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Der Fluch von Capistrano – Kapitel 31

Johnston McCulley
Der Fluch von Capistrano
New York. Frank A. Munsey Company. 1919
Ursprünglich in fünf Teilen in der All-Story Weekly ab der Ausgabe vom 9. August 1919 als Serie veröffentlicht.

Kapitel 31

Die Rettung

Señor Zorro klopfte mit dem Griff seines Schwertes an die Tür. Sie hörten, wie ein Mann keuchte, hörten seine Schritte auf dem Steinboden. Nach kurzer Zeit fiel Licht durch die Ritzen, die Klappe wurde geöffnet, und das verschlafene Gesicht des Wächters erschien.

»Was wollen Sie?«, fragte er.

Zorro stieß die Mündung seiner Pistole durch die Öffnung in das Gesicht des Mannes, und zwar so, dass sich die kleine Luke nicht mehr schließen ließ.

»Mach auf, wenn dir dein Leben lieb ist! Mach auf und gib nicht den geringsten Laut von dir!«, befahl Zorro.

»Was … was ist los?«

»Señor Zorro spricht mit dir!«

»Bei allen Heiligen …«

Mach auf, Narr, oder du stirbst auf der Stelle!«

»Ich … ich werde die Tür öffnen. Schießt nicht, guter Señor Zorro! Ich bin nur ein armer Wächter und kein Kämpfer! Ich bitte Euch, schießt nicht!«

»Mach schnell auf!«

»Sobald ich den Schlüssel ins Schloss stecken kann, guter Señor Zorro!«

Sie hörten, wie er mit den Schlüsseln klapperte. Bald wurde einer im Schloss gedreht und die schwere Tür aufgestoßen.

Zorro und seine vier Gefährten stürmten hinein, schlugen die Tür zu und verriegelten sie wieder. Der Wächter fand die Mündung einer Pistole seitlich an seinen Kopf gepresst und wollte vor diesen fünf maskierten und schrecklichen Männern niederknien, doch einer von ihnen packte ihn an den Haaren und hielt ihn hoch.

»Wo schläft der Aufseher dieses Höllenlochs?«, fragte Zorro.

In dem Zimmer dort drüben, Señor.«

»Und wo sind Don Carlos Pulido und seine Damen untergebracht?«

»In der Gemeinschaftszelle des Gefängnisses, Señor.«

Zorro winkte den anderen zu, schritt durch den Raum und stieß die Tür zum Zimmer des Kerkermeisters auf. Der Mann hatte sich bereits im Bett aufgerichtet, weil er die Geräusche im anderen Zimmer gehört hatte, und blinzelte erschrocken, als er den Straßenräuber im Schein der Kerze erblickte.

»Rühr dich nicht vom Fleck, Señor«, warnte Zorro. »Ein Schrei, und du bist ein toter Mann. Señor Zorro steht vor dir.«

»Mögen die Heiligen mich beschützen …«

»Wo sind die Schlüssel zu den Gefängniszellen?«

»Dort auf dem Tisch, Señor.«

Zorro hob sie auf und stürmte wieder auf den Kerkermeister zu.

»Hinlegen!«, befahl er. »Das Gesicht zum Boden, Halunke!« Zorro riss Streifen aus einer Decke, fesselte Hände und Füße des Kerkermeisters, machte einen Knebel und band diesen fest.

»Um dem Tod zu entgehen«, sagte er dann, »ist es notwendig, dass du genauso liegen bleibst, ohne einen Laut von dir zu geben, und zwar für einige Zeit, nachdem wir das Gefängnis verlassen haben. Ich überlasse es deinem eigenen Urteilsvermögen, wie lange das dauert.«

Dann eilte er zurück in das Büro, winkte die anderen heran und ging den übel riechenden Flur entlang. »Welche Tür?«, fragte er den Wärter.

»Die zweite, Señor.«

Sie eilten zu dieser, Zorro entriegelte sie und stieß sie auf. Er zwang den Wärter, eine Kerze hoch über seinen Kopf zu halten.

