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Marshal Crown – Band 49

Sieben Tage

Sie erreichten den Nueces River, als im Osten die ersten Strahlen der Morgensonne den Frühnebel zu durchdringen versuchten, der wie nasse Watte über den Niederungen des Flusses hing.

Fünfzehn Männer; bis an die Zähne bewaffnet.

Sie hatten die Hufe ihrer Pferde mit Stofffetzen umwickelt, genauso wie die Steigbügel, das Zügelwerk und die Ösen der Gebisskandaren.

Nichts klirrte, niemand hörte sie.

Am Ufer des Flusses angekommen zügelte der vorderste der Reiter seinen Braunen, drehte sich im Sattel um und richtete den Blick auf die anderen, die ihre Pferde nun ebenfalls zum Stehen brachten.

»Scheint alles ruhig zu sein, anscheinend schlafen diese roten Hurensöhne noch alle.«

»Noch«, flüsterte einer der anderen ebenso leise.

»Aber nicht mehr lange, Tucker! Ha, das wird ein feiner Spaß. wenn wir ihnen ihre verwanzten Hütten über dem Kopf anzünden.«

Ethan Tucker, ein kaum mehr als mittelgroßer Mann mit einem dichten Vollbart, grinste zustimmend und nahm den Arm hoch.

»Also los, Jungs!«, sagte er halblaut. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt.«

Die Männer nickten, kurz darauf hielten alle ihre Gewehre in den Händen.

Dann schwärmten sie aus.

Während sie ihre Pferde in einer langgezogenen Linie langsam durch das seichte Wasser des Nueces trieben, schälten sich am gegenüberliegenden Ufer allmählich die Umrisse eines kleinen Indianerdorfes aus dem Frühdunst.

Es dauerte nicht lange, bis die Reiter auf Schussweite herangekommen waren, trotzdem war vom Lager der Lipan-Apachen her immer noch kein Laut zu hören.

Dann schlug ein Hund an.

Doch nur kurz, denn genauso abrupt, wie der Hund zu bellen anfing, verstummte er auch wieder. Eine weißhaarige Indianerin war bereits mit dem ersten Kläffen aus einem der Wikiups herausgetreten, hatte einen Stein vom Boden aufgelesen und dem Tier an den Schädel geworfen. Während sich der Hund jaulend und mit eingezogenem Schwanz davon trollte, ballte die alte Frau die Hand zur Faust und schüttelte sie ihm wütend hinterher.

Dann wandte sie sich ab, um wieder in ihre Zweigenhütte zurückzukehren. Doch inzwischen war es hell genug geworden, um die herankommenden Reiter klar zu erkennen. Die Indianerin blieb vor Entsetzen einen Moment wie erstarrt stehen. Dann begann sie zu schreien und zeigte wild gestikulierend auf die Berittenen.

Im Dorf wurde es daraufhin sofort lebendig. Überall in den Hütten entstand Bewegung, Stimmen wurden laut, hier und da kamen halb angezogene Indianer schlaftrunken aus ihren Unterkünften und jeder wollte vom anderen wissen, was los war.

Aber es war zu spät.

Die Reiter hatten bereits die ersten Hütten erreicht und begannen zu schießen.

Die alte Frau war ihr erstes Opfer. Die Kugeln trafen sie, als sie versuchte, sich in ihrer Hütte in Sicherheit zu bringen. Sie zuckte unter dem Einschlag der tödlichen Projektile zusammen, stolperte und war bereits tot, noch ehe ihr hagerer Körper den Boden berührte.

 

*

 

»Muss das sein?«

Verwundert sah Richard Coke von den Papieren auf, die er vor sich auf seinem Schreibtisch ausgebreitet hatte. Jim Crown, der Mann, der ihm diese Frage gestellt hatte, war einer von den besten US-Marshals, die derzeit in seinen Diensten standen. Ein Mann von sechs Fuß und vier Inches Größe mit der geballten Kraft von zweihundertzehn Pfund Lebendgewicht. Sein kantiges Gesicht war von einer dichten, fast blauschwarzen Haarmähne umrahmt, die an den Schläfen von ungewöhnlich vielen grauen Strähnen durchzogen war.

