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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 7. – 10. Bändchen – Kapitel I

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Siebentes bis zehntes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

I. Mazarin und Madame Henriette

Der Kardinal stand auf, um die Königin Henriette zu empfangen. Er begegnete ihr mitten in der Galerie vor seinem Kabinett.

Mazarin legte umso mehr Ehrfurcht gegen diese Königin ohne Gefolge und ohne Schmuck an den Tag, als er wohl fühlte, dass er sich einen Vorwurf über seinen Mangel an Gemüt und über seinen Geiz zu machen hatte.

Aber die Bittsteller wissen ihr Gesicht zu nötigen, jeden Ausdruck anzunehmen. Die Tochter von Heinrich IV. lächelte, als sie demjenigen entgegentrat, welchen sie hasste und verachtete.

»Ach«, sagte Mazarin zu sich selbst, »was für ein sanftes Gesicht? Kommt sie etwa, um Geld von mir zu entlehnen?«

Er warf einen unruhigen Blick auf den Deckel seiner Kasse. Er drehte sogar den Kasten des prächtigen Diamanten nach innen, dessen Glanz die Augen auf seine weiße und schöne Hand ziehen konnte. Unglücklicherweise hatte dieser Ring nicht die Eigenschaft des von Gyges, welcher seinen Herrn unsichtbar machte, wenn er tat, was Mazarin getan hatte.

Mazarin aber hatte in diesem Augenblick wohl unsichtbar zu sein gewünscht, denn er ahnte, dass Madame Henriette kam, um ihn um etwas zu bitten. Wenn eine Königin, welche er so behandelt hatte, mit einem Lächeln auf den Lippen, statt die Drohung im Mund zu haben, erschien, so kam sie als Flehende.

»Monsieur Kardinal«, sagte die erhabene Dame, »ich hatte anfangs die Absicht, über die Angelegenheit, welche mich hierher führt, mit der Königin, meiner Schwester, zu sprechen; aber ich bedachte, dass die politischen Dinge vor allem die Männer angehen.«

»Madame«, sprach Mazarin, »glaubt mir, dass Eure Majestät mich ganz beschämt durch diese schmeichelhafte Unterscheidung.«

Er ist sehr höflich, dachte die Königin, sollte er mich erraten haben?

Man war in das Kabinett des Kardinals gelangt. Mazarin ließ die Königin sich setzen, und nachdem sie es sich in ihrem Lehnstuhl bequem gemacht hatte, sprach er: »Gebt dem Ehrfurchtsvollsten von Euren Dienern Eure Befehle.«

»Ach, Monsieur, ich habe die Gewohnheit, Befehle zu geben, verloren und die, Bitten zu stellen, angenommen. Ich komme, um Euch zu bitten, und bin zu glücklich, wenn meine Bitte erhört wird.«

»Sprecht, Madame.«

»Monsieur Kardinal, es handelt sich um den Krieg, den der König, mein Gemahl, gegen seine rebellischen Untertanen führt. Ihr wisst vielleicht nicht, dass man sich in England schlägt«, sagte die Königin mit einem traurigen Lächeln, »auf eine viel entscheidendere Art schlagen wird, als man sich bisher geschlagen hat.«

»Ich weiß durchaus nichts davon, Madame«, erwiderte der Kardinal, diese Worte mit einer leichten Schulterbewegung begleitend. »Ach, unsere eigenen Kriege verzehren völlig die Zeit und den Geist eines unfähigen, schwachen, armen Ministers, wie ich es bin.«

»Nun wohl, Monsieur Kardinal«, sagte die Königin, »ich teile Euch also mit, dass Carl I., mein Gemahl, im Begriff ist, eine entscheidende Schlacht zu liefern. Im Falle einer Niederlage …«

Mazarin machte eine Bewegung …

»Man muss für alles vorhersehen«, fuhr die Königin fort, »im Falle einer Niederlage wünscht er sich nach Frankreich zurückzuziehen und hier wie ein einfacher Privatmann zu leben. Was sagt Ihr zu diesem Plan?«

