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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 7. – 10. Bändchen – Kapitel IV

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Siebentes bis zehntes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

IV. Vaterschaft

Während sich diese furchtbare Szene bei Lord Winter ereignete, saß Athos am Fenster seines Zimmers, den Ellenbogen auf einen Tisch, den Kopf auf seine Hand gestützt, und hörte zugleich mit Augen und Ohren Raoul zu, der ihm die Abenteuer seiner Reise und die einzelnen Begebenheiten der Schlacht erzählte.

Das schöne, edle Antlitz von Athos drückte ein unsägliches Glück bei der Mitteilung dieser ersten, so frischen und so reinen Gemütsbewegung aus. Er sog die Töne dieser jugendlichen Stimme ein, welche sich bereits für schöne Gefühle begeisterte, wie man eine harmonische Musik einsaugt. Er vergaß, was Düsteres in der Vergangenheit, was Wolkiges in der Zukunft lag. Man hätte glauben sollen, durch die Rückkehr dieses viel geliebten Kindes wären aus seinen Befürchtungen Hoffnungen geworden. Athos war glücklich, glücklich, wie nie zuvor.

»Ihr habt also der großen Schlacht beigewohnt und daran Anteil genommen, Bragelonne?«, sprach der ehemalige Musketier.

»Ja, Monsieur.«

»Und der Kampf war heiß, sagt Ihr?«

»Der Monsieur Prinz hat elfmal in Person angegriffen.«

»Er ist ein großer Kriegsmann, Bragelonne.«

»Er ist ein Held. Ich habe ihn nicht einen Augenblick aus dem Blick verloren. O wie schön ist es, Monsieur, sich Condé zu nennen und seinen Namen so zu tragen!«

»Ruhig und glänzend, nicht wahr?«

»Ruhig wie bei einer Parade, glänzend wie bei einem Fest. Als wir uns dem Feind näherten, geschah es im Schritt. Man hatte uns verboten, zuerst zu schießen, und wir marschierten gegen die Spanier, welche sich, die Muskete auf dem Schenkel, auf einer Anhöhe hielten. Auf dreißig Schritte zu ihnen gelangt, wandte sich der Prinz nach den Soldaten um und sagte: ›Kinder, Ihr werdet eine furchtbare Ladung auszuhalten haben. Hernach aber, seid unbesorgt, habt Ihr geringe Arbeit mit allen diesen Leuten.‹ Es herrschte eine solche Stille, dass Freunde und Feinde diese Worte hörten. Dann seinen Degen erhebend, rief er: ›Blast, Trompeter!‹«

»Gut, gut, wenn sich diese Gelegenheit findet, werdet Ihr es ebenso machen, Raoul, nicht wahr?«

»Allerdings, Monsieur, wenn ich es vermag, denn es dünkte mich sehr groß und schön. Als wir noch zehn Schritte näher gekommen waren, sahen wir all diese Musketen sich wie eine glänzende Linie senken; denn die Sonnenstrahlen funkelten auf den Läufen. ›Im Schritt, Kinder, im Schritt!‹, sprach der Prinz, ›dies ist der Augenblick!‹

»Hattet Ihr bange, Raoul?«, fragte der Graf.

»Ja, Monsieur«, antwortete der Jüngling naiv. »Ich fühlte eine große Kälte in meinem Herzen, und bei dem Wort Feuer, das in spanischer Sprache in den feindlichen Reihen ertönte, schloss ich die Augen und dachte an Euch.«

»Wirklich, Raoul?«, sprach Athos und drückte ihm die Hand.

