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Gold Band 3 – Kapitel 10.2

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 10 Teil 2

Das Gespräch der Deutschen war aber dadurch natürlich abgebrochen. Der Justizrat suchte nach den verschiedensten Gegenständen herum, die er alle nicht finden konnte: seinen Tabaksbeutel, sein Feuerzeug, seinen Hut, sein Halstuch, seinen Zaum, sein Taschentuch, seine Brieftasche, kurz, alles was nicht niet- und nagelfest an ihm war. Während der Assessor und Hufner in einer wahren Verzweiflung ihm suchen halfen, blieb Ohlers ruhig am Feuer sitzen und verzehrte den Pfannkuchen.

Endlich war alles glücklich gefunden und in die Satteltasche gepackt worden. Nur die Pfeife fehlte nun auf einmal, die der Justizrat beim Suchen ganz in Gedanken hinten an das Zelt gelehnt und dort vergessen hatte. Zuletzt wurde aber auch diese wieder beigetrieben, und Hufner wie der Assessor – beide jedenfalls froh, ihren Freund endlich einmal los zu werden – trugen nun keuchend seinen Koffer unten an den Weg hinunter, ihn dort zu lassen, bis der Wagen kam.

Der Justizrat, als Graf Beckdorf mit dem glücklich gefundenen Maultier eintraf, stellte nun wirklich seine Pfeife einen Augenblick aus der Hand, um den Sattel aufzulegen, aber er brachte es nicht zustande. Nach allen Seiten probierte er das Stück, doch wollte es nirgend passen, und Graf Beckdorf musste ihn endlich selber in Ordnung bringen. Ohlers, der recht gut damit umzugehen wusste, rührte keine Hand, sondern saß dabei und amüsierte sich vortrefflich.

Der Assessor und Hufner waren indessen wieder zum Feuer zurückgekommen. Der Erstere fühlte sich sogar in einer ungewöhnlich weichen Stimmung, da er von einem Mann Abschied nehmen sollte, mit dem er doch eine Zeit lang zusammen gelebt hatte. Der Justizrat wollte nach Deutschland zurückkehren, und wer wusste, ob ihre Wege je in diesem Leben wieder zusammentrafen.

Der Justizrat rauchte indessen ruhig fort. Ob er etwas Ähnliches fühlte, ließ sich durch die dicken Dampfwolken nicht erkennen.

Nun rollte der Wagen herbei: ein gewöhnlicher Leiterwagen zwar nur, von zwei starken Pferden gezogen, aber durch Matratzen und Betten – während im hinteren Teil desselben das Gepäck aufgeschichtet lag – so bequem wie nur möglich für die Damen hergerichtet. Hetson selber hatte mit auf dem Wagen Platz genommen, da er sich für diese kurze Strecke kein Pferd kaufen wollte. Lanzot ritt an der Seite, auf welcher Manuela saß, nebenher.

Das arme Kind hatte sich schwer von ihres Vaters Grab getrennt. An dem Morgen, wo sie es an des Geliebten Seite noch einmal besucht hatte, gar viel geweint. Sie wusste, dass sie es nie wieder sehen würde. Nun war sie jedoch gefasster. Der heitere, wunderherrliche Herbstmorgen trug auch viel dazu bei, ihr Gemüt zu beruhigen und sie dem Gefühl empfänglicher zu machen, dass sie ja doch endlich dieses ihr stets entsetzlich gewesene Land verlassen und einem neuen sorgenfreien Leben, einem Leben an der Seite des geliebten Mannes entgegengehen solle.

Noch einige Schwierigkeiten hatte es, den Justizrat in den Sattel zu bringen, wonach er den rechten Steigbügel wieder nicht finden konnte. Aber auch das wurde zuletzt bewerkstelligt, und es war endlich nichts weiter übrig, als den Koffer auf den Wagen zu heben, was natürlich wieder an dem Assessor und Hufner hängen blieb.

