Das Phantom
Hanno Berg
Das Phantom
Eine Krimi-Kurzgeschichte
I
Der Boss hatte Luigi zu sich bestellt. Luigi war deshalb zu seiner Villa am Rande der Stadt gefahren und hatte sich vom Butler zum Arbeitszimmer des Bosses bringen lassen. Der Butler meldete Luigi an und winkte ihm dann durch die geöffnete Tür zu, den Raum zu betreten, während er selbst das Zimmer wieder verließ.
Der Boss stand auf, als Luigi vor seinem Schreibtisch stand, und umarmte ihn. Dann gab er ihm einen Kuss auf jede Wange und sagte: »Schön, dass du Zeit hast, Luigi! Ich habe einen Job für dich.«
»Was für einen Job, Boss?«
»Du weißt, dass zurzeit Maria meine Favoritin ist«, antwortete der Boss und Luigi nickte. »Ich glaube aber, sie hat neben mir noch einen Geliebten, und das werde ich nicht dulden.«
Luigi schüttelte den Kopf.
»Natürlich nicht, Boss!«
»Deshalb sollst nun du als meine rechte Hand herausfinden, wer dieser Kerl ist, Luigi«, fuhr der Boss fort. »Dann werde ich Bettoni bitten, diesen bösen Menschen zu eliminieren.«
Luigi kannte Bettoni nur vom Hörensagen. Er wurde von den anderen nur »Das Phantom« genannt, weil ihn bisher niemand zu Gesicht bekommen hatte und er seine Aufträge immer diskret und ohne Aufsehen erledigte. Und er war gut, der Beste.
»Gut, Boss, ich werde tun, was ich kann, und dir Beweise für Marias Untreue und ein Foto ihres Liebhabers bringen, wenn ich beide erwische. Finde ich nichts, werde ich dir das ebenfalls mitteilen. Okay?«
»Ich bin mir sicher, du wirst etwas finden«, entgegnete der Boss seufzend. »Ich werde ein Exempel statuieren müssen, Luigi, dessen bin ich mir sicher.«
Luigi nickte noch einmal und gab dem Boss zum Abschied die Hand. Dieser aber umarmte ihn noch einmal und klopfte ihm auf die rechte Schulter. Dann verließ Luigi den Raum.
II
»Ja!«
»Guten Tag, Bettoni! Hier spricht Francesco Malli. Ich hätte da einen weiteren Auftrag für Sie.«
»Sprechen Sie nur!«
»Meine Geliebte Maria hat noch einen anderen Mann außer mir, und ich möchte, dass Sie diesen Nebenbuhler für mich aus dem Weg räumen und Maria dadurch zeigen, wie weit sie gehen darf.«
»Dazu brauche ich ein Foto des Mannes, das ich gerne auf meinem Rechner hätte.«
»Kein Problem, Bettoni! Ich werde meine rechte Hand Luigi anweisen, Ihnen das Foto an Ihre Adresse zu schicken. Er hat nämlich diesen Mann zusammen mit Maria in verdächtiger Pose für mich fotografiert.«
»Meinen Preis kennen Sie?«
»Natürlich! Sie bekommen 25.000 vorher und 25.000 nach erfolgreicher Arbeit, oder hat sich da inzwischen irgendetwas geändert?«
»Nein! Genau das sind noch immer meine Geschäftsbedingungen. Das Geld bitte wieder dorthin, wo Sie es schon die letzten Male deponiert haben!«
»Aber sicher, Bettoni! Wenn Sie es wünschen, sind die ersten 25.000 schon übermorgen da.«
»Abgemacht! Wenn Geld und Foto des Klienten da sind, werde ich sofort aktiv. Sie müssen sich dann nicht mehr so lange über Ihren Konkurrenten ärgern.«
»Gut! Ich schicke Ihnen das Geld noch heute, und ich weise Luigi an, Ihnen umgehend das Foto zu schicken. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg! Aber wem sage ich das? Ich weiß, dass Sie jeden Auftrag zur Zufriedenheit regeln, auch wenn ich Sie noch nie persönlich kennengelernt habe.«
»Kein Mensch, mit dem ich in irgendeiner Weise Geschäftsbeziehungen habe, lernt mich persönlich kennen, und auch ich kenne meine Partner nur per Telefon. Das ist ein ehernes Gesetz meiner Arbeit.«
»Ich weiß! Also dann!«
»Okay!«
Mit diesen Worten legte Bettoni auf und der Boss ebenfalls. Bettoni war ein As in seinem Job, und es würde sicher kein weiteres Problem mit Marias Liebhaber geben.
