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Ein Ostseepirat Band 1 – Eine doppelte Überraschung

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman
Erster Band

XXX. Eine doppelte Überraschung

Der schwedische Soldat wanderte mit schweren schleppenden Schritten vor dem Herrenhaus von Grieben auf und ab. Seine Aufmerksamkeit war längst eingeschläfert, denn es war immer kein Kriegsterrain, auf dem er sich befand. Vielleicht dachte er an seine Heimat dort jenseits des Meeres, an seine Lieben oder was ihm sonst teuer war. Er hatte schon seit langer Zeit keinen Blick um sich geworfen.

Da huschten schnell Schatten neben ihn hin, so leise, dass sein Ohr nichts vernahm. Das Gewehr wurde seinen Händen entrissen, eine schwere Hand legte sich auf seinen Mund, kräftige Fäuste hoben ihn vom Boden auf und hielten ihn in der Schwebe, bis ihm Hände und Füße gebunden und der Mund durch ein Tuch verstopft worden waren.

Erst dann wurde er flach auf den Boden gelegt. Der erste Akt des geheimnisvollen Angriffs der Kaper auf das Haus war lautlos beendet.

Im Hof muckten allerdings die von Jacobson wegen ihres Bellens gefürchteten Hunde, doch Nehls brachte sie schnell zum Schweigen, die Seeleute nä­herten sich sämtlich bis auf zwei, die bei dem Sol­daten Posto fassten, einzeln und leise der hinteren Seite des Hauses.

Doch nun galt es, in dasselbe zu kommen.

»Hier hilft kein Zögern!«, sagte der Kapitän und drückte mit seinem Tuch eine Scheibe ein. Bald war das Fenster geöffnet, Nehls und ein Mann stiegen hinein, um die Tür von innen zu öffnen. Alle be­traten den geräumigen Flur.

Man hatte zwar kein Licht, doch es sollte nicht schaden. Nehls musste verschiedene Männer an die Türen der Dienstleute, andere vor die Zimmer der Personen, deren man habhaft werden wollte, postieren. Als dies geschehen war, forderte Jacobson ihn auf, zuerst die Mädchen zu wecken, und begleitete ihn vor die Tür der Schlafzimmer derselben. Nehls pochte leise, aber er musste sein Pochen mehrmals wiederholen, denn die armen Kinder, er­regt von den Vorfällen des Tages, hatten gewiss lange nicht einschlafen können und schlummerten daher nun nur umso fester.

Doch endlich ließ sich eine fragende Stimme hören und Neble nannte seinen Namen.

»Mein Gott, was wollt Ihr?«, fragte Clara.

»Kleiden Sie sich an, meine gnädige Damen«, mahnte Nehls. »Es ist Gefahr vorhanden, wenn Sie nicht bald das Haus verlassen!«

»Doch nicht ohne die Eltern!«, riefen die Mädchen.

»Nein, nein, meine Damen«, antwortete nun Ja­cobson, »Ihre werten Eltern werden Sie begleiten!«

Ein Ausruf des Erstaunens folgte; einer neuen Bitte, sich schnell anzukleiden, wurde eine Zusage. Ja­cobson und Nehls begaben sich zu dem Schlafzim­mer des Majors und seiner Gemahlin.

Nehls spielte hier dasselbe Stück und es erfolgte sofort die verwunderte Antwort und Frage Griebens. Auch dieser wollte wissen, was den Alten wiederum und zu dieser Zeit herführe, und besonders, wie er in das Haus gekommen war.

»Sie sollen alles wissen, gnädiger Herr«, ant­wortete Nehls, »kleiden sich Euer Gnaden nur erst an, ebenso die gnädige Frau. Es ist durchaus nötig!«

Der Major brummte etwas, und man hörte ihn dann mit seiner Frau sprechen, endlich Licht machen. Bald darauf öffnete sich die Tür. Doch der Major fuhr fast entsetzt zurück, als er nicht allein den alten Nehls, sondern auch Jacobson und die bewaffneten Matrosen erblickte.

»Herr!«, rief er, »was wagen Sie und auch Er, Nehls – Ihm werde ich das nicht ungestraft hingehen lassen!«

»Herr Major!«, sagte der Kapitän, während jener schüchtern zur Seite ging, »ich will nicht um Ver­zeihung bitten, so wenig wegen früherer als auch wegen dieser Handlungen, doch ich habe Sie in eine Lage gebracht, welche gefährlich für Sie werden muss. Das darf ich nicht zugeben, und deshalb ist mein Entschluss, Sie vor Schaden zu hüten. Mein Name möge Ihnen für die Unabänderlichkeit eines solchen bürgen. Viel Worte zu machen, ist nicht Zeit!«

»Herr, Sie erlauben sich so etwas in meinem eigenen Haus?«, rief der Major.

»Ich muss!«, erwiderte der Kapitän. »Gnädige Frau, folgen Sie wenigstens gutwillig. Sie alle wer­den mir noch einst Dank wissen, dass ich mir diese allerdings bedeutende Freiheit nehme.«

Der Major wollte auffahren, doch der Kapitän gab den hinter ihm stehenden Matrosen einen Wink. Im Nu befand sich der sträubende und schimpfende Major, vom Boden aufgehoben, in ihrer Gewalt.

»Nehls, sorgt für warme Kleider«, sagte der Kapitän. »Herr Major, Sie haben mich einst einen Engel genannt, halten Sie nur eine kurze Zeit für jetzt an dieser Meinung fest – vorwärts, Leute!«

Der Major wurde zwar mit aller Schonung be­handelt, doch hielt man ihm den Mund zu, während er hinausgetragen wurde. Die Frau folgte schweigend. Jacobson eilte die Treppe hinauf, die Mädchen herunterzuholen. Auch sie folgten gutwillig, obwohl zitternd. Draußen wurden auch die Frauen emporgehoben, und schnellen Schrittes ging es, ohne dass ein Wort gesprochen wurde, über die Ebene hin bis zum Ufer des Dornbusch, wo der Kapitän den Leuten hinab­rief, Taue heraufzubringen. Vermittelst derselben wurden die vier Personen glücklich vom Ufer hinunter und in die Boote gebracht, auch die Seeleute schwangen sich hinein und begannen die Segel zu entfalten. Den Major ließ man nun los, und eben setzte er an, einige schwere Gewitter loszulassen.

»Halt da!«, unterbrach ihn jedoch ein lauter Ruf.

»Wer da!«

»Vorwärts, Jungen!«, rief Jacobson, »jetzt oder nie!«

»Feuer!«, erschallte ein Kommando, und ein Dut­zend Schüsse krachten, ohne dass jedoch einer traf. Bei dem flüchtigen Licht, welches die Musketensalve gewährte, sah man einen Trupp Soldaten am Ufer stehen und unten am Strand ein Boot. Auf die Salve folgte ein Kanonenschlag von der Kanonier­schaluppe aus.