Der Kardinal hatte zugehört, ohne dass eine Fiber seines Gesichtes den Eindruck verriet, den die Worte der Königin auf ihn machten. Während er hörte, blieb sein Lächeln das, was es immer war, falsch, schlau. Als die Königin geendet hatte, antwortete er mit seinem weichsten Tone: »Glaubt Ihr, Madame, dass Frankreich, so aufgeregt, so brausend es in diesem Augenblick ist, als ein Hafen des Heils für einen entthronten König betrachtet werden darf? Die Krone ist bereits nichts weniger als fest auf dem Haupt von Ludwig XIV. Wie sollte es eine doppelte Last tragen?«

»Diese Last ist in Beziehung auf das, was mich betrifft, nicht sehr schwer gewesen«, unterbrach ihn die Königin mit einem schmerzlichen Lächeln, »und ich fordere nicht, dass man mehr für meinen Gemahl tun soll, als man für mich getan hat. Ihr seht, dass wir sehr bescheidene Könige sind, Monsieur.«

»Oh Ihr, Madame, Ihr«, sagte der Kardinal hastig, um die Erklärungen, denen er entgegensah, kurz abzuschneiden, »das ist etwas anderes. Eine Tochter von Heinrich IV., eine Tochter von diesem großen, diesem erhabenen König!«

»Was Euch nicht abhält, seinem Schwiegersohn die Gastfreundschaft zu verweigern, nicht wahr, Monsieur? Ihr solltet Euch jedoch erinnern, dass dieser große, dieser erhabene König eines Tages geächtet, wie es mein Gatte werden wird, Unterstützung von England verlangte und dass England sie ihm bewilligte. Allerdings war die Königin Elisabeth nicht seine Nichte.«

»Peccato!« sprach Mazarin, sich unter dieser so einfachen Logik schüttelnd, »Eure Majestät versteht mich nicht. Sie beurteilt meine Ansichten nicht richtig, ohne Zweifel, weil ich mich im Französischen schlecht ausdrücke.«

»Sprecht Italienisch, Monsieur, die Königin Maria von Medicis, unsere Mutter, hat uns diese Sprache gelehrt, ehe der Kardinal, Euer Vorgänger, sie in die Verbannung schickte, in der sie starb. Wenn etwas von diesem großen, von diesem erhabenen König Heinrich übrig ist, von dem Ihr soeben spracht, so muss ich erstaunen über die tiefe Bewunderung für ihn, mit der so wenig Mitleid für seine Familie verbunden ist.«

Der Schweiß lief in schweren Tropfen von der Stirn von Mazarin.

»Diese Bewunderung ist im Gegenteil so groß und so wahr, Madame«, sprach Mazarin, ohne das Anerbieten, der Königin, sich einer anderen Sprache zu bedienen, anzunehmen, »dass, wenn der König Carl I., den Gott vor jedem Unglück bewahren möge, nach Frankreich käme, ich ihm mein Haus, mein eigenes Haus anbieten würde. Aber leider wäre dies ein durchaus nicht sicherer Aufenthaltsort. Eines Tages wird das Volk dieses Haus niederbrennen, wie es das des Marschall d’Ancre niedergebrannt hat. Armer Concino Concini! Er wollte doch nichts, als das Wohl von Frankreich.«

»Ja, Monseigneur, wie Ihr«, versetzte die Königin ironisch.

Mazarin stellte sich, als verstünde er den Doppelsinn des Satzes nicht, den er selbst ausgesprochen hatte, und fuhr fort, über das Schicksal von Concino Concini zu seufzen.

»Aber, Monseigneur«, sagte die Königin ungeduldig, »was antwortet Ihr mir?«

»Madame«, rief Mazarin, »Madame, würde mir Eure Majestät wohl erlauben, ihr einen Rat zu geben? Wohl verstanden, ehe ich mir diese Freiheit nehme, fange ich damit an, dass ich mich Eurer Majestät für alles, was Ihr gefallen dürfte, zu Füßen lege.«

»Sprecht, Monsieur«, antwortete die Königin, »der Rat eines Mannes, der so klug ist, wie Ihr, muss sicherlich gut sein.«

»Madame, glaubt mir, der König muss sich auf das Äußerste verteidigen.«

»Er hat es getan, Monsieur, und die Schlacht, die er mit Hilfsmitteln, welche weit unter denen des Feindes stehen, zu liefern im Begriff ist, beweist, dass er sich nicht ohne Kampf zu ergeben gedenkt. Aber im Fall, dass er besiegt würde?«