Ein Umstand, der dem Tod seiner ersten Frau geschuldet war, aber das war ein Thema, das Jim Crown nie erwähnte, und wenn er trotzdem einmal daraufhin angesprochen wurde, nur mit eisigem Schweigen beantwortete.

Der Gouverneur legte den Kopf etwas schief und musterte den Marshal stirnrunzelnd.

»Was soll das heißen, Jim?«

»Wie Sie wissen, habe ich mich noch nie vor einem Job gedrückt, aber in diesem Fall möchte ich Sie doch bitten, einen von den anderen Jungs damit zu beauftragen. Ich bin Curly Jones, diesem verrückten Halbblutkiller, fast zwei Monate lang durch halb Texas gefolgt, um ihn zur Strecke zu bringen, und habe nebenbei auch noch die Reeves-Bande unschädlich gemacht.

Nicht, dass ich mich beklagen will, Banditen einfangen gehört nun mal zu meinem Job, aber ich bin erst vor einer Stunde wieder in Austin angekommen und schnurstracks hierher geritten, um Ihnen Bericht zu erstatten. Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Ich habe meine Frau seit über sieben Wochen nicht mehr gesehen. Mary Ann würde es mir nie verzeihen, wenn ich jetzt erneut losreite, anstatt endlich einmal wieder ein paar Tage mit ihr zusammen zu verbringen.«

Coke erhob sich hinter seinem Schreibtisch.
»Ich verstehe dich vollkommen und wie du weißt, bin ich auch der Letzte, der seinen Angestellten keine Ruhepausen gönnt. Aber ich kann dich nicht länger als achtundvierzig Stunden freistellen, dazu ist die Mission, für die ich dich brauche, zu wichtig.«

Crown senkte den Kopf und seufzte. Er wusste, dass ihm Mary Ann garantiert die Hölle heiß machen würde, er wusste aber ebenso, das, wenn der Gouverneur in diesem Tonfall zu einem sprach, seine Anweisungen etwas Endgültiges, ja Unabänderliches an sich hatten.

Trotzdem wagte er einen Versuch.

»Okay, aber können Sie mir nicht wenigstens drei Tage frei geben, obwohl Mary Ann auch darüber alles andere als begeistert sein wird?«

Die Lippen des Gouverneurs verzogen sich zu einem freudlosen Lächeln.

»Das kann ich nicht, Jim, tut mir leid, aber ich muss an unser Land denken.«

Crown, der vor seinem geistigen Auge bereits die Tassen und Teller auf sich zu fliegen sah, die Mary Ann mit Sicherheit in ihrem Temperament nach ihm warf, wenn sie erst erfuhr, dass er bereits übermorgen wieder im Sattel saß, versuchte es noch einmal.

»Dann zweieinhalb Tage?«, fragte er vorsichtig.

Der Gouverneur überlegte kurz und nickte dann.

»Okay, aber nur, weil du es bist. Aber ich warne dich, wenn du nicht spätestens in sechzig Stunden wieder in meinem Büro erscheinst, wirst du mich kennenlernen.«

Cokes nahm den Kopf wie ein Raubvogel hoch, der seine Beute ins Auge gefasst hatte.

»Tut mir leid, dass ich das so deutlich sage, aber das Schicksal unseres ganzen Landes steht auf dem Spiel.«

Jim schluckte hörbar, so ernst hatte er den Gouverneur noch nie erlebt.

»Was um Himmels willen ist denn geschehen, dass Texas nur noch durch die Anwesenheit meiner Wenigkeit vor dem Untergang gerettet werden kann? Verzeihen Sie die Frage, Gouverneur, aber ich war fast zwei Monate lang in der Wildnis unterwegs und bin deshalb noch nicht auf dem neuesten Stand der Dinge.«

»Das kann ich dir sagen, wobei dieser Konflikt nicht wirklich neu ist. Wir schleppen dieses Problem schließlich schon seit über fünfzig Jahren mit uns herum.«

»Wie bitte?«, entgegnete Crown sichtlich irritiert.

