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Die Plauderstube – Die Abenteuer eines Leutnants – Kapitel 1

Die Abenteuer eines Leutnants
Novelle
Aus dem Schwedischen von E. Sickenberger
Sonntag, 3. März 1861

I.

Sicherlich wissen die wenigsten meiner verehrten Leser aus eigener trauriger Erfahrung, was es heißen will, auf einem königlich schwedischen Bauernkarren, auch Rebhuhn genannt, zumal bei Frühlingsanfang beim entsetzlichen Tauwetter zu fahren. Es ist dieses eine Arbeit, von der, nach meiner innigsten Überzeugung, sogar der unermüdliche Halbgott Herkules stutzig geworden wäre, d. h wenn es diese gefährliche Fahr- oder besser Marterwerkzeug zu seiner Zeit gegeben hätte; und meine liebenswürdigen Leserinnen, die in so vielen anderen Fällen die Opfer einer stupiden Konvenienz sind, dürfen in diesem Fall doch die Regeln derselben preisen, die ihnen gebieten, ihre so empfindsamen Reize diesen rüttelnden und schüttelnden Transportmaschinen nicht anzuvertrauen. Aber wir arme Junggesellen insbesondere wir Leutnants, wir schnurrbärtigen Zugvögel im Staat ohne bleibende Stätte, die es nicht so weit gebracht haben, sich genug Ansehen oder Rang zum Vorwurf machen zu können, um auf Pump in anderen Wagen zu fahren: Wir sind zu den Bauernkarren verdammt, wie Galeerensklaven zum Ruder.

Es ist auch, meiner Seele, kein anderer als ein junger Leutnant, der dort den Hügel herabgerollt kam, während der Schmutz himmelhoch an ihm hinaufspritzte und seine blaue Uniformmütze mit kleinen Flecken besäte, unzählig wie die Schwert-Ordens-Sterne in der schwedischen Armee. Ohne darauf zu achten, ließ der junge Leutnant, der Held unserer Erzählung, seine Peitsche lustig knallen, und war von Herzen vergnügt, wenigstens einmal aus dem gewöhnlichen Schildkrötentrott herausgekommen zu sein. Aber der Braune war nicht – beinahe hätte ich gesagt … der Mann, – der sich länger anstrengte, als es bergab ging. Unten auf der Landstraße angekommen, blieb er a tempo und schüttelte eigensinnig seine zottige Mähne, indem er die Nüstern stark aufblies, als wolle er dadurch andeuten, dass er sich durch die ihm soeben widerfahrene Beleidigung tief gekränkt fühle.

»Der Teufel fahre so einer Mähre in die Knochen! Fahre der Leibhaftige mit solch einem Karren und repariere dieses Fuhrwerk!«, rief der Leutnant halb verdrießlich, halb lachend, und warf die Peitsche auf den Karren, während er seine langen Beine ausstreckte, die er, wegen der räumlichen Beschränktheit des Karrens, während des schnelleren Fahrens fast bis an das Kinn hatte heraufziehen müssen. »Nun so gebt nur Eurem unglücklichen Renner etwas Brot, Landmann! Das wird ihn wieder zur Vernunft bringen. Heutzutage ist es auch keine so leichte Sache, ein Gaul zu sein!«

»Ja, ja, das merkt unser einer am besten«, antwortete der Skjutsbauer seufzend, indem er das Pferd ausschirrte.

Während nun der Bauer damit beschäftigt war, Bissen für Bissen in wahrhaft brüderlicher Teilung mit seinem Pferde zu essen, hatten wir gute Gelegenheit, den Reisenden, der aus dem Fuhrwerk gesprungen war, um die lahmen Glieder etwas zu dehnen und auszurichten, näher zu betrachten.

Es war eine hohe stattliche Figur, wie man sie nicht oft trifft, und es lag in allen seinen Bewegungen eine Leichtigkeit und Anmut, wie man sie noch seltener findet. Die aristokratische steife Haltung ließ beim ersten Blick auf einen gewissen Stolz schließen; aber dieser minder vorteilhafte Eindruck schwand sogleich, wenn man in seine großen blauen Augen sah, in dem gleichwie in dem freundlichen Zug um seinem Mund, nur die aufrichtigste Herzensgüte, vereint mit einer gewissen schalkhaften Munterkeit zu erkennen war. Man konnte nichts Frischeres sehen, als sein wohlgebildetes rosiges Gesicht, das nach keine menschliche Leidenschaft berührt zu haben schien, um ihren entstellenden Stempel zurückzulassen. So stand er dort, um es kurz zu sagen, als ein schönes, tröstliches Bild von Gesundheit, Fröhlichkeit und Jugend; denn, dass er jung war, sehr jung, sah man leicht an dem blonden, flaumigen Schnurrbart, dem es sichtlich erst im letzten Halbjahr gelungen war, sich an das Tageslicht hervorzuarbeiten.

Nachdem er einige Male unter äußerst unbehaglichen Betrachtungen über die bodenlosen Wege am Rand des Wassergrabens auf und ab gegangen war, wandte er sich mit der prosaischen, aber gewöhnlichen Frage an den Bauer: »Wie weit sind mir nun gefahren?«

»Ja liebes Herrchen, es ist nicht der Mühe wert, davon zu sprechen. Nur eine halbe Meile«, antwortete dieser, indem er sich bedenklich hinter dem Ohr kratzte.

»Nur eine halbe Meile? Bist du wahnsinnig! Also hätten wir noch sechs Viertelmeilen?«

»Ja, das hat alles seine Richtigkeit«, war die lakonische Antwort.

Angenehme Aussichten, dachte unser Reisender und setzte sich wieder auf seine Folterbank, aber im Ganzen kann mich all das wenig kümmern, ob ich in freier Luft oder in einer windigen Gaststube sitze. Ich stehe allein in der Welt. Und dabei seufzte er fast so schwer wie der Braune, der nun auf die handgreiflichen Aufmunterungen des Skjutsbauern hin sich wieder in Gang zu setzen begann.