»In diesem Fall, Madame, ist mein Rat, … ich weiß, dass ich sehr kühn bin, wenn ich Eurer Majestät einen Rat gebe, … aber mein Rat ist, der König soll sein Reich nicht verlassen. Man vergisst sehr schnell die abwesenden Könige. Geht er nach Frankreich über, so ist seine Sache verloren.«

»Wenn dies Euer Rat ist«, sprach die Königin, »und Ihr wirklich eine Teilnahme für ihn hegt, so schickt ihm einige Hilfe an Mannschaft und Geld, denn ich vermag nichts mehr für ihn. Ich habe, um ihn zu unterstützen, meinen letzten Diamant verkauft. Es bleibt mir nichts mehr; Ihr wisst es besser als irgendjemand, Monsieur. Wenn mir ein Juwel geblieben wäre, hätte ich Holz dafür gekauft, um mich und meine Tochter in diesem Winter damit zu erwärmen.«

»Ach! Madame«, versetzte Mazarin, »Ihr wisst nicht, was Ihr von mir verlangt. Von dem Tag an, wo eine Hilfe von Fremden im Gefolge eines Königs erscheint, um ihn wieder auf den Thron zu setzen, gesteht dieser König gleichsam zu, dass er keine Hilfe mehr in der Liebe seiner Untertanen zu suchen hat.«

»Zur Sache, Monsieur Kardinal«, sprach die Königin, welche die Geduld verlor, diesem feinen Geist in das Labyrinth der Worte zu folgen, in welchem er sich umhertrieb, »zur Sache. Antwortet mir: Ja oder nein, besteht der König darauf, in England zu bleiben, werdet Ihr ihm Hilfe schicken? Kommt er nach Frankreich, werdet Ihr ihm Gastfreundschaft gönnen?«

»Madame«, antwortete der Kardinal, die größte Offenherzigkeit heuchelnd, »ich hoffe, Eurer Majestät zu beweisen, wie sehr ich ihr ergeben bin und wie sehr ich eine Angelegenheit zu Ende zu bringen wünsche, die ihr ungemein am Herzen liegt, wonach Eure Majestät an meinem Eifer, ihr zu dienen, nicht mehr zweifeln wird, wie ich denke.«

Die Königin biss sich in die Lippen und bewegte sich auf ihrem Stuhl voll Ungeduld hin und her.

»Nun, was wollt Ihr tun?«, sagte sie, »sprecht.«

»Ich will auf der Stelle die Königin über diese Sache um Rat fragen, und wir werden sie dann sogleich dem Parlament vorlegen.«

»Mit dem Ihr in Fehde lebt, nicht wahr? Ihr beauftragt Broussel, Berichterstatter zu sein. Genug, Monsieur Kardinal, genug. Ich verstehe Euch, oder vielmehr ich habe unrecht. Geht zum Parlament, denn von diesem Parlament, dem Feind der Könige, ist der Tochter des erhabenen Heinrich IV. die einzige Unterstützung zugekommen, welche sie diesen Winter verhindert hat, vor Hunger und Kälte zu sterben.«

Nach diesen Worten erhob sich die Königin mit einer majestätischen Entrüstung.

Der Kardinal streckte die gefalteten Hände gegen sie aus.

»Ah, Madame, Madame! Wie schlecht kennt Ihr mich doch.«

Aber, ohne sich nach demjenigen umzuwenden, welcher diese heuchlerischen Tränen vergoss, durchschritt die Königin das Kabinett, öffnete selbst die Tür, ging mitten durch die zahlreichen Wachen Seiner Eminenz, mitten durch die Höflinge, welche sich herandrängten, um ihm ihre Huldigung darzubringen, auf Lord Winter zu, der allein dastand, und nahm seine Hand – eine arme, bereits gefallene Königin, vor der sich noch alle aus Etikette verbeugten, die aber in der Tat nur noch einen einzigen Arm hatte, auf den sie sich stützen konnte.

»Gleichviel«, sagte Mazarin, als er allein war, »es hat mir Mühe gemacht, und ich hatte eine harte Rolle zu spielen. Aber ich habe weder dem einen noch der anderen etwas gesagt. Dieser Cromwell ist ein scharfer Königsjäger. Ich beklage seine Minister, wenn er je nimmt. Bernouin!«

Bernouin trat ein.

