Addy der Rifleman – Der kleine Krieg
Max Felde
Addy der Rifleman
Eine Erzählung aus den nordamerikanischen Befreiungskämpfen
Union Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart, Berlin, Leipzig, 1900
Der kleine Krieg
Der Winter regierte in diesem Jahre äußerst milde und es ging schon allmählich dem Frühjahr zu.
Schon die letzten Februartage hatten mit ihren warmen Sonnenstrahlen die Erde aus dem Bann von Schnee und Eis gelöst. Die Waldbäche schwollen an und bereits streiften im Tal die beflügelten Frühlingsboten über die grünen Wintersaaten.
Oben am Saum der bewaldeten Höhen, zwischen welken Blättern und vergilbten Halmen, wagten sich schon die ersten Frühlingsblümchen hervor, freilich nur schüchtern und zaghaft, als trauten sie in ihren warmen, moosgepolsterten Bettchen dem mild niederflutenden Frühlingssonnenlichte so recht noch nicht.
Auch unter den Farmern wurde es lebendig. Schon früh am Morgen zogen sie alltäglich mit ihren erwachsenen Söhnen und Töchtern hinaus auf Äcker und Felder, ihren Kulturen ganz besondere Sorgfalt zuzuwenden. Erhofften sie doch, da die Ernte des Vorjahres durch die kriegerischen Vorgänge erheblich geschmälert worden war, in diesem Jahr auf besonders günstige Erträge. Wie konnten sie ahnen, dass sie zum nicht geringen Teil bitter getäuscht werden sollten!
Wohl hatte im Herbst zuvor der Überfall der Farm im ganzen Tal die größte Aufregung, Erbitterung und die schwerwiegendsten Bedenken hervorgerufen. Aber der Rest der Herbsttage und die Wintermonate waren trotz der schlimmsten Befürchtung ohne weitere feindliche Beunruhigung vorübergegangen.
Fast die ganze Farmerschaft in und um Little Falls war dann damals zusammengetreten und hatte, trotz dessen sich Addy in seiner Bescheidenheit gar gewaltig dagegen sträubte, mit hilfreicher Hand Schutt und Trümmer entfernt und das niedergebrannte Wohnhaus, den Stall und nötigen Kornschober binnen kurzer Zeit schöner und praktischer als zuvor neu aufgebaut.
Inzwischen waren viele Wochen vergangen und der Vorfall mittlerweile fast vergessen worden; die rege gewordenen Bedenken traten nach und nach in den Hintergrund, man atmete wieder freier. Dazu war gleich damals nach dem Brand der Sicherheitsausschuss des ganzen Tales zusammengetreten und zu dem Beschluss gelangt, die republikanische Regierung schleunigst um Hilfe zu bitten.
Da man sich in New York wohl bewusst war, welch ein starkes Bollwerk die tatkräftigen Deutschen am Mohawk gegen die englische Invasion für den um seine Unabhängigkeit kämpfenden Staat bildeten, und da man sich ferner angesichts der Bedeutung des Treffens bei Oriskany wohl auch zu Dank verpflichtet fühlte, kam man den Wünschen des Ausschusses rascher, als man es zu erhoffen wagte, entgegen.
Noch im November traf der Gouverneur des Staates ein, das Milizregiment neu zu organisieren. Dabei ergab sich leider, dass der Kampf bei Oriskany unter den waffenfähigen Männern so sehr aufgeräumt hatte, dass aus dem Rest der zuvor bestandenen Kompanien nur noch knapp deren sieben zusammengestellt werden konnten. Diese Miliztruppe reichte also für die Verteidigung des mehr als siebzig englische Meilen langen Mohawktals bei Weitem nicht aus; sie konnte bei einem feindlichen Einbruch höchstens an einzelnen Punkten entscheidend eingreifen.
