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Nach Amerika! – Zweiter Band – 02 – Teil 1

Friedrich Gerstäcker
Nach Amerika!
Zweiter Band
Leipzig, Berlin, 1855

Der Weserkahn

Teil 1

Der nächste Tag war ein geschäftiger für die Passa­giere zweier Seeschiffe, die noch an demselben Abend expediert zu werden hofften, und, der Aussage der Reeder wenigstens nach, segelfertig und bis auf einige unbedeutende Kleinig­keiten vollständig gerüstet vor Anker lagen . Tausenderlei Sachen mussten noch besorgt und eingekauft werden, die man teils für nötig, teils selbst für unentbehrlich hielt; Wein und Branntwein wurde dabei angeschafft, Zucker und Zwieback, eine ganze Ladung von Heringen und Sardellen eingelegt, den schlimmsten Feind der Reisenden, die Seekrankheit, wenn nicht zu bannen, doch damit in ihren Wirkungen zu schwächen. Auch mit Blech und anderem Geschirr, mit Messer, Löffeln und Gabeln als auch verschiedenen Gewürzen hatten sich be­sonders die Zwischendeckspassagiere zu versehen, denen etwas Ähnliches vom Schiff aus nicht geliefert wurde. Und wie viel vergaßen sie noch, was sie nachher gern auf dem Schiff mit dem Doppelten bezahlt hätten, wo es freilich nicht mehr zu bekommen war, und wie viel auch wurde überflüssig als geglaubtes Bedürfnis mitgeschleppt, nachher eine Weile unbe­nutzt im Weg herumzufahren und zu verderben und dann über Bord geworfen zu werden.

Wer aber kann es den Leuten verdenken, dass sie nicht gleich wissen und verstehen, sich auf eine so lange mühselige und mit Entbehrungen und Gefahren verknüpfte Reise in we­nigen Tagen, oft fast nur Stunden ordentlich und vollständig vorzubereiten? Meist aus dem inneren Land, mit der See kaum dem Namen nach bekannt, schwimmt ihnen alles, was sie vielleicht über eine erste Einschiffung gelesen hatten, nur wie in wirren Bildern im Hirn herum, die sie dann nicht fassen und halten können, sobald sie das zum ersten Mal nun praktisch ausführen sollen, was sie sich Monate vorher vielleicht schon einstudiert hatten.

Der Deutsche ist, wo es ins praktische Leben eingreift, das ungeschickteste Menschenkind auf der weiten Got­tes Welt. Viel tut dabei die Erziehung, und gegängelt und am Leitseil geführt nicht allein bis ins Schwaben­alter, sondern oft auch bis ins Grab, wird ein so vortreff­licher Staatsbürger aus ihm (den alle anderen, fremden Re­gierungen nicht genug zu rühmen wissen), dass er eben zu nichts weiter zu gebrauchen ist und eben nur so verbraucht werden muss. Reißt er sich aber einmal los aus den alten Verhält­nissen, lässt er die Leute, die bis dahin so aufmerksam und vä­terlich für ihn gesorgt haben, zurück, dann macht er auch am Anfang gewiss eine Menge dummer Streiche, tritt anderen Leuten auf die Zehen oder wird von ihnen getreten (in beiden Fällen regelmäßig um Entschuldigung bittend) und verstößt gegen alles, was ihm in den Weg kommt, am meisten aber gewiss gegen sich selbst. Später wird er gescheit, aber es dauert eine lange Zeit.

Hier aber hat er noch manche Entschuldigung für sich; eben erst aus seinem heimischen Boden gerissen, die Augen noch von, wenn auch heimlichen Tränen rot, das Herz zum Brechen voll und den Kopf wüst und wirr in der Erinnerung an das kaum Überstandene; was Wunder, dass er da die Tage gerade, wo er die Sinne recht beisammen haben sollte, wie im Traum herumgeht und trotz allen Büchern und Ratgebern, die er vorher gelesen hatte, erst wieder an das Nö­tigste denkt, wenn er in Ruhe kommt, d.h . wenn das Schiff in See und die Seekrankheit vorüber ist – weit draußen im Ozean – allerdings etwas zu spät.

