Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Die Gespenster – Dritter Teil – Erste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Erste Erzählung

Ein Schulmann entwendet einem spukenden Mönch eine alte Münze und zeigt diese, um die Richtigkeit der Sache zu erweisen, vor.

Wenn es Gespenster gibt, so ist es keine unerhebliche Untersuchung, warum wir an sie glauben und ihr Dasein behaupten. Gehören die Gespenstergeschichten samt und sonders mit Fug und Recht ins Reich betrügerischer Erdichtungen, so dürfte es nicht undienlich sein, zu wissen, aus welchen Gründen wir sie bestreiten und verwerfen. Das Volk hat von jeher darauf gehalten, die Gelehrten älterer Zeit haben sich fast allgemein dafür erklärt; und wenn gleich die neuen Weisen uns überreden wollen, dass sie sich längst von den Vorurteilen der Erziehung losgemacht und auch diesen Aberglauben abgelegt hätten, so tragen wir doch Bedenken ihrer Meinung beizutreten, weil wir im Geheimen zweifeln, ob sie die Nichtwirklichkeit der Gespenster streng zu erhärten imstande sind und mancherlei unverdächtige Beweise haben, dass bärtige Philosophen, in deren Häusern es nie spukte, im Finsteren und bei Nacht mehr Furcht und Grauen verraten als alte Frauen und Sonntagskinder, die viel sahen und hörten und den von ihren Müttern und Gevattern ihnen überlieferten Vorrat an schauerlichen Märchen mit eigenen Erfahrungen vergrößern.

Wahrhaftig verstorbene Menschen sollen nach dem Tod und nach ihrem feierlichen Begräbnis erschienen, mehr wie einmal erschienen, und vor sichtlichen Augen verschwunden sein. Sie wählten zwar gewöhnlich die täuschende Mitternacht, wenn sie kamen, und blieben weislich aus, wenn man ihrer bei brennenden Lichtern und in Gesellschaft von beherzten Personen erwartete; aber sie trieben ihr Wesen doch jahrelang  und ließen sich nach und nach von Tausenden sehen. Sie beunruhigten die Lebenden auch zuweilen in der Mittagsstunde; sie brach­ten, wenn sie sich bei einzelnen Leuten einfanden, ein Gefolge von zwei, drei Geistern mit. Sie hatten völlig das Ansehen aus dem Grab Zurückkehrender und die genaueste Ähnlichkeit mit ihrer ehemaligen Bildung und Statur. sie handelten und gebärdeten sich wie nach unseren Begriffen Bewohner einer anderen Welt handeln und sich gebärden, die noch nicht alle Gemeinschaft mit dieser aufgehoben haben, irdische Angelegenheiten noch beherzigen, sich ihren Günstlingen und Vertrauten, soweit sie können, offenbaren, an den Schicksalen derer teilnehmen, denen sie zu Schutzengeln bestellt sind, sich gern wieder dahin verfügen, sofern es ihnen erlaubt ist, wo sie ihre liebsten Geschäfte verrichteten, und Kinder und Freunde aufsuchen. Die fortdauernde Sehnsucht nach ihrer ehemaligen guten Heimat führte sie öfters zu uns. Das Verlangen, seltenen und auserlesenen Menschen die mit ihnen begrabenen Geheimnisse kundzutun, bewog sie, sich aus dem Ort der Seligen zu entfernen. Sie wurden auch von höheren Geistern verschickt und in Aufträgen gebraucht, die wir vielleicht nicht zu beurteilen verstehen, und konnten sich wohl ein Vergnügen daraus machen, unsere überkluge Philosophie, die der Gespenster und Erscheinungen zu spotten sich erdreistet, zu beschämen. Sie wankten, in luftige, aber doch sichtbare Körper gehüllt, unter den Lebenden umher. Sie rasselten mit Ketten und Schlössern, geleiteten zu verborgenen Schätzen und brachten Bubenstücke und Gräueltaten an den Tag. Nie legten sie ihre Hände an jemand, aber sie warnten und drohten, sie winselten und redeten zu Zeiten vernehmlich; und was man nur irgend von ihnen erzählt, zeigt, dass sie sich als wirkliche Gespenster verhielten, die den ihnen verliehenen Einfluss auf irdische Personen und Sachen nicht willkürlich und bis zur Ungebühr ausdehnen dürften.

