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Ritter Busso von Falkenstein – 12. Teil

Ritter Busso von Falkenstein
oder die Geheimnisse der Totengruft
Ein schauderhaftes Gemälde aus den Ritterzeiten
Verlegt durch Gottfried Basse zu Quedlinburg, 1813

»Wer bist du?«, fragte ihn der beherzte Ritter, »und was suchst du hier?«

Als der Unglückliche diese Stimme hörte, richtete er sich ein wenig auf. Busso erkannte in ihm den Grafen von der Eulenburg. Erstaunt und seinen Augen kaum trauen, betrachtete er ihn einen Augenblick und schwieg.  Der Graf aber, welcher seinen Anblick nicht ertragen konnte, wandte sein Gesicht zur Erde und  hob den Arm empor, um ihn gleichsam wie einen bösen Geist abzuwehren.

»Wo willst du mit mir hin, du Rache übender Geist?«, fragte er mit schwacher und zitternder Stimme.

Busso nannte ihn bei seinem Namen, fragte, wem diese Worte gelten sollten, und wer es wagen würde, ihn hier zu beleidigen. Alle seine Antworten waren jedoch so beschaffen, dass ihn der Ritter für wahnsinnig halten musste. Endlich erhob der Graf in einer konvulsivischen Bewegung sein Haupt, stützte es auf seinen Arm und sah Busso mit scheuem Blick an.

»Warum seht Ihr mich so verlegen an?«, fragte Busso, »kennt Ihr mich nicht?«

»Ich kenne Euch nur zu gut«, rief der Graf. »Dieses Schwert – ach! Der durch jenes Traumbild prophezeite wichtige Augenblick ist gekommen. Meine Familie ist bereits nicht mehr unter den Lebenden!«

»Diese Worte«, erwiderte Busso, »sind bedeutungsvoll und in meiner gegenwärtigen Lage zu rührend für mich, als dass ich Euch zu deren Auslegung zwingen sollte. Steht jedoch auf und beantwortet mir die Fragen gehörig, welche die Begebenheiten des heutigen Tages Euch vorzulegen mich berechtigen.«

Der Graf stand auf, gleichsam als ob eine höhere Macht ihm Gehorsam geböte. Plötzlich aber, von einem neuen Schauer ergriffen, rief er: »Auch! Diese schreckliche Erscheinung, dieser Blutstrom … rettet mich, sein Anblick ist mir unerträglich …«

»Dies ist bloß eine Folge Eurer Verbrechen, und vergebens werdet Ihr Euch bemühen, die Schreckbilder zu verscheuchen, die Eurer Seele vorschweben, Euer böses Gewissen wird Euch überall verfolgen.«

»Ja, alles ist vergebens«, antwortete der Graf, »wollt Ihr aber die schrecklichen Geheimnisse erfahren, die ich Euch zu entdecken bestimmt bin, so erbarmt Euch meiner und entfernt mi von dieser schrecklichen Szene. Hier kann ich nicht … es ist mir unmöglich … sie umgeben mich … die Rache schnaubenden Unholde, die unversöhnlichen Geister der Finsternis sind begierig, ihre furchtbaren Klauen nach ihrer Beute auszustrecken.«

Busso sah wohl, dass sein Geist in zu heftiger Bewegung war, um eine umständliche Erzählung erwarten zu dürfen, zumal an einem Ort, wo selbst der Unschuldige und Unerschrockene nicht furchtlos zu bleiben imstande war. Er ging also zum Ausgang der Höhle. Der Graf folgte ihm, am ganzen Leibe zitternd, mit langsamen Schritten. Als sie nicht mehr weit von der Öffnung der Höhle waren, sah Busso in einiger Entfernung vor sich eine Rüstung schimmern. Indem er sie betrachten wollte, wurde er einen Menschen gewahr, der sich hinter einem abgefallenen Felsenstück versteckt hielt. Als dieser sich entdeckt sah, warf er sich dem Ritter flehend zu Füßen und bat um Schonung seines Lebens. Buffo fragte ihn erzürnt, in welcher Absicht er sich hier zu verbergen suche, worauf der Unbekannte augenblicklich gestand, er wäre einer von den Knappen des Grafen von der Eulenburg und hätte seinen Herrn in diese Höhle begleiten müssen, um den Ritter Busso ums Leben zu bringen.

»Ist das wahr?«, fragte Busso wütend, indem er sich an den Grafen wandte.