So sieht man Scharen von Auswanderern die Straßen der Seestädte den ganzen Tag über durchziehen, in Gesellschaft und einzeln, die Männer mit ihren grauen Filzhüten auf und Blusen über die Röcke gezogen, die kurzen Pfeifen im Mund, die Frauen Kinder an der Hand und auf dem Arm, in kleinen schüchternen Trupps vor jedem aufgeputzten Laden stehen bleibend und die Sachen darin bewundernd oder weiter schlendernd und die Aushängeschilder buchstabierend, die über den verschiedenen Türen hängen. Es ist das die leere Zeit in ihrem Leben, der erste Ruhepunkt vielleicht, solange sie denken können, eine Zeit in der sie nichts zu tun haben – nichts wenigstens für andere Leute, wenn auch eigentlich genug für sich selbst. Wie eine Reihe von Sonntagen, jeder immer länger werdend als der Vorgänger, schleichen die Stun­den an ihnen hin und bieten erst wieder Stoff zu Gedanken und Betrachtungen draußen in See.

Die Kajütpassagiere, wie solche der Zwischendeckspassa­giere, die noch über einiges Geld zu verfügen hatten, wohn­ten indessen in den besseren Gasthöfen Bremens und benutzten zum Hinausfahren zu ihrem Bestimmungsort, wo das Schiff vor Anker lag, auf dem sie ihre Überfahrt bedungen, eines der kleinen Dampfboote, die täglich zweimal in wenigen Stunden nach Bremerhaven hinausfahren und überall an den Zwischenstationen anlegen; die meisten der Zwischendeckspassa­giere aber, und besonders solche, die von den Reedern auf einen gewissen Tag angenommen waren, von dem aus sie be­köstigt werden mussten , waren schon an Bord gegangen1, ihr Geld nicht weiter in der teuren Stadt zu verzehren. Die jedoch , die sich noch in der Stadt befanden und auf freie Passage nach Bord zu mit ihrem Gepäck, Anspruch machten, da sie sich das gleich in ihrem, mit früheren Agenten abgeschlossenem Schiffskontrakt festgestellt hatten, waren am 20. morgens um sechs Uhr an die Ausmündung einer bestimmten Straße, unten an die Weser bestellt, wo der Kahn Nr. 67 – Kahnführer Meinert – lag, von diesem gratis an Bord der Heidschnucke geschafft zu werden.

Dort versammelte sich denn auch an dem schönen sonni­gen Morgen, dem nur im Westen dunkel aufsteigende Wolken ein kurzes Ende zu machen drohten, eine Masse Menschen ver­schiedenartigsten Alters und Geschlechts, um sich mit dem versprochener Maßen bedeckten Flussschiff an den Ort ihrer Bestimmung baldmöglichst befördert zu sehen. Kisten und Ka­sten, die Karrenführer schon seit zwei Stunden herbei­geschafft hatten, lagen an der bezeichneten Landung bunt aufgestapelt, und Hutschachteln, Reisesäcke, Körbe mit Viktualien etc. wuchsen von Minute zu Minute an Masse und Gewicht.

Die buntgemischteste Gesellschaft, die sich dabei nur den­ken lässt , sammelte sich um die Effekten, junge und alte Män­ner, ihren Tabak in die freie Luft hinausqualmend und un­geduldig dabei am Ufer auf- und abgehend, und Frauen und junge Mädchen, fest in ihre Umschlagetücher eingehüllt, die doch etwas frische Morgenluft abzuhalten. Die Leute waren aber noch nicht recht bekannt miteinander geworden; die Ge­spräche drehten sich bisher nur um das Gepäck und das be­deckte Flussschiff, das sich noch immer nicht zeigen wollte. Damit hatten sie aber auch vor der Hand übrig genug zu tun, denn dem fehlte ein Koffer, dem war ein Schloss von seiner Kiste abgerissen oder der Deckel eingedrückt worden; der eine hatte noch dies in der Stadt vergessen, einzukaufen, und mochte nicht mehr hinauflaufen, aus Furcht, die Abfahrt zu versäumen, der andere das im Gasthaus liegen lassen und die Menschenmenge wogte und drängte durcheinander hin, schim­pfend und fluchend hier, lachend und pfeifend oder singend da, während neue Karren mit Gepäck noch jeden Augenblick dazu kamen, die Verwirrung, wenn das überhaupt möglich gewesen wäre, zu vergrößern.