Hier scheint es uns der rechte Ort zu sein, den Leser in Kurzem zu unterrichten, wen sie denn eigentlich in unserem Reifenden vor sich haben. Dass er einer der Vaterlandsverteidiger ist, haben wir bereits an seiner Mütze gesehen, und zwar ist er einer der allerjüngsten, denn er hat erst neulich die Kriegsakademie verlassen und ist nun im jüngsten Armeebefehl zum Leutnant befördert, im Begriff zu seinem Regimente zu reisen. Niemand konnte wohl mit mehr Grund als er sagen, dass er ganz allein in der Welt stehe, denn er hatte weder Vater, Mutter und Geschwister, noch, soviel ihm wenigstens bekannt war, Verwandte. Seine Mutter eine schöne Frau von niedriger Geburt, war schon an in seiner frühesten Kindheit gestorben, und sein Vater, ein verabschiedeter, invalider Militär, war ihr, kurz nachdem es ihm gelungen war, seinem Sohn einen freien Kadettenplatz in Carlsberg zu verschaffen, gefolgt. Mithilfe eines adeligen Stipendiums hatte er seine Uniform angeschafft, die, nebst seinem Anstellungsdekret und 100 Talern Reisegeld, sein einziges Eigentum in der ihm wildfremden Welt ausmachte. Angenehme Aussichten in der Tat! Möge es also der Leser nicht übel aufnehmen, wenn unseres Helden sonst glattes Gesicht für den Augenblick einen melancholischen Ausdruck angenommen hat.

Aber bald wurde er aus seinen besorgten Betrachtungen von dem Skjutsbauern geweckt, der, nachdem er mit seinem einfältigen, bleifarbigen Auge lange den roten Mantelkragen des Leutnants betrachtet hatte, endlich fragte: »Ist der Herr vielleicht einer vom Militär!«

Der Leutnant bejahte und lachte herzlich über diese Frage, zu der sein Manteltragen Anlass gegeben hatte.

»Vielleicht einer von den Paragrafer, wenn ich so neugierig fragen darf«, fuhr der Bauer fort.

»Paragrafen! Was in Gottes Namen meinst du damit!«, fragte der Leutnant und lachte noch herzlicher als vorher.

»Nun wahrlich! Weiß der Herr denn nicht, was Paragrafer sagen will? Das sind solche Sterngucker, die herumgehen und das Feld abmalen. Sie waren im vorigen Jahr bei uns im Dorf und führten ein ganz absonderliches Leben, und unsere Mädel hatten sich ganz in sie vergafft; es war ihre größte Freude, wenn sie auf die Weideplätze hinaus mussten, um die Kühe zu melken! Aber es waren feine Herren, das muss man sagen, denn sie hatten so einen vernehmen Charakter, dass sie gar nicht aufs Geld sahen. Aber erstaunlich neugierig waren sie und wollten immer ganz genau wissen, wie viele Pferde, Kühe, und Schweine wir im Stall hätten, gerade als ob jetzt auch ihre Kameraden nachkommen sollten. Wir waren auch richtig lange Zelt in großer Angst, weil wir dachten, sie wollten jetzt unsere Steuern vermehren, die wir ohnehin so schwer bezahlen können, so schwer sind sie. Aber es waren auch ganz närrische Kerle unter ihnen, denn wir haben oft gesehen, wie sie ausgingen, um einen Stern vom rotesten Gold, der dort im Wald herabgefallen war, zu suchen. Da konnten wir uns nicht halten, über so gelehrte Herren zu lachen, die, mit Respekt zu sagen, so dumm sein konnten, in einem großen Wald nach einem so klimperkleinen Ding zu suchen, wie ein Stern, der vom Himmel herabgefallen ist. Jetzt sind sie mit langen Nasen abgezogen, in Gottesnamen, und wir sind recht froh darum, schon um unserer Mädel willen, denn denen war der Kopf ganz verrückt, solange diese verdammten Paragrafer hier waren, und diese Obsalvation ist ja, Gott strafe mich, schuld, dass sie dem zweierlei Tuch nachlaufen wie der Teufel einer armen Seele.«

Unseren jungen Leutnant belustigte die pikante Erzählung des Bauern über die Paragrafer, womit er natürlich die Offiziere vom topographischen Korps meinte, die sich in jenem Dorf auf Vermessungen befanden.

Sie waren nun in den Wald gekommen, wo die kostbaren Sterne herabgefallen sein sollten. Der Leutnant war schon im Begriff, weitere Fragen über dieses interessante Thema anzustellen, als er plötzlich einen wehklagenden Ton hörte, der ganz neben ihm aus dem dichten Gebüsch herauszukommen schien. Er ließ den Bauern sogleich halten, sprang aus dem Karren und eilte zu der Gegend, woher der Laut kam. Als er sich dreißig bis vierzig Schritte in dem Gesträuch vorwärts gearbeitet hatte, sah er eine schluchzende Frau, mit einem jungen, ohnmächtigen Mädchen in ihren Armen, auf einem moosbewachsenen Stein sitzen.

In einem Augenblick stand er an der Seite der Unglücklichen, aber erst, als er im Ton gefühlvoller Teilnahme ausrief »Großer Gott, was ist geschehen?«, bemerkte die ältere Frau, dass sie an diesem traurigen Ort einen Beobachter habe. Sie streckte ihre magere Hand aus und schluchzte: »Mein Kind, mein armes Kind! Ich fürchte, sie stirbt. Sieh, sie rührt sich nicht mehr. Von Mattigkeit überwältigt, hat sie …«

Der Leutnant, der durchaus nicht ratlos war, beeilte sich sogleich, eine Handvoll Schnee aus einem halb geschmolzener Schneehaufen, der nahe dabei lag, zu holen, um damit die Schläfe der Ohnmächtigen abzukühlen. Nach einigen wiederholten Versuchen schlug auch das Mädchen die Augen auf und seufzte leise.