Nun war alles fertig – die Pferde zogen an, und der Wagen rollte die Straße entlang.

»Nun, mein lieber Herr Justizrat«, begann der Assessor mit vollem Herzen von dem Mann Abschied zu nehmen. Ob sich der Justizrat aber das Herz nicht schwer machen wollte oder auch etwas Derartiges für überflüssig hielt, kurz, er gab seinem Maultier die Hacken, sagte einfach »guten Morgen, und hielt sich dann geschwind mit der rechten Hand – in der Linken trug er statt der Reitpeitsche die Pfeife – an dem Sattelknopf fest. Das Maultier setzte sich nämlich in Bewegung, und seine beiden Freunde blieben allerdings etwas verdutzt über den sehr kaltblütigen Abschied mitten auf der Straße stehen, ihm noch eine ganze Weile schweigend nachzusehen.

So schied der Justizrat aus den Minen und von seinen Freunden, die ihm mit wirklich aufopfernder Gefälligkeit und mit der größten Uneigennützigkeit und weshalb gedient hatten? Weil er eben einen etwas hochtrabenden Titel besaß und sie als biedere Deutsche den alten Unsinn des Vaterlandes noch nicht hatten soweit abschütteln können, sich von dem Einfluss desselben frei zu machen. Es ist das ein nur in Deutschland bekanntes Kunststück, derartige gemalte Lichter zu machen, die, ohne das geringste innere Feuer, dem flüchtigen Beschauer gerade so aussehen, als ob sie wirklich leuchteten. Nur wenn man etwas an ihnen anzünden, wenn man sie einmal gebrauchen will, findet man die Täuschung und sieht, dass sie bloß zu einem etwas wunderlichen Staat da sind. Sie selber halten sich für Sonnen, die eben auch nichts weiter können als strahlen.

Nur erst im Sattel wurde der Justizrat in diesem festen Bewusstsein seines inneren Wertes, der ihn bis dahin noch keinen Augenblick verlassen hatte, schwankend, denn er fühlte sich dort oben nichts weniger als behaglich. Schon das genierte ihn, dass er selber den Zügel halten musste – er war noch nie gewohnt gewesen, etwas selber zu tun – und dann hielt das Maultier auch einen keineswegs gleichmäßigen Schritt, sondern richtete sich vollkommen nach seinen Begleitern, ob diese eben langsam oder schärfer ritten.

Hier kümmerte sich auch niemand weiter um ihn. Er musste sich ebenso gut festhalten und mitzukommen versuchen, wie das anging – und wie hart der Racker dabei trabte. Der Justizrat verfluchte im Stillen den Assessor, der ihm zu diesem kühnen Ritt geraten, und doch hatte es dieser würdige Mann nur mit voller Überzeugung und aus dem einen Grund getan, dass er fest glaubte, der Justizrat könne alles, also natürlich auch reiten.

Das Wetter war herrlich; ein wunderbar frischer duftiger Herbstmorgen lag auf dem grünen Wald. Mit dem murmelnden Bergstrom zu ihren Füßen, von dem das Klappern der dort arbeitenden Maschinen zu ihnen herauftönte, mit dem Rauschen der mächtigen Wipfel über sich, zogen die Wanderer fröhlich und leicht ihre Straße entlang.

Ein paar Stunden Wegs hatten sie zurückgelegt, als sie einen einzelnen Wanderer überholten, der dicht vor ihnen einen Seitenpfad aus den Bergen herabgekommen war und nun mit ihnen ein Ziel zu haben schien. Einzelne Fußgänger gab es nun allerdings genug auf dem Weg, und zwar teils solche, die in die Minen schwerbepackt hinaufzogen, teils andere, die der Stadt wieder zu marschierten.

