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Turnier- und Ritterbuch – Teil 2

Heinrich Döring
Turnier- und Ritterbuch
Verlag von E. F. Schmidt, Leipzig
Sitten und Gebräuche des Rittertums im Mittelalter

Zweites Kapitel
Der Knappe

Hatte der Edelknabe sein vierzehntes Jahr erreicht, so harrte er mit Sehnsucht der Beförderung zum Knappen. Der Tag seiner Erhebung zu diesem zweiten Grad der Ritterschaft war nicht nur für ihn ein feierlicher Tag, sondern auch ein Fest für seine Familie und alle Ritter und Knappen. Er bekam an diesem Tag das Schwert und diese Feierlichkeit ist um einige Jahrhunderte älter als selbst der wirk­liche Ritterschlag. Der Edelknabe, der diesen glück­lichen Zeitpunkt erreicht hatte, wurde von seinen Eltern und Verwandten feierlich in die Kirche geführt. Dort hörte er eine Messe, während seine Eltern mit Kerzen in der Hand opfern gingen. Nach beendeter Messe führte man ihn hin zum Altar, auf welchem das für ihn bestimmte Schwert lag. Der Priester nahm es, weihte, segnete und gürtete es dem jungen Knappen um die Lenden. Wenn zuweilen die anwesenden Jungfrauen das Amt verrichteten, dem Knappen das Schwert umzugürten, so war es nicht mehr als billig, dass sie ihre Freude und Teilnahme über einen Zeit­punkt in seinem Leben äußerten, der auch für sie von Wichtigkeit war. Man gab ihm hierauf den Schild und die Lanze des Ritters, in dessen Dienste er nun erst feierlich eintrat, und dessen Waffen zu bewahren einen wesentlichen Teil des Knappendienstes ausmachte. Die Sporen , die er ebenfalls nun zum ersten Mal bekam  waren von Silber, denn die goldenen waren bloß dem Ritter vorbehalten.

Neben dieser Zeremonie hatte die Knappenstufe ihre eigenen Gesetze und Regeln. Nähere Auskunft darüber erteilt ein seltenes, nur neunzehn Quartblätter starkes Büchlein, Ordre de Chevalerie betitelt, von einem alten französischen Ritter verfasst und als allgemeines Ritual- und Statutenbuch der Ritter­schaft an den Hof des Königs von Frankreich gesandt. Darin sind die nachfolgenden Gesetze der Knappenschaft aufgezeichnet:

1) Die Wissenschaft und Schule der Ritter besteht darin, dass der Ritter seinen Sohn in seiner Jugend reiten lernen lasse.

2) Ziemt es sich, dass des Ritters Sohn, während er Knappe ist, die Rosse zu besorgen wisse, denn es ist billig, dass er vorher Diener und Unter­tan sei, bevor er Herr wird. Nur aus dem Ritterdienst wird er den Wert und Adel der freien Ritterschaft kennenlernen.

3) Deshalb soll auch jeder Ritter seinen Sohn in eines anderen Ritters Dienste tun, damit er in seiner Jugend lerne, bei Tafel vorschneiden und aufwarten, den Ritter wappnen und kleiden. Denn gleichwie der, der ein Schneider oder Schlosser werden will , zuvor als Lehrjunge bei einem Meister dienen muss, so soll auch jeder Edelknabe, der zum Ritterorden gelangen will, vorher bei einem Ritter als seinem Meister dienen; und gleichwie es unschicklich, wenn einer, der ein Schlosser werden wollte, zu einem Schneider in die Lehre ginge, wäre es auch ungereimt, wenn ein Knappe die Pflichten des Ritterordens bei einem Mann selbst lernen wollte, der nicht selbst Ritter ist.

4) Auch ist es dem Knappen nicht genug, dass er dem Ritter diene, die Pferde besorge und mit ihm zu Turnieren und Schlachten ziehe. Er muss auch die Pflichten des Ritterordens gleich anderen Wissenschaften lernen. Man soll darüber ein eigenes Buch halten und ihm hierzu eigene Lehrer geben.