Dass Verstorbene noch Lebenden erscheinen können und häufig erschienen sind, hat nie ein Volk geleugnet, bei welchem die Fortdauer der Seele nach dem Tod Nationalglaube gewesen ist. Wir wissen es nicht, wie weit sich die Kräfte aus dem Körper befreiter Geister erstrecken; es kann ihnen ein Geringes sein, sich in ein Dunstgewand zu kleiden, menschliche Handlungen und Leidenschaften nachzuahmen und mit einem Leib, der seiner Freiheit wegen durch Türritzen und Schlüssellöcher schlüpft, vor unserem handfesten Griff zurückbebt, und schlechter­dings nicht gefühlt und betastet wird, doch allerlei Dinge zu fassen und zu tragen. Bekanntlich bezeichnen Seligkeit und Unseligkeit mehr einen Zustand als einen Ort. Warum müssten denn die Seelen da gerade nicht sein dürfen, wo sie bisher gern waren, wo ihr treuster Begleiter, ihr Körper, modert; wo da alles noch ist, was sie im Leben lieb hatten; wo man ihr Andenken am meisten ehrt, wo sie wirkten, die besten Freuden genossen, vieles unvollendet zurückließen, es zu verbessern und zu ergänzen wünschen, ihre höhere Kraft und Einsicht verwenden, teils selbst das Versäumte nachzuholen oder es durch andere noch Lebende zu betreiben und sich gegen sie in dieser Hinsicht nach Gespensterweise zu erklären? Dieses wohltätige  Geschäft versüßt und würzt die Glückseligkeit  der Seligen; so wie es der abgeschiedenen Lasterhaften Qual schärfen und ihre Gewissensangst vermehren muss, wenn sie den ehemaligen Zeugen ihrer Schandtaten auch selbst durch den Tod nicht entfliehen können, das Elend mit all seinen verderblichen Folgen, was sie stifteten und auf keine Art zu hindern und ihm abzuhelfen vermögend sind, in seiner ganzen Größe anschauen und die Flüche und Verwünschungen hören, welche die durch sie Geärgerten und Verführten über die Gräber der Störer ihres Glücks und inneren Friedens verzweiflungsvoll ausspeien. Man kann sich kein seligeres Geschäft denken, als reinere und bewährtere Erkenntnisse zum Wohl anderer benutzen, Schwächere auf den Weg hinzuleiten, den man zu seiner Beruhigung betreten und geendigt hat, und sie vor den Gefahren zu warnen, die auf demselben auch dem späteren Nachfolger zu besiegen sind. Sollten denn die Vollendeten so durchaus anders empfinden, als sie hier empfanden? Sollte das für sie keine Befriedigung geben, was noch vor wenigen Wochen das edelste, unvermischte, geistige Glück für sie ausmachte, welches sie für die Ewigkeit sich erwarben, und in dessen Bewusstsein sie getrost und sanft entschlummerten? Könnte sich die Natur der Menschenseele beim Übergang aus einem Land in das zunächst angrenzende andere zu verwandeln, dass der Gatte seiner Frau, der Vater seines Sohnes vergäße und sich um ihre Angelegenheiten nicht ferner bekümmerte? Wenn er kann, so wird er oft zurückkehren, in denen Gegenden, wo es ihm hier gut ging, und unter den Geliebten sich verweilen, an ihren Schicksalen teilhaben, sich, sofern es ihm gestattet wird, damit selbst beschäftigen, und, wenn dies nur durch eine Erscheinung geschehen kann, erscheinen, oder dass er da ist, durch Poltern, Lichter auslöschen, Türen zuwerfen und auf jede andere ihm beliebige Weise anzeigen. Die Geheimnisse, welche die Abgeschiedenen mit sich ins Grab nahmen und vielleicht noch entdeckt haben würden, wenn der Tod sie nicht übereilt hätte, können ihnen nichts nutzen. Umso williger werden sie, wenn es ihnen anders vergönnt ist, sie uns zu offenbaren. Auf ihren hier erlangten Erkenntnissen bauen sie dort weiter fort, reinigen sich schneller von den ihnen im irdischen Lieben anhaftenden Vorurteilen. Es muss ihnen zur seligen Freude gereichen, die zurückbleibenden Freunde zu belehren und zu warnen. Die Kostbarkeiten, welche sie in Kriegen und Unruhen in Brunnen versenkten oder in Gebüschen und Kellern verbargen, haben für sie keinen Wert, aber sie sparten sie für den rechten Erben auf und spielen sie richtig dem in die Hände, welchem sie vor anderen geschieden waren. Für den bewachen sie den Schatz Jahrhunderte hindurch, dem nähern sie sich in unbelauschten Stunden, dem wissen sie durch Winke und Gebärden sich verständlich zu machen, dass er ihnen folgt, das Geld hell brennen sieht und, wenn er die glückliche Minute nur wahrnimmt, fürstliche Reichtümer einscharrt.

