Hanns Heiling … – Teil 4
Friedrich Wilhelm Bruckbräu
Hanns Heiling, vierter und letzter Regent der Erd-, Luft-, Wasser- und Feuergeister und sein Kampf mit den Teufeln der Hölle
Eine höchst merkwürdige, abenteuerliche und wundervolle Ritter-, Räuber-, Geister- und Teufelsgeschichte
Verlag der J. Lutzenberger’schen Buchhandlung, Altötting, 1860
Ausgeschlafen
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Martha erwachte.
»Ich habe wahrhaftig geschlafen!«, sagte sie lächelnd und griff rasch nach ihrem Brustlatz, in welchem das Päckchen Gold noch richtig lag. Sie fühlte Hunger und Durst und hielt mit dem Rest des Inhalts ihres Handkorbes ihr Frühstück. Eben war sie damit fertig, als der Eremit eintrat und gesammelte Kräuter und Wurzeln neben der Wand auf den Boden schüttete.
»Guten Morgen, ehrwürdiger Vater!«, sagte Martha.
»Guten Morgen, meine Tochter! Du hast gut und lange geschlafen.«
»Jawohl.«
»Sieh, da habe ich mir bereits wieder meine tägliche Kost heimgeholt, doch du willst jetzt heimgehen und ich werde dich somit begleiten, bis du auf einen dir bekannten Weg kommst.«
»Ihr macht mich dadurch glücklich, ehrwürdiger Vater!«
»Glücklich? Dies muss sich erst noch zeigen.«
Sie gingen miteinander lange Zeit fort, bis sie einen Fahrweg erreichten.
»O, jetzt kenne ich mich aus!«, rief Martha. »Auf diesem Weg fahren die Bauern aus dem Dorf ins Holz. Jetzt werde ich gleich daheim sein. Danke Euch tausendmal, ehrwürdiger Vater, für Herberge und Begleitung und bitte Euch noch einmal um Euren Segen.«
»Ich segne dich, meine Tochter!«, erwiderte der Eremit, indem er seine Hände über den Scheitel der knienden Martha hielt. »Gehe heim und lebe in Gott als eine gottgefällige Christin!«
Er schritt gemessen in den Wald zurück. Martha ging rasch ins Dorf, gerade vom Wald her, an dessen Saum Kurts Hütte lag, die ihr aber wie neu gebaut vorkam. Sie wusste gar nicht, was sie sich nun denken sollte und trat in ihr Austragstüblein, worin ein alter Bauer saß und ein Fischernetz flocht.
»Was willst? Woher kommst du mit deinem uralten Anzug?«, fragte er mürrisch.
»Ich bin die Martha, die von Kurt und seinem Weib Sabina die Austragestube hat.«
»Ich kenne keinen Kurt und keine Sabina. Mach, dass du weiterkommst und schlaf deinen Rausch aus, damit du nicht mehr so dumm daherredest! Fort, hinaus!«
»So, jetzt gehe ich zu unserem hochwürdigen Herrn Pfarrer Riesner und verklage dich. «
»Unser Herr Pfarrer heißt nicht Riesner, sondern Wellberg.«
»Ist denn unser Herr Pfarrer Riesner seit gestern gestorben?
»Ich bin ein alter Mann«, entgegnete das alte Männlein, »bin hier im Dorf geboren und nie daraus weggekommen, habe schon fünf Pfarrer hier erlebt, aber keiner von ihnen hat Riesner geheißen. Ja, ja, du hast einen Mordsrausch oder bist närrisch geworden. Geh mir aus dem Gesicht, spute dich!«
Sie ging und wollte einige Freundinnen besuchen in fast lauter veränderten Häusern, fand sie aber nicht und niemand wolle etwas von ihnen wissen . Die Leute im Dorf, welche ihr begegneten, sahen sie von oben bis unten an, schüttelten die Köpfe und lachten, da ihnen deren altdeutsche Tracht sonderbar vorkam.