»Ja, Monsieur, in demselben Augenblick entstand ein solcher Lärm, dass man hätte glauben sollen, die Hölle öffne sich, und diejenigen, welche nicht getötet wurden, fühlten die Wärme der Flamme. Ich öffnete die Augen wieder, erstaunt, nicht tot oder wenigstens verwundet zu sein … Ein Drittel der Schwadron lag verstümmelt und blutig auf der Erde. In diesem Moment begegnete ich dem Blick des Prinzen. Ich dachte nur noch an eines, daran, dass er mich anschaute. Ich gab meinem Pferd beide Sporen und befand mich mitten unter den feindlichen Reihen.«

»Und der Prinz war mit Euch zufrieden?«

»Er sagte es mir wenigstens, als er mich beauftragte, Monsieur von Chatillon zu begleiten, welcher diese Neuigkeit der Königin mitzuteilen und die eroberten Fahnen zu überbringen hatte. ›Geht‹, sprach der Prinz zu mir, ›der Feind kann sich vor vierzehn Tagen nicht wieder gesammelt haben. Bis dahin bedarf ich Eurer nicht. Geht und umarmt diejenigen, welche Euch lieben und welche Ihr liebt. Sagt Frau von Longueville, meiner Schwester, ich danke ihr für das Geschenk, das sie mir mit Euch gemacht habe.‹ Und ich bin gekommen«, fügte Raoul bei und schaute den Grafen mit einem Lächeln tiefer Liebe an, »denn ich dachte, es würde Euch Freude machen, mich wiederzusehen.«

Athos zog den Jüngling zu sich und küsste ihn auf die Stirn, wie er es bei einem jungen Mädchen getan hätte.

»So seid Ihr also in die Welt eingetreten, Raoul«, sprach er, »Ihr habt Herzoge zu Freunden, einen Marschall von Frankreich zum Paten, einen Prinzen von Geblüt zum Feldherrn und seid an einem Tag Eurer Rückkehr von zwei Königinnen empfangen worden. Das ist schön für einen Novizen.«

»Ah, Monsieur!«, sprach Raoul plötzlich, »Ihr erinnert mich an einen Umstand, den ich in meinem Eifer, Euch meine Begebenheiten zu erzählen, vergessen hatte. Bei Ihrer Majestät der Königin von England befand sich ein Edelmann, der, als ich Euren Namen aussprach, einen Schrei des Erstaunens ausstieß. Er nannte sich einen von Euren Freunden, fragte mich nach Eurer Adresse und wird Euch besuchen.«

»Wie heißt er?«

»Ich wagte es nicht, ihn zu fragen. Aber obwohl sich zierlich ausdrückte, hielt ich ihn doch nach seinem Akzent für einen Engländer.«

»Ah!«, rief Athos, und sein Haupt neigte sich, als suchte er eine Erinnerung; dann als er die Stirn wieder erhob, wurden seine Augen betroffen von der Gegenwart eines Mannes, der vor der halb geöffneten Tür stand und ihn mit einer gerührten Miene anschaute.

»Mylord von Winter!«, rief der Graf.

»Athos, mein Freund!«

Die zwei Männer hielten sich einen Augenblick umschlossen. Dann nahm Athos den Engländer bei beiden Händen und sprach, ihn anschauend: »Was habt Ihr, Mylord? Ihr scheint eben so traurig, wie ich heiter bin!«

»Ja, teurer Freund, es ist wahr. Und ich sage noch mehr: Euer Anblick verdoppelt meine Furcht.«

Und von Winter schaute um sich her, als suchte er allein zu sein. Raoul begriff, dass die zwei Freunde miteinander zu sprechen hatten, und entfernte sich in der Stille.

»Nun, da wir allein sind, sprechen wir von Euch«, sagte Athos.

»Während wir hier allein sind, sprechen wir von uns«, erwiderte Lord Winter. »Er ist hier.«

»Wer?«

»Der Sohn von Mylady.«

Abermals von diesem Namen berührt, der ihn wie ein unseliges Echo zu verfolgen schien, zögerte Athos einen Augenblick, faltete leicht die Stirn und sprach dann mit ruhigem Ton: »Ich weiß es.«

»Ihr wisst es?«

»Ja, Grimaud hat ihn zwischen Bethune und Arras getroffen und ist mit verhängten Zügeln zurückgekehrt, um mich von seiner Gegenwart zu benachrichtigen.«

»Grimaud kannte ihn also?«

»Nein, aber er war am Sterbebett eines Menschen, der ihn kannte.«

»Der Henker von Bethune!«, rief von Winter.