»So, recht! Seid nur nicht so traurig«, sagte unser Held zur Mutter, »es war nur eine augenblickliche Schwäche, die bald vorübergehen wird. Wohin geht Ihre Reise, beste Frau?«

»In das Grab«, antwortete die Mutter, »denn so ermattet und ausgehungert, wie wir sind, werden wir gewiss hier umkommen, wenn kein barmherziger Mensch uns hilft.«

»Und warum sollten Sie umkommen, da Sie schon einen barmherzigen Menschen gefunden haben?«, antwortete der Leutnant sanft. »Mein Skjuts steht hier gleich in der Nähe auf der Landstraße, und Sie können mit ihm bis zum nächsten Gasthaus fahren, wo Sie ausruhen und sich erholen können.«

»Vergelte der Himmel Ihre Güte, junger Herr!«, rief die Frau und versuchte ihre stöhnende Tochter aufzuheben, die nun wieder zu sich gekommen war und weinte.

»Nein, warten Sie! Ich will das Mädchen tragen«, sagte der Leutnant und fasste sie zugleich mit seinen Armen. »Folgen Sie mir nur, gute Frau.«

Die großen, dummen Augen des ehrsamen Skjutsbauern wurden noch größer und dümmer, als er das merkwürdige Trio obsalveirte, das plötzlich aus dem Wald herauskam, aber seine Verwunderung machte bald einer heftigen Verdrießlichkeit Platz, als der Leutnant seine Bürde auf den Karten setzte und daraufhin der Mutter aufsteigen half.

»Nein, nein, Herr, das geht absolut, das geht unmöglich an«, brach er mit steigender Heftigkeit heraus, »der Herr darf nicht alles Pack einsteigen lassen. Hinaus mit euch«, fuhr er dann fort und wollte eben auf das arme Mädchen losstürzen, »hinaus mit euch, schlechtes Gesindel … ihr Diebsware …«

Aber der Bauer konnte das gemeine Wort, das er auf den Lippen hatte, nicht aussprechen, denn des Leutnants kräftige Hand fasste ihn im Rücken und schüttelte ihn so unbarmherzig, dass dieser glaubte, Leber und Lunge führen ihm aus dem Leib. »Siehst du denn nicht, niederträchtiger Schurke«, rief der Leutnant mit zorniger Stimme, nachdem er den Bauern hatte fahren lassen, »siehst du nicht, dass das ermattete ausgehungerte Unglückliche sind und sie der Hilfe ihrer Mitmenschen bedürfen?«

»Ja, aber mein Beamter kann nicht helfen, der muss ziehen und nicht ich, bester Herr! Ich werde den Herrn fahren, das ist sicher, das hat seine Richtigkeit und ist in der Ordnung, aber mehr kann ich nicht.«

»Ach, lass uns gehen«, sagte das Mädchen ängstlich zu seiner Mutter, »ich fühle mich nun stärker. Lass uns gehen, denn alles, alles stößt uns von sich!«

»Bleiben Sie hier und fürchten Sie nichts!«, sagte der Leutnant, den die wehklagende Stimme des Mädchens noch mehr rührte. Darauf wandte er sich mit erkünstelter Kälte an den unbeugsamen Skjutsbauern und sagte: »Nun, sei nur nicht so wahnsinnig dumm. Du wirst wohl begreifen, dass ich selbst gehen will, damit diese armen Frauen fahren können. Damit bekommst ein gutes Trinkgeld in den Kauf, wenn du tust, was ich dir sage.«

»Ein Trinkgeld wäre schon recht, aber ich darf so durchaus nicht fahren, denn es sitzen zwei auf«, wandte der Bauer ein, der einer von jenen echten, rohen Bullköpfen war, wie man sie noch bisweilen unter unseren Bauern antrifft.

Das kochte unserem Leutnant, aber er antwortete doch ganz still: »Höre, ich will dir das doppelte Reisegeld bezahlen. Hast du etwas dagegen einzuwenden?«

»Auch so geht es noch nicht«, wandte wieder der Bauer ein, »denn der Herr hat da zwei Frauenzimmer, soviel ich sehe, und zwei können nicht mit einem Pferd fahren.«

»Aber diese beiden Frauenzimmer sind zusammen nicht so schwer als ich!«

»Das will nichts bedeuten«, disputierte der Bauer. »Es steht nur einer im Buch eingeschrieben, und das Recht muss seinen Lauf haben; das ist Regel, ja.«

»Du wirst bekommen, was du begehrst. Aber höre nun, wenn ich dir sage. Hüte dich, während des ganzen Weges, dein sündiges Maul aufzutun, und danke Gott, wenn du heute Abend nach Hause kommst, dass du nicht hinter einen anderen gekommen bist, wie ich es bin.« Und damit fasste er den Bauern an der Brust, hob ihn gerade in die Höhe und stellte ihn auf der anderen Seite des Pferdes wieder nieder, so leicht wie einen Federball.

»Der ist stark wie ein Ochse«, murmelte der Bauer verwundert, »da muss ich mich in Acht nehmen, das wird das Beste sein! Darf ich jetzt weiter fahren, gnädiger Herr.«

»Ruhe, habe ich dir gesagt. Fahr zu!«, rief der Leutnant, worauf sich der traurige Zug in Gang setzte. Jeder, der nicht gewusst hätte, dass dies ein Werk der Menschenliebe vonseiten des jungen Mannes war, hätte diesen Anblick sogar lächerlich finden können, so sonderbar war er. Ein junger braver Offizier und ein schwerfälliger, unbeholfener Bauer auf beiden Seiten des Weges gehend, und mitten auf dem Weg auf einem wackligen Karren zwei bleiche, abgezehrte Frauenzimmer, denen sich das sichtbarste Elend auf den Gesichtern malt, geben wirklich ein sehr seltsamen Bild, eine Bemerkung, die auch unserem Helden nicht entging. Es fehlt uns, dachte er, nur noch ein Hund oder ein Schwein, und jeder Vorübergehende könnte uns für eine komplette Zigeunergesellschaft halten. Doch was schere ich mich darum, wenn man über mich lachen will? Niemand kennt mich, und selbst wenn ich allgemein bekannt wäre, würde ich mich dessen, was ich getan habe, nicht schämen. »Aber wenn es nun schlechtes, herumstreunendes Gesindel wäre, das ich in meinen Wagen genommen habe?«, fragte er sich selbst, nach einem kurzen Besinnen, »dann – aber, nein, das kommt auf eines heraus. Es sind offenbar Unglückliche, und jeder Unglückliche fordert unseren Beistand … Indessen will ich mit ihnen sprechen, um herauszubekommen, wessen Geistes Kinder sie sind.«