Endlich kam sie zum Herrn Pfarrer, der sie freundlich empfing, aber verwundert anschaute. Sie erzählte ihm alles und beichtete ihm ausführlich. »Sage mir deinen vollständigen Namen!«, bedeutete ihr der Pfarrer.
»Ich heiße Martha und bin die Witwe des Taglöhners Anselm Wildpart von hier.« Der Herr Pfarrer schlug eine Menge Kirchenbücher auf und fand bei diesem Namen, dass die Witwe Martha gerade vor hundert Jahren, auf Tag und Stunde zum Kloster Erlbach zur Erhebung einer Erbschaft gegangen, nicht mehr zurückgekommen und auch keine Spur mehr von ihr aufgefunden worden sei. »Das ist eine Tat des Hanns Heiling, des Regenten der Erd-, Luft-, Wasser- und Feuergeister, die er zu deiner Besserung getan hat. Bessere dich also, Martha, es ist dir noch Zeit gegönnt«, bemerkte der Pfarrer.
Martha weinte bitterlich und gelobte Besserung.
,,Du hast also 100 Jahre in der Einsiedelei geschlafen, ohne zu altern, und auch Speise und Trank in deinem Korb sind frisch geblieben. Wie hieß Kurt mit seinem Zunamen? Du hast ihn und sein Weib durch Zank und Härte immer gequält.«
»Gerlinger«, antwortete Martha reuevoll schluchzend.
Der Pfarrer schlug wieder im Kirchenbuch nach. »Wunderbar!«, rief er aus, »es leben noch zwei eheliche Nachkommen von ihm, Georg und Anna, jener 17 und diese 15 Jahre alt, in Diensten des hiesigen Torbauern, zum Hüten von Schafen und Gänsen verwendet, recht fromme und sittsame Kinder.
»Sie sollen meine Erben werden«, rief Martha freudig aus, » ich will jedem von ihnen einen ganzen Bauernhof kaufen. Dort sollen sie mit mir sich aufhalten und glückliche Heiraten später machen, und ich werde bei ihnen wohnen bis an mein seliges Ende; denn die beiden Bauernhöfe müssen nebeneinander stehen.«
So geschah es auch.
»Recht so, Martha«, erwiderte der Pfarrer, »du beginnst deine Besserung schon mit einem guten Werk, wodurch du auch sühnst, was du durch dein Benehmen gegen Kurt und Sabina verschuldet hast.«
Martha führte am anderen Tag den Herrn Pfarrer zur Einsiedelei, deren Eingang jedoch durch eine senkrechte Felsenwand verschlossen war, wie ohne Zweifel seit dem hundertjährigen Schlaf Marthas darin, die ja sonst ein Opfer der wilden Tiere geworden wäre.
Nach 14 Tagen bezog sie schon mit den beiden Kindern die dicht nebeneinander stehenden Bauernhöfe und führte ihnen die Wirtschaft mit Beihilfe von braven Bauernknechten und -mägden. Nach zwei Jahren heirateten beide Kinder am nämlichen Tag, Georg eine schöne und brave Tochter seines früheren Dienstherrn, des Torbauern, und Anna einen Bruder des Herrn Pfarrer, einen hübschen und fleißigen Burschen, der weit und breit für ein Muster der Rechtschaffenheit galt. Beide Paare lebten sehr glücklich miteinander und in dankbarer Liebe und ungestörtem Frieden mit ihrer Wohltäterin, die, wie jene, keine arme Person nicht beschenkt von ihrer Tür weggehen ließ. Lange vor der Trauung hatte Martha die Kirche aufs Schönste restaurieren lassen, dem Herrn Pfarrer einen neuen goldenen Kelch und ein neues prächtiges Messkleid verehrt und eine neue herrliche Glocke auf dem Kirchturm anbringen lassen. Sie lebte noch 27 Jahre lang gesund und rüstig und starb hochbejahrt, von den Bewohnern des Dorfes und der Umgegend als hilfreiche Mutter der Kranken und Armen während dieser Zeit bedauert und beweint.