Die Regierung entschloss sich auf Drängen des Ausschusses daher, noch einige Kompanien des pennsylvanischen Regiments und einige Scharfschützenabteilungen dahin zu verlegen, die auf dem westlich gelegenen Fort Schuyler, dann auf dem Fort Dayton nächst German Flats, auf Herkimer unweit Little Falls und in dem am untersten Lauf des Flusses gelegenen Fort Hunter stationiert wurden. Das früher schon genannte, oberhalb Oriskany gelegene Fort Stanwix kam nicht in Betracht, denn es lag etwa dreißig Meilen westlich der letzten deutschen Ansiedelung, sodass es durch kleinere feindliche Kolonnen leicht umgangen werden konnte.
Diese Truppenabteilungen schienen im Verein mit den Milizen nun wohl hinzureichen, das Tal gegen einen offenen Einfall der Indianer zu sichern.
Da aber Addy beim Ausschuss nachdrücklich geltend machte, dass man sich nach seiner Überzeugung zunächst mehr auf einzelne hinterlistige, auf Raub und Brand abzielende indianische Einfälle als auf einen offenen Kampf gefasst machen müsse, denen die über eine so große Fläche verstreuten Truppen mehr oder weniger doch ohnmächtig gegenüberständen, organisierte man auch noch einen regelmäßigen Kundschafterdienst, der durch eine Anzahl wohlerprobter und unerschrockener Grenzjäger, der sogenannten Ranger, verrichtet wurde.
Die Ranger hatten die Aufgabe, zu Fuß oder zu Pferde auf Schleichwegen weit hinaus die Umgebung der Ansiedelungen abzustreifen und jede Gefahr, die dem Tal drohte, unverzüglich einem der Fortkommandanten zur Kenntnis zu bringen.
Addy, der weit und breit jeden Weg und jeden Steg und die Kriegführung der benachbarten, feindlich gesinnten Indianer wie kein anderer kannte, übernahm es selbst, die Ranger auf weiten Streifungen in ihr Amt einzuführen.
Den Fortkommandanten wurde, um einer etwaigen Überrumpelung vorzubeugen, die Pflicht auferlegt, sobald sie eine Meldung erhielten, die Talbewohner sofort durch ein Notsignal auf den nahenden Feind aufmerksam zu machen. Erfolgte ein Kanonenschuss, so sollte er zunächst nur als Warnung dienen, und es blieb den Farmern überlassen, mit Weib und Kind und Kegel innerhalb der Mauern des alarmierenden Forts Schutz zu suchen. Erfolgte ein zweiter Schuss, so befand sich der Feind schon im Tal, und es war bereits gefährlich, zum Fort zu eilen; fiel auch noch ein dritter, so galt es als Zeichen dafür, dass die Talbewohner das betreffende Fort nicht mehr erreichen konnten.
Bisher hatten die Kanonen der kleinen Festungen geschwiegen. Da aber, eines Abends, etwa eine Stunde nach Einbruch der Nacht, gewahrte der Auslugposten auf dem Turm des Forts Dayton in der südöstlichen Ecke des Herkimer County eine verräterische Röte. Sogleich machte er davon Meldung.
In größter Eile kam der Kommandant des befestigten Platzes auf die Plattform gestiefelt, doch während er noch mit seinem gleich nach ihm herbeigeeilten Ersten Offizier, Leutnant Woodworth, sich beriet, ob man es hier mit einem Unfall oder mit einem Einfall der Indianer zu tun habe, donnerten schon auch von dem benachbarten, etwa sechs Meilen flussabwärts gelegenen Fort Herkimer schnell hintereinander zwei Kanonenschüsse.
Man konnte sich hier auf Dayton also vorderhand auf die Beobachtung des Vorganges beschränken, denn die Bewohner des Herkimer County waren gewarnt und die Besatzung des Nachbarforts würde ihre Pflicht tun.
Da hörten die beiden Offiziere auf der hart neben dem Fort vorbeiführenden Landstraße einen Reiter in schnellster Gangart dahersprengen, unten am Tor das Losungswort abgeben und Einlass begehren. Gleich darauf wurde geöffnet und wenige Sekunden später stand der Reiter vor dem Kommandanten.
»Was bringen Sie?«, fragte dieser.