»Ihr wisst es?«, sprach Athos erstaunt.

»Er verlässt mich in diesem Augenblick und hat mir alles gesagt«, antwortete Lord Winter. »Ah, mein Freund, was für eine furchtbare Szene! Warum haben wir nicht das Kind mit der Mutter erstickt!«

Athos, wie alle edlen Naturen, übertrug die schmerzlichen Eindrücke, welche er empfand, nicht an andere, sondern er verarbeitete dieselben im Gegenteil in sich selbst und gab an ihrer Stelle Hoffnungen und Tröstungen aus. Es war, als gingen seine persönlichen Schmerzen aus seinem Gemüt in Freuden für andere verwandelt hervor.

»Was befürchtet Ihr?«, sagte er, durch Vernunftschlüsse von dem instinktartigen Schrecken sich erholend, den er anfangs empfunden hatte. »Sind wir nicht da, um uns zu verteidigen? Hat sich dieser junge Mensch zum gewerbsmäßigen Heuchler, zum Mörder mit kaltem Blut gemacht? Er konnte den Henker von Bethune in einem Anfall von Wut töten, aber seine Rache ist nun gestillt.«

Lord Winter lächelte traurig und schüttelte das Haupt. »Ihr kennt also dieses Blut nicht mehr?«, sagte er.

»Bah!«, sprach Athos, der ebenfalls zu lächeln versuchte, »es wird in der zweiten Generation von seiner Wildheit verloren haben. Überdies, mein Freund, hat uns die Vorsehung zur rechten Zeit Kunde gegeben, damit wir auf der Hut sein mögen. Wir können nichts anderes tun, als zu warten. Warten wir also. Aber wie ich von Anfang an sagte, sprechen wir von Euch. Was führt Euch nach Paris?«

»Wichtige Angelegenheiten, die Ihr später kennen lernen sollt. Doch was habe ich bei Ihrer Majestät der Königin von England sagen hören? Monsieur d’Artagnan ist Mazariner. Verzeiht mir meine Offenherzigkeit, Freund: Ich hasse den Kardinal nicht und schmähe ihn auch nicht, und Eure Ansichten werden mir stets heilig sein … solltet Ihr zufällig auch diesem Menschen angehören?«

Monsieur d’Artagnan ist im Dienst«, antwortete Athos, »er ist Soldat, er gehorcht der bestehenden Gewalt. Monsieur d’Artagnan ist nicht reich und bedarf, um zu leben, seiner Stelle als Leutnant. Die Millionäre wie Ihr, Mylord, sind in Frankreich selten.«

»Ach!«, sprach Lord Winter, »ich bin heute so arm und noch ärmer als er. Aber kommen wir auf Euch zurück.«

»Gut! Ihr wollt wissen, ob ich Mazariner bin? Nein, tausendmal nein! Vergebt mir ebenfalls meine Offenherzigkeit, Mylord!«

Lord Winter stand auf, schloss Athos in seine Arme und sprach: »Ich danke, Graf, ich danke für diese beseligende Kunde. Ihr seht mich glücklich und vergnügt. Ah! Ihr seid kein Mazariner, Ihr! Vortrefflich, das konnte auch gar nicht sein. Aber vergebt mir abermals: Seid Ihr frei?«

»Was versteht Ihr unter frei?«

»Ich frage Euch, ob Ihr nicht verheiratet seid?«

»Ah, was das betrifft, nein«, antwortete Athos lächelnd.