Zu diesem Ende nähert er sich dem Karren und ergriff, nach Art der Skjutsbauern, eine der Speichen des Wagensitzes, um das schwierige Gehen auf dem bodenlosen Lehmweg zu unterstützen. Das ermattete Mädchen schien zu schlafen. Sie hatte ihre Arme um die Mutter geschlungen und ließ ihre bleichen Wangen auf deren Busen ruhen. Sie konnte ihrer Größe nach zu urteilen ungefähr fünfzehn bis sechzehn Jahre alt sein, aber Krankheit und Not hatten auf die gefälligen, schlanken Formen, die diesem schönen Alter eigen sind, so nachteilig gewirkt, dass unser Held beinahe auf den Gedanken gekommen wäre, es sei nur noch ein Skelett übrig geblieben. Das Profil ihres Gesichtes, das sie auf die Mutter gelehnt hatte, war bewundernswürdig fein und edel, und die langen, weichen und dunklen Fransen an den geschlossenen Augenlidern gaben dem Schlummer der Leidenden etwas englisch Reines.

Als die Mutter sah, dass unser Leutnant die Schlummernde so teilnehmend betrachtete, fielen ihr zwei große Tränen auf die Wangen, und als nun, indem sie sich mit einem Blick voll Rührung und Dankbarkeit nach ihrem Beschützer wandte, diese Tränen warm auf seine Hand fielen, fühlte er plötzlich in seinen Augen ein nahe verwandtes Nass aufsteigen. Er erfuhr jenes himmlische liebliche Gefühl, dass in dem Bewusstsein einer guten Tat besteht.

»Weine Sie nicht, gute Frau«, sagte er mit leise flüsternder Stimme, um die Schlafende nicht zu wecken, »Gott ist gut und vielleicht ist Hilfe näher als Sie glauben. Ich brauche nicht zu fragen, ob sie unglücklich sind. Das sehe ich, aber wenn ich nun frage, woher Sie kommen und wohin Sie gehen, so geschieht dieses bei Gott nicht aus Neugier, sondern nur weil ich zu wissen wünsche, ob ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann.«

Die Frau senkte einige Augenblicke ihr Haupt. Eine leichte Röte überflog ihre Wangen, dann antwortete sie: »Junger, edelmütiger Herr, der einer unglücklichen, ohnmächtigen Frau so viel Güte erweist: Ich muss Sie, selbst auf die Gefahr hin, von Ihnen verkannt zu werden, bitten, mich um nichts zu fragen, da ich auf nichts antworten kann. Mein ganzes Leben – und ich stehe jetzt im siebzigsten Jahr – war ein Geheimnis, und ich war bis auf den heutigen Tag zu stolz, es zu lösen. Es kann Ihnen vielleicht wunderlich vorkommen, dass eine Frau, die Sie in einem so elenden Zustand gefunden haben, noch von Stolz sprechen kann, aber es gibt solche Frauen und zu ihre Zahl gehöre auch ich. Aber was ich vor dem lebendigen Gott beteuern kann, das ist, dass Sie Ihr edles Mitleid nicht an unwürdige oder schuldige Personen verschwenden. Ich leide nur infolge des Verbrechens einen anderen«, – und hiermit warf sie, wie der Leutnant bemerken konnte, einen rascheren höchst liebevollen, aber auch höchst wehmütigen Blick auf ihre Tochter.

»Ich will in niemanden Geheimnisse eindringen, gute Frau«, sagte der Leutnant, nicht wenig über die bestimmte vorsichtige und gebildete Art ihres Ausdruckes erstaunt, »und am allerwenigsten jetzt, wo ich aus Ihrer Erzählung habe entnehmen können, dass Sie in weit besseren Umständen erzogen sind, als die sind, in denen Sie sich jetzt befinden. Eine vom Unglück schwer heimgesuchte, über den Hohn böswilliger Menschen erhabene Seele behält immer ihren Stolz, den ich wenigstens zu achten weiß. Aber was ich habe sagen wollen, ist, dass Sie nach Ihrer Ankunft im Gasthaus um Ihrer Tochter willen noch einige Tage dort bleiben müssen, ehe Sie Ihre Reise fortsetzen, denn das arme Wesen würde sonst der Anstrengung unterliegen.«

»O Gott! Wenn ich nur betteln könnte! Betteln um ihretwillen!«, rief die unglückliche Mutter und drückte ihre Tochter so fest ans Herz, dass diese davon erwachte. Als sie ihre schönen blauen Augen aufschlug, sah sie verwirrt um sich, legte ihre Hand auf die Stirn und rief hastig: »Meine Mutter, meine gute Mutter! Was ist da? Wo bin ich?«

»In meinen Armen, liebe Caroline! In den Armen deiner zärtlichen treuen Mutter.«

»Aber ich meine, mich zu erinnern, dass ich auf einem Stein lag, im dunklen, wilden Wald«, fuhr das Mädchen noch etwas verwirrt fort.

»Ja, aber jener Herr dort hat uns arme, unglückliche Wesen in seinen Wagen aufgenommen und uns aus dem Wald gebracht. Danke ihm, Caroline, für seine edle Handlung, denn er hat dein und zu gleicher Zeit mein Leben gerettet. Danke ihm!«

»Mein Herr«, sagte das Mädchen und errötete heftig, als sie dabei in die sanften, lebhaften Augen des schönen jungen Mannes sah, »mein Herr, das Gebet eines armen, unglücklichen Kindes gilt viel im Himmel, und das wärmste, das ich künftig himmelwärts sende, soll Glück und Segen für Sie herabflehen. Für jetzt habe ich nur Tränen.« Bei diesen Worten schmiegte sie sich schluchzend an ihre Mutter und verbarg ihr Gesichtchen in ihren Händen.

