Die Befreiung Deutschlands durch Hermann. Jahr 9 n. Chr.
Die Befreiung Deutschlands durch Hermann. Jahr 9 n. Chr.
Der römische Feldherr Varus stürzt sich bei dem Anblick seines vernichteten Heeres im Teutoburger Wald in sein eigenes Schwert.
Die ersten eigentlichen Eroberungen in Deutschland machte Drusus, der Stiefsohn des ersten römischen Kaisers Augustus, der in mehreren Feldzügen bis an die Ufer der Elbe vorgedrungen war, wo ihn durch einen Sturz vom Pferd der Tod ereilte. An seine Stelle trat nun sein Bruder Tiberius, der in der Folge römischer Kaiser wurde, keineswegs aber die edlen Eigenschaften seines früh gestorbenen Bruders besaß. Er war grausam und übte Verstellungskunst in einem so hohen Grade, dass es ihm auch bald gelang, die schlichten Deutschen für sich zu gewinnen, um sie dann zu täuschen.
So verlegte er, um die kriegerischen Germanen zu schwächen, ganze Völkerschaften derselben in das römische Gebiet, wie zum Beispiel die Sugambrer nach Gallien, die Geten nach Thrakien, die Räter und Salasser in verschiedene andere Gegenden des Reiches.
Dieses traurige Schicksal der deutschen Völkerschaften bewog nun den Marbod, einen Fürsten der Markomannen, die Grenzmänner, welche zu dem großen, über das südliche und östliche Deutschland verbreiteten deutschen Volksstamm der Sueben gehörten, dieses Volk von der gefährlichen Nachbarschaft der Römer zu entfernen und mit ihnen tiefer in das Herz von Deutschland zu ziehen. Marbod, ausgezeichnet an Körper und Geist, hatte als Jüngling in Rom gelebt und die Gunst Augustus’ gewonnen. Nun fasste er aber, da er Roms Herrschaft und Stärke kennen gelernt hatte, den Entschluss, sich von der gefährlichen Berührung zu entfernen und eine Stellung einzunehmen, in welcher er von Roms Angriffen sicher, dasselbe zugleich auch bedrohen konnte.
Er führte sein Volk aus den bisherigen Wohngebieten zwischen Main und Neckar gegen Osten in das Land, welches von seinen Erbauern, den Boier, schon damals Bojohemien oder Böhmen genannt wurde, errichtete ein stehendes Heer nach römischer Art und unterwarf sich die benachbarten Völker, sodass er über Böhmens Grenzen hinaus herrschte.
Mit großer Besorgnis sahen die Römer diese Macht des kühnen Mannes, der im Besitz der mittleren Donau die Alpengrenze bedrohte und selbst Italien gefährlich werden konnte. Als nun Tiberius nach Rom kam und dem Senat von dieser großen Veränderung in Germanien Nachricht gab, wurde der Krieg beschlossen, damit das gefährliche Beispiel nicht ansteckend werde. Schon führte Tiberius von Süden her eine für jene Zeit außerordentliche Heeresmacht gegen die Donau, und auch von Niederdeutschland brach Sentius Saturninus auf, um sich mit ihm zu vereinigen, als die Nachricht eintraf, dass die Völker Pannoniens und Dalmatiens, gereizt durch die Misshandlungen und Erpressungen der römischen Beamten, sich empört hätten, und mit großer Macht im Feld stehen, um das ihnen verhasste römische Joch abzuwerfen. Tiberius sah sich also genötigt, dem Marbod einen vorteilhaften Frieden anzutragen, den dieser auch einging.
Als Tiberius dadurch wieder freie Hand bekommen hatte, wandte er sich gegen die empörten Völker und dämpfte, jedoch erst nach einem dreijährigen Kampf, den Aufstand unter Strömen von Blut und großer Verwüstung des Landes. Während dieser Abwesenheit des Tiberius war Sentius Saturninus Statthalter in Niederdeutschland geworden, dem nun sein Bestreben dahin ging, die Deutschen durch Freundlichkeit und Lockungen zu gewinnen.