Die einzige, vollkommen unbewegliche Person in diesem Chaos von Menschen und Gepäck saß auf einem Haufen von Kisten, die zuerst hergeschafft und übereinander getürmt wa­ren, mit untergeschlagenen Beinen regungslos oben darauf und schien die Konfusion unter und um sich mit ordentlichem Wohlgefallen, jedenfalls mit vollständiger Gemütsruhe zu betrachten.

Es war eine, was man so von unten erkennen konnte, vierschrötige derbe und untersetzte Gestalt, jedenfalls den un­teren Volksklassen zugehörig, und doch auch wieder mit einem gewissen Selbstbewusstsein in den rauen, nichts weniger als schönen Zügen, als auch in der ganzen Haltung, wie man es nicht immer bei diesen findet. Der Mann mochte ungefähr fünf- bis achtundvierzig Jahre alt sein. Der Ausdruck sei­nes lederartigen faltigen Gesichtes hatte gleich auf den ersten Blick eine so merkwürdige und auffallende Ähnlichkeit mit einem großen Affen, der mit unerschütterlichem Ernst vor einer Menagerie sitzt und das Wogen und Treiben der Menge unter sich betrachtet, dass wenige der Passagiere, so viel sie heute Morgen mit sich selber zu tun haben mochten, an ihm vorübergingen, ohne überrascht ein paar Sekunden vor ihm stehen zu bleiben und ihn zu betrachten oder sich gegenseitig ein paar erstaunte Bemerkungen zuzuflüstern. Die Mädchen besonders warfen oft verstohlene Blicke zu ihm hinauf und kicherten dann miteinander. Jedenfalls musste er das bemerken, aber er verzog keine Miene oder wandte auch nur ein­mal den Kopf nach einer der Gruppen um, sondern paffte in kurzen, regelmäßigen Zügen den Rauch aus einer kleinen schmu­tzigen, abgegriffenen Pfeife mit einem großen Porzellankopf und glich, dies einzige Lebenszeichen abgerechnet, wirklich einer ausgestopften und dort oben zur Verzierung des Ganzen hingesetzten Figur. Er trug dabei einen einmal grün gewesenen, ziemlich abgescheuerten Rock, der besonders auf den Schultern ordentlich grau und glänzend aussah, als ob er da oben ganz vorzüglich benutzt worden war; eine erbsgelbe, bis an den Hals hinauf zugeknöpfte gesprenkelte Weste, ein schwarzes Halstuch, das eifersüchtig auch den geringsten Schimmer von Wäsche verdeckt , braun und grün karierte Hosen, große nagelbeschlagene Schuhe und einen, in eine Unzahl von For­men hineingedrückten alten haarlosen und an den Rändern hellgrau gescheuerten Filzhut, unter dem nur hie und da dünne, straffe und blonde Haare hervorschauten. Rasiert hatte er sich ebenfalls, wahrscheinlich seit seinem Entschluss, nach Amerika auszuwandern, nicht. Die weißgesprenkelten Stoppeln, die sein breites vorstehendes Kinn umgaben, passten vollkommen zu der flachen, wie eingedrückten Nase, den kleinen grauen Augen, vorstehenden Backenknochen und der niedrigen Stirn, die sich scharf nach rückwärts wie scheu unter den Hut hinunterzog.