Darum dürfte durch solchen vertraulichen Geisterzuspruch der Zustand der Seligen und Unseligen nicht im Geringsten unterbrochen werden. Sie sind sich ihrer Wanderungen vielleicht nicht einmal deutlich bewusst. Sie schicken einen recht lebhaften Gedanken zu uns herüber, befinden sich mittlerweile in einer Art sanfter Entzückung: Und nun treten sie in Gespenstergestalt vor uns, wir sehen und hören, was sie nur mit einiger Anstrengung von Einbildungskraft wünschen, dass wir sehen und hören möchten. Ja es ist nur eine gewisse Wirkung auf unsere Augen– und Ohrennerven nötig, so müssen wir durch diese beiden Sinne gerade so und das empfinden, was und wie wir nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge hören und sehen. Eine große Kleinigkeit für Geister höheren Vermögens, uns alles, was sie wollen, empfinden zu lassen, als ob wir es wahrhaftig sahen und hörten, ohne dass sie es nötig haben, aus der oberen Welt zu uns herab zu reisen oder aus Gräbern und Gewölben heraufzusteigen. Und wie wenig wird zu einer wirklichen Gespenstererscheinung mit aller Vorbereitung und mit allem Zubehör erfordert, da Menschen bei lebendigem Leib, ohne es zu wissen, in zweierlei Gestalten gehen, da in jeglicher Provinz Personen genannt werden können, von welchen es so allgemein ruchbar geworden ist, dass sie sich an verschiedenen Orten zu gleicher Zeit sehen und sprechen lassen, dass es ihre eigenen Familien nicht zu bestreiten und abzuleugnen wagen.

Fehlte es diesem Beweis, dass es Gespenster geben könne, auch an bündiger Vollständigkeit, so sind Millionen Zeugen eidlich zu bekräftigen notwendig, dass es da und dort vor ihren Augen gespukt habe. Vernünftige, an der Seele und am Körper gesunde Leute, ohne Aberglauben und Schwärmerei, die sich ein Gewissen machen würden, Unwahrheiten zu sprechen, behaupten ernsthaft und zuverlässig, ihnen seien Gespenster erschienen, erzählen die nächtliche Begebenheit mit allen Umständen, versichern, sie hätten zu der Stunde wirklich gewacht, wären in der möglichsten Fassung geblieben und legen die unverdächtigsten und unverwerflichsten Beweismittel dar.

