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Die Blume der Prärie – DieBüffeljagd – Teil 1

Gabriel Ferry
Die Blume der Prärie
oder die deutschen Kolonisten an den Ufern des Colorado
Grimme und Leipzig, Druck und Verlag des Verlags-Comptoirs, 1852

Elftes Kapitel

Die Büffeljagd
Teil 1

Dicht am Fuße der westlichen Abstufung der Guadeloup-Gebirge, an der südlichen Grenze der großen Prärie, lag malerisch am Ufer des reißenden Pisapèjunova die kleine indianische Stadt, die Sommerresidenz Tartarugas.

Die kleinen Holzhäuser, mit bunten Farben übermalt, von Schlinggewächsen umrankt, hier und da von einer Baumgruppe überschattet, waren amphitheatralisch aufsteigend um die letzte Abflachung eines Hügels in einem Halbkreis aufgebaut, dessen Sehne durch eine zweite Häuserreihe gebildet wurde. In der Mitte des freien Platzes zwischen den Häusern erhob sich im Schatten alter Mahagonis und hoher Zederpyramiden das Beratungshaus, ein langes, ziemlich festes Balkengebäude, das außer dem Zweck, von dem es den Namen führt, noch zur Aufbewahrung der Siegestrophäen und Gemeindegüter benutzt wird. Zwei alte Krieger halten stets vor dem Eingang desselben Wache.

Diesem Rathaus gegenüber stand in der oberen Häuserreihe die Wohnung Tartarugas. Sie war größer und geräumiger als die übrigen Gebäude und bestand aus drei verschiedenen Häusern, die unter sich in Verbindung stehend, zu den ver­schiedenen, früher angegebenen Zwecken benutzt worden. Jedes dieser Gebäude, deren eines nun den männlichen Gästen des Häuptlings mit Ausnahme Girofléss angewiesen war, während die jungen Damen bei den weiblichen Verwandten Tartarugas logierten, bestand aus zwei geräumigen Zimmern, die geschmackvoll, halb in indianischer, halb in europäischer Weise eingerichtet waren.

Die Wände, tapetenartig mit bunten Matten behangen, waren außerdem durch Gemälde, Kupferstiche, Büsten, schöne Waffen, Spiegel und Charten geschmückt, Dinge, welche der Häuptling von seinen Reisen mitgebracht hatte.

An den Wänden standen gepolsterte Bänke, Tische und Stühle, die nirgends fehlten, waren von sauberer indianischer Arbeit von ungefärbtem, aber gut geglättetem braunem Pekanholz. Im Zimmer Tartarugas befand sich sogar eine kleine Bibliothek von englischen, spanischen und vornehmlich französischen Werken, deren Studium die Mußestunden des Häuptlings ausfüllte.

Die indianische Natur hatte bisher bei allen Stämmen, welche mit der Zivilisation in Berührung kamen, sich starr und verächtlich gegen die europäische Kultur aufgelehnt. Die Ursache davon war nicht allein ihr natürlicher Hass gegen die weißen Eindringlinge, deren Laster sie verabscheuen mussten, deren Vordringen nicht im Mangel indianischer Tapferkeit, sondern in der Überlegenheit ihrer Kriegswerkzeuge bestand, sondern vielmehr die natürliche Antipathie, die jedes Urvolk gegen das Aufdringen einer fremden, nicht aus ihm selbst hervorgegangenen Bildung empfindet.

Man hatte in der Tat nur wenige Versuche gemacht, die Bildung der Weißen auf die rote Rasse zu übertragen. Man erklärte die Indianer für unfähig zur Zivilisation und fand es vorteilhafter, einen langsamen, aber sicheren Vernichtungskrieg gegen die hartnäckigen und unzugänglichen Urbewohner der westlichen Hemisphäre zu führen.

Die Indianer begriffen die Notwendigkeit einer neuen Organisation ihrer tausendfach zerrissenen Stammverhältnisse nicht, solange noch weite Jagdstrecken sich ihnen jenseits der Kulturgrenzen auftaten. Mit heroischem Stoizismus trugen sie ihre Wigwams weiter in die Wüste und werden es tun, solange noch ein Wild vor ihrem sicheren Geschoss aufspringt.

Aber die Indianer sind keineswegs unfähig zur Zivilisation, sie sind im Gegenteil ein talentvolles und reich begabtes Volk. Ihr Gedächtnis und die Schärfe ihres Urteils setzen bei der Bildungsstufe, auf der sie stehen, durchaus in Verwunderung.

Aber die Zivilisation, der sie sich schmiegen sollen, muss aus ihrer eigenen Mitte, aus dem Bedürfnis und dem Bewusstsein der Notwendigkeit hervorgehen.

Das Bedürfnis muss sie an die Scholle fesseln und den Stolz des Kriegers und Jägers in den Stolz des Landmanns verwandeln … ein erster Schritt, der durch das Aufhören des umherschweifenden Lebens allein zur Einigung und politischen Organisation der Stämme führen kann.

Tartaruga kannte sein Volk. Er kannte den ritterlichen und doch so lächerlichen Stolz, der die Männer von der Arbeit zurückscheuchte. Jagd und Krieg! Diese Devise unseres Mittelalters, von dem die indianischen Zustände sich nicht allzu sehr unterscheiden, scheint die Anfangspunkte aller Zivilisationen zu beherrschen. Die Aristokratien aber haben sich bemüht, für immer diesen Wahlspruch für ihre Kasten aufrecht zu erhalten.