»Ich will die Arbeit meiner Vorgänger, ob sie jetzt Houston, Jackson oder Pease heißen, nicht schmälern. Bei Gott, ihre Verdienste für Texas sind unzweifelhaft groß, ohne sie wären wir nicht da, wo wir heute sind. Aber etwas muss ich ihnen dennoch ankreiden und das ist ihre Indianerpolitik, besser gesagt ihre fehlende Indianerpolitik, und genau dieses Problem fällt uns jetzt vor die Füße.«

»Wie darf ich das verstehen?«

»Das ist ganz einfach. Bis vor geraumer Zeit bestand unsere Indianerpolitik nur aus Vernichten und Vertreiben. Außer Houston haben fast alle bisherigen Gouverneure dafür gesorgt, dass die Indianerstämme nach und nach entweder aus Texas vertrieben oder ausgerottet wurden. Aber die Zeiten haben sich geändert, die Indianer sind schließlich nicht dumm. Sie haben längst erkannt, dass sie einzeln nicht gegen uns bestehen können, deshalb beginnen sie sich überall im Land zusammenzuschließen. Im Westen und Nordwesten die Mescalero-, Lipan- und Kiowa-Apachen, in der Mitte des Landes die Comanchen, Arapahoes, Southern Cheyenne und die Kiowas und im Süden die Wichitas und die Allianz der vereinten Caddo-Stämme. Was denkst du wohl, was passiert, wenn diese Stämme alle gleichzeitig das Kriegsbeil ausgraben?«

Das Gesicht des Marshals verfinsterte sich augenblicklich.

»Da viele von ihnen über Feuerwaffen verfügen, käme das wohl einer Katastrophe gleich.«

»Und das ist noch untertrieben«, behauptete Coke. »Sicherlich haben die Indianer auf die Dauer keine Chance gegen unsere Armee, aber bis sie besiegt sind, werden Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Menschen sterben. Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass die meisten davon Frauen, Kinder und Alte sein werden, und zwar hüben wie drüben.«

»Wie immer«, sagte Crown bitter.

»Eben! Und deshalb bin ich schon seit Langem bestrebt, alle Parteien an einen Tisch zu bringen, die Häuptlinge der freien Stämme ebenso wie die Armeeführung, Vertreter der Kirche, eine Abordnung der texanischen Regierung und auch maßgebliche Beamte vom Indian Bureau in Washington.«

»Da haben Sie sich aber eine Menge vorgenommen, Gouverneur.«

»Und auch bereits eine Menge bewegt«, entgegnete Coke mit einem zufriedenen Lächeln. »Das Treffen wird in Fort Duncan, nahe des Rio Grande stattfinden. Das ist neutraler Boden, keiner der Stämme hat dort seine Jagdgründe und die Grenze zu Mexiko, hinter der wir keinen Zugriff mehr auf sie haben, ist nicht weit, falls die Indianer einen Hinterhalt vermuten. Es haben auch schon die meisten Häuptlinge eingewilligt, aber leider nur unter der Bedingung, dass auch die Führer des größten Indianerstammes von Texas ihr Kommen zusagen.«

»Sie meinen die Comanchen?«

Coke nickte. »Richtig, und genau deswegen brauche ich dich.«

Jim ahnte plötzlich, was kommen würde. Sein Wort hatte bei den Comanchen nicht nur seit seiner Freundschaft zu Eagleman großes Gewicht, da gab es noch andere Dinge.1 Aber er sagte nichts, sondern ließ den Gouverneur weiterreden.


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  1. Siehe Band 5 Comanchen sterben einsam und Band 36 Verdammt, verflucht und vogelfrei