»Sir«, meldete der mit Schweiß und Staub bedeckte Grenzjäger, »Addy sendet mich. Wir haben etwa achtzig Rothäute aufgespürt, die er durch irgendeinen Kniff in ihrem Marsch hinhalten will. Er bittet um ein Streifkorps von mindestens dreißig Mann, und zwar so schnell wie möglich.«
»Hängt das etwa zusammen mit dem, was da unten vorgeht?«, fragte der Kommandant und wies mit dem Zeigefinger zur Brandröte in der Ferne.
Der Grenzjäger warf nur einen kurzen Blick in die angegebene Richtung und entgegnete: »Sir, es brennt, soviel ich sehe, jenseits des Flusses. Wir aber streiften auf dieser Seite, also nördlich von Dayton. Die Indianer kamen aus Nordwest und halten allem Anschein nach auf Little Falls. Übrigens, Sir, hat Addy, wenn jener Brand dort auf die Roten zurückzuführen ist, diesen Vorgang förmlich vorausgesagt.«
»Nicht möglich!«
»Und doch. Die Rothäute, die wir beobachteten, ließen sich Zeit, und das erschien Addy verdächtig.«
»Das allein sollte einen Schluss erlauben?«
»Er erklärte, dass es ihn nicht wundern würde, wenn es in aller Kürze irgendwo in ganz entgegengesetzter Richtung zum Knallen käme. ›Das wird,‹ meinte er, ›aber nur ein kleiner Putsch sein, die Aufmerksamkeit abzulenken und die Kräfte unserer Leute zu zersplittern.‹ Die Roten aber, die wir vor uns hatten, das war seine feste Überzeugung, die dachten an einen sorglich geplanten Hauptschlag.«
»Dann, Leutnant Woodworth«, entschied der Kapitän, »lassen Sie uns keine Minute säumen.«
»Erlauben Sie, Kapitän«, fragte dieser, »dass ich selbst die Abteilung führe?«
»Das soll mir bei der Wichtigkeit der Sache sehr lieb sein«, entgegnete der Fortkommandant. »Nehmen Sie nicht nur dreißig, sondern vierzig Mann von den Pennsylvaniern und fahren Sie fest dazwischen; zeigen Sie, was Sie vermögen. Doch noch eins«, rief der Kapitän, als der Leutnant schon davoneilen wollte, »jener Mann, den die Indianer und allenthalben auch die Talbewohner ›Addy, den Rifleman‹ nennen, wurde mir als ein äußerst findiger, ebenso vorsichtiger wie tapferer Jäger und Grenzer geschildert. Lassen Sie sich gesagt sein, auf seinen Rat zu achten, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet.«
»Sehr wohl, Sir«, entgegnete der Leutnant, sprang dann hinab über die Treppe nach den unteren Räumen, zugleich tönte schneidend schrill seine Alarmpfeife.
Durch den kurz zuvor gemeldeten Brand waren die Mannschaften ohnehin schon in den Bereitschaftszustand versetzt, und so war die Besatzung fast augenblicklich unter Waffen.
Leutnant Woodworth wählte vierzig Mann, und schon nach wenigen Minuten marschierte er mit ihnen unter Führung des Rangers, der sein Pferd zurückließ, durch das Tor, dann quer über das Tal gegen die bewaldete Höhe.
Oben angekommen, führte der Grenzjäger die Abteilung trotz der tiefen Finsternis, die hier herrschte, etwa eine Stunde lang waldein und machte endlich Halt.
Auf den Wunsch des Rangers erhielten die Leute die Weisung, sich niederzulegen und völlig lautlos zu verhalten.
Wohl eine Stunde lang lagen sie so, als plötzlich der heisere Schrei eines Nachtvogels dreimal hintereinander sich hören ließ, worauf der Grenzjäger in der gleichen Weise antwortete.
Es verging wieder einige Zeit, als derselbe Schrei in weit geringerer Entfernung hörbar wurde, und wieder gab der Grenzer denselben Laut.
Gleich darauf tauchte die hohe Gestalt Addys auf, der nach kurzem Grußwechsel den Leutnant bat, ihm mit seinen Leuten noch eine kleine Strecke zu folgen. Der Offizier gab die entsprechenden Befehle.