Den im Wagen Sitzenden fiel der Mann deshalb auch nicht auf. Graf Beckdorf aber kam es vor, als ob er diesen schlenkernden Gang schon einmal gesehen haben müsse und die ganze Gestalt ihm bekannt schien. Außerdem trug der Bursche nicht das geringste Gepäck auf dem Rücken, nicht einmal eine wollene Decke, selbst keinen Rock. Die Mütze auf einem Ohr, beide Hände in den Hosentaschen, schlenderte er behaglich und vollkommen unbekümmert auf der Straße hin.

Endlich hatten sie ihn überholt und Beckdorf, der nun sein Pferd herumwarf, rief lachend aus: »Herr Erbe! Wo zum Henker haben Sie die ganze Zeit gesteckt?«

Der Wagen fuhr allerdings vorüber und weiter. Lanzot sah sich ebenfalls nicht nach dem ihm völlig unbekannten und schmutzig genug dreinschauenden Burschen um. Des Justizrats Maultier glaubte hier aber genügenden Grund zu finden, einen Augenblick auszuruhen, und hielt so plötzlich neben Beckdorfs Pferd an, dass der darauf nicht vorbereitete Reiter beinahe nach vorn übergefallen wäre.

»Holla, Herr Graf«, sagte indessen der Fußwanderer, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen, in denen sie jedenfalls festgeklebt waren, indem er nur einfach mit dem dicken roten Kopf nickte, »how do you do? In den Hills oben bin ich gesteckt und habe gediggt und gewaschen.«

»Und sind Sie glücklich gewesen?«

»Bah«, zuckte der Mann mit den Achseln. »Was die Leute Glück kahlen (to call), das soll der Teufel hier in den mines holen. Erst habe ich einen bösen Kalt gekätscht und bin sick gewesen, und dann war es ordentlich, als ob ich on purposs nichts finden sollte. Jetzt habe ich nun meinen Meind aufgemacht1 und will nach San Francisco trawweln.«

»Sträfliches Deutsch«, murmelte der Justizratvor sich hin, »verstehe kein Wort.«

»Und was wollen Sie dort, Herr Erbe?«, fragte Beckdorf, der sich über den Burschen amüsierte.

»Ich tu es noch nicht wissen – wahrscheinlich einen Barberschop2 aufraisen und die Leute schäven, (rasieren).«

»Ihr altes Geschäft?«

»Yes.«

»Nun dann wünsche ich Ihnen viel Glück«, sagte Beckdorf, indem er seinen Zügel wieder aufnahm. »Kommen Sie bald nach.«

»O, ich habe plenty Zeit«, meinte Erbe vergnügt. »Man muss hier nie ein Ding in einer Hürry tun. Und wo wollen Sie hin?«

»Auch nach San Francisco.«

»Hm«, meinte Erbe, »da könnten wir ja …« Es fiel ihm eben ein, ob er mit dem Deutschen, der jedenfalls Geld hatte, nicht am Ende einen Barbierladen in Compagnie errichten könne, aber der verstand keinesfalls etwas von dem Geschäft. Er hätte deshalb die Arbeit allein übernehmen müssen, und davon war er kein Freund. Er brach also seine Bemerkung nur kurz ab.

»Aber wo haben Sie Ihr Gepäck, Herr Erbe?«

»Die Bäggätsch?«, sagte der Unverbesserliche, indem er einen Blick über seine Schulter warf, als ob er sich selber überzeugen wolle, dass er gar nichts trage, »hm, ich habe ausgesohld3. In San Francisco gibt es mehr.«

»Allerdings«, gab Beckdorf lachend von sich, »und Sie gehen so angenehmer. Also guten Morgen, Herr Erbe.«

»Morning«, rief der Mann nickend zurück.

Beckdorf sprengte nun, von des Justizrats Maultier ebenso rasch und plötzlich gefolgt, die Straße hinab, den Wagen wieder einzuholen.

»Brrr – Donnerwetter!«, schrie der Justizrat, »verfluchtes Tier.« Mit gänzlicher Missachtung der Pfeife packten beide Hände den Sattelknopf, aber das Maultier dachte gar nicht daran, eher langsamer zu gehen, bis es das Pferd erreicht hatte. Es hielt auch erst wieder, ebenso plötzlich wie vorher, an, als es mit seinem durchschüttelten Reiter den Wagen überholte.