Das sind die Gesetze, die das Büchlein, Ordre de Chevalerie betitelt, dem Knappen vorschreibt. War der Edelknabe Knappe geworden, so bekam er ein eigenes Amt am Hofe seines Herrn. Angesehene Ritter hatten ihre Kämmerer, Mundschenke, Truchsesse, Stallmeister usw. All diese Stellen, in späterer Zeit zu Reichswürden erhoben, wurden ursprünglich durch Knappen versehen, doch mit dem Unterschied, dass die damaligen Mundschenke den Ritter und seine Gäste wirklich mit Wein bedienten; die Truchsesse wirk­lich die Tafel deckten, die Speisen auftrugen und sie zerlegten, dass die Kammerjunker den Gästen nach Tisch wirklich die Waschbecken reichten und abends ihnen die Betten zurecht machten und dass die Stallmeister wirklich ihres Herrn Rosse besorgten. Der Leibknappe des Herrn, auch Ehrenstallmeister, Écu­yer d’honneur genannt, musste im Krieg seine Fahne tragen und hatte den ersten Rang unter den übrigen Knappen. Überhaupt waren die Knappen immer nahe um ihren Herrn. Man vertraute ihnen alle wichtigen Geschäfte, alle geheimen Aufträge an. Die nähere Verwandtschaft der Knappenstufe mit der des Ritters schien ihnen ein besonderes Recht auf ihres Herrn Vertrauen zu ge­ben.

Wichtiger und schwerer, aber auch ehrenvoller, war der Knappendienst zur Zeit eines Turniers oder Krieges. Dann musste der Knappe seinem Herrn die Rüstung anlegen, ein Dienst, der bei den vielen ein­zelnen Teilen, aus denen seine ganze Rüstung bestand, viel Mühe und Geschicklichkeit erforderte und wo das kleinste Versehen des Knappen, eine einzige schlecht geschnallte Schiene, dem Ritter das Leben kosten konnte. Auch die Sorge für die Rosse ruhte ganz in den Händen des Knappen. Dazu gehörte nicht weniger Geschicklichkeit. Götz von Berlichingen rühmt sich ausdrücklich in seiner Selbstbio­grafie, dass er während seines Knappendienstes eher alle Rosse seines Herrn gezäumt und gesattelt hatte, ehe dessen dreißigjähriger Knecht nur mit einem einzigen Pferd habe fertig werden können.

Die Knappen halfen ferner dem Ritter aufs Ross und hielten ihm die Steigbügel. Sein Helm, sein Schild, sein Schwert waren in Fällen, wo er sie nicht brauchte, in ihren Händen. Daher hießen sie Schildknappen oder Knappen, wie denn auch der französische Name Écuyer von Ecu (Schild) hergeleitet wird. In Deutschland nannte man sie gewöhnlich Buben. So heißen sie unter anderen auch in der Lebensbeschreibung des Ritters Götz von Berlichingen. Ritt der Ritter aus, so ritten sie hinter ihm her wie unsere Reitknechte und hatten sein Felleisen rückwärts aufgepackt. Im Krieg hielten sie sich dicht hinter ihrem Herrn, beobachteter alle seine Bewegungen, versahen ihn nötigenfalls mit neuen Waffen oder mit einem frischen Ross, hielten, so gut sie konnten, die Hiebe und Stöße ab, die ihn unvermutet treffen sollten, und suchten ihn auf alle Art zu schützen, ohne jedoch selbst zu kämpfen und die Grenzen einer bloßen Verteidigung zu überschreiten. So übergab auch der Ritter die Gefangenen während des Treffens den Händen seiner Knappen.