Addy übernahm die Führung der kleinen Truppe. Er ging etwa dreihundert Schritte in der von dem Grenzjäger zuvor verfolgten Richtung geradeaus, schwenkte dann aber links ab, und nun ging’s durch dick und dünn über eine stark abfallende Berglehne in ein enges Seitental nieder, auf dessen Sohle ein Wildbach dem Mohawk zueilte.
Hart an das Ufer dieses Gewässers sich haltend, stieg Addy mit dem Offizier und dessen Leuten talauf.
Obwohl es hier unten am Wildbach verhältnismäßig heller war als oben im Walde, war der Aufstieg auf dem kurz zuvor überschwemmt gewesenen, oft noch sehr weichen, dann wieder mit starkem Geröll überstreuten Boden recht beschwerlich. Im obersten Teil wurde das enge Tal noch unwegsamer, denn je höher man kam, umso mehr baute sich Terrasse auf Terrasse, über welche der angeschwollene Bach in geräuschvollen Stürzen talab sprang.
Endlich hielt der Jäger an einer Stelle, wo das Gewässer durch zwei mächtige, nebeneinandergelegte Baumstämme überbrückt war.
»Ein böser Weg da herauf«, brummte der Leutnant, als er, dicht hinter Addy einhersteigend, neben ihm angelangt war.
»Wir sind gleich an Ort und Stelle«, entgegnete Addy.
»Werden Sie uns links über diese Brücke führen?«, fragte der Offizier.
»Nein, Herr, wir wenden uns rechts.«
»Rechts?«, fragte der Leutnant einigermaßen erstaunt. »Das kann da oben aber doch nur dieselbe Anhöhe sein, auf der wir uns vordem, weiter rückwärts, befanden?«
»Allerdings.«
»Wozu lassen Sie uns dann aber erst in das Tal niedersteigen und führen uns über das halsbrecherische Geröll hier herauf? Das hätten wir oben geradeaus viel bequemer haben können.«
»Aus Gründen der Vorsicht.«
»Vorsicht?«
»Ja, Herr. Wir sind nahe am Feind und dieser kann hier überall herum im Wald seine Späher haben. Würden Ihre Leute es vermögen, im dichten Wald lautlos vorwärtszukommen, wären wir oben vorgedrungen. Ich musste aber schon auf der kurzen Strecke, die wir oben zurückgelegt haben, die gegenteilige Überzeugung gewinnen, und da zog ich es vor, im Geräusch des Wassers Schutz zu suchen.«
Die nachsteigenden Leute drängten nun heran.
Addy bat den Leutnant, die äußerste Ruhe zu gebieten, dann führte er die Abteilung auf dem von der Brücke wegführenden Pfad rechts ab, einige hundert Schritte weit vollends hinauf auf die Höhe.
Hier wurde Halt gemacht. Die Leute durften sich nun niederlegen, doch sollten sie sich auch jetzt völlig geräuschlos verhalten.
»Was nun?«, fragte der Leutnant mit gedämpfter Stimme, als Addy dem Grenzjäger einige Worte zugeflüstert hatte, der darauf verschwand.
»Je nun«, entgegnete der Jäger, indem er sich auf die Erde niederließ und den Offizier einlud, ein gleiches zu tun, »hier lassen Sie uns gemächlich die wenigen Stunden bis zum Tagesanbruch hinbringen. Trügt nicht alles, haben die Indianer die Absicht, Little Falls einen Besuch abzustatten und werden nach meinen bisherigen Beobachtungen ziemlich sicher durch dieses Tal zum Mohawk niedersteigen. Wir aber haben die Höhe hier oben im Besitz und das soll ihnen schlecht genug bekommen.«
»Wenn das ist, dann wird der Feind unten unsere Spuren aber sofort bemerken.«
»Tut nichts, Herr, wir stehen so, dass wir ihn mittlerweile bereits vor den Büchsenläufen haben, und wenn die Rothäute unsere Spuren auch gewahren, so hat das ebenfalls wenig zu sagen; im Gegenteil, je mehr sie denselben ihre Aufmerksamkeit schenken, ein