Auf einer berühmten, aus einem ehemaligen­ Mönchskloster umgeschaffenen, protestantischen Erziehungsanstalt stand ein noch lebender bekannter Gelehrter vor mehreren Jahren als Schulmann. Er unterrichtete in der höheren Messkunst und wählte die einsamen und stillen Stunden der Mitternacht zum Studieren und sein Fach zu bearbeiten. Jahre hatte er die berufene Gespensterzeit durchgesessen und nie etwas gesehen noch gehört. Da klaubte und grübelte er, seine mathematischen Instrumente um ihn her, über schwierigen Aufgaben. Gott weiß, was ihn eben beschäftigte, aber er heftete sein ganzes Nachdenken auf seine Materie und war am wenigsten in der Gemütsstimmung, in welcher man Geister erwartet. Horch – just schlug es zwölf Uhr  – es tappte jemand unten durch den Kreuzgang; unter schweren Tritten knarrte die Stiege; es wankte über den Saal näher und näher; die Stubentür öffnete sich, und es kam ein graubärtiger Mönch herein, unter jedem Arm einen vollen Beutel; und die Gestalt des Geistes verriet, dass die beiden Beutel sich mit Mühe tragen ließen. Ob sich der Lehrer über den unverhofften Gast entsetzte und was bei ihm im ersten Augenblick vorging, darüber hatte er sich nicht geäußert. Aber er merkte, in welcher Absicht sich das Gespenst einfand, kramte in der Geschwindigkeit Instrumente und Papiere zusammen und wich auf die Seite. Der Mönch schüttete die Säcke auf dem Tisch aus – lauter alte gute Wildemannsgulden – und fing zu zählen an, zählte mit geläufigem Griff eine Reihe nach der anderen über die Fläche hin, durchlief die ganze Summe mit flüchtigen Blicken, dann mit dem rechten Zeigefinger die Reihen und schob die Gulden in eine regelmäßige Ordnung und sortierte sie in verschiedene Posten. Der Schullehrer, der ganz in der Nähe Augenzeuge von dem allen war und das Gepräge des Geldes genau besichtigte, hielt unbeweglich seinen Platz. Nun ertönte draußen der erste dumpfe Viertelschlag auf eins, und ehe die Uhr die volle Stunde angab, scharrte der Geist eilig mit beiden Händen die Barschaft, bis auf ein einziges Stück, in die Beutel und verschwand. Dieses eine Stück fiel nebenbei auf die Erde, rollte vor den Schulmann hin, der mit aller Besonnenheit behände den Fuß drauf drückte und es aufnahm, nachdem der Haushahn ihn durch ein wiederholtes Morgengeschrei versicherte, dass weder himmlische noch höllische Mächte ferner einigen Anspruch daran hätten. Diese Geschichte hat der Lehrer öffentlich und tausendfältig erzählt und das Geldstück vorgezeigt. Ich schreibe die Sache nach seinen Worten und habe den nämlichen Wildemannsgulden in meinen Händen gehabt.