»Ja, es ist wahr«, antwortete der Graf, »dies war meine Absicht; eine unsichtbare Macht aber vereitelte meinen Plan, und vergebens habe ich gegen die Ratschläge des Höchsten zu kämpfen versucht.«

Busso befahl dem Knappen, aufzustehen und ihm zu folgen. Alle drei verließen nun die Höhle. Obwohl der Wald noch in dunkle Nacht gehüllt war, so kam es ihnen, nach jener unterirdischen Finsternis doch vor, als erblickten sie das Tageslicht. Auf dringende Bitten des Grafen entfernten sie sich noch einige Schritte von der Höhle, bis man das Getöse des Stroms nicht mehr hören konnte.

»Nun, Graf«, sagte Busso, »verlange ich von Euch die Enträtselung aller Geheimnisse dieser merkwürdigen Höhle, wovon Ihr gewiss vollkommen unterrichtet seid. Warum war Euch der Anblick dieses Schwertes so schrecklich, und wer ist der Ermordete, in dessen Händen ich dasselbe fand?«

»Dieses Gerippe, antwortete der Graf, »ist … Euer Vater … ich bin sein Mörder!«

Busso zitterte, die Haare auf seinem Haupt standen ihm empor und seine Augen sprühten Feuer.

»Bezähmt Eure Wut«, sagte der Graf, »und lasst mich weiterreden. Ich fühle, dass die Stunde der Rache gekommen ist. Eine unsichtbare Macht zwingt mich, Euch eine Begebenheit zu erzählen, die ich so gern in den Schleier der Vergessenheit hüllen möchte. Vernehmt also: Rudolph, Graf von der Eulenburg, war Euer Vater und mein Bruder – mein ältester Bruder. Er kam aus dem Heiligen Land zurück, um eine Erbschaft zu heben, die den Rittern von Falkenstein von Rechtswegen zukam. Ich, eifersüchtig auf sein Glück und von schändlichem Geiz geblendet, lauerte ihm an der Spitze einiger in meinem Sold stehenden Verräter in diesem Wald auf. Er war allein, aber mit dem Schwert, mit welchem er so tapfer gegen die Ungläubigen gekämpft hatte, verteidigte er sich lange gegen seine Mörder, musste aber endlich doch der Übermacht nachgeben, und fiel. Während er mit dem Tod rang, hielt er sein Schwert so fest in der Hand, dass ihn einer meiner Leute selbige abhauen wollte, um es zu bekommen, woran ich ihn aber hinderte. Alle wackeren Krieger, die mit Rudolph im Heiligen Land gefochten hatten, kannten sein Schwerdt; wäre ich oder einer meiner Knappen in dessen Besitz gewesen, so konnte der Mord leicht verraten werden. Ich befahl also, diese Beute fahren zu lassen, und den Ritter samt seinem Schwert in dieser Höhle zu begraben.

