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Das Buch vom Rübezahl – Teil 3

Das Buch vom Rübezahl
Neu erzählt von H. Kletke
Breslau, 1852

4. Rübezahl und der Schuhknecht

Zwei Meilen vom Riesengebirge ist ein Städtchen gelegen, woselbst ein Schuhknecht bei einem Meister in Arbeit stand. Dieser Geselle hatte die Gewohnheit, wenn er mit anderen seinesgleichen einen guten Montag gemacht hatte, zum Gebirge zu spazieren, wobei er als ein lustiger und vorwitziger Kopf es nicht lassen konnte, Rübezahl ohne Aufhören zu necken, herauszufordern und mit allerlei Schimpfnamen zu verhöhnen.

»Komm herunter«, rief er ihm zu, »komm herunter, Rübenschwanz, zeig, was du für Künste kannst!«

Dergleichen lose Reden machten den Berggeist oft so böse, dass er ein grausiges Wetter zusammenblies, um es dem Spötter auf den Kopf zu schicken. Weil aber der Geselle so klug war, niemals auf das Gebirge selbst zu kommen und Rübezahls Gebiet zu betreten, ging er allemal ungeschoren wieder davon. Gleichwohl sollte die Rache nicht ausbleiben.

Nach einiger Zeit nahm der Geselle von seinem Meister Abschied, um weiterzuwandern. Er wusste aber nicht, dass ihm Rübezahl heimlich in sein Felleisen einen silbernen Becher samt etlichen silbernen Löffeln und schönen Schaupfennigen, welche dem Meister gehörten, hinein praktiziert hatte.

Kaum war er fort und zog lustig singend seines Weges, so traf es sich, dass der Schuster ein neues Schaustück zu den Übrigen legen wollte und den Raub gewahr wurde. Da sich die Hausgenossen hoch und teuer verschworen, dass sie keinen Teil daran hätten, fiel ihm alsbald der gereiste Geselle ein, der ihm dieses Schelmenstück habe spielen können. Also rannte er ihm nach.

Als er ihn ungefähr zwei Stunden von dem Städtchen erreicht hatte, hielt er ihn an und fragte scharf, ob er nicht das und jenes aus Versehen habe mitwandern heißen. Der gute Bursche, in seiner Unschuld, antwortete getrost, dass er von all den bezichtigten Sachen nichts wisse. Zum Beweis läge sein Ränzel da, welches er freiwillig aufmachen und alles, was drinnen sei, hervorlangen wolle. Damit griff er nach seinem Reisesack und leerte ihn bis auf den Grund, wobei ihm plötzlich, aber zu nicht geringem Schreck, die Silberstücke des Meisters in die Hand kamen. Es half ihm wenig, dass er seine Unschuld beteuerte und behauptete, man müsse ihm das zum Possen hineingesteckt haben.

Der Schuster ließ ihn gefangen nehmen und zurückbringen. Das Gericht, vor welchem er klagte, verurteilte den armen Burschen, als ein Dieb gehängt zu werden.

Als nun, dem Anschein nach, die letzte Nacht seines Lebens gekommen war und schon der Morgen nahte, wo er , trotz aller Unschuld, eines schmählichen Todes sterben sollte, öffnete sich plötzlich die Tür seines Gefängnisses. Rübezahl trat herein und fragte ihn, was er hier mache.

»Was soll ich machen?«, jammerte der Arme, »ich, der ich nichts verbrochen habe, soll diesen Morgen als ein Dieb an den Galgen gehenkt werden.«

Hierauf gab sich Rübezahl zu erkennen und führte ihm alle die Spott- und Schimpfreden zu Gemüt, welche der vorwitzige Geselle früher gegen ihn ausgestoßen und womit er sein gegenwärtiges Schicksal wohl verdient habe. Dennoch wolle er ihn nicht ganz verderben lassen  sondern wiederum erlösen. Sogleich befreite er ihn von den Ketten, mit denen der Geselle angeschlossen war, warf ihm seinen Mantel über und hieß ihn, frank und frei hinausgehen. Kein Wächter hielt ihn auf und es währte nicht lange, bis er das Städtlein im Rücken hatte, während Rübezahl sich selbst die Ketten anlegte und ruhig den Tag erwartete.

Kaum war der Morgen angebrochen, als sich ein Geistlicher im Gefängnis einstellte, um den vermeintlichen armen Sünder auf sein letztes Stündlein vorzubereiten. Aber, o wehe, welcher Unbußfertigkeit musste er hier begegnen! Denn als der Geistliche ihn ermahnte, seine Sünden zu bekennen und andächtig zu beten, stellte sich Rübezahl zwar sehr aufmerksam, sagte aber zuletzt nichts weiter als: »Papperlapapp!«

Das wiederholte er so oft, wie ihm angemutet wurde, Buße zu tun und zu beten, wohl an die hundertmal! Also musste man ihn unbekehrt zum Tor hinausführen.

Während man ihn schon am Galgen aufknüpfte, rief Rübezahl sein Papperlapapp immer lauter und schnitt so wunderliche Fratzen, dass sich niemand des Lachens erwehren konnte.

Als aber der Henker die Leiter wieder hinabstieg und diese wegzog, da ging erst das Erstaunen los! Denn nicht ein Mensch, sondern ein großes Strohbund, welches hin und her zappelte, hing am Galgen, wie jedermann sich deutlich überzeugen konnte. Darüber soll das Städtlein bis auf den heutigen Tag seine Gerechtigkeit und Gerichte verloren haben.