Längst waren schon deutsche Scharen zu römischen Kriegsdiensten gebraucht worden, und da auch die Edleren und Ausgezeichneteren derselben, mit Bürgerrecht und Ehrenzeichen belohnt, heimkehrten, so schien es in der Tat, als ob den Deutschen, die bis auf den heutigen Tag an der Weise des Auslandes so vielen Geschmack finden, die römische Sitte zu behagen anfing und als ob sie sich eben darum gegen das ihnen aufgebürdete Joch der Knechtschaft weniger sträuben würden.
Anders verfuhr aber der durch sein Unglück in der Geschichte so bekannt gewordene Quintilius Varus, der Tiberius als Statthalter in Germanien folgte, nachdem er früher eine ähnliche Stelle in Syrien bekleidet hatte.
Dieser, als grausam, geizig und dabei schwelgerisch geschilderte Mann glaubte mit römischen Hochmut die deutschen Völker am Niederrhein und der Weser als völlig Unterworfene behandeln zu dürfen, und ließ ihnen durch aufgetragene Lieferungen und eingetriebene Abgaben recht ernstlich fühlen, als hatten sie ihre Unabhängigkeit schon gänzlich verloren. Dazu kam noch, dass er ganz nach der Weise eines römischen Prätors selbst zu Gericht saß, die Händel von Sachwaltern führte und dann nach Gutdünken freie deutsche Männer mit Ruten züchtigte, auch wohl ihre Häupter unter dem Beil fallen ließ.
Ein solches Benehmen musste also notwendigerweise beim deutschen Volk Argwohn und Furcht erregen. Da die Gärungen immer allgemeiner wurden, so bildete sich im Geheimen eine Verschwörung gegen den herrschsüchtigen Varus. Unter denen, welche diese Schmach des deutschen Volkes tief fühlten und deren Gemüt darüber von Zorn und Schmerz erfüllt war, ragte besonders ein Jüngling hervor, der den großen Gedanken fasste, die gefährdete deutsche Freiheit zu rächen und wieder herzustellen.
Dieser junge Mann, von den Römern Arminius, von den neuen Schriftstellern des deutschen Volkes Hermann genannt, war der Sohn des Siegmars, einem der Vornehmsten unter den Cheruskern, der an Tüchtigkeit des Körpers wie der Seele, an Scharfblick, Geistesstärke und Entschlossenheit vor seinem Volk hervorragte. Trotz seiner Jugend hatte er bereits deutsche Bundestruppen für die Römer in den pannonischen Krieg geführt und war mit Bürgerrecht und Ritterwürde belohnt worden. Seine ganze Seele war aber nun mit dem Gedanken beschäftigt, sein Vaterland zu befreien, wiewohl er die große Schwierigkeit eines Angriffs auf Varus erkannte, der gegen eine ungebildete regellose Tapferkeit der Deutschen mit einem wohlgeordneten Heer im Lande stand. Indessen verzweifelte er aber dennoch nicht an Rettung und fing damit an, gleichgesinnten Männern sein Vorhaben mitzuteilen, unter welchen er viele für seinen großen Plan gewann, das Vaterland vom Joch der Knechtschaft zu befreien.
Als Segestes, ein mächtiger Mann unter den Cheruskern, welcher bequeme Ruhe und Ansehen unter fremder Abhängigkeit, gefahrvollen Kämpfen um die Freiheit vorzog, von diesen geheimen Verabredungen Kunde erhielt, teilte er Varus diese Anschläge der Verschworenen mit, aber dieser, sich klüger haltend, verachtete in seiner vermeintlichen Sicherheit diese Warnung, wodurch es dem listigen Hermann gelang, durch verdoppelte Sorgfalt die Aufmerksamkeit des Varus auf die ausgebrochenen Unruhen an der Weser hin zu lenken, die in der Absicht angestiftet waren, um das römische Heer in das Innere von Deutschland zu locken.
