Stock, wo sie mit dem Leineweber ein Stelldichein – Rendezvous – hatte, sich von dem Schrecken zu erholen. Keine der anderen Mädchen störte sie da, weil Furcht vor dem Gespenst sie in der Kinderstube hielt. Der Probst war an dem Tag der Entdeckung nur zum Schein abgereist und hatte sich bis zum Abend bei einem Freund aufgehalten, von wo er sich dann mit einigen handfesten Bürgern zu seinem Haus begab und auf dem Hof Posto fasste. Als der Leineweber kaum die Leiter erstiegen hatte, schlich einer der Bürger hinzu und warf sie um. Liebhaber und Geliebte taten, wie aus einem Mund, jenen Schreckensausruf, weil beide die Folgen des Falles fürchteten, welche jedoch, eine Tracht derber Schläge von den Knitteln der wackeren Bürger abgerechnet, zufällig nicht von Bedeutung waren.