»Das sind gewiss Komödianten, die in der Welt herumziehen«, sagte der Bauer, »die auch so entsetzliches Zeug schwatzen und weinen können, so oft und so viel sie wollen.«

Der Leutnant war von der warmen Dankesbezeugung des jungen Mädchens zu sehr gerührt, als dass er dem eigensinnigen Bauern, der trotz des gegebenen Verbotes plauderte, hätte Gehör schenken können. Da er die wehmütigen Gefühle der armen Frauen durch sein Gespräch nicht länger aufs Neue aufregen wollte, so ließ er sie ausruhen, so gut es sich eben tun ließ. Er nahm sogar, trotz aller Einwendungen seinen Mantel ab, der ihm, wie er behauptetet bei seinem Spaziergang nur hinderlich sei, und schlug ihn um seine beiden vor Kälte zitternden Schützlinge. Dann entfernte er sich rasch.

Das Mädchen flüsterte der Mutter ins Ohr: »Welch ein Engel an Herzensgüte! Ist es möglich, dass es solche Menschen gibt!« Dieser leichte Seufzer, der ihr bei diesen Worten entstieg, war der erste vergnügte, der bisher ihren jugendlichen Busen erhöht hatte.

So ging der Zug langsamen Schrittes weiter, und der Leutnant, der am Rand des Weges ging, wurde immer stiller und nachdenklicher.

»Ich beklagte mich vorhin erst, dass ich einsam und verlassen in der Welt stünde«, sagte er bei sich selbst, »aber ist meine Einsamkeit im Vergleich mit jenen armen verlassenen Wesen nicht beneidenswert? Worüber beklage ich mich also? So will ich denn einmal, damit ich mit mir selbst ins Reine komme, alle meine Schätze zusammenrechnen, damit ich künftig mit meinem Los zufrieden bin und nicht mehr in einfältigen Klagen ausbreche. Fürs Erste bin ich ein Mann, das ist das Beste, denn der Kuckuck möchte ein Frauenzimmer sein, das noch dazu so einsam in der Welt stünde wie ich. Zweitens bin ich ein starker, mutiger, frischer Kerl, der Doktor und Apotheker noch für keine zwei Pfennige Verdienst gegeben hat. Ich kann also nie so weit kommen, dass ich hungern muss, so lange es noch Steine zu brechen, Holz zu hauen und Wasser zu tragen gibt. Fürs Dritte habe ich ein gutes Gewissen, und Gott weiß, ob das nicht das Allerbeste an mir ist. Bis jetzt habe ich noch keine größere Sünde begangen, als dass ich einmal auf der Nörstrandstraße ein Paar Kerle unbarmherzig durchprügelte, die einen meiner jüngeren Kameraden totschlagen wollten. Nun, sie rissen sehr bald aus, und einige Wochen später habe ich dafür ein kleines Kind, das im nächsten Augenblick in einem brennenden Haus vom Feuer verzehrt worden wäre, mit eigener Lebensgefahr gerettet. Und als nun jedermann wissen wollte, wer ich wäre, erklärte ich ihnen, dass sie das gar nichts anginge, und lief, was ich konnte, davon – und das war auch sehr politisch von mir gehandelt, denn um die Feuersbrunst ungenierter mit ansehen zu können, hatte ich mir einen Zivilrock geliehen. Es war den Kadetten streng verboten, ohne Uniform auszugehen. Aber was habe ich denn noch mehr? Ja, viertens habe ich einen guten Humor. Ich habe, wie der große Orenstierna, nur zwei schlaflose Nächte gehabt. Das eine Mal in der ersten Nacht, wo ich nach Carlsberg kam, und jetzt in der ersten Nacht, wo ich diesen Ort verlassen hatte, denn ich fühlte mich rasend einsam. Fürs fünfte habe ich …«

Gott weiß, wie viele unschätzbare Vorteile unserer Wanderer noch hätte aufzählen können, wenn er nicht von dem Rollen eines Wagens dicht hinter sich aus seinem Gedankengang geweckt worden wäre. Ehe er sich noch umwenden konnte, um nach der Ursache dieses Geräusches zu sehen, sauste ein großer englischer Reisewagen mit vier Pferden bespannt, an ihm vorüber. Bei der raschen Vorbeifahrt konnte er doch einen etwas missmutig aussehenden Mann allein im Wagen sitzen sehen, und er glaubte sogar zu bemerken, dass ein Lächeln die Lippen des Reisenden umflog.

»Ja, lache nur, mein Junge«, murmelte unser Held etwas ärgerlich. »Man hat leicht lachen, wenn man reich genug ist, so wie du zu reisen. Aber, wiewohl du noch genug Platz für sechs hast, fällt es dir doch um alle Welt nicht ein, meine Frauenzimmer zu dir zu nehmen. Ja, so sind die Reichen.«

Der Tag begann allmählich zu sinken und unsere Reisenden kamen ohne weitere Abenteuer am Gasthaus an. Einige müßige Postbauern (Bauern, die auf den Stationen die Pferde verleihen) und betrunkene Zechbrüder standen vor der Tür, um den großen englischen Reisewagen zu betrachten, der ihr Entsetzen und ihre Verwunderung in gleichem Grad rege machte. Nach echter Bauernart versuchten sie den Wagen mit ihrem Rücken in die Höhe zu heben, was ihnen trotz der heftigsten Anstrengungen nicht gelingen wollte.

»Ja, ihr Jungen, so fahren die verdammten Herrn in der Welt herum mit Wagen, dass unsere Gäule darüber zu Grunde gehen möchten«, brach ein halb betrunkener, kupfernäsiger Zechbruder heraus.

»Ja, die verdammten Herren!«, schallte es im Chor in der ehrenwerten Versammlung wieder.

Gott weiß, was weiter diese löblichen Herren über dieses Kapitel aufgebracht hätten, wäre nicht in diesem Augenblick der Bauer, der den Eigentümer des hier zur Schau ausgestellten Wagens gefahren hatte, auf der Schwelle des Wirtshauses erschienen und hätte seinen edlen Kollegen zugerufen: »Das ist ein sehr nobler großer Herr, dass ihr es wisst. Er hat mir einen Reichstaler blanko Trinkgeld gegeben. Kommt nur herein, ich will einen Branntwein bestellen.«

»Das ist einmal ein nobler Herr!«, hallte es wieder im Chorus, und alle eilten über Hals und Kopf in die Schenkstube, um versprochenermaßen aufgewichst zu bekommen.