Erbe lächelte, als er ihn fortsprengen sah.

Die kleine Kavalkade setzte indessen ihren Weg bis Mittag fort, ohne dass ihnen irgend ein Bekannter weiter oder sonst etwas Außergewöhnliches begegnet wäre. Gefahr hatten sie auch nicht die geringste zu fürchten, da gerade in dieser Zeit die Straße außerordentlich von Fuhrwerken und Maultierzügen belebt war, die sich alle noch beeilten, vor Eintritt der Regenzeit Provisionen in die Minen hinaufzuschaffen.

Zu Mittag mussten sie natürlich die Tiere etwas rasten und in der Nähe weiden lassen und lagerten zu diesem Zweck dicht am Ufer des hier zu einem kleinen Fluss angewachsenen Calaveres, in dessen Nähe und unter dem kühlen Schatten der Uferbäume noch vortreffliches Gras wuchs. Die Passagiere verzehrten dort ebenfalls ihre mitgebrachten Provisionen und brachen etwa gegen zwei Uhr wieder auf. Sie wollten Stockton noch an dem Abend, wenn auch erst spät erreichen, um das am nächsten Frühmorgen nach San Francisco abfahrende Dampfboot zu benutzen.

Noch nicht lange hatten sie ihren Weg wieder verfolgt, als ein Streit auf der Straße ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, der zwischen einem Reiter und einem Fußgänger geführt wurde. Eine Biegung der Straße und ein dichtes Buschwerk, das sie umritten, brachte sie auch dicht vor die Streitenden, ehe diese sie bemerkten. Zwar schien es, als ob der Fußgänger den Reiter angegriffen hätte und ihn vom Pferd ziehen wollte.

Beckdorf und Lanzot, die gerade nebeneinander ritten, glaubten schon, sie seien hier eben zur rechten Zeit gekommen, um einen Raubanfall zu vereiteln und griffen nach ihren Waffen. Den Pferden die Sporen eindrückend, sprengten sie, von dem unglücklichen Justizrat wider Willen gefolgt, auf die Kämpfenden zu. Trotz des Nahens der Reiter schien aber der Angreifer von seiner Beute nicht ablassen zu wollen. Da er den im Sattel Sitzenden fest bei einem Bein gefasst hatte und nicht losließ, während das Maultier einen Sprung nach vorn machte, musste der arme Teufel wohl oder übel herunter und auf die Erde.

Der deutsche Fluch heiliges Kreuzdonnerwetter, den er dabei ausstieß, überzeugte die beiden jungen Leute aber bald, dass sie es hier weniger mit einem Raubüberfall als mit einer gewöhnlichen Prügelei zu tun hätten. Beckdorf erkannte auch nun zu seinem Erstaunen in dem Angreifer einen der sonst friedfertigsten und höflichsten Menschen, denen er in seinem ganzen Leben begegnet war – den Tenoristen Bublioni.

»Was zum Teufel treiben Sie denn hier für Geschichten, bester Freund«, rief er ihm lachend zu, als er an ihn heran sprengte, »was hat Ihnen der unglückliche Mann da zu leide getan?«

»Der?«, rief aber Bublioni, indem er, ohne auch nur einen Augenblick Zeit zu versäumen, das Maultier am Zügel ergriff und selber in den Sattel sprang, »das ist der nichtswürdigste Betrüger unter der Sonne – der sogenannte Aktuar Korbel, der mich um alles gebracht hat, was ich mein nannte, und nun stolz an mir vorbeireiten wollte, während ich laufen musste.«

»Geben Sie mir mein Maultier heraus, Herr Bublioni«, schrie aber auch nun der Aktuar, der sich wieder aufgerafft hatte. »Meine Herren, leiden Sie nicht, dass ich hier auf offener Straße bestohlen werde.«

»Bestohlen? Sie Bösewicht!«, rief aber der Tenorist. »Alles, was ich hatte – elf Unzen Gold hat er mir fortgeschleppt, angeblich Provisionen dafür zu kaufen …«

»Aber ich war ja eben unterwegs …«

»Gut, dann geben Sie mir mein Geld wieder heraus, und Sie sollen das Maultier augenblicklich zurück haben.«

»Das Geld ist schon in San Francisco«, sagte aber der Aktuar.