So ruhig und anscheinend teilnahmslos aber auch dieses Individuum dem allgemeinen Wirrwarr zuschaute und sich voll­kommen geduldig in Zeit und Umstände geschickt hatte, so un­geduldig wurden die übrigen Passagiere, als es nun vom Dom her sechs Uhr dröhnte und das, eine Strecke weiter oben liegende Dampfboot, sein Deck mit Passagieren gefüllt, an ihnen vorbeipuffte. Dabei ließ sich noch nicht die Spur von einem verdeckten Flussschiff, wie es sich die Passagiere gedacht hatten, an der Landung blicken, und nur ein kleiner Weserkahn , wie sie dort überall zum Warentransport gebraucht werden, lag gerade quervor an der bezeichneten Straße, dem Platz ge­nau gegenüber, wo ihre Waren aufgestapelt worden waren, und der Kahnführer, ein hagerer dünner Geselle, mit furchtbar langen Armen und großen Händen, von denen man gar nicht begriff, wie er sie je durch die Ärmel seiner Jacke gebracht oder, da sie nun einmal darin waren, wie er sie wieder herausbringen wollte, ging auf dem Deck seines kleinen Fahrzeugs auf und ab. Mehrmals versuchte er dabei die Hände in die Taschen seiner dunkelblauen sogenannten Lotsenjacke zu bringen, aber umsonst. Sie gingen nicht hinein und er schlenkerte sie dann wieder zu beiden Borden herunter und spuckte, seinen Ta­bak dabei kauend, den braunen ekelhaften Saft regelmäßig einmal über Steuerbord und dann über Backbord ins Wasser hinüber.

,,Sie da, lieber Freund”, redete ihn endlich einer der Passagiere an, der, in einen grauen weiten Überrock geknöpft, bisher seiner Ungeduld in einer verwirrten Masse

und Verwünschungen Luft zu machen gesucht und das kleine Fahrzeug schon lange ärgerlich betrachtet hatte.

Der Matrose, oder was er sonst war, warf einen Blick über die Schulter nach ihm hinüber, aber ob er nun glaubte, dass die Anrede ihm nicht gelte, oder sie nicht beachten wollte, kurz, er setzte seinen Spaziergang an Deck ruhig fort und gab keine Antwort.

»Sie da … he … Sie Langer mit der blauen Jacke und der hübschen Mütze … hören Sie nicht?«

»Und?«, sagte der Mann nun und blieb, den Kopf halb über die Schulter zurückgedreht, stehen, während er jedoch den Frager nicht dabei an-, sondern zu den Dächern der nächsten Häuser hinaufsah, als ob ihn von dort her jemand gerufen hätte.

Steinert, denn der Mann in dem grauen Überrock war niemand anderes als unser alter Bekannter, der Weinreisende von gestern Abend, der übernächtigt und mit schwerem Kopf gerade übler Laune genug, schien sich über die geringste Kleinigkeit zu ärgern, murmelte etwas von Dickschädel« und Holzkopf in den Bart, fuhr aber doch in der begonnenen Anrede fort und rief, nur noch mit lauterer Stimme als vorher: »Sie da … Sie werden mit Ihrem Dings da von einem Schiff aus dem Weg fahren müssen, wenn das andere Schiff kommt, unsere Sachen und uns selber an Bord zu nehmen. Sie hätten sich wohl nirgends anderswo grad’ in den Weg hinlegen können?«

Der Matrose oder Kahnführer glitt mit seinen Augen langsam vom dritten bis zum zweiten und von da bis zum ersten Stock und dann quer über die Haustür weg zu dem Fremden nieder, der ihn angeredet hatte und öffnete dann den Mund, aber bloß, um ein neues Priemchen Tabak hineinzustecken, wonach er, ohne auch nur eine Silbe zu erwidern, seinen Spaziergang an Deck in der alten Weise und Ruhe fortsetzte. Steinert, der sich nun ernstlich zu ärgern anfing, war nicht gesonnen, sich so leicht abfertigen zu lassen. Bis an den Wasserrand hinabgehend, wohin eine schmale Planke vom Bord des niederen Fahrzeuges aus reichte, schritt er diese hinauf und stieg keck an Deck des fremden Schiffes, wie die Übrigen meinten.