Die als Hilfstruppen dienenden deutschen Krieger zeigten bei dieser Gelegenheit fortwährend unbedingte Ergebenheit und Gehorsam, so wie ihre Anführer, die bereits Hermanns Mitverschworene1 waren, um dadurch den römischen Feldherrn Varus immer mehr in seiner blinden Sicherheit zu erhalten. Verabredete kleine Aufstände erfolgten nun bald hie und da in entfernten Gegenden und hatten insofern den erwünschten Erfolg, dass sie Varus verleiteten, seine Streitkräfte zu zerstreuen. Als nun das Hauptheer nur noch aus drei Legionen und einigen Kohorten und den von Hermann für seinen Plan gewonnenen Hilfstruppen bestand, da wurde der Aufstand unter den Deutschen allgemein.
Hermann und seine Freunde, die das Vertrauen des Varus genossen und Zutritt zu seinem Rat hatten, vervielfältigten indessen die Beweise eines anscheinenden Diensteifers und drangen darauf, den Rebellen mutig entgegen zu gehen und sie anzugreifen, worauf sich mit jedem Tag das Heer immer weiter vom Rhein entfernte und sich in die Gegenden vertiefte, wo die verderblichste Schlinge ihr zum Untergang gelegt war.
Den Varus führte sein Weg durch den dichten Teutoburger Wald, wo eingetretene schlechte Witterung bald die Schwierigkeiten des Fortkommens vermehrte. Schauerlich heulte der Sturmwind und entwurzelte große Bäume, welche den Weg verlegten. Der häufig herabstürzende Regen verwandelte den Boden unter den Füßen der Römer in Morast, während die Deutschen auf wohlbekannten besseren Wegen hinter den Römern anrückten und die Anhöhen besetzten. Mit großer Mühe führte Varus der erst jetzt erfahren hatte, dass Hermann mit dem Nachtrupp, den er anführte, von ihm abgefallen sei und die Leitung der feindlichen Scharen übernommen habe, das Heer auf einen freien zum Lager tauglichen Platz und befahl die meisten Wagen und alles überflüssige Gepäck zu verbrennen, rastete die Nacht und zog am folgenden Tag durch die unwegsame Waldgegend weiter. Wieder erreichte er ein weites Feld und bezog ein Lager, aus welchem er am Morgen des dritten Tages aufbrach, um sich einen Ausweg zu bahnen, aber in der Vertilgungsschlacht dieses Tages endete er mit seinem ganzen Heer. Die Begeisterung der Deutschen, ihre Freiheit zu erkämpfen, war stärker als der Mut, welchen die Verzweiflung den Römern eingab. Nur sehr wenigen von ihnen gelang die Flucht, nachdem die meisten niedergehauen wurden. Varus selbst, der in diesem Unglück viel Mut und große Standhaftigkeit bewiesen hatte und bereits mit mehreren Wunden bedeckt war, stürzte sich, da er schon alles verloren sah und die große Schmach nicht überleben wollte, zuletzt aus Verzweiflung in sein eigenes Schwert.
Die Rache des gereizten Volkes kannte nun keine Mäßigung. An Altären zu Ehren der Götter errichtet, wurde das Blut der gefangenen römischen Kriegsobersten vergossen. Andere wurden an Bäumen aufgehangen; vorzüglich übten aber die Deutschen ihre Rache an den verhassten Sachwaltern, die schändlich verstümmelt wurden. Der Gefangenen harrte noch ein traurigeres Schicksal, denn mancher vornehme Römer musste nun den Deutschen als ein gemeiner Knecht dienen.
So groß in den Gauen Deutschlands die Freude über den errungenen Sieg war, so groß war in Rom der Schrecken, als die Nachricht von der erlittenen Niederlage die Furcht der kimbrischen Zeit wieder erneuerte. Selbst Augustus, der sonst stets auch im Unglück eine angemessene Haltung bewahrte, verlor nun alle Besonnenheit, stieß in Verzweiflung die Stirn an die Wand seines Palastes und rief laut: »O Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder.«