»Ja, das glaube ich«, rief der Tenorist, »aber in wessen Beutel? Und ich habe mir indessen meine Stimme ruiniert. Was habe ich jetzt von meiner Goldgräberei? Schulden und einen ewigen Stockschnupfen.«

»Aber wo wollen Sie jetzt hin?«, fragte Beckdorf.

»Nach San Francisco«, lautete die Antwort. »Wie ich höre, ist dort ein Theater errichtet worden, und ich will sehen, ob ich da ein Engagement bekommen kann.«

»Aber nicht auf meinem Maultier«, schrie da der Aktuar, der in diesem Augenblick einen verzweifelten Satz auf den Mann zu machte, sein Eigentum wieder zu gewinnen.

Herr Bublioni aber, der vortrefflich zu reiten verstand, warf das Maultier rasch herum, setzte ihm dann beide Hacken in die Seite und sprengte mit dem erbeuteten Tier in voller Flucht die Straße hinunter.

»Sollen wir denn das leiden?«, sagte Lanzot, der kopfschüttelnd dem Streit zugeschaut hatte.

»Gewiss«, antwortete Beckdorf, dabei lachend, »denn dem Burschen da geschieht es vollkommen recht. Er ist uns allen, die er nur möglicherweise anborgen konnte, Geld schuldig und hat damit getrunken und gespielt, während jener arme Teufel fleißig arbeitete. Aber komm, da ist der Wagen und wir wollen uns mit dem Lump nicht länger aufhalten.«

Der Wagen fuhr indessen vorüber, ohne anzuhalten. Der Justizrat war die ganze Zeit von seinem Maultier auf das Unbarmherzigste umhergeworfen worden. Dieses nämlich wollte den Vorbeirollenden nach. Sein Reiter wäre auch nicht imstande gewesen, es allein zu halten, hätten ihm nicht Beckdorf und Lanzot mit ihren Pferden den Weg versperrt. Mit großer Mühe nur beruhigte es sich wieder. Der Justizrat, der bis dahin übrig, mit ihm zu tun gehabt hatte, erkannte zu seinem Erstaunen in diesem Augenblick seinen alten Freund, den Kometen. Korbel stand nämlich noch mit einem dicken roten Kopf dicht am Weg und schien vollkommen unschlüssig, in welche Richtung er sich wenden solle.

Beckdorf und Lanzott ritten vorüber, der Justizrat aber, sein Maultier noch einmal mit Gewalt einzügelnd, rief: »He … Aktuar … sehr gut … treffe Sie hier … gehen fort aus Minen … meine halbe Unze.«

Der Aktuar sah den Mann verächtlich über die Schulter an und brummte nur das eine höchst unhöfliche Wort: »Holzkopf.«

»Donnerwetter«, rief der Justizrat, aber sein Maultier schnitt die so interessant begonnene Unterhaltung ab. Die Pferde waren voraus und denen folgte es nun. Sein Reiter mochte in den Zügel hineinreißen, so viel er wollte, während der diesmal geprellte Komet in düsterem Schweigen und mit untergeschlagenen Armen auf der Straße zurückblieb.

Der Justizrat wäre nun gern wütend geworden, wenn ihm sein Tier nur Zeit dazu gelassen hätte. Von hier ab ging aber der Weg eine ganze Strecke bergab, und der Wagen fuhr so schnell, dass die Reiter ihm in scharfem Trab folgen mussten. Da blieb ihm dann allerdings weiter nichts übrig, als die halbe Unze im Stich und den Holzkopf auf sich sitzen zu lassen, denn einzügeln konnte er nicht mehr.