»Der schöne, zierliche, anmutige junge Mann …«

»Ist ein Kind, das ich erziehe und das nicht einmal seinen Vater kennt.«

»Sehr gut, Ihr seid immer derselbe, Athos, groß und edelmütig.«

»Lasst hören, Mylord, was wünscht Ihr von mir?«

»Ihr habt die Messieurs Porthos und Aramis immer noch zu Freunden?«

»Fügt auch d’Artagnan bei, Mylord, wir sind immer noch vier einander, wie früher, treu ergebene Freunde. Wenn es sich aber darum handelt, dem Kardinal zu dienen oder ihn zu bekämpfen, Mazariner oder Frondeurs zu sein, so sind wir nur noch zwei.«

»Monsieur Aramis ist bei d’Artagnan?«, fragte Lord Winter.

»Nein, Monsieur Aramis erweist mir die Ehre, meine Überzeugung zu teilen.«

»Könnt Ihr mich mit diesem so reizenden und so geistreichen Freund in Verbindung bringen?«

»Allerdings, sobald es Euch genehm ist.«

»Hat er sich verändert?«

»Er ist Abbé geworden, sonst nichts.«

»Ihr erschreckt mich! Sein Stand musste es dahin bringen, dass er auf die großen Unternehmungen Verzicht leistete?«

»Im Gegenteil«, versetzte Athos lächelnd, »er ist nie so sehr Musketier gewesen, als seitdem er Abbé geworden ist. Wollt Ihr, dass ich ihn durch Raoul holen lasse?«

»Ich danke Euch, Graf, man dürfte ihn zu dieser Stunde nicht zu Hause treffen. Da Ihr aber für ihn stehen zu können glaubt …«

»Wie für mich selbst.«

»Könnt Ihr Euch anheischig machen, ihn mir morgen um zehn Uhr auf den Pont-du-Louvre zu bringen?«

»Ah, ah«, sagte Athos lächelnd, »Ihr habt ein Duell?«

»Ja, Graf, und zwar ein schönes Duell, ein Duell, bei dem auch Ihr, wie ich hoffe, sein werdet.«

»Wohin gehen wir, Mylord?«

»Zu Ihrer Majestät der Königin von England, welche mich beauftragt bat, Euch ihr vorzustellen, Graf.«

»Ihre Majestät kennt mich also?«

»Ich kenne Euch.«

»Ein Rätsel«, sagte Athos, »doch gleichviel, wenn Ihr nur den Schlüssel dazu habt, so verlange ich nicht mehr. Werdet Ihr mir die Ehre erzeigen, mit mir zu Nacht zu speisen, Mylord?«

»Ich danke, Graf. Der Besuch dieses jungen Menschen hat mir, redlich gestanden, den Appetit genommen und wird mir auch den Schlaf nehmen. Was für ein Unternehmen hat er in Paris durchzuführen? Nicht um mich zu treffen, ist er hierhergekommen, denn er wusste nichts von meiner Reise. Dieser junge Mensch erschreckt mich, Graf. Es liegt eine blutige Zukunft in ihm.«

»Was macht er in England?«

»Er ist einer von den eifrigsten Anhängern von Oliver Cromwell.«

»Wer hat ihn mit dieser Sache in Verbindung gebracht? Seine Mutter und sein Vater waren, glaube ich, Katholiken.«

»Der Hass, den er gegen den König hegt.«

»Gegen den König?«

»Ja, der König hat ihn zum Bastard erklärt, ihn seiner Güter beraubt und ihm verboten, den Namen Winter zu führen.«

»Und wie heißt er jetzt?«

»Mordaunt.«

»Puritaner, und als Mönch verkleidet reist er allein auf den Landstraßen Frankreichs umher?«

»Als Mönch, sagt Ihr?«

»Ja, wusstet Ihr das nicht?«

»Ich weiß nichts, als was er mir selbst gesagt hat.«

»Und auf diese Art hat er zufällig, ich bitte Gott um Verzeihung, wenn ich blasphemiere, hat er zufällig des Henkers von Bethune Beichte gehört.«

»Dann errate ich alles. Er kommt von Cromwell abgesandt.«

»An wen?«

»An Mazarin. Und die Königin hatte recht, man ist uns zuvorgekommen. Alles erklärt sich jetzt. Gott befohlen Graf. Morgen also!«

»Aber die Nacht ist schwarz«, sprach Athos, da er sah, dass Lord Winter von einer größeren Unruhe heimgesucht war, als er den Anschein haben wollte.

