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Kriminalakte 1 – Die Insel des Todes

Vorwort

Polizeiliche Arbeit ist, um es mit den Worten von Professor Ernst Heinrich Ahlf in seiner 1988 in Wiesbaden erschienenen Publikation »Polizeiliche Kriminalakte« auszudrücken, im Prinzip nichts anderes als Informationsverarbeitung.

Wichtigstes Medium dieser Informationsverarbeitung war und ist die Kriminalakte, um den altbekannten, inzwischen aber überkommenen Begriff weiter zu verwenden.

Die Kriminalakte ist sozusagen das Gedächtnis der Polizei.

Trotz aller technischen Entwicklungen ist sie nach wie vor das wichtigste Arbeitsinstrument aller Kriminalisten. Sie ist es, die letztendlich darüber entscheidet ob oder wann ein Fall gelöst werden kann.

Das gilt hierzulande wie überall auf der Welt.

Um Professor Ahlfs Behauptungen besser nachzuvollziehen zu können, werden wir an dieser Stelle ab sofort und in loser Reihenfolge die spektakulärsten und mysteriösesten Beispiele aufzeigen.

Kriminalakte 1

Die Insel des Todes

Ein traumhaftes, türkisblaues Meer, in dem sich eine farbenfrohe Unterwasserwelt verbirgt, ein mystischer Dschungel mit abenteuerlichen Wanderpfaden und kilometerlange, malerische Sandstrände machen aus Koh Tao, einer kleinen, im Golf von Thailand gelegenen Insel,
ein Paradies.

Ein Paradies, das allerdings inzwischen wieder tiefe Risse bekommen hat.

Vor einem halben Jahrhundert trug Koh Tao den Beinamen Insel des Todes, da sie als Gefängnis für politische Gefangene missbraucht wurde. Dann erkannte die Regierung aufgrund der anfängerfreundlichen Tauchergebiete ihre Beliebtheit bei den Touristen und registrierte mit Zufriedenheit den damit einhergehenden, immer größer werdenden Devisenstrom.

Plötzlich war auf dem idyllischen Eiland Party angesagt und der Besuch der kleinen Insel unter den asienreisenden Rucksacktouristen fast so etwas wie Pflicht.

Nacht für Nacht stürmten die Besucher unter ohrenbetäubendem Lärm am schmalen Sairee Beach von einem Lokal ins andere.

Aber inzwischen hat sich das Bild gewandelt.

Koh Tao trägt wieder den Beinamen Insel des Todes.

 

*

 

Es begann damit, dass am 1. Januar 2014 die Leiche von Nick Pearson, einem 25 Jahre alten Briten im Meer gefunden wurde. Angeblich soll er sturzbetrunken vom Balkon seines Hotels ins Meer gestürzt sein. Am 15. September 2014 wurde am Strand von Sairee Beach im Morgengrauen die mit einer Hacke unvorstellbar grausam zugerichteten Leichen eines britischen Urlauberpaars entdeckt.

Die Inselwelt war geschockt.

Die Reaktion der Obrigkeit erfolgte umgehend.

Bereits wenige Tage später präsentierte die Polizei der Öffentlichkeit zwei Wanderarbeiter aus Myanmar, die das örtliche Gericht noch im gleichen Jahr wegen des Mordes an den beiden Briten zu lebenslänglicher Haft verurteilte.

Nach Durchsicht der damaligen Akten lässt sich im Nachhinein sagen, dass dieser Prozess eine reine Augenwischerei war, um die Öffentlichkeit, insbesondere die zahlungskräftige Touristenklientel zu beruhigen.

Die Polizei hatte weder handfeste Beweise noch Geständnisse, alles basierte nur auf Vermutungen und Spekulationen.

Denn die beiden sollten nicht die einzigen toten Touristen bleiben.

Die Spirale der Gewalt auf Koh Tao drehte sich immer schneller, betroffen waren vor allem Frauen. Der rätselhaften Tod einer Belgierin, das unerklärliche Verschwinden einer Russin und die Vergewaltigung einer Britin waren nur die traurigen Höhepunkte einer Welle aus sexuellem Missbrauch und Mord, welche die Insel danach überzog.

Gerüchte kamen auf, wonach für all diese Untaten eine einzige Bande junger Männer verantwortlich sei, die einer gut organisierten Verbrecherorganisation angehören sollten, die angeblich Beziehungen bis in die höchsten Kreise der Polizei und den Behörden besaß. Außenstehende, welche die Kriminalakten zu diesen Fällen durchsahen und so nachverfolgen konnten, was für ein dilettantisches und seltsames Gebaren die für diese Taten zuständigen Stellen bei ihren Ermittlungen an den Tag legten, begannen schnell zu verstehen, weshalb diese Gerüchte nicht verstummen wollten.