Mehr und mehr belebt wurde indessen die Straße. Hier und da fanden sie auch schon Stellen, wo einzelne Amerikaner anfingen, ihre kleinen improvements – Blockhütten mit einem kleinen Stück eingefenzten Feld – zu bauen. Mit Sonnenuntergang trafen sie auf mehrere Trupps lagernder Maultiere, bis sie endlich die weißen Zeltdächer Stocktons erkennen konnten.

Wie sich Lanzot aber besonders der armen Frauen wegen freute, das Ziel ihrer mühseligen und eben nicht bequemen Fahrt erreicht zu haben, so sah er sich auch nun nach ihrem Begleiter, dem Justizrat, um, der mit den merkwürdigsten Kapriolen auf seinem Tier saß und gar nicht so recht fortzukommen schien.

Er wendete sein Pferd, ritt zu ihm und rief: »Was ist denn, Herr Justizrat, will Ihr Klepper nicht mehr von der Stelle? Nun, jetzt sind Sie bald erlöst. Sehen Sie, da drüben liegt schon Stockton, und in einer oder anderthalb Stunden können wir es erreichen. Was hatten Sie denn eben?«

»Gott sei Dank«, brummte der Justizrat zwischen den Zähnen durch, »Dammte Bestie … Wolf!«

»Ein Wolf? Hier?«, rief der junge Mann erstaunt und sah sich überall, wenn auch vergebens, um. »Das wird wahrscheinlich einer der kleinen Kojoten gewesen sein, die es überall in Menge gibt. Mit der Abenddämmerung kommen sie hervor. Die haben Sie aber nicht zu fürchten.«

»Unsinn, Kojoten«, brummte aber der Justizrat noch viel verdrießlicher als vorher. »Wolf … Wolf geritten.«

Lanzot konnte sich nicht helfen, er musste laut auflachen. Da aber mit dem ohnedies ungemütlichen Menschen in dieser Stimmung gar nichts anzufangen war, ließ er ihn eben hinterdrein reiten, so gut er fortkommen konnte, und schloss sich dem Wagen wieder an.

In Stockton mussten sie allerdings übernachten,aber mit Tagesanbruch ging ein Dampfboot nach San Francisco ab, das die Fahrt in wenig mehr als zwölf Stunden zurücklegte.

Dort begrüßte sie Doktor Rascher, der von ihrer Ankunft in Kenntnis gesetzt war, und ihnen sogar schon Plätze auf dem nach Panama abgehenden Dampfer besorgt hatte. Dieser aber ging erst den dritten Tag in See. Lanzot benutzte die Zeit, sich, ehe sie die Seereise antraten, vor dem Altar mit Manuela zu verbinden. Der alte Doktor schüttelte zwar immer noch den Kopf, betrieb aber doch dabei die dazu nötigen Vorbereitungen auf das Eifrigste und schien sich selber des Glückes der jungen Leute innig zu freuen.

Die Trauung war denn auch nachmittags um drei Uhr am letzten Tage vollzogen. Um sechs Uhr mussten sie an Bord des Dampfers Mohican sein, der mit qualmenden Schornsteinen draußen in der Bai vor Anker lag.

Der Justizrat hatte sich mit ihnen einschiffen wollen, es war ihnen aber lieb, dass er mit seinen Vorbereitungen nicht fertig werden konnte, denn der Assessor fehlte ihm hier, der seine Sachen packte. Auch Graf Beckdorf blieb zurück, wie er lachend meinte, sein Glück noch einmal in den Minen zu probieren. Aber er begleitete die Freunde noch nach der Trauung, der er als Zeuge beiwohnte, an die Landung. Der Justizrat ging ebenfalls mit, da er auf der Gottes Welt weiter nichts zu tun hatte.