Alle diese Haus- und Kriegsdienste, so unbedeutend und vielleicht erniedrigend sie auch scheinen mochten, wären in den Augen des Knappen und wenn er von noch so vornehmer Herkunft war, groß, heilig und ehrenvoll. Die hohen Begriffe von dem ehrwürdigen Charakter der Ritterschaft veredelten in des Knappen Augen auch die niedrigsten Dienste. Sein Stand war nichts als eine Art von Noviziat, wodurch sich jeder Knappe zum Ritter vorbereiten musste. Aber die ungemeine Körperkraft und Gewandtheit, die einem Ritter unentbehrlich in Fehden und Turnieren brauchte, machte auch eine längere Vorberei­tung nötig. Die Knappen ließen es auch hierin nicht fehlen, und es ist fast unglaublich, zu welchem Grad von Abhärtung, Stärke und Gewandtheit sie allmählich gelangten, während dieser Prüfungszeit. In der vollen Rüstung ohne Steigbügel sich auf ein Ross schwingen, mit schweren Lasten einen hohen Berg hinauf laufen, das höchste gesattelte Pferd mit einer Hand an der Mähne fassen, mit der anderen am Sattelknopf, und sich über dasselbe, ohne es zu berühren, von einer Seite auf die andere zu schwingen, an zwei nicht zu weit voneinander stehenden Mauern, so hoch und schlüpfrig sie auch sein mochten, mit bloß angestemmten Händen und Füßen hinaufklimmen oder an einer senkrecht an der Wand befestigten Leiter bloß mit den Händen oder auch mit einer Hand hinaufklettern, ohne einen Fuß in die Sprossen zu setzen – das waren des Knappen gewöhnliche Spielübungen. Auf ihren Zügen mit den Rittern gewöhnten sie sich früh an jedes Ungemach. Sie lernten Hitze, Frost, Hunger und selbst schwere Wunden ertragen. Als Götz von Berlichingen während seines Knappendienstes beim Markgrafen Friedrich von Brandenburg in einer Fehde schwer am Kopf verwundet worden war und ihm nach sechs Tagen ein Ritt bevorstand, legte er alle Tage seinen Eisenhut auf die Wunde, um, falls sie in der erwähnten Zeit nicht heilen sollte, sich an die Schmerzen zu gewöhnen.

Außer diesen beschwerlichen Prüfungen, womit die Kandidaten der Ritterschaft ihren Mut und ihre Stärke bewiesen, versuchten sie sich auch in allen Tugenden zu üben, die einem echten Ritter unentbehrlich waren. Unerschütterliche Treue und Ergebenheit gegen ihren Herrn, die strengsten Grundsätze von Ehre und Redlichkeit, die tiefste Verehrung der schönen Geschlechts und vor allen jene edle Rittergalanterie, die aber, zum Vorzug der damaligen Zeit vor der unseren, mehr in Handlungen als in Worten bestand, waren von dieser Seite die Hauptgegenstände ihrer Bemü­hungen. Es hatten aber die Knappen an den Höfen der Fürsten, wo ihrer oft fünfzig bis sechzig und wohl noch mehr beisammen waren, ihre eigenen Aufseher, oder wie Götz von Berlichingen sie nennt, Zuchtmeister, die über ihre Aufführung und Bildung wachen mussten.

Hatten sich nun die Knappen in diesen Diensten und Beschäftigungen daheim einige Jahre geübt, so mussten sie auch reisen. Der Ritter allgemeiner Hang zum Herumziehen auf Abenteuer nährte auch in den Knappen die Liebe zu einem Wanderleben. Es gab viele, die auf gut Glück umherzogen, sich Ritterdienste zu erwerben. Ulrich von Hutten, der schon als Knappe nicht bloß das Schwert, sondern auch die Feder so gut zu führen wusste, dass er sich mit jenem den Ritterschlag, mit dieser den Lorbeerkranz erwarb, zog schon, als er kaum zwanzig Jahre alt war, in den Venezianischen Krieg, wo er, wie die von ihm selbst verfasste Grabschrift bezeugt, mit Armut, Frost, Hunger und Krankheit kämpfen musste. Gab es keine Kriege, so zogen die Knappen, um sich Erfahrung zu verschaffen, in fremde Lande, besuchten auswärtige Höfe, beobachteten, sahen, lernten und führten eigene Schreibtafeln mit sich zur Aufzeichnung des Merkwürdigsten. Sie blieben auch, selbst bei Turnieren, nicht immer bloße Zuschauer. Außer ihren kleinen Waffenspielen wurde ihnen auch erlaubt, am Vorabend irgendeines großen Turniers ihre Kräfte gegeneinander öffentlich in Gegenwart der Ritter und Damen zu erproben. Der den Preiß oder den Dank bei diesen Kampfspielen erhielt, empfand im Voraus die Ehre, einst im Turnier zu siegen. Wer sich besonders auszeichnete, hatte mitunter wohl auch das Glück, beim Turnier schon als Ritter zu erscheinen, wiewohl das Vorrecht den Knappen erst in späteren Zeiten eingeräumt wurde. Dieser Eingriff in die Gerechtsame der Ritterschaft gehörte aber mit zu den Ursachen ihres nachherigen Verfalls.