Paraforce – Das Spiel
Das Spiel
Eine Paraforce-Kurzgeschichte von Jaana Redflower
Hinweis:
Mit der folgenden Kurzgeschichte stellt sich unsere neue Paraforce-Autorin unseren Lesern vor. Der erste Roman ist bereits in Arbeit und wird nächstes Jahr erscheinen.
Sie hasste das Spiel schon jetzt. Die Vorstellung, von einer wildgewordenen Horde Gartenzwerge in die Wade gebissen zu werden, verursachte ihr Übelkeit. Wie konnte das zu einer lokalen Tradition werden? Sie atmete tief durch. Eben darum war sie ja hier. Um herauszufinden, was in Kleinsbüttel schiefging.
Sie blickte in die Runde: Vor ihr stand Metzger Huber. Fetter Bauch, vorgewölbt. Nun in feinen Anzughosen, die Schürze zuhause sauber über einen Haken gehängt. Auch die »Dirne Nina«, wie sie sich selber nannte, trug ihr bestes Gewand; ein feines Seidenkleid, das im Wintersonnenlicht über dem Schnee glitzerte.
Tara kam sich underdressed vor in ihren ausgewaschenen Jeans, Turnschuhen und einer leichten Jacke. Damit sie voll beweglich war und den Angreifern entkommen konnte.
Der Rest der Leute – etwa ein Dutzend; diejenigen aus dem Dorf, die das Los getroffen hatte – schien überhaupt nicht an Flucht zu denken. Sie wirkten eher, als würden sie zu einem Ball gehen. Einem Ball, auf dem sie zur Musik des Todes tanzen würden.
Und wofür das alles?
Tara zuckte zusammen, als hinter ihr ein Ast knackte. Drehte sich um: Da war nichts. Oder doch? Sie sah wieder in die Runde. Nina lächelte ihr aufmunternd zu. Neben ihr stand Anji. Die Tischlerin, die eben noch das Schild am Ortseingang repariert hatte.
Wenn das Ding aus meiner Richtung kommt, habe ich auch mit meiner Sportkleidung keine Chance zu entkommen!, schoss es Tara durch den Kopf. Zumindest nicht, wenn sie ihre Gedanken schweifen ließ. Sie löste den Blick von Anji und blickte den Hügel hinunter: In etwa hundert Meter Entfernung lag dort das Dorf, erhob sich als Silhouette vor den Bergen. Wie Spielzeughäuser auf einer Modelleisenbahn.
Wieder ein Knacken im Unterholz. Am liebsten wäre sie gleich losgesprintet. Doch fliehen durfte man erst, sobald die Glocke ertönte. Regeln und Traditionen hielten die Gemeinschaft zusammen und klebten sie so fest aneinander wie Plastikkleber, der langsam die Oberflächen rau macht und dann verschmelzen lässt.
Sie spürte, wie sich die Hand des Metzgers näher an ihre heranbewegte. Spürte die Hitze, die von dem behaarten, verschwitzten Unterarm des Kerls ausging. Sie stopfte die Hand in die Jackentasche. Dann zog sie sie wieder heraus: Wenn sie die Arme zu nah am Körper hatte, würde sie nicht rennen können.
Die Blätter im Busch hinter ihr rauschten nun stärker; sie meinte, ein Kichern zu hören. Jetzt zog sich die Fleischerhand wieder zurück. Es wurde ernst. Das Lächeln verschwand aus Ninas Gesicht. Sie ballte die Hände zusammen.
Ein leises Klingeln ertönte. War das die Glocke?
Die Hände der Dirne öffneten sich.
Tara wartete nicht länger; sie stieß sich mit dem linken Bein vom Schnee ab – und sackte tiefer hinein. Chaos brach aus. Ein Keckern lag in der Luft. Waren das die Zwerge? Sie machte zwei Schritte vorwärts, prallte gegen Anji. Jemand schrie, die Stimme zur Unkenntlichkeit verzerrt. Die Tischlerin schlug der Länge nach in den Schnee. Dabei war der Zusammenstoß gar nicht so heftig gewesen!
Im ersten Moment spürte Tara den Impuls, zu flüchten – koste es, was es wolle. Dann beugte sie sich hinab. Packte die Hand von Anji.
Ganz sicher war sie sich nicht, das Richtige zu tun. Durfte man überhaupt jemand anderem helfen? Anjis ungläubiger Blick zeigte ihr, dass es zumindest nicht üblich war.
In dem Moment sah Tara den Gnom hinter der Frau. Von wegen Gartenzwerg! Das war ein ausgemachter Dämon. Rot glühende Augen bohrten sich in ihre. Sie griff nach dem Schutzamulett, das sie immer um den Hals trug. Neue Kraft strömte durch ihren Körper. Sie zog ein weiteres Mal am Arm der Frau; dann konnte sich diese aufrichten.
»Zum Dorf!«, schrie Tara.
Anji nickte. Regeln waren jetzt egal. Hauptsache, sie brachten etwas Abstand zwischen sich und die wildgewordene Horde, die aus dem Wald heranstürmte.
Tara nahm sich nicht die Zeit, um zurückzuschauen. Sie wusste nicht, ob die Zeit dazu ausgereicht hätte, wusste nicht, ob sie ihre Chance nicht bereits verschenkt hatte. Der Weg vor ihr war frei. Sie raste durch die offene Schneelandschaft.