»Guten Morgen«, sagte er hier vor allen Dingen, als er sich auf dem fremden Boden fand, und doch fühlte, dass er mit Höflichkeit bei dem sonderbaren, einsilbigen Mann weiterkommen würde als mit Grobheiten.

»Morgen«, sagte der Schiffer, ohne, gerade wie vorher, weitere Notiz von ihm zu nehmen.

»Sagen Sie einmal Freund«, nahm aber hier Steinert wieder das Wort und versuchte sich dem Mann auf seinem Spaziergang entgegenzustellen, »wie ist denn das eigentlich, wollen Sie heute hier liegen bleiben?«

»Nee!«, sagte der Schiffer.

»Und wann fahren Sie ab?«

»Sobald wie laden hebben«, lautete die Antwort.

Steinert, der nur einen unbestimmten Begriff von Plattdeutsch hatte, begriff nicht recht, was der Mann sagte, und versuchte ihm selber nun begreiflich zu machen, wie sie mit jedem Augenblick ein verdecktes Flussschiff erwarteten, das sie und ihre Sachen an Bord der Haidschnucke schaffen sollte.

»Hm – wo sall’n dat herkomen?«, fragte der Schiffer aber nun mit einem verschmitzten Lächeln zu dem Frager hinüberblinzelnd.

»Herkommen?«, wiederholte Steinert erstaunt. »Nach unserem Kontrakt mit dem Reeder müssen wir unentgeltlich mit unserem Gepäck von hier aus an Bord des Seeschiffes geschafft werden.«

»Op en Flussschiff?«, fragte der Matrose mit starker und etwas humoristischer Betonung des hochdeutschen Wortes.

»Jawohl«, antwortete Herr Steinert.

»Un wie heet dat hier?«, fragte der Matrose auf das eigene Fahrzeug niederdeutend, auf dem sie standen.

Ein böser Verdacht stieg in dem Weinreisenden auf, dass sie etwa gar in einem solchen Kasten transportiert werden sollten. Dessen Bestätigung blieb auch nicht lange aus, denn nach ein paar Fragen herüber und hinüber stellte es sich wirklich heraus, dass dies kleine unansehnliche Fahrzeug das identische bedeckte Flussschiff Nr. 67 und der lange Matrose der Kahnführer Meinert sei, mit dem sie und ihre sämtlichen Sachen nach See zu geschafft werden sollten. Ein wilder Ausruf des Erstaunens, den der erschreckte Weinreisende nicht unterdrücken konnte, zog einen Teil der übrigen Passagiere herbei, und das Deck des kleinen Fahrzeugs schwärmte plötzlich von einer Masse verblümter und wirr durcheinander schreiender Menschen, dass die Leute oben in der Straße stehen blieben oder auch mit zum Ufer herunterkamen, in der freundlichen Hoffnung, einer möglichen Prügelei der Auswanderer beiwohnen zu können.

Kahnführer Meinert, denn diese würdige Person war es wirklich selbst, ließ sich indessen nicht im Geringsten aus seiner Fassung bringen und beantwortete alle Fragen seiner neuen ungeduldigen Passagiere mit einer Ruhe und Gleichgültigkeit, die diese fast zur Verzweiflung brachte.

»Wie viel mal er zu fahren gedächte, bis er die Masse Gepäck und Menschen imstande sei, an Bord abzuliefern.«

»Einmal.«

»Einmal? Und wenn er sie einer über den anderen packe, gingen sie nicht alle hinein.«

»Noch einmal so viel, mit Bequemlichkeit, wenn es sein müsste.«

»Wie lange die Reise dauere?«

»Mit gutem Wind sechs Stunden.«

»Und mit schlechtem?«

»Unbestimmt.«

Manche der Passagiere hätten nun gern Passage auf dem Dampfboot genommen, das aber war schon fort. Das Nächste ging erst um elf Uhr ab und kam erst Nachmittag nach Brake. Bis dahin konnten sie lange dort sein, und sie fingen an, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Aber weshalb wurde da nicht wenigstens ihr Gepäck eingeladen? Auf was warteten sie noch, da die Abfahrt doch auf sechs Uhr bestimmt worden war.