Das Gerücht verbreitete sich, Rudolph sei unterwegs umgekommen, gegen mich entstand nicht der geringste Argwohn. Ohne Schwierigkeit kam ich in Besitz der ganzen Grafschaft und des Vermögens meines Bruders; kein Mensch kennt aber die Gewissensbisse, welche mich bis diesen Augenblick gequält haben. Oft trat mir in den nächtlichen, schlaflosen Stunden der Geist meines ermordeten Bruders vor Augen, er zeigte mir seine Wunden und schwang sein blutiges Schwert. Mit furchtbarer Stimme, die selbst bei den zerstreuenden Vergnügungen und Festlichkeiten in meinen Ohren widerhallte, kündigte er mir öfters Rache an. Er sagte mir den Tod meiner fünf Söhne vorher, die ich verloren habe; auf das größte Unglück aber, auf den härtesten Schlag, der meine Strafe vollenden sollte, möchte ich mich in dem Augenblick gefasst halten, wo ich sein Schwert in den Händen seines rechtmäßigen Erben erblicken würde. Mit welcher Angst habe ich bis jetzt das Herannahen dieser traurigen Stunde gefürchtet. Nur diejenigen können sich eine Vorstellung von meiner Seelenpein machen, welche wie ich unschuldiges Blut vergossen haben. Dennoch hegte ich aber immer eine schwache Hoffnung, seine Drohungen würden nicht in Erfüllung gehen, und machte zugleich verschiedene Versuche, mich in den Besitz dieses Schwertes zu bringen, aber die Furcht, der Mord könnte entdeckt werden, gestattete mir nicht, zur Erreichung meines Zwecks andere Menschen zu gebrauchen als die, welche Anteil an dem Mord hatten. Diese haben das Unternehmen verschiedene Male gewagt, aber nie den Mut gehabt, die Schrecknisse dieser Höhle zu besiegen. Ich gab mir alle Mühe, den rechtmäßigen Erben meines Bruders, welchem dieses Schwert bestimmt war, zu entdecken, erfuhr aber, dass Rudolph, vor seinem Zug in das Heiligen Land, sich unter einem anderen Namen im fremden Land verheiratet habe, damit unser Vater, der ihm eine andere Gemahlin, die er nicht liebte, bestimmt hatte, seine Verehelichung nicht erfahren möchte. Aber meiner Bemühungen ungeachtet, ist mir  jedoch der Name seiner Gattin und ob er einen Erben hinterlassen hatte, nie bekannt geworden. Bis zu dieser schreckensvollen Nacht blieb ich also in meiner traurigen Ungewissheit, aber schon bei Eurer Ankunft ahnte ich, dass Ihr derjenige wärt, der meine schwarze Tat rächen sollte. Mein Sohn nannte mir Euren Namen, und nur mit Mühe konnte ich meine Bestürzung verbergen. Eure treffende Ähnlichkeit mit meinem Bruder und der Anblick Eures mir wohl bekannten Ringes, ließ mir keinen Zweifel übrig. Eure Erzählung an jenem Morgen setzte mit vollends in Gewissheit. Von jenem Augenblick an wurde Euer Tod beschlossen. Ich hatte bereits einen Plan, Euch zu ermorden, entworfen, als ich mit Schrecken vernahm, dass Ihr Willens wäret, die Geheimnisse der Todeshöhle zu enthüllen. Ich durfte keinen Augenblick verlieren, wenn ich Euch  daran hindern wollte, in den Besitz dieses Schwertes zu kommen. In meiner äußersten Verzweiflung hoffte ich noch ein Mittel ausfindig zu machen, um das mir und meinem Haus drohende Unglück abzuwenden. Eine geheime Macht zwang mich zu diesem Unternehmen und überhob mich der Furcht, welche mir sonst der bloße Gedanke an den Schauplatz meines Verbrechens eingeflößt hatte. Ich bewaffnete einige meiner Knappen, auf deren Treue und Verschwiegenheit ich mit Gewissheit rechnen konnte, und begab mich an ihrer Spitze in diese Höhle, in der Hoffnung, Ihr würdet Euch in irgendeinem ihrer furchtbaren Seitengänge verirrt haben, und ich früher als Ihr in den Besitz des Schwertes, wovon mein Schicksal abhing, gelangen. In diesem Augenblick waren wir, sowohl ich als auch meine Mordgehilfen, die Einzigen, welche noch lebten, ganz furchtlos und entschlossen, jeder Gefahr Trotz zu bieten. Als wir aber in jenem großen Raum ankamen, wo Ihr mich fandet, schreckte uns das furchtbare Toben des Stromes aus unseren Träumereien. Wir bestiegen eine kleine Anhöhe und betrachteten den Fluss. Himmel! Anstatt des Wassers sahen wir nichts als Blut … Diejenigen meiner Gefährten, welche an Rudolphs Mord keinen Anteil gehabt hatten, stießen ein furchtbares Geschrei bei dieser schrecklichen Vorbedeutung aus und nahmen die Flucht. Weine beiden Mordfährten aber, die, so wie ich, ihre Hände mit meines Bruders Blut befleckt hatten, blieben nebst mir erschrocken und erstaunt stehen, als plötzlich ein großes Felsstück von oben herabstürzte und diese beiden Menschen zerschmetterte; der eine davon war Robert, Euer Knappe, der vor Zeiten in meinen Diensten stand.«

»Robert!«, rief Busso erschrocken. »Robert war also auch ein schändlicher Verräter?«

»Von dem Augenblick an, erwiderte der Graf, »wo ich ihm Eure Herkunft bekannt gab, bewog ihn teils seine eigene Furcht, die Teilnahme an Eures Vaters Mord könne entdeckt werden, teils auch seine Abhängigkeit von meiner Person sowie vorzüglich die Belohnungen, welche ihm versprach, Euch aus dem Reich der Lebenden schaffen zu helfen. Von ihm erfuhr ich auch Euren Vorsatz, diese unterirdische Gruft zu untersuchen.«