»Und Ihr habt vielleicht keinen Lakaien bei Euch?«

»Ich habe Tomy, einen guten, aber einfältigen Menschen.«

»Holla! Olivain, Grimaud, Blaisois! Man nehme die Muskete und rufe den Monsieur Vicomte!«

Blaisois war jener große Bursche, halb Lakai, halb Bauer, den wir in dem Schloss Bragelonne gesehen haben, wo er meldete, das Mittagessen wäre aufgetragen. Athos hatte ihn mit dem Namen seiner Provinz getauft.

Fünf Minuten, nachdem dieser Befehl gegeben war, trat Raoul ein.

»Vicomte«, sagte Athos, »Ihr geleitet Mylord bis zu seinem Gasthof und lasst niemand sich ihm nähern.«

»Ah, Graf«, sprach Lord Winter, »für wen haltet Ihr mich?«

»Für einen Fremden, der Paris nicht kennt«, sagte Athos, »und dem der Vicomte den Weg zeigen wird.«

Der Lord reichte ihm die Hand.

»Grimaud«, sprach Athos, »stelle dich an die Spitze der Truppe und gib auf den Mönch Acht.«

Grimaud bebte. Dann machte er ein Zeichen mit dem Kopf und erwartete den Abgang mit schweigender Beredsamkeit, den Kolben seiner Muskete liebkosend.

»Morgen, Graf«, sagte Lord Winter.

»Ja, Mylord.«

Die kleine Truppe wandte sich der Rue Saint Louis zu. Olivain zitterte bei jedem zweideutigen Lichtreflex. Blaisois war ziemlich fest, weil er nicht wusste, dass man in irgendeine Gefahr lief. Tomy schaute rechts und links, konnte aber kein Wort sagen, weil er nicht Französisch sprach.

Von Winter und Raoul hielten sich nebeneinander und plauderten. Grimaud, der nach dem Befehl von Athos den Zug anführte, gelangte, die Fackel in einer, die Muskete in der anderen Hand, an den Gasthof von Lord Winter und klopfte mit der Faust an die Tür. Als man öffnete, verbeugte er sich vor Mylord, ohne etwas zu sagen.

Ebenso ging es bei der Rückkehr. Die durchdringenden Augen von Grimaud sahen nichts Verdächtiges, als eine Art von Schatten, der an der Ecke der Rue Guénégaud gleichsam im Hinterhalt lag und den er vom Kai aus gesehen zu haben glaubte. Er ritt auf ihn zu, aber ehe er ihn hatte erreichen können, war der Schatten in einer Gasse verschwunden, in welche einzudringen Grimaud nicht für klug hielt.

Man meldete Athos den Erfolg der Expedition. Da es bereits zehn Uhr abends war, so zog sich jeder in sein Zimmer zurück.

Als der Graf am anderen Morgen seine Augen öffnete, erblickte er Raoul an seinem Bett. Der junge Mann war völlig angekleidet und las ein neues Buch von Monsieur Chapelaine.

»Schon aufgestanden, Raoul?«, fragte der Graf.

»Ja, Monsieur«, antwortete der junge Mann mit einem leichten Zögern, »ich habe schlecht geschlafen.«

»Ihr, Raoul, Ihr schlecht geschlafen! Es beschäftigte Euch also etwas?«, fragte Athos.