»Es wird Euch nicht gelingen, Tartaruga«, sagte Mr. Mertens, während beide die Felder durchschritten, die in ungewöhnlicher Ausdehnung die rechte Seite des Dorfes umgaben. »Es wird Euch nicht gelingen, die roten Männer sesshaft zu machen und an geregelte Tätigkeit zu gewöhnen.«

»Und weshalb nicht?«, fragte der Häuptling, nicht eben angenehm berührt durch den zweifelnden Ton des Pflanzers. »Glaubt Mr. Mertens, der Große Geist habe die Leuchte des Verstandes allein in den Köpfen der Weißen angezündet?«

»Nein, Tartaruga! Aber die indianische Natur hat sich seit Jahrtausenden so hartnäckig und unveränderlich um ihre Achse gedreht, dass ich sie keiner anderen Bewegung für fähig halte. Außerdem … wozu eine Reformation, wenn ein Volk sich in seiner Sphäre glücklich befindet und sich gegen jede Neuerung und Veränderung so hartnäckig sträubt? Wollt Ihr für Eure Person …?«

»Ich liebe mein Volk, Mr. Mertens … ich möchte die roten Männer nicht wie schändliche Tiere von der Erde vertilgen sehen. Kaum ein Jahrhundert und die westlichen Stämme hatten niemals das Antlitz eines Weißen gesehen … noch ein Jahrhundert und ihr letzten Reste werden bis an die Ufer des westlichen Ozeans zurückgedrängt sein.« »Das ist wahrscheinlich … aber Ihr werdet das Schicksal aller Reformatoren teilen … die undankbare Nation wird Euch unter den Trümmern Eurer eigenen Werke zerschmettern …«

»Das ist möglich; die Alten hassen mich, aber die junge Welt hängt mit Begeisterung an mir. Und was liegt daran, wenn ich falle? Falle ich nicht für eine große und erhabene Idee? Sind nicht Eure großen Männer fast alle zu Märtyrern geworden? Was liegt am Sämann, wenn nur die Saat aufgeht, die seine Hand streute?

»Gut, Tartaruga, ich achte Eure hochherzigen Pläne, aber ich begreife die Möglichkeit ihrer Ausführung nicht.«

»Die Möglichkeit?«

»Gewiss . . . durch welche Mittel wollt Ihr …?«

»Ah! Ihr Weißen fragt immer nach Wie und Warum? … Wenn der Große Geist die roten Männer erhalten will, so wird er seinem Werkzeug ins Ohr flüstern. Ist das nicht auch Eure Meinung, Eure christliche Meinung?«, fragte lächelnd der Häuptling. »Der rote Mann fragt nur nach dem Ziel und findet die Mittel am Weg liegen, Mr. Mertens. Ich will aus den Jägern Ackerbauer und aus den wilden Kriegern disziplinierte Soldaten machen. Seht Ihr hier den Anfang!« Der Häuptling deutete auf die Felder, die beginnende Stadt und eine Schar von etwa dreihundert jungen Kriegern, die sich, unweit vom Lager, nach europäischer Manier in den Waffen übte.

Trotz der stolzen, starren, scheinbar apathischen In-sich-selbst- Zurückgezogenheit, mit welcher die Indianer so gern kokettieren, besitzen sie nichtsdesto­weniger die Neugierde aller übrigen Menschenkinder.

Auf dem Platz vor dem Haus des Häuptlings wogte die indianische Einwohnerschaft mit derselben Unermüdlichkeit auf und nieder, wie etwa vor dem Schloss eines deutschen Regenten, den irgendein gekrönter Kollege besucht.

Selbst der unermüdliche Giroflée, der seine lockenden Waren auf einem Tisch ausgebreitet hatte, wurde vernachlässigt und die indianischen Damen schielten nur verstohlen auf die bunten, prahlenden Stoffe und die glänzenden Schmucksachen, welche der Hausierer ausgelegt hatte.

Diese heroische Enthaltsamkeit sollte ihren Lohn und die Neugierde ihre Befriedigung finden.

Tartaruga, der jedes Mittel benutzte, seine Popularität zu vergrößern, hatte dem Hausierer den größten Teil seiner Waren abgekauft. Am Abend des ersten Tages wurde eine Tafel auf dem Platz vor dem Haus aufgeschlagen und mit den angekauften und einer Menge zu diesem Zweck schon früher herbeigeschaffter Gegenstände bedeckt.

Eine erwartungsvolle Neugierde beherrschte die Menge.

Da erschien plötzlich der Häuptling mit seinen Gästen und die jungen Damen verteilten, von den beiden weiblichen Verwandten Tartarugas unterstützt, mit feenhaftem Anstand die glänzenden Tomahawks, die Messer, Pistolen, Stoffe, Bänder und Schmucksachen unter die erstaunte Bevölkerung. Die glühenden Augen der jungen Männer ruhten nicht weniger entzückt auf den Gaben wie auf dem Antlitz und den Händen der Geberinnen.

Nur die Alten standen in düsteren Gruppen umher und schauten grollend auf die fröhliche Menge. Sie sind die ewigen Prellsteine, welche die Natur dem Fortschritt im Wege liegen lässt.

Tartaruga blickte heiter und stolz auf seine roten Brüder, die er in Untertanen verwandeln wollte.

»Das ist mein Weg, Mr. Mertens«, flüsterte er dem Pflanzer zu, der mit lebhaftem Interesse die wechselnde Szene betrachtete. »Keine Gewaltmaßregeln, keine Überstürzungen, eine allmähliche Erziehung!«

»Timeo Danaos, dona ferentes!«, murmelte der Pflanzer. »Armes Volk! Auf die Lockspeise folgt die Kette!«

 

***