»Man sehe, ob der junge Mann mit dem schwarzen Wams und den kurzen Haaren, den du vorhin bei mir eingeführt hast, sich noch im Palast befindet.«

Bernouin ging ab. Der Kardinal beschäftigte sich während der Zeit seiner Abwesenheit damit, dass er den Kasten seines Ringes umdrehte, den Diamant rieb, das Wasser bewunderte und, da in seinen Augen noch eine Träne rollte, die ihm das Gesicht trübte, den Kopf schüttelte, um sie fallen zu machen.

Bernouin kehrte mit Comminges zurück.

»Monseigneur«, sagte Comminges, »als ich den jungen Mann zurückführte, nach dem Euere Eminenz fragt, näherte er sich der Glastüre der Galerie und beschaute etwas mit großem Erstaunen, ohne Zweifel das schöne Gemälde von Raphael, welches der Tür gegenüber hängt. Dann träumte er einen Augenblick und stieg die Treppe hinab. Ich glaube, ich habe ihn seinen Grauschimmel besteigen und aus dem Hof des Palastes reiten sehen. Aber geht denn Monseigneur nicht zu der Königin?«

»Was dort tun?«

»Monsieur von Guitaut, mein Oheim, sagt mir soeben, die Königin habe Nachricht vom Heer erhalten.«

In diesem Augenblick erschien Monsieur von Villequier. Er kam im Auftrag der Königin, um den Kardinal zu holen.

Comminges hatte gut gesehen, und Mordaunt hatte wirklich getan, wie er erzählte. Die Gallerte durchschreitend, welche mit der großen Glasgalerie parallel lief, erblickte Mordaunt Lord Winter, welcher wartete, bis die Königin ihre Unterredung geschlossen haben würde.

Bei diesem Anblick blieb der junge Mann plötzlich stehen, nicht in Bewunderung vor dem Gemälde von Raphael, sondern wie bezaubert beim Erschauen eines furchtbaren Gegenstandes. Seine Augen erweiterten sich, ein Schauer durchlief seinen ganzen Körper, es war, als wollte er den gläsernen Wall durchdringen, der ihn von seinem Feind trennte; denn wenn Comminges gesehen hätte, mit welchem Ausdruck des Hasses sich die Augen dieses jungen Mannes auf Lord Winter hefteten, so würde er keinen Augenblick daran gezweifelt haben, dass dieser englische Edelmann sein Todfeind war.

Aber er blieb ruhig stehen, ohne Zweifel, um zu überlegen, denn statt sich von seiner ersten Bewegung hinreißen zu lassen, der zufolge er gerade auf Lord Winter zugehen wollte, stieg er langsam die Treppen hinab, verließ den Palast mit gesenktem Haupt, schwang sich in den Sattel, stellte sich mit seinem Pferd an der Ecke der Rue de Richelieu auf und wartete, die Augen auf das Gitter geheftet, bis der Wagen aus dem Hof kam.

Er hatte nicht lange zu warten, denn die Königin blieb kaum eine Viertelstunde bei Mazarin, aber diese Viertelstunde des Harrens schien dem Wartenden ein Jahrhundert. Endlich kam die plumpe Maschine, die man damals eine Karosse nannte, ächzend durch das Gitter heraus und Lord Winter, der wieder zu Pferde saß, neigte sich abermals an den Kutschenschlag, um mit der Königin zu sprechen.

Die Pferde liefen im Trab und schlugen den Weg zum Louvre ein, in den sie den Wagen führten. Ehe Madame Henriette das Karmeliterkloster verließ, sagte sie zu ihrer Tochter, sie möge sie in dem Palais erwarten, das sie lange bewohnt und nun verlassen hatte, weil ihr ihr Elend in seinen vergoldeten Sälen nur noch drückender vorkam.

Mordaunt folgte dem Wagen, und als er denselben unter die dunkle Arkade hatte fahren sehen, lehnte er sich mit seinem Pferd an eine Mauer, über die sich der Schatten ausdehnte, und blieb unbeweglich wie ein Basrelief, eine Reiterstatue darstellend.

Er wartete, wie er es bereits im Palais-Royal getan hatte.