»Wertester Monsieur, Ihr werdet sagen, ich habe große Eile, Euch zu verlassen, da ich kaum erst angekommen bin, aber …«

»Ihr habt also nur zwei Tage Urlaub, Raoul?«

»Im Gegenteil, Monsieur, ich habe zehn; ich wünschte auch nicht zum Lager zu gehen.«

»Wohin denn sonst«, versetzte Athos lächelnd, »wenn es nicht ein Geheimnis ist, Vicomte? Ihr seid beinahe ein Mann, da Ihr Eure erste Waffentat verrichtet habt, und es steht Euch das Recht zu, zu gehen, wohin Ihr wollt, ohne es mir zu sagen.«

»Nie, Monsieur«, sprach Raoul, »so lange ich das Glück genieße, Euch zum Beschützer zu haben, werde ich mich nicht für berechtigt halten, mich von einer Vormundschaft zu befreien, die mir so teuer ist. Ich wünsche nur einen Tag in Blois zuzubringen. Ihr schaut mich an und werdet über mich lachen.«

»Nein, im Gegenteil«, erwiderte Athos, einen Seufzer unterdrückend, »nein, ich lache nicht, Vicomte. Ihr habt Lust, Blois wiederzusehen, und das ist ganz natürlich.«

»Ihr erlaubt es mir also?«, rief Raoul freudig.

»Gewiss, Raoul.«

»Und Ihr seid nicht ärgerlich darüber?«

»Keineswegs. Warum sollte ich über das, was Euch Vergnügen macht, ärgerlich sein?«

»Ah, Monsieur, wie gut seid Ihr!«, rief der junge Mann und machte eine Bewegung, als wollte er Athos an den Hals springen; aber die Achtung hielt ihn zurück.

Athos öffnete ihm die Arme.

»Also kann ich sogleich abreisen?«

Raoul machte drei Schritte, um sich zu entfernen.

»Monsieur«, sprach er, »ich dachte an eines, daran, dass ich durch die Frau Herzogin von Chevreuse, welche so gut gegen mich ist, bei dem Monsieur Prinzen eingeführt worden bin.«

»Und dass Ihr der Herzogin einen Dank schuldig seid, nicht wahr, Raoul?«

»So scheint es mir, doch es hängt von Eurer Entscheidung ab.«

»Geht durch zur Villa Luynes, Raoul, und lasst fragen, ob Euch die Frau Herzogin empfangen kann. Ich sehe mit Vergnügen, dass Ihr die Schicklichkeit nicht vergesst. Nehmt Grimaud und Olivain mit.«

»Beide, Monsieur?«, fragte Raoul erstaunt.

»Beide.«

Raoul verbeugte sich und ging ab.

Als ihn Athos die Tür schließen sah und hörte, wie er mit seiner fröhlichen, wohlklingenden Stimme Grimaud und Olivain rief, seufzte er.

Das heißt sehr geschwinde mich verlassen, dachte er, den Kopf schüttelnd, aber er gehorcht dem gemeinschaftlichen Gesetze. Die Natur ist so beschaffen; sie schaut vorwärts. Er liebt offenbar dieses Kind. Wird er mich aber darum weniger lieben, weil er auch andere liebt?

Athos gestand sich zu, dass er die so rasche Abreise nicht erwartet hatte. Aber Raoul war so glücklich, dass im Geist von Athos alles vor dieser Betrachtung verschwand.

Um zehn Uhr war alles zum Abgang bereit. Als Athos Raoul zu Pferde steigen sah, kam ein Lakai, um ihn im Namen von Frau von Chevreuse zu begrüßen.

Er war beauftragt, dem Grafen de la Fère zu sagen, sie hätte die Rückkehr ihres jungen Schützlings sowie sein Benehmen in der Schlacht erfahren, und es würde sie sehr freuen, ihn zu beglückwünschen.

»Sagt der Frau Herzogin«, antwortete Athos, »der Vicomte stiege zu Pferd, um sich zur Villa Luynes zu begeben.«

Dann, nachdem er Grimaud neue Befehle erteilt hatte, machte Athos Raoul ein Zeichen mit der Hand, dass er abgehen könnte.

Athos bedachte bei näherer Überlegung, dass es vielleicht nicht schlimm wäre, wenn Raoul sich in diesem Augenblick von Paris entfernte.