Kahnführer Meinert oder Kapitän Meinert. wie er sich gern nennen ließ, wartete noch auf seine Mannschaft, einen Matrosen, den er in die Stadt hinaufgeschickt hatte, ihm einen frischen Vorrat an Tabak, Rum und einigen anderen Kleinigkeiten einzuholen. Sobald der kam, um die Sachen im unteren Raum fortzustauen konnte die Sache beginnen.

Endlich kam der Bursche, ein schmutzig aussehendes, teerbeschmiertes Individuum, mit einem Arm voll Paketen und zwischen den Zähnen eine Anzahl Papiere haltend. Diese nahm ihm sein Prinzipal vor allen Dingen heraus, wischte den Tabaksaft davon ab und schob sie dann, ohne sie weiter eines Blickes zu würdigen, in seine eigene Tasche.

Die Passagiere wurden nun aufgefordert, ihre Sachen an Bord zu liefern, und folgten diesem Aufruf mit lobenswerter Bereitwilligkeit. Sie glaubten nämlich nicht, dass der kleine unansehnliche Kahn alles würde einnehmen können, und jeder wollte wenigstens sein Eigentum mit der ersten Fahrt befördert haben. Ein paar der stämmigsten Oldenburger Bauern, die auch die größten Kisten hatten, wurden dabei ersucht, im Raum ein wenig mitzuhelfen, damit sie auch sahen, dass nichts beschädigt würde, und diese unterstützte der Matrose, während Kapitän Meinert an Deck stand, die Kisten oder Koffer mit einem Tau umschlang und in den unteren Raum, oder vielmehr nur unter Deck, hinunterließ, denn das kleine Fahrzeug hatte nur den einen Raum.

Während die Leute aber solcher Art beschäftigt waren, trafen immer noch andere, verspätete Passagiere ein, die ebenfalls mit befördert werden wollten und mussten. Unter ihnen der alte polnische Jude mit seinem Knaben, der nun auch mit Hand anlegen sollte, das Gepäck an Bord zu schaffen. Der alte Bursche schien aber kein Freund von solcher Beschäftigung zu sein und bemerkte, kaum als die Sachen standen, als er zu hinken anfing und die rechte Hand vorn in seinen Kaftan legte. Er wollte sich am Morgen weh daran getan haben und konnte sie nicht gebrauchen.

Das Gepäck wurde rascher beseitigt, als man anfangs geglaubt hatte. Merkwürdiger Weise fasste dabei das kleine unansehnliche Fahrzeug eine solche Unmasse von Sachen, die in seinem Bauch ordentlich verschwanden, dass, wenn auch gerade kein bequemer Platz, doch Raum genug blieb, auch die Passagiere aufzunehmen, die sich schon ein paar Stunden solcher Art glaubten, behelfen zu können. Lieber Gott, man ging ja nun in See, und da konnte man nicht alles haben wie zu Hause. Vor acht Uhr erklärte aber Kapitän Meinert, nicht imstande zu sein, abzufahren, da dann erst die Ebbe einträte, mit deren ausströmender Flut er bei dem schwachen Wind hoffen durfte, vorwärtszukommen. Es blieb den Passagieren, die anfangs allerdings darüber murrten, aber sich in das Unvermeidliche fügen mussten, noch etwa eine halbe Stunde Zeit, sich zu beschäftigen, wie es ihnen gerade gefiel. Schon vor acht Uhr waren sie aber sämtlich wieder am Ufer, nun ernstlich auf endliche Abfahrt ihres Schiffes dringend.

Show 1 footnote

  1. Das in neuerer Zeit in Bremerhaven errichtete Auswanderungshaus existierte damals noch nicht.