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Nick Carter – Eine sensationelle Gerichtsverhandlung – Kapitel 3

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Eine sensationelle Gerichtsverhandlung
Ein Detektivroman

Ida als Wahrsagerin

Etwa um acht Uhr am selben Abend klingelte eine hübsche, elegant gekleidete junge Frau am Alden’schen Wohnhaus, eröffnete dem Dienstmädchen, sie möchte Miss Mary Alden sprechen, und überreichte zugleich einen sie legitimierenden Empfehlungsbrief.

Die Besucherin wurde in den Parlor geführt. Wenige Minuten später erschien in dem elegant ausgestatteten Empfangsraum eine zierliche, äußerst hübsche Brünette, mit einem offenen Brief in der Hand.

»Miss Wilson, wie ich glaube?«, begann die Tochter des Hauses mit wohlklingender Altstimme. »Bitte, nehmen Sie Platz«, bat sie, als die Besucherin sich zustimmend verneigte. »Mrs. Muirs Brief hat mein Interesse erregt. Sie schreibt mir, Sie seien eine ausgezeichnete Wahrsagerin, die aus den Linien der Hand Vergangenheit und Zukunft lesen könne. Ich räume freimütig ein, dass ich ein ganz klein wenig das bin, was man abergläubisch nennt. Jedenfalls interessiere ich mich für Chiromantie und Wahrsagerei. Beide sind so alt wie die Menschheit selbst.«

»Mag sein«, entgegnete die vermeintliche Miss Wilson. »Ich nötige niemandem Glauben an mein Können auf. Ich habe im Deuten der so verschlungenen Linien der Hand Erfahrung, und ich sage genau, was ich sehe. Meine Kunden können sich dann selbst einen Vers darauf machen. Mrs. Muir und andere Damen ermutigten mich, mit meiner Kunst in die Öffentlichkeit zu treten, abendlich Sitzungen und dergleichen zu veranstalten. Darum kam ich auch hauptsächlich hierher, um auch Sie für meine Bestrebungen zu interessieren und Ihnen eine Probe meines Könnens zu geben.«

»Nun, da bin ich wirklich begierig … Versuchen Sie Ihr Glück!«, rief Marie Alden mit ungewissem Lächeln, indem sie der Besucherin die Hand entgegenstreckte. Zugleich aber schaute sie schärfer als zuvor in das anmutige Gesicht der jungen Wahrsagerin, das nun in den hellen Bereich der Gasglühlichter am Kronleuchter gerückt war.

Es entging Ida nicht, dass die Hand der jungen Dame plötzlich in der ihren zurückzuzucken begann, als sei ihre Besitzerin die Sache leid geworden; doch hurtig begann Ida alsbald: »Sie sind großer Zuneigung fähig und haben einen mitunter leidenschaftlichen Charakter. Sie fühlen sich zu den schönen Künsten hingezogen, und unter diesen ist es wiederum die Musik, welche Ihr Herz erfüllt und der sie sich mit großer Ausdauer und gutem Erfolg widmen.«

»Hält die Fortsetzung, was der Anfang verspricht, so mag die Sache unterhaltend werden«, rief Mary Alden mit kurzem Auflachen dazwischen.

»Im Widerstreit von Verstand und Herz siegt immer das Letztere bei Ihnen. Ja, dessen leichte Erregbarkeit hat Ihnen schon manche Unannehmlichkeit verursacht.«

»Sie sind ja die reinste Zauberin!«, erwiderte das Mädchen von Neuem.

»Ihre Lebenslinie ist stark entwickelt und verspricht Ihnen hohes Alter. Doch Ihnen steht schwere Krankheit bevor, die Sie an den Rand des Grabes bringen wird. Indessen entgehen Sie dem Tod; außerdem aber drohen Ihnen in allernächster Zeit große Unannehmlichkeiten.«

»Nun, das klingt nicht gerade ermutigend«, warf Mary, immer noch lächelnd, ein.

»Das Leben wird Ihnen ein Glück bescheren, von dem Sie sich wenig träumen lassen, und zwar hängt dies mit Ihrer Vorliebe für Musik zusammen«, fuhr die angebliche Wahrsagerin unbeirrt fort. »Auch die Liebe trat schon an Sie heran, doch sie nahte Ihnen nicht mit Rosenfingern.«

Mary Alden richtete sich plötzlich steif auf, und das Lächeln schwand aus ihren Zügen.

»Gemeinschaftliche Vorliebe für Musik brachte Sie einem jungen Mann nahe«, fuhr Ida ernst fort. »Er gewann Ihre Neigung, ohne sie zu erwidern. Das verursachte Ihnen Kummer. Nicht sowohl Liebesnot als ein Zerwürfnis mit Ihrem Vater, dessen Machtwort den Gegenstand Ihrer Neigung aus dem Haus trieb.«

Ärgerlich entzog Mary der vermeintlichen Wahrsagerin ihre Hand. Sie sprang auf, schritt zur Tür und verschloss diese. »Was soll das heißen?«, fragte sie heftig. »Welcher Grund veranlasste Sie zu solch unwürdiger Komödie? Denn das ist keine Wahrsagekunst. Das ist eine Verschwörung! Irgendjemand hat Sie über gewisse Vorgänge in meinem Leben unterrichtet!«

Umsonst versuchte Ida, die Aufgeregte zu beschwichtigen und zu versichern, dass sie wirklich alles aus deren Handlinien gelesen habe.