Dieser Umstand war ein für unseren Leutnant und seine Frauenzimmer ein sehr glücklicher, die dadurch der leidigen Unannehmlichkeit entgingen, manche Spottrede anhören zu müssen. Nur ein paar Bauern, die sich um den versprochenen Branntwein nicht hatten reißen wollen, sahen noch ihre Ankunft an, wobei der eine die Bemerkung nicht unterlassen konnte: »Pfui Teufel, Bruder! Was ist das Lumpenware? Aber lieber als wir solche Bagage ansehen, gehen wir herein, nicht wahr?« Und damit gingen sie.

Es scheint uns hier der rechte Ort zu sein, auf eine Sonderbarkeit aufmerksam zu machen, die man nicht selten bei dem roheren Teil der schwedischen Bauern trifft. So sehr sie den Reichen hassen und beneiden, so sehr verabscheuen und verachten sie den Armen, sie sind nämlich beständig der Ansicht, der Reiche wolle sie betrügen und der Arme sie bestehlen – eine Verkehrtheit, die, so wahnsinnig sie scheinen mag, doch in diesen Bauerncharakteren tiefgewurzelt ist – wahrlich eine sehr hässliche Seite des Nationalcharakters, in dem Neid und Missgunst von uralten Zeiten her den hervorstechendsten Zug bilden.

Während der Erzähler dieser Geschichte sich in oben stehenden Reflexionen ergangen hat, unser Held seine Damen in das Haus geführt und ein kleines Zimmer für sie bestellt, wo sie die Nacht ungestört zubringen könnten. Nachdem er für die Ausgehungerten noch ein Abendmahl befohlen hatte, reichte er der Frau die Hand mit den Worten: »Ich habe noch einen weiten Weg und muss Ihnen nun Lebewohl sagen. Da sie so geheimnisvoll verschweigen, wohin Sie reisen, kann ich Ihnen, so sehr ich es auch wünschte, keinen weiteren Dienst mehr leisten, und, aufrichtig gesagt, bin ich selbst ein armer vater- und mutterloser Mensch, der jetzt erst seinen ersten Schritt in die Welt getan hat, dem es zwar nicht an gutem Willen, wohl aber an Vermögen fehlt, seinen bedürftigen Nächsten zu helfen. Schlagen Sie indessen diese Kleinigkeit nicht aus, die die Fortsetzung Ihrer Reise in etwas unterstützen kann. Und damit steckte er ihr eine Zehntalernote in die Hand.

»Nein, ich kann, ich darf von Ihrem Edelmut keinen Gebrauch machen!«, rief die Frau und rang die Hände, »und doch, doch betteln, wozu ich sonst genötigt wäre … Ich hatte zwar einiges Reisegeld, aber mein armes Kind wurde krank, und alles, was wir hatten, zerrann an einem teuren, fremden Ort. Wenn ich …«

»Kein Wort weiter«, sagte der Leutnant bestimmt, »denken Sie an sich selbst, denken Sie an Ihr Kind! Und nun Lebewohl! Lebewohl!«

»O, aber sagen Sie doch erst, wir bitten, Ihren Namen, damit wir ihn in unser Gebet einschließen können!«, rief das Mädchen und küsste, ohne dass es unser Held verhindern konnte, seine Hand.

»Auch ich habe meine Geheimnisse«, sagte der Leutnant lächelnd, »und wozu bedarf es vor Gott eines Namens? Wollen Sie für mich beten, so beten Sie für den Vater- und Mutterlosen. Aber diesen Handkuss muss ich rächen.« Damit drückte er einen raschen Kuss auf die Lippen des errötenden Mädchens und eilte hinaus.

Das Mädchen blieb unbeweglich stehen und sah mit funkelnden Augen urverwandt zur Tür. Das tiefe Rot, das soeben ihre Wangen bedeckt hatte, wich allmählich der äußersten Blässe. Endlich warf sie sich unter einem Strom von Tränen in die Arme ihrer Mutter.

»Armes Kind«, schluchzte diese, »jetzt bist du recht unglücklich!«

Unterdessen war der Leutnant in die Wirtsstube hinabgegangen, um ein Postpferd zum Vorspann zu bestellen und seinen Namen in das Postbuch einzuschreiben. Während er mit dieser letzteren Arbeit beschäftigt ist, wollen wir uns über seine Schulter beugen, um zu sehen, was er schreibt. Ja, sieh! Da steht mit zierlicher Schrift geschriebene Unterleutnant Hjalmar Lingen. Wir können also künftig den fatalen Titel ablegen und unseren Held schlecht und recht Hjalmar nennen, wenn wir so wollen. Nachdem also Hjalmar seinen untadeligen Namen in das Tagebuch eingetragen und den bockbeinigen Skjutsbauern, der sich ihm in Rücksicht der bewiesenen Stärke seines Armes nicht ohne ein gewisses Beben näherte, bezahlt hatte, merkte er auch endlich ein gewisses unbehagliches Gefühl im Magen, welches die Armen Hunger nennen. Das erinnerte ihn, dass er bereits seit dem Morgen nichts gegessen hatte, und da er gegen niemanden, am allerwenigsten gegen seinen eigenen Leib tyrannisch verfahren wollte, so bestellte er bei der Wirtin, was Küche und Keller vermochte. Zugleich bat er um ein besonderes Zimmer, weil die Wirtsstube mit Bauern vollgepfropft war. Da nun die Wirtin wiederholt erklärte, dass es nur mehr zwei Zimmer außer der Wirtsstube gebe, das, welches der zu Wagen angekommene Herr inne hatte, und das, worin sich die zwei Weibsbilder befänden, so war sein Entschluss kurz gefasst. Er trat keck in das Zimmer des fremden Herrn, der bequem am Tisch saß, auf dem eine köstliche Abendmahlzeit aufgetragen war, und worauf rotgesiegelte Flaschen ihre verführerischen, strahlenden Häupter erhoben.