Unter der Maske des Straßenräubers kam ein mitleidiges Aufatmen hervor. Er erblickte den alten Don, der am Fenster stand, er sah die beiden Frauen, die auf der Bank kauerten, er sah die niederträchtigen Gefährten, die sich an diesem erbärmlichen Ort befanden.

»Der Himmel möge dem Gouverneur verzeihen!«, rief er.

Señorita Lolita blickte erschrocken auf und stieß dann einen Freudenschrei aus. Don Carlos wirbelte bei den Worten des Straßenräubers herum.

»Señor Zorro!«, keuchte er.

»Derselbe, Don Carlos. Ich bin mit einigen Freunden gekommen, um Euch zu retten.«

»Das kann ich nicht zulassen, Señor. Ich werde nicht vor dem fliehen, was mir bevorsteht. Und es würde mir wenig nützen, wenn Ihr die Rettung übernehmt. Ich werde beschuldigt, Ihnen Unterschlupf zu gewähren, wie ich höre. Wie wird es dann aussehen, wenn Ihr meine Flucht ermöglicht?«

»Wir haben keine Zeit für Diskussionen«, sagte Señor Zorro. »Ich bin nicht allein, sondern habe sechsundzwanzig Männer bei mir. Und ein Mann Eures Blutes und edle Damen wie die Eurer Familie werden nicht eine ganze Nacht in diesem elenden Loch verbringen, wenn wir es verhindern können. Caballeros!«

Das letzte Wort war ein Befehl. Zwei der Caballeros stürzten sich auf Don Carlos, überwältigten ihn schnell und trugen ihn in den Gang und zum Büro. Zwei andere ergriffen Doña Catalina an den Armen, so sanft sie konnten, und trugen sie so weiter.

Señor Zorro verbeugte sich vor der Señorita und reichte ihr die Hand, die sie gerne ergriff.

»Sie müssen mir vertrauen, Señorita«, sagte er.

»Lieben heißt vertrauen, Señor.«

»Es ist alles vorbereitet. Stellen Sie keine Fragen, sondern tun Sie, was ich Ihnen sage. Kommen Sie.«

Er legte einen Arm um sie und führte sie so aus dem Gefängnisraum, wobei er die Tür hinter sich offen ließ. Wenn es einigen der elenden Kerle gelang, das Gebäude zu verlassen, wollte Zorro sie nicht daran hindern. Mehr als die Hälfte von ihnen, so schätzte er, war aufgrund von Vorurteilen oder Ungerechtigkeit dort.

Don Carlos verursachte einen unheimlichen Lärm, indem er schrie, dass er sich weigere, gerettet zu werden, und dass er bleiben und dem Gouverneur bei der Verhandlung gegenübertreten und das Blut zeigen werde, das in ihm stecke. Doña Catalina wimmerte ein wenig vor Schreck, leistete aber keinen Widerstand.

Sie erreichten das Büro, Zorro beorderte die Wache in eine Ecke des Büros, mit der Anweisung, dort noch einige Zeit ruhig zu bleiben, nachdem sie gegangen waren. Dann stieß einer der Caballeros die Außentür auf.

In diesem Moment gab es draußen einen Tumult. Zwei Soldaten hatten sich mit einem Kerl genähert, der in der Taverne beim Stehlen erwischt worden war. Die Caballeros konnten sie aufhalten. Ein Blick in die maskierten Gesichter hatte genügt, um den Soldaten zu sagen, dass hier etwas nicht stimmte.

Ein Soldat feuerte eine Pistole ab, ein Caballero erwiderte das Feuer, wobei keiner der beiden sein Ziel traf. Aber die Schießerei reichte aus, um die Aufmerksamkeit der Tavernenbesucher und der Wachen im Presidio auf sich zu ziehen.