Der Gespensterglaube ist fast so alt, wie die Welt, wenigstens können wir ihm so weit nachspüren, wie unsere Geschichtsbücher reichen, und finden ihn unter all uns bekannt gewordenen einigermaßen gesitteten alten Völkern. Die philosophischen Schriftsteller der Griechen und Römer reden davon nicht etwa als von einem Vorurteil des gemeinen Mannes, zu welchem sich der Vernünftige herablasse, sondern als von einem wesentlichen Artikel des Nationalglaubens. Kluge Leute äußern freie Meinungen über die Landesreligion; Cicero sagt irgendwo, er wundere sich, dass zwei heidnische Opferpriester, ohne sich ins Gesicht zu lachen, einander begegnen könnten. Aber Gespenster leugnen sie nicht; und Cicero selbst berichtet uns gar artige Spukgeschichten. In der mittleren Zeit sollen sich viele Gespenstererscheinungen zugetragen haben; und wenn man den Nachrichten daher trauen darf, so ging es in keiner Provinz, in keiner Stadt, in keinem Kloster, in keinem Haus mit rechten Dingen zu. Die Geister standen mit den Menschen in dem genauesten Verkehr, erwiesen ihnen die freundschaftlichsten Dienste oder prügelten ab und zu einen tüchtig durch, wenn er ihnen aus Vorwitz zu nahe kam oder ihnen auf einmal mehr zumutete, wozu sie sich aus freien Stücken gebrauchen lassen wollten. Alle wahren und natürlichen Begebenheiten, die sich seit der Schöpfung ereigneten – die kleinlichsten Alltagsvorfälle dazu gerechnet – würden so viel Bände nicht füllen, wie die Gespensterhistorien in der Christenheit allein aus den drei mittleren Jahrhunderten, wenn man sie gesammelt und aufgeschrieben hätte. Es muss damals bei nachtschlafender Zeit auf den Straßen und besonders auf den Kirchhöfen so lebendig von Geistern gewesen sein, wie auf dem Mühlendamm in Berlin in den Morgenstunden von Fußgängern und fahrenden Herrschaften. Da konnte man was vor sich bringen, denn man hielt sich seinen Drachen, der einem das Geld in den Schornstein schüttete, dass man es mit einem besprochenen und gehörig zubereiteten Flederwisch schweigend nur zusammenfegen durfte; das Dienstmädchen hatte ihren Kobold, der die Hausarbeit für sie tat und aufscheuerte. Nach und nach zogen sich die Geister mehr zurück, besuchten die Erdbewohner seltener, entfernten sich aus gewissen Gegenden auf ewig, spien keine Schätze mehr auf den Feuerherd, beunruhigten, vexierten und durchbläuten auch fernerhin nicht ehrliche Leute, die nichts mit ihnen zu schaffen haben wollten, wenn sie auch des Nachts in ihrem Beruf allein reisten, über Gottesäcker wanderten oder in alten verfallenen Häusern ohne Gewehr und ohne Gesellschaft schliefen. Es sind urgroßväterliche Spukgeschichten, von denen man sich heutzutage in den Spinnstuben erzählt, deren Wahrheit niemand mehr untersuchen kann, denn die Orte, wohin sie sich einstweilen begeben haben sollen, liefern keine neueren Beispiele. Die Ermordeten, die sonst so lange wiederkehrten und wehmütig wimmerten, bis ihr Tod gerächt war, modern nun ruhig unter ihren kühlen Hügeln, ohne persönlich die Mörder auf den Fersen zu verfolgen, welche die ruchlose Tat im Gewissen foltert, dass sie selbst, nicht angeklagt und ihres Verbrechens nicht überführt, in die Hände der Gerechtigkeit eilen müssen. Die sich selbst entleiben und unberufen aus dem Leben gehen, bleiben, wo sie sind, und kein Vernünftiger scheut sich, ihre ehemalige Wohnung zu beziehen, sich mit dem Messer den Bart abzunehmen, womit sie sich den Hals durchgeschnitten haben, oder an den nämlichen Nagel seinen Rock und Hut zu hängen , an welchen ein Wahnsinniger und Schwermütiger den Strick schürzte, um die Gurgel sich zuzuschnüren.

Hätte sich der Gespensterglaube auch sechstausend Jahre unverrückt in seinem Ansehen behauptet, so wäre er doch damit noch nicht bestätigt und erwiesen. Warum sollte sich ein Irrtum, wenn er zumal die Schwärmerei begünstigt, wozu der Mensch von jeher einen fast unwiderstehlichen Hang verraten hat, nicht Jahrtausende erhalten können? Es war die leichteste Erklärung ungewöhnlicher und rätselhafter Erscheinungen, da man sich auf uns verborgene Kräfte und Geister berief. Bald gesagt war es: Der Mensch hat den Drachen, wenn seine Umstände sich über das Mittelmäßige hoben. Man studierte fleißiger die Natur, das Wesen der Körper und der Geister. Je nachdem man sorgfältiger prüfte und auch die Spukgeschichten in reifliche Untersuchung nahm, erkannte man die allermeisten für Täuschung und baren Betrug. Dies erregte ein gegründetes Misstrauen auch gegen diejenigen, welche bisher noch unerklärlich blieben. Wenn die alten heidnischen und christlichen Weisen den Gespensterglauben nicht antasteten, so kam es daher, weil ihre Philosophie, mit mancherlei platonischen Träumen und schwärmerischen Grillen vermischt, so weit nicht reichte, weil sie noch an anderen ebenso groben Vorurteilen krankten und ihre für sich mühsam erfundene Wahrheiten noch nicht laut predigen durften, da das Volk noch nicht vorbereitet war, sie zu hören und zu fassen. Der Pöbel fürchtete die Geister, Klügere ließen ihm den Wahn und benutzten ihn bald zu guten, bald zu bösen Absichten.