Nur noch aufgebrachter sprudelte Mary hervor: »Nein, tausendmal nein! Vorhin schon glaubte ich Sie zu erkennen, dann begann ich wieder zu zweifeln, doch nun bin ich meiner Sache sicher. Sie sind Ida, die Cousine und geschickte Gehilfin des großes Detektivs Nick Carter!«

Die Erkannte blickte kurz auf; dann lächelte sie, sich mit der Hand das Haar aus der Stirne streichend.

»Well«, meinte sie gelassen, »ich mache Ihnen mein Kompliment, Miss Alden. Ja, ich bin Ida. Hätte ich gewusst, dass Sie mich unter meinem richtigen Namen empfangen würden, so hätte ich Ihnen keine alberne Komödie vorgespielt. Es lag mir nur viel daran, eine Aussprache mit Ihnen herbeizuführen.«

»Aber was kann Ihre Absicht sein?«, rief die junge Dame in gewaltiger Erregung. »Warum wühlen Sie die Tiefen meiner Seele auf, warum sprechen Sie von Dingen, von denen niemand weiß?«

»Ich werde mich unumwunden aussprechen«, meinte Ida ruhig. »Mr. Carter hat es unternommen, die Unschuld eines fälschlich angeklagten jungen Mannes an den Tag zu bringen.«

»Sie sprechen von Mr. Herbert Mason?«, rief Mary atemlos.

»Gewiss«, bestätigte Ida. »Zum Beweis seiner Unschuld ist es nötig, über gewisse Punkte volles Licht zu verbreiten, mit anderen Worten: die Wahrheit zu entdecken. Diese können wir nur von Ihnen erfahren, und die Frage ist nun, ob Sie uns dazu behilflich sein wollen.«

»Handelt es sich um Mr. Masons Rettung, so will ich alles sagen, was ich weiß!«, beteuerte das Mädchen leidenschaftlich. Sie setzte sich unmittelbar vor Ida wieder nieder und fügte, ihr scharf in die Augen schauend, hinzu: »Fragen Sie mich, und ich werde antworten.«

»Gut! Ist es zunächst wahr, dass Mr. Mason hier aus dem Haus gewiesen wurde?«

»O, nicht gerade in solch schroffer Form; immerhin lief es darauf hinaus. Mein Vater wünschte nicht die weitere Veranstaltung von musikalischen Abenden hier im Haus, allerdings mit dem geheimen Beweggrund, Mr. Mason dadurch von weiteren Besuchen abzuhalten.«

»Eröffnete Ihr Vater dem jungen Mann, dass seine Besuche nicht angenehm seien?«

Mary schüttelte mit dem Kopf. »Wie hätte er das tun können, denn Mr. Masons Beziehungen zu mir waren so unschuldiger Natur und hielten sich derart im Rahmen der Huldigungen, welche jeder wohlerzogene junge Mann einer jungen Dame entgegenbringt, dass ein so schroffes Vorgehen meinen Vater bloßgestellt und lächerlich gemacht haben würde.«

»Aus welchem Grund wünschte dann Ihr Vater, Mr. Mason fernzuhalten?«, fragte Ida erstaunt.

Mary errötete und zögerte mit einer Antwort. »Well«, meinte sie schließlich leise. »Mein Vater mag wahrgenommen haben, dass ich … nun ja, dass ich mich für Mr. Mason interessierte. Sie setzen mich in Verwirrung, Miss Ida, es ist nicht angenehm für ein Mädchen, von einseitigen Herzensbeziehungen, die von dem Mann ihrer Wahl nicht erwidert wurden, zu sprechen!«

»Dann erfuhr also Mr. Mason gar nicht, dass Ihr Vater einen Herzensbund befürchtete?«

»Aber ganz sicherlich nicht!«, rief Mary entschieden. »Er dachte gar nicht an eine Bewerbung um meine Hand. Darüber kam es zwischen meinem Vater und mir zum Zerwürfnis!«

»Well, das ist alles, was ich wissen wollte«, erklärte Ida, indem sie sich erhob und sich anschickte, aufzubrechen. Doch sie wurde von Miss Alden zurückgehalten, welche rief: »Ich kann mir nicht denken, dass meine Auskunft von irgendwelchem Nutzen für Mr. Mason zu sein vermag … und ich möchte ihm so gern helfen … Wirklich, Miss Ida, verfügen Sie über mich!«

»Ihre Aufrichtigkeit nützt Mr. Masons Sache mehr, als sie ahnen können, Miss Alden«, erklärte Ida ernst. »Mr. Carter ist der Mann, die Unschuld des Gefangenen zu beweisen, falls dieser wirklich, wie es den Anschein hat, unschuldig ist. Doch er tritt nur für einen Schuldlosen ein. Aus Mr. Masons Munde hörte er, wie dieser seine Beziehungen zu Ihnen auffasste, und er schickte mich hierher, um auch Ihre Ansicht kennen zu lernen. Ich zweifle nicht, dass mein Bericht seinen Glauben an Mr. Masons Unschuld stärken wird.«

»Das zu hören, macht mich aufrichtig glücklich«, erklärte Mary Alden mit verklärtem Lächeln. »Sie sind jederzeit willkommen, Miss Ida, verfügen Sie in Mr. Masons Interesse über mich.«

Damit entließ sie ihre Besucherin mit warmem Händedruck.