Durch das Lärmen und Treiben der neu entstandenen Weltstadt, durch das Drängen nach Gold, durch ein Gewühl lebendiger Preiscourante und verkörperter Spekulationen schritten die glücklichen Menschen, die hier in Kalifornien das schönste Gold – den Frieden ihrer Seele – gefunden hatten, dem Landungsplatz zu, von dem aus sie Boote zum Dampfer hinüberschaffen sollten.

Dem langen Werft, das in die Bai hinausgebaut war, bei hoher Flut die direkte Landverbindung mit den Schiffen zu erhalten, folgten sie. Dort rannte der Justizrat, der stets die Augen woanders hatte, gegen eine riesige Menschengestalt an, die auf die wunderlichste Art mit Feuerzangen, Schaufeln, Dreifüßen, Waffen und Handwerkszeug behangen, ein wanderndes lebendiges Eisenlager hier mitten im Weg stand und seine Waren feil bot.

»Donnerwetter«, sagte der Mann und sah im nächsten Augenblick erst erstaunt, dann bestürzt zu dem dicken gemütlichen Gesicht des Giganten empor, den man, einmal gesehen, nie im Leben wieder vergessen konnte, »hm … alte Bekannte.«

Es war derselbe Mann, der ihn damals spät abends hatte an seiner Verschanzung nahe dem Paradies arretieren lassen hatte. Keinesfalls erinnerte sich aber der Riese noch auf den unbedeutenden Justizrat.

»Kaufen Sie nichts von Eisenwaren, mein lieber Herr?«, sagte er freundlich, »keinen Revolver, Hirschfänger, Bajonette, Feuerschaufeln, Zangen, Messer, Gabeln, Löffel, Briefbeschwerer?«

»Hm … sonderbar!«, murmelte der Justizrat zwischen den Zähnen durch, antwortete aber nicht und schritt langsam an dem Verkäufer vorüber, dem Ende des Werftes zu.

Er kam dort eben zur rechten Zeit an, um zu sehen, wie die Boote mit den Passagieren von der Landung abstießen und dem Dampfer zueilten, von dem schon die dritte Glocke läutete.

»Hallo … mitfahren!«, schrie er allerdings hinterher, aber die Bootsleute hatten keine Zeit mehr, umzukehren. Hetsons erkannten ihn aber, und sie und Lanzot winkten ihm noch ein Lebewohl zu, das er jedoch nicht erwiderte.

»Können zum Teufel gehen«, brummte er vor sich hin, drehte sich um und kehrte in die Stadt zurück.

Doktor Rascher und Graf Beckdorf waren mit im Boot und nach herzlichem Abschied, und dem Versprechen, sie dermaleinst in ihren verschiedenen Wohnsitzen aufzusuchen, trennten sie sich von ihnen.

Die Damen stiegen die breite, außen angebrachte Schiffstreppe, von Hetson und Lanzot dabei unterstützt, hinauf. Das Gepäck wurde durch eine Menge geschäftiger Hände nachgereicht. Die Treppe selber hob sich, die Schaufelräder fingen an zu arbeiten, die Boote wichen dem keuchenden Koloss aus, der Anker kam unter dem Singen und Jubeln der Matrosen nach oben. Wenige Minuten später schäumte die klare Flut des Baiwassers unter dem scharfen Bug des Mohican und auf den zurückgeworfenen Radwellen schaukelten die Boote. Vom Heck des Dampfers, gerade unter dem lustig in der frischen Briese auswehenden Sternenbanner winkten aber ein paar weiße Taschentücher grüßend herüber.

»Lebt wohl! Gott segne Euch!«, rief der alte Doktor Rascher zurück, dem die klaren Tränen in den Augen standen. Über die Bai, dem goldenen Tor entgegen, schäumte das wackere Fahrzeug dem Ozean, der Heimat zu.

Show 3 footnotes

  1. To make up onesʼs mind – sich entschließen
  2. Barbierstand
  3. I have sold out – verkauft