III
Bettoni betrachtete noch einmal den Ausdruck des Fotos, das ihm die rechte Hand von Francesco Malli, Luigi irgendwer, auf den Rechner geschickt hatte. Er wartete nun schon seit zwei Stunden vor dem Nemo-Club, in welchem sich laut E-Mail von Luigi der Geliebte von Maria mit ihr am Abend vergnügte.
Bettoni wartete in einer dunklen Mauernische schräg gegenüber des Clubs. Ihm entging nichts, was sich auf der anderen Straßenseite am Eingang des Tanzschuppens tat. Jede Person, die hinein- oder hinausging, musste quasi an ihm vorbei, und er konnte den Mann, mit dem Maria unterwegs war, gar nicht verfehlen.
Zum zwanzigsten Mal putzte er den Schalldämpfer seiner Waffe mit dem Ärmel blank. Zum gefühlt hundertsten Mal sah er auf die Uhr. Aber den beiden Turteltäubchen schien es im Club so gut zu gefallen, dass sie Stunde um Stunde dort verbringen konnten.
Gegen drei Uhr morgens dachte Bettoni schon daran, seine Tat auf den nächsten Tag zu verschieben. Dann aber ging alles blitzschnell. Die Tür des Clubs wurde von innen geöffnet und Maria und ihr Lover betraten den Bürgersteig. Jetzt oder nie!
Der Geliebte von Maria trat ins Licht einer Straßenlaterne. Eine bessere Gelegenheit würde er nicht mehr bekommen. Er feuerte zwei Mal auf sein Gegenüber, ohne dass irgendjemand in der Nähe seine Schüsse hören konnte. Dann fiel der Mann tot auf den Bürgersteig.
Während Maria laut um Hilfe rief, floh Bettoni durch die Hinterhöfe der Nachbarhäuser in die Dunkelheit hinaus, nicht ohne die Patronenhülsen, die zu Boden gefallen waren, mitzunehmen. Fünf Minuten später stoppte er seinen Lauf und ging gemächlich weiter. Der Job war erledigt, und wie immer war er davongekommen. Nun musste er nur noch die zweiten 25.000 in Empfang nehmen, und dann war wieder ein Geschäft erledigt.
IV
»Seit der Boss tot ist, bist du der uneingeschränkte Herrscher seines Imperiums, Luigi. Ich bin stolz, die Frau an deiner Seite zu sein!«
»Und ich bin stolz, eine so schöne und kluge Frau zu besitzen, Maria!«, sagte Luigi und verschränkte zufrieden seine Arme über der Brust. »Es war schon toll, wie wir den Boss damals beseitigt haben, als wir uns gerade kennengelernt hatten und ich dem Killer deinen Liebhaber ans Messer liefern sollte.«
»Ja, das war toll!«, schwärmte Maria von den Taten ihres neuen Lovers. »Du hast einfach ein Foto von mir und deinem besten Freund schießen lassen, das du dann Francesco zeigtest. Dem Killer aber hast du ein Foto von Francesco und mir geschickt und geschrieben, wann er uns im Club Nemo findet. Alles hat super geklappt! Bettoni hat ihn für uns beseitigt, und er hat ihn dafür auch noch selbst bezahlt. Ein Spitzenplan, Liebster!«
Maria gab Luigi einen Kuss. Dann setzte sie sich auf die Couch im Arbeitszimmer und goss sich einen Whiskey ein, während Luigi am Schreibtisch gegenüber der Fensterfront sitzenblieb. Dies war der Platz, an welchem auch der Boss früher am liebsten gesessen hatte.
Sie unterhielten sich noch eine Weile über die Dinge, die sie beide betrafen, bis Luigi plötzlich von einem Projektil durch das Fenster in die Stirn getroffen wurde. Blut tropfte von seiner Stirn auf sein blütenweißes Hemd herab und seinen Kopf fiel nach vorn. Er war tot.
Während Maria schrie und das Personal in der Villa zusammenrief, baute der Schütze im Hochhaus auf der anderen Straßenseite zufrieden seine Waffe auseinander und verließ seelenruhig das unbewohnte Zimmer, aus welchem er geschossen hatte. Bettoni hatte nun seit zwei Monaten auf die zweiten 25.000 gewartet, die Malli ihm schuldete, aber dieser zahlte einfach nicht. Niemals wieder würde jemand ihn um 25.000 prellen, die er sich mit einem Job verdient hatte. Malli hatte es versucht, und er hatte ihn nun dafür in seiner Villa erschossen. Das sollte in der Szene die Runde machen, sodass man ihn wohl künftig nicht mehr betrügen würde.
(hb)