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Hanns Heiling … – Teil 11

Friedrich Wilhelm Bruckbräu
Hanns Heiling, vierter und letzter Regent der Erd-, Luft-, Wasser- und Feuergeister und sein Kampf mit den Teufeln der Hölle
Eine höchst merkwürdige, abenteuerliche und wundervolle Ritter-, Räuber-, Geister- und Teufelsgeschichte
Verlag der J. Lutzenberger’schen Buchhandlung, Altötting, 1860

Im Kerker

Nach einigen Wochen, während welcher sich Hanns das Vertrauen des Hauptmannes vollends zu erringen gewusst hatte, ging der Anführer eines Morgens mit ihm in die Kerker.

»Die Gefangenen kosten mir viel, sehr viel!«, bedeutete ihm derselbe. »Wenn ich sie nicht genügend füttere, können sie sterben, und ich verliere dann die Löse­gelder«, sagte er.

Den Gefangenen, die alle an Ketten lagen, stellte er Hanns als ihren künftigen Aufseher vor und befahl ihnen, denselben bei schwerer Züchtigung pünktlich Gehorsam zu leisten. Dann öffnete der Anführer einen anderen Kerker, indem er sagte, dass sich da die bewusste Dirne befinde.

Bei dem Licht der Fackel, welche Hanns trug, erkannte er sogleich Gisela, die zweite Gemahlin des Markgrafen von Horgatz. Auch sie erkannte Hanns auf der Stelle, den sie so schmählich verleumdet und vertrieben hatte.

»Niederträchtige schlechte Dirne«, begann der Anführer, »du hast gestern den Gefangenwärter durch das Versprechen deiner Liebe verleiten wollen, mit dir zu fliehen, und sollst jetzt dafür gezüchtigt werden!«

»Gnade, Gnade!«, flehte Gisela, auf die Knie sinkend.

»Hanns, gib mir die Fackel! So, jetzt reiß der Dirne das Oberkleid ab und entblöße ihren Rücken, um sie hierfür ordentlich zu züchtigen!«

Es geschah.

»Und nun nimm die Hetzpeitsche dort im Winkel und gib ihr dreißig Hiebe auf den Rücken!«

»Gnade, o Gnade!«, stöhnte Gisela, am ganzen Leib zitternd.

»Keine Gnade! Aber merke wohl, Hanns, wenn auf deinen dritten Hieb nicht das Blut von ihrem Rücken rieselt, so durchbohre ich dich mit meinem Schwert!«

Hanns musste gehorchen oder sterben. Schon auf den zweiten Hieb floss reichlich Blut. Auf den sechsten verstummte ihr grässliches Jammergeschrei. Sie sank ohnmächtig zu Boden.

»Genug«, sagte der Anführer, »ich will sie nicht umbringen. Vielleicht bekomme ich später doch ein Lösegeld für sie.«

Beide stiegen wieder an das Tageslicht hinauf.

Diese schwere Züchtigung vornehmen zu müssen, war dem guten Hanns unendlich schwer gefallen, da ihm die Rache für erlittene Unbill fremd war. Er fühlte auch Mitleid mit dem Los der männlichen Gefangenen und sann oft darüber nach, auf welche Art er sie befreien könne.

So verflossen viele Wochen.

Selten verging ein Tag ohne einen Auszug zu Raub und Mord, und immer brachten die Räuber reiche Beute heim: Gefangene, Rosse, Geld und Gut. Hanns wusste, wo der Anführe, welcher Udo hieß, geraubtes Geld und Goldwaren zu vierteljähriger Verteilung aufbewahrte. Udo legte der Treue des Hanns allerlei Probefallen, aber Hanns ging in keine und gewann dadurch Udos Vertrauen in solchem Grad, dass er überzeugt war, ihm nötigenfalls die Bewachung der Burg unter Beistand weniger Dienstleute getrost anvertrauen zu dürfen.

Die Gefangenen waren sehr erfreut über die milde Behandlung des Hanns und sichtlich getröstet, da er ihnen auch versprach, sie bei guter Gelegenheit zu befreien, wofür sie ihm die reichste Belohnung verhießen. Er erklärte aber, dass er durchaus auf jede Belohnung verzichte.

Eines Tages nach dem Abendessen nahm Udo den Hanns beiseite und sagte zu ihm: »In einer Stunde unternehme ich mit meinen Kameraden einen weiten Zug, von dem wir kaum vor ein paar Wochen heimkehren werden. Wenn er gelingt, so bringen wir eine ergiebige Beute. Ich werde nur den Turmwächter und vier Knechte zurücklassen, die ohnehin nie mit uns ausziehen. Lass die Zugbrücke immer aufgezogen bleiben, dann kann kein Feind in die Burg kommen, die ich deiner Bewachung anver­traue.«

Eine Stunde später sprengten die Raubgesellen über die Zugbrücke hinaus, die sogleich hinter ihnen wieder aufgezogen wurde.

Hanns hatte nun nichts Wichtigeres zu tun, als den männlichen Gefangenen ihre nahe Befreiung an­zukündigen, und brachte ihnen zu diesem Zweck Stricke mit der Angabe, was damit zu geschehen habe und zu welcher Stunde.

Am dritten Tag zur festgesetzten Stunde löste er ihre Fessel und sperrte die Schlösser der Kerkertüren auf. Den Turmwächter und die vier Knechte beschied er in den Stall zum Vernehmen einer wichtigen Anordnung. Plötzlich stürzten die befreiten Gefangenen in den Stall und banden den Knechten Hände und Füße mit Stricken. Schreien hätte ihnen nichts geholfen. 47 geraubte Rosse mit Sattel und Zeug standen im Stall, um demnächst verkauft zu werden. Hanns ging nun in Giselas Kerker und sagte auch zu ihr: Wenn sie frei sein wolle, möge sie ihm folgen.

Dankbar stürzte sie ihm zu Füßen und umklammerte seine Knie.

»Verzeihung, ach Verzeihung!«, stöhnte sie schluchzend.

»Ist schon verziehen!«, antwortete er, »schnell mir nach!«

Die meisten Befreiten saßen schon auf den Rossen, auch Gisela.

Hanns ließ die Zugbrücke fallen, dann die Stricke der Gebundenen durchschneiden, und alle flohen zur Burg hinaus, jeder wohin er wollte, Hanns aber zu seinen alten Pflegeeltern, die ihn mit Freudentränen empfingen.

Sie hatten inzwischen im Garten, wo Brigitta ihn gefunden hatte, eine hübsche hölzerne Kapelle zum Andenken erbauen und vom hochwürdigen Abt des nächstgelegenen Klosters einweihen lassen.