Die Polizei versuchte diese zu entkräften, in dem sie Rohypnol ins Spiel brachten. Sicher kam diese geruch- und geschmacklose Partydroge des Öfteren auf Koh Tao zum Einsatz, es gab genug kriminelle Partygänger, die nicht beim weiblichen Urlaubspublikum landeten und sich deshalb damit ein sexuelles Erlebnis verschafften, und sicher ist, dass dieses Medikament in Thailand so einfach zu kaufen ist wie hierzulande ein Pfund Butter.

Dennoch ist die Anhäufung der mysteriösen Todesfälle auf Koh Tao und hier speziell am Sairee Beach mehr als seltsam.

 

*

 

Schon am Neujahrstag 2015 gab es das nächste Opfer.

An diesem Tag wurde der 29-jährige Franzose Dimitri Povse erhängt in seinem Ferienbungalow gefunden. Seine Akte wurde schon wenig später mit dem Vermerk »Selbstmord« geschlossen, obwohl der Tote mit auf dem Rücken gefesselten Händen aufgefunden wurde.

Am 21. Januar 2015 wurde die Leiche der Britin Christina Annesley entdeckt.

Nach weiteren Frauen, die sich als Opfer sexuellen Missbrauchs in den Morgenstunden an den malerischen Sandstränden der Insel wiederfanden, wurde am 9. Januar 2017 die nächste Leiche entdeckt. Es handelte sich um den 26-järigen Briten Luke Miller. Es folgte im April desselben Jahres die 30-jährige Belgierin Elise Dallemange, deren Leiche man im Osten der Insel entdeckte. Ihr Körper war von Echsen und Nagetieren entsetzlich verstümmelt, was die Polizei zum Anlass nahm, keine Obduktion durchzuführen, sondern ihre Akte ebenfalls mit dem Vermerk des Suizids zu schließen.

Und das, obwohl sich inzwischen herausgestellt hatte, dass sie am Tag ihrer Ankunft morgens in einer Ferienanlage eincheckte und ihr Gästehaus bereits am Abend desselben Tages mitsamt dem rechts und links daneben stehenden Ferienbungalow in Flammen aufging.

Bereits seit Februar galt Valentina Novozhyonova, eine 23-jährige Russin, als vermisst.

Die Polizei erklärte, sie habe keine Spur der Frau entdecken können, obwohl sie alle Videokameras, die seit dem Mord an dem britischen Ehepaar auf der Insel aufgestellt wurden, überprüft habe.

Sie stellten die Ermittlungen schon nach wenigen Tagen mit der Bemerkung, die Russin sei beim freien Tauchen im Meer umgekommen, wieder ein. Kurz darauf, wieder an einem Morgen, erwachte Issy, eine Britin am Strand von Sairee. Auch sie war, wie ein Arzt feststellte, mit K.o.-Tropfen betäubt und vergewaltigt worden. Aber im Gegensatz zu den anderen Opfern überwand sie ihre Scham und meldete das Verbrechen den örtlichen Behörden. Als keine Reaktion erfolgte, reiste sie zurück nach Hause und berichtete britischen Medien und dem Online-Portal Samui Times über das Geschehen.

Die Polizei in Koh Tao reagierte schnell – und seltsam.

Ohne groß Nachforschungen zu betreiben, behaupteten die Behörden, dass keine Vergewaltigung stattgefunden hatte. Stattdessen erließen sie Haftbefehle gegen die Betreiberin des britischen Online-Portals und gegen zwölf Thailänder, die einen Facebook-Eintrag über die Vergewaltigung eingestellt bzw. geteilt hatten.

Die Anklage lautete »Vergehen gegen das Computerkriminalitätsgesetz«, ein Vorwurf, der bei Verbreitung von Falschmeldungen angewandt wird.

Unterdessen, nach einer Intervention britischer Behörden, ist die thailändische Polizei bereit, Vertreter nach London zu schicken, um das Opfer noch einmal anzuhören.

 

*

 

Inzwischen ist auf Koh Tao wieder der Alltag eingekehrt. Allein 2018 drängelten sich rund 1,5 Millionen Touristen am Sairee Beach. Was am Ende der Feriensaison zurückblieb, waren 45.000 Tonnen Müll und 2,5 Millionen Liter verbrauchtes Trinkwasser.

Aber auch Angst.

Jetzt, in Zeiten von Corona, ist es ruhig geblieben, aber wenn der Tourismus wieder anläuft, so befürchten die Einheimischen, wird auch das Morden wieder beginnen.

ENDE

Quellenhinweis:

• Party auf der Todesinsel, Ein Artikel der Stuttgarter Zeitung von Willi Germund, erschienen im September 2018

www.trafelnews.ch

https://www.fr.de

Eine Antwort auf Kriminalakte 1 – Die Insel des Todes

  • W. Brandt sagt:

    Eine neue Kolumne erblickt mit der Kriminalakte 1 – Die Insel des Todes auf dem Geisterspiegel das Licht der Welt.
    Seid gespannt, was Gerold Schulz in den nächsten Monaten zu erzählen hat.

    Übrigens, die alte Kommentarfunktion ist wieder verfügbar.