Hinter sich hörte sie ein Knirschen im Schnee. Sie hoffte, dass das Anji war. Die Schreie hielten an. Wie von Schlachtvieh. Wie das Quieken der Schweine, wenn sie begriffen. Das Kreischen schraubte sich immer höher. Dann brach es abrupt ab.
Sie hatte keine Vorstellung davon, was mit denen geschah, die Sie holten. Nur, dass sie keinen davon jemals wieder im Dorf sehen würde.
Die Winterluft stach ihr mittlerweile in die Lungen. Sie musste flacher atmen. Aber wie, wenn sie sich so sehr anstrengte? Im Schnee war jeder Schritt eine Herausforderung. Dazu Baumwurzeln, die darunter verborgen waren. Stolperfallen, normalerweise bereits übel an einem Tag wie diesem, als Wild auf der Jagd eine ernstzunehmende Gefahr. Dazu kam immer die Möglichkeit, im Schnee einzubrechen. Sie wusste, dass es auf der Passage zur linken Seite des Dorfes Löcher gab. Dort war bereits der Lehmboden abgesackt. Wenn sie in einem davon landete, war es vorbei.
Sie schlug einen leichten Bogen nach rechts ein. Das brachte sie näher an das Gestrüpp heran, das vom Wald aus auf die Siedlung zulief. Sie ärgerte sich darüber. Die Sträucher versperrten ihr den Blick. Sie bemühte sich, möglichst weite Schritte zu machen, hielt den Blick fest auf den Rand der Büsche gerichtet.
Den Zwerg vor sich sah sie erst im allerletzten Augenblick.
Der Gnom gab keinen Laut von sich, starrte sie nur an. Rote Augen, tiefe Tunnel. Ihr wurde schwindlig. Da spürte sie einen Ruck am Ärmel. Wurde zur Seite gezogen. Halb in Trance registrierte sie ein leichtes Parfum. Frisch gewaschene Haare. Erinnerte sich an Anjis dunkelrote Mähne. Sie wollte sich umdrehen, vergewissern, dass es sich bei der Person neben ihr um die Tischlerin handelte. Doch sie konnte sich noch immer nicht von dem Anblick des Zwergs lösen. In ihrem Kopf brummte es; sie schien sich von der Wirklichkeit zu entfernen.
Erst, als das Amulett um ihren Hals einen weiteren Impuls abgab, konnte sie sich lösen. Wie gut, dass ihr Kontaktmann bei Paraforce darauf bestanden hatte, einen kleinen Schutzzauber zu wirken!
Jetzt sah sie Anji deutlich vor sich, die sich durch den Schnee ackerte.
Tara lief hinterher. Im Windschatten kam sie leichter voran.
Rechts von sich hörte sie das Trippeln von Füßen. Dass sie nicht mehr im Bann des Gnoms stand, bedeutete nicht, dass sie außer Gefahr war. Zumal die Tischlerin geradewegs auf die Senklöcher zuhielt!
»Was hast du vor?«, stieß sie hervor.
»Uns den Arsch retten«, keuchte Anji.
Danach sparten sie sich den Atem. Zeit für Diskussionen war später. Wenn sie die Gelegenheit dazu bekamen, hieß das.
Die Füße des Dämonenwesens trippelten über die Schneedecke. Das Vieh war so leicht, dass es sich darauf mühelos fortbewegen konnte. Kein Wunder, dass die Jagd immer im Winter stattfand! Andernfalls wären sie bereits mühelos entkommen.
Die Schritte kamen näher. Tara meinte, einen Schatten im rechten Augenwinkel zu erkennen. Wieder ein Leuchten. Diesmal sah sie nicht hin. Dennoch bemerkte sie den Spalt zu spät. Selbst wenn sie hätte anhalten können, hätte es ihr nichts genützt; Anji versenkte soeben den Fuß darin.
Für einen Moment befand sich Tara im freien Fall. Wie auf der Achterbahn. Schwerelosigkeit. Dann holte sie die Schwerkraft umso erbarmungsloser auf den Erdboden zurück.
Der Aufprall war so hart, dass es ihr den Atem verschlug. In ihren Ohren rauschte es. Um sie herum gab es nur Schnee. Schnee in allen Schattierungen: weiß, grau, blau, gelb. Nur mit Mühe konnte sie überhaupt ausmachen, wo oben und unten war.
Anjis Stimme drang gedämpft durch die Schneedecke. Sofort ließ Tara sich auf die Knie fallen und begann zu buddeln. Schaufelte, bis ihre Hände ganz steif gefroren waren. Sogar durch die Fäustlinge hindurch.
Dann endlich: rotbraune Haare. Ein Riesenbüschel. Sie packte mit der linken Hand zu, schob den rechten Arm unter den Wust; dann zog sie.
Keine Sekunde zu früh: Das verfrorene Gesicht der Tischlerin kam zum Vorschein. Der Mund war vollgestopft mit Schnee und Eis. Anjis Augen waren weit aufgerissen, während sie durch die Nase Luft einsog, dass es pfiff.
Tara griff in Anjis Mund, holte das weiße Zeug heraus, bis alles frei war. Dann erst begann sie, den Körper freizulegen.
Das erste Wort, was die Tischlerin herausbrachte (gehaucht und ziemlich heiser), war: »Danke!«
»Ich schätze, damit sind wir quitt«, zwinkerte Tara ihr zu.
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