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Deutsche Märchen und Sagen 127

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

166. Johannes Teutonicus

Johannes Teutonicus war von Bürgereltern geboren, wurde jedoch seiner hohen Gelehrtheit halber zum Chorherr in Halberstadt ernannt, ein Rang, der sonst nur Söhnen adliger Eltern werden konnte. Das verdross die anderen adligen Kanoniker und ließen es ihn oft und bitter fühlen. Müde der ewigen verachtenden Spöttereien, beschloss Johannes endlich, sich einmal recht empfindlich zu rächen. Er lud also alle Kanoniker zu einem köstlichen Abendmahl ein. Als dieses zu Ende war, da fragte er sie, ob sie nicht einmal ihre Ahnen zu sehen wünschten. Nichts konnte den Herren willkommener sein und Johannes hob alsbald an, eines jeglichen Ahnherrn einzeln zu beschwören. Da erschienen denn Köche, Stallknechte, Bauern und anderes Volk, alle mit Zügen, welche die Herren sich leicht erinnerten, auf ihren Familienbildern häufig gesehen zu haben.

Als er zu Ende war, da fragte Johannes: »Nun sagt mir doch offenherzig, sind Eure Ahnen edler oder sind es die meinen?«

Darauf gab keiner der Herren ihm Antwort, sondern alle schlichen beschämt und still aus Johannes’ Haus. Seit der Zeit warf ihm keiner mehr seine niedere Abstammung vor.