Religion und Frömmigkeit verlieren nichts, wenn man auch die Gespenster und Teufeleien aus seinen Überzeugungen streicht. Es ist auch nicht eine Erscheinung, die sich neuerlich ereignet haben soll, gerichtlich ausgemit­telt worden. Die Zeugen waren von mehr als einer Seite verdächtig, für ihre Behauptung eingenommen – ungesunde, alte, abergläubische Personen – gute, ehrliche, aber schwachsinnige Mütterchen. Die Aussagen beherzter, zuverlässiger Männer, von dem, was sie gesehen und gehört hätten, bekundeten nichts Gewisses. Lange stand ein verfallenes unbewohntes Schloss in dem Ruf, dass der leidige Satan dort mit dem ganzen höllischen Gefolge sein Wesen triebe, bis endlich ein alter Krieger da einkehrte und anstatt der Gespenster, Falschmünzer entdeckte, deren Vorteil es war, Schwache zu äffen und schauerhafte Gerüchte zu verbreiten. In der Pfarre zu Quaritz, unweit Großglogau (Anm.: heute Głogów) in Schlesien, hauste es vor etwa fünfzehn Jahren fürchterlich. Aus der Nähe und Ferne reisten Leute dahin, um den Spuk zu beleuchten. Bei hellem Mittag ging es dort um, warf mit Stühlen und Tischen, und noch weit mehr wie dies geschah in Gegenwart vieler, die alle getäuscht und hinters Licht geführt wurden. In der Nachbarschaft redete man indessen nur wenig von diesen Wundern; aber desto mehr in den entlegenen Provinzen. Nach einigen Jahren gerieten die schön ausgeschmückten Geschichten fast ganz in Vergessenheit. Fragt man nun an Ort und Stelle danach, so erhält man zur dienstfreundlichen Antwort: »Lassen Sie sich doch nichts aufbinden, es waren Possen und Gaukeleien!« (Im vierten Teile dieser Erzählungen wird diese Betrugsgeschichte mitgeteilt werden.)

Aber wie konnte man den Betrug so künstlich spielen, dass gescheite Leute nicht früher dahinter kamen? Nichts ist leichter als dies, sobald zwei Menschen einig sind, den dritten zu täuschen. Wir haben Bücher, in welchen der Prozess umständlich und deutlich angegeben ist, wie man Geister zitiert. Wer die besitzt, wird nun Meister aller höllischen und himmlischen Mächte und kann es Kindern begreiflich machen, wie das Ding ganz natürlich zugeht. Mit dieser schönen Wissenschaft hielt man ehedem mehr an sich und erwarb sich mithilfe derselben bald den ehrenvollen Namen eines Geisterbanners und Teufelsbeschwörers. Das sollte doch wohl billig gegen die Wirklichkeit der Gespenster zeugen, dass niemand sie sieht, wenn er an sie nicht glaubt, und dass sie nur da gelten und zu erscheinen wagen, wo man ihrer erwartet und ihnen mit gebührender Achtung begegnet. Die Geister trauen den Menschen nicht mehr, wie sonst, weil das Spuken insgemein schlecht für sie abläuft, indem man ihnen mit Prügeln und Pistolen auflauert und die nächtliche Kurzweil ihnen dergestalt ankreidet, dass sie sich hüten, den Scherz zum zweiten Mal zu versuchen.

Es sind doch redliche Leute, die das Unwesen gesehen und gehört zu haben glaubwürdig versichern. Die sind auch keine Betrüger, die ebenso glaubhaft aussagen, dass sie getäuscht wurden und den Irrtum entdeckten. Zu welcher Partei soll man sich schlagen? Wie, wenn wir sie beide vernähmen und fänden alles – dafür und dawider abgewogen – die Letztere zahlreicher: Würden wir noch Bedenken tragen, diese zu wählen? Die Ehrlichkeit der Zeugen kommt nicht allein in Betrachtung, sondern ihre übrigen Beschaffenheiten auch; und die Seelenstimmung, in welcher die Erscheinung sie antraf. Jene waren des Spukes gewärtig oder sahen ihn doch in der sicheren Voraussetzung, dass ein Verstorbener aus den Gräbern heraussteigen könne; sie gestehen, dass sie in der kritischen Stunde nicht bei kaltem Blut und völlig freier Besinnung gewesen sind. Diese ließen sich, der schauerlichen Einsamkeit und Finsternis ungeachtet, von keiner Furcht anfechten, kehrten sich an kein Winseln, an keine Totenblässe, an kein Kettenklirren, gingen festen Trittes auf das vermeinte Gespenst zu und erhaschten einen leibhaftigen Menschen.

Furcht, Schrecken, Schwärmerei und eine erhitzte Einbildungskraft schaffen sich die Geister mit Begleitung und Gefolge; die ruhig prüfende Vernunft findet sie nirgends. Wessen Gehirn von abergläubigen Begriffen voll ist – und Kindermuhmenerziehung tut das ihre, uns reichlich damit zu begaben – der darf nur beim Schlafengehen sein Oberhemd an einen Wandnagel hängen, den Hut oben drauf stülpen und die Stiefel darunter hinstellen: So wird er, wenn er des Nachts beim Mondschein erwacht, seinen unlängst verstorbenen Freund oder den verewigten ehemaligen Bewohner des Zimmers richtig vor sich stehen sehen, und, horcht er recht auf, aus tiefer Brust kläglich seufzen hören. Warum werden nur Männer, Gelehrte, Hartgläubige und Forscher des Geisterbesuches nicht so gut gewürdigt, wie unsere hysterischen Tanten? Wir entblöden uns nicht, die Gespenster Undinge zu nennen , und entschuldigen jenen Schullehrer mit aller christlichen Liebe, wenn wir sagen, er dichtete sein sauberes Mönchhistörchen, um die Kinder zeitig zu Bett zu scheuchen; er war gemüßigt, es öfters zu wiederholen, um sich nicht als ein Windbeutel vor ihnen zu prostituieren, und log es nochmals so oft, dass er es zuletzt selbst wahr und wahrhaftig glaubte. Dies ist zwar ehrenrührig von den Geistern gesprochen; wir nehmen indessen unser Wort nicht eher zurück, bis sie selbst uns eines anderen belehren.

Man kann doch nicht geradezu behaupten, es sei unmöglich, dass Verstorbene wiederkehren und Lebendigen erscheinen! Und wäre die Möglichkeit, die auch keiner erweisen wird, streng dargetan, wir wüssten damit nichts mehr und nichts weniger. Was die Geister bewerkstelligen können, bleibt uns, bis wir selbst in ihre Zunft treten, verborgen. Doch lässt sich so viel mit aller Gewissheit bestimmen, dass sie nie auf Besenstielen reiten und um Hochgerichte tanzen werden. Wäre es ihnen ein Geringes, auf der Unterwelt sichtbar umherzuwandeln, so kämen sie zu allen Zeiten des Tages und nun so oft wie vor Alters her. Müssten sie sich mit unseren Angelegenheiten befassen, so erwiesen sie uns wichtigere und eifrigere Dienste, als man ihnen bisher nachrühmt, und entdeckten uns lieber zu unserer Wohlfahrt nützliche Wahrheiten als Schätze. Täten sie, was ihnen auf einer höheren Stufe der Weisheit und Tugend geziemt, so trieben sie keine Albernheiten und Narrenpossen und hohnneckten nicht die alten Weiber. Sollten sie hernieder kommen, um Buben zu verfolgen und Bösewichter zu zwicken, so hätten doch ehrliche Leute vor ihnen Frieden.

Man kann sich behaglich in das Geisterreich hineinträumen. Es ist doch so rührend und erweckend vom seligen Professor Hulewitsch in Frankfurt an der Oder zu lesen, wie er in die Universitätsbibliothek ging, um da ein Buch zu holen, aber sich selbst dort am Tisch mit dem Buch vorfand, bescheiden zurückwich und sich von der Minute an aller irdischen Dinge frei machte. Wenn man nur nicht auf das unselige Geisterbannen und das noch unseligere Goldkochen darüber verfällt und es nicht vergisst, dass man nichts weiter tut – als träumen.