Die Soldaten im Presidio wurden sofort geweckt und nahmen die Plätze der Wachen ein, während Letztere aufsprangen und den Hügel hinunterritten, um die Ursache für den plötzlichen Tumult zu dieser nächtlichen Stunde zu erkunden. Sergeant Pedro Gonzales und andere eilten aus der Taverne. Zorro und seine Begleiter sahen sich einem Widerstand gegenüber, mit dem sie am wenigsten gerechnet hatten.

Der Kerkermeister hatte genug Mut gesammelt, um sich von Knebel und Fesseln zu befreien. Er schrie durch ein Fenster seiner Kammer, dass die Gefangenen von Zorro gerettet würden. Sein Schrei wurde von Sargento Gonzales verstanden, der seine Männer aufforderte, ihm zu folgen und sich einen Teil der Belohnung seiner Exzellenz zu verdienen.

Aber die Caballeros setzten ihre drei geretteten Gefangenen auf die Pferde, sprangen durch die versammelte Menge und preschten über den Platz in Richtung Landstraße.

Schüsse krachten um sie herum, aber kein Mensch wurde getroffen. Don Carlos Pulido schrie noch immer, dass er nicht gerettet werden wollte. Doña Catalina war in Ohnmacht gefallen, wofür der Caballero, der sie mit sich führte, dankbar war, da er sich so besser auf sein Pferd und seine Waffen konzentrieren konnte.

Zorro ritt wild mit der Señorita Lolita im Sattel vor ihm her. Er ritt auf seinem prächtigen Pferd vor allen anderen und führte so den Zug zur Landstraße an. Als er diese erreicht hatte, hielt er sein Pferd an und betrachtete die anderen, die im Galopp zur Stelle kamen, um sich zu vergewissern, ob es Verletzte gegeben hatte.

»Führt Eure Befehle aus, Caballeros!«, befahl er, als er sah, dass alle sicher durchgekommen waren.

Und so wurde die Gruppe in drei Abteilungen aufgeteilt. Eine davon eilte mit Don Carlos die Pala Road entlang. Eine andere nahm den Weg, der sie zur Hazienda von Don Alejandro führen würde. Zorro, der ohne einen seiner Kameraden ritt, galoppierte auf das Haus von Bruder Felipe zu, die Arme der Señorita fest um seinen Hals geschlungen und die Stimme der Señorita in seinem Ohr.

»Ich wusste, dass Sie mich holen würden, Señor«, sagte sie. »Ich wusste, dass Sie ein wahrer Mann sind und mich und meine Eltern nicht an diesem elenden Ort zurücklassen würden.«

Zorro antwortete ihr nicht mit Worten, denn es war nicht die Zeit zum Reden, wenn seine Feinde ihm so dicht auf den Fersen waren, aber sein Arm drückte die Señorita enger an sich.

Er hatte den Kamm des ersten Hügels erreicht und hielt das Pferd an, um auf Geräusche von Verfolgern zu lauschen und die flackernden Lichter weit hinten zu beobachten.

Auf der Plaza und in allen Häusern brannte eine Vielzahl von Lichtern, denn das Pueblo war aufgewacht. Das Gebäude des Presidio war hell erleuchtet. Er hörte, wie eine Trompete geblasen wurde, und wusste, dass jeder verfügbare Soldat auf die Jagd geschickt werden würde.

Das Geräusch von galoppierenden Pferden drang an seine Ohren. Die Kavalleristen wussten, in welche Richtung die Retter unterwegs waren. Die Verfolgung würde schnell und unerbittlich und Seine Exzellenz vor Ort sein, um enorme Belohnungen anzubieten und seine Männer mit Versprechungen von guten Posten und Beförderungen anzuspornen.

Aber eines gefiel Zorro, als sein Pferd die staubige Straße hinunter galoppierte, die Señorita sich an ihn klammerte und der scharfe Wind ihm ins Gesicht schnitt: Er wusste, dass die Verfolger in drei Gruppen aufgeteilt werden mussten.

Er drückte die Señorita wieder an sich, gab seinem Pferd die Sporen und ritt rasant durch die Nacht.