»Bitte tausendmal um Verzeihung, mein Herr, dass ich Sie störe«, sagte Hjalmar mit einer leichten Verbeugung, »da dieses jedoch hier das einzige Zimmer für Reisende ist und ich, ehe ich meine Reise fortsetze, noch ein kleines Mahl einnehmen möchte, so …«

»Braucht keine Entschuldigung«, unterbrach ihn der Fremde in ziemlich barschem Ton und mit einem etwas fremdartigen Akzent. »Ist diesen hier das einzige Gastzimmer, so haben Sie natürlicherweise ebenso viel Recht, hier einzutreten, wie ich.«

Da Hjalmar im Augenblick nichts hierauf zu sagen wusste, setzte er sich auf eine Bank nieder und fing, weil er nichts Besseres zu tun hatte, den Fremden aufmerksam zu betrachten an, der eben mit seinen gebratenen Hühnchen, seinen Würsten und sonstigen Braten zu sehr beschäftigt war, als dass er auf Hjalmar hätte achten können. Es war ein kräftig gebauter Mann, von mittlerer Größe, mit schwarzem Haar und etwas gebräuntem Gesicht. Seine Züge waren männlich und regelmäßig, aber sie hatten einen Ausdruck von Härte oder Unfreundlichkeit, der dem munteren, guten, unerfahrenen jungen Mann gar nicht gefallen wollte. Er wusste noch nicht, der Glückliche, dass Jahre und Sorgen das heiterste Gesicht verdüstern und das wärmste Herz mit einer Eisdecke umgeben können!

Wer so tüchtig essen und trinken kann, scheint auch einen Mund zum Sprechen zu haben, dachte Hjalmar, ich will inzwischen die Initiative ergreifen, denn das ist so unerträglich, dazusitzen und stillzuschweigen, wenn man Gesellschaft hat.«

Zum Ende erhob er seine Stimme und begann mit der bei Reisenden allerdings sehr gewöhnlichen Phrase: »Wir haben einen entsetzlichen schlechten Weg, mein Herr!«

»Yes, Sir!«, war die lakonische Antwort.

So, ist’s daran! Das ist also ein Engländer, den ich hier vor mir habe!, dachte Hjalmar, da ist es das Beste, kein Wort zu sprechen, denn dieses unausstehliche Volk spricht nie mit jemand anderem, als mit seinem Gott, dem liebenswürdigen Ich, wie Vitalis sagt.

Nun kam die Wirtsfrau mit ihrer Anrichtung herein, bestehend in steinhartem Brot, versalzener Butter, ranzigem Fleisch und faulen Eiern; aber Hjalmar war hungrig und noch obendrein Kadett gewesen, sodass er sich anfangs mit ziemlich gutem Appetit ans Werk machte; aber als er sein zweites Ei öffnete und darin ein halb ausgebrütetes Hühnchen mit einem kleinem allerliebsten Schnäbelchen fand, rief er laut: »Pfui tausend! Ein Hühnchen ist allerdings eine Delikatesse, aber wenigstens so lange nicht, wie es noch in der Schale liegt. Puh!« Und dabei schnitt er eine so bittere Grimasse, dass selbst der strenge Fremde nicht umhin konnte, seinen derben Mund etwas zu verziehen.

»Mein Herr!«, sagte hierauf der Herr mit den Esskörben, »ich war so lange von meinem teuren Heimatland entfernt, dass ich beinahe die schwedische Gastfreiheit verlernt hätte. Ich bereue nun von ganzem Herzen, dass ich Sie nicht gleich einlud, mit meiner Reisekost vorlieb zu nehmen, denn es war leicht vorauszusehen, dass Sie hier keine genießbare Speise würden erhalten können. Erweisen Sie mir also den Gefallen, diesen Schaden möglichst nachzuholen. Aber, ich bitte, spülen Sie erst das fatale Küken mit einem Glas Wein hinab!«

Hjalmar ließ sich nicht zweimal bitten, sondern begann, indem er ein gleichgültiges Gespräch anhob, mit jenem dem Beobachter so wohltuenden Appetit zu essen, der nur der Jugend und Gesundheit eigen ist. Nun war es an dem Fremden, seine Beobachtungen anzustellen. Sein Gesicht schien dabei von einer besonderen Freude wieder zu strahlen. Und es ist auch in der Tat etwas Tröstendes für den gewiegten, erfahrenen Weltmann, ein junges, schönes, aufrichtiges und heiteres Gesicht anzusehen. Es war, als ob in dem Fremden die Erinnerungen an seine schönste Zeit wach würden, wo sein Herz noch voll war von süßer Hoffnung und die Illusionen noch nicht aus seiner Seele verschwunden waren.

Plötzlich schien sich der Fremde zu besinnen, den er fragte nach einiger Zeit: »Täusche ich mich oder bin ich nicht vor einigen Stunde an Ihnen vorbeigefahren? Sie gingen zu Fuß, und auf einem Karren fuhren zwei Frauenzimmer. Habe ich recht gesehen?«

»Ja, das war ich«, antwortete Hjalmar und errötete; gewiss nicht über seine Samaritertat, sondern bloß deshalb, weil er glaubte, sein Fragesteller könne es missdeuten.

»Und diese Frauenzimmer?«, fragte der Fremde und fixierte ihn scharf.

»Hatte ich zufälligerweise auf meinem Weg kennen gelernt«, antwortete Hjalmar ausweichend und etwas verdrossen, weil er glaubte, sein geringes Werk der Barmherzigkeit verliere allen Wert, wenn er dessen irgendwie erwähnte.

»Nein, junger Mann, Sie sehen mir nicht so aus, als könnten Sie auf offener Landstraße Frauenzimmerbekanntschaften anknüpfen. Verzeihen Sie mir, diesmal sind Sie nicht aufrichtig.«

»Und wozu sollte ich gegen einen mir ganz Fremden aufrichtig sein?«

»Damit haben Sie vollkommen recht!«, antwortete der Fremde mit einem Seufzer, »und ich bitte tausendmal um Vergebung, aber ich dachte, ich glaubte … Sie könnten gar keine derartige Bekanntschaften haben, um derentwillen Sie zu erröten brauchten.«

»Herr!«, rief Hjalmar mit lauter Stimme, indem er sich stolz erhob, »mich mögen Sie verkennen, so viel es Ihnen beliebt, nicht aber jene armen Wesen, gegen die ich, wie ich vor Kurzem das Glück hatte, meiner Menschenpflicht genügen konnte. Nun gut, ich fand diese Frauenzimmer in dem bedauernswertesten Zustand an der Landstraße. Die eine von ihnen war vor Ermüdung und Hunger ohnmächtig geworden. Ich bot ihnen einen Platz in meinem Karren an und führte sie hierher, wo sie sich jetzt befinden. Sehen Sie, das ist alles, was ich weiß, und ich hoffe nicht, dass Sie meine Tat missdeuten werden. Aber nun, Lebewohl, mein Herr! Ich muss eilen.«

»Nein, so dürfen Sie nicht scheiden«, sagte der Fremde und reichte Hjalmar die Hand, »Sie sind ein vortrefflicher junger Mann, und was Sie getan haben, ehrt Ihr Herz. Wollen Sie mir Ihre Hand nicht reichen!«

»Gewiss, gewiss!«, antwortete Hjalmar, bei dem der Zorn ebenso schnell schwand, wie er gekommen war. »Und wenn Sie etwas für diese Unglücklichen tun wollen, so kann ich versichern, dass sie dessen im höchsten Grade bedürftig sind, wie ich auch der sicheren Überzeugung bin, dass sie Ihrer Güte würdig sind.«

»Ich bleibe hier über Nacht«, sagte der Fremde, »weil ich meinen Bestimmungsort erst sehr spät erreichen würde, und werde nicht versäumen, die beiden Frauen zu besuchen.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Hjalmar, »und nun noch einmal Lebewohl, mein Herr!«

»Lebewohl«, sagte der Fremde, »vielleicht wird mir das Glück, Sie wiederzusehen; aber sollte dieses auch nicht der Fall sein, so verschmähen Sie nicht den Rat eines Mannes, der vieles vom Leben gesehen hat: Versuchen Sie Ihre Seele immer so rein zu halten, dass Sie, wie es soeben geschah, bei der Erinnerung einer vollbrachten guten Tat schamhaft erröten. Tun Sie das, so ist es gewiss, dass Sie nie über eine schlechte zu erbleichen brauchen.«

Einige Minuten später rollte unser Held wieder in der pechschwarzen Nacht auf dem gefährlichen, netten Rebhuhn weiter. Es ist wahrhaftig eine große Sünde, meine liebenswürdigen Damen, dass er, der so hübsch und gar so artig ist, so Arges leiden muss, aber ich kann bei meiner Seele nichts dafür. Er muss der Ordre nachkommen und sich mit dem Grauen des nächsten Tages bei seiner Abteilung einfinden, sonst muss er, ja er muss auf die Stockwacht marschieren, und das wäre gewiss eine noch größere Buße. Indessen kann ich der Wahrheit getreu berichten, dass er selbst sich mit stoischer Ruhe in sein Schicksal ergeben hat, obwohl es scharf zu regnen anfängt. Er denkt dies und das: an die beiden Unglücklichen, die er verlassen hat, an den sonderbaren Fremden, an … Gott weiß selbst nicht, welche Gedanken in dem Gehirn eines jungen Mannes entstehen können. Aber man wird selbst des Denkens überdrüssig, besonders wenn man im Regenwetter auf einem Karren hin- und her geschüttelt wird. Um diesen Überdruss zu zerstreuen, wandte sich unser Held endlich an den Skjutsbauern, einen großen munteren Burschen, mit der Frage, ob er singen könne.

»Ja, und das tüchtig!«, antwortete dieser. »Ich bin der ärgste Schreier im ganzen Dorf. Es ist immer lustig, im Dunkeln zu singen, und wenn sich der Herr so gemein machen will, und will mir zuhören, so …«

»Du tust mir einen großen Gefallen, wenn du singst, denn es wird mir sonst zu

langweilig.«

»Ja, da will ich ein neues Soldatenlied singen, das ein Leutnant von unserem Regiment gedichtet hat. Ich habe es beim Exerzieren gelernt.«

»Was ist das für ein Leutnant?«, fragte Hjalmar.

»Ja, seinen Namen kann ich mir nicht merken, der ist zu künstlich, aber dass sie ihn immer Leutnant geschimpft haben, das weiß ich. Es war ein dicker großer Herr, wie ein Goliath …«

»Nun, so singe das Lied des dicken Leutnants«, sagte Hjalmar. »Ich bin begierig, es zu hören.«

Der Skjutsknecht begann nun in gewöhnlicher Bauernweise, aber mit heller Stimme zu singen.

Soldaten marschieren, die roten und blau’n,
Ihr Mädchen zum Fenster! Jetzt gibt es zu schauen!
Die flotten Soldaten,
Stehn immer in Gnaden,
Wer wollte den Mädchen deswegen nicht trau’n?

Der Tambour, der wirbelt im lustigen Schritt,
Die Mädchen, die hüpfen, als zögen sie mit;
Welch Glück ohne Namen
Für uns alle zusammen!
Das ist für die Mädchen der lieblichste Klang!

Und Halt kommandierte der Herr Kapitän;
Die Mädchen, die eilen, die Helden zu seh’n.
Versteht sich, sie zwingen
Sich auch noch zu springen,
Denn die Füßchen können so eilig nicht gehn.

Und kaum hat er dann Auseinander gesagt,
Erhebt sich die wilde und mutige Jagd,
In allen Quartieren,
Ist gut fouragieren,
Wenn ein liebliches Mädchen entgegen uns lacht.

Und die Stunden enteilen im lust’gen Quartier,
Nach den Töchtern schielt die Mutter hier,
Und dort mit den Krügen,
Kommt der Vater gestiegen,
Denn die Gäste rufen: »Bring, Alter, mehr Bier!«

Und der Morgen graut, die Soldaten geh’n,
Jetzt ist’s um die Freude der Mädchen gescheh’n,
Soldaten wer traut,
Hat auf Sand nur gebaut.
Dass mögen die Mädchen nicht gerne gesteh’n.

Und der Tambour wirbelt die Straßen entlang,
Wie wird da den Mädchen so eng und so bang!
O Schmerz ohne Namen
Für und alle zusammen!«
Das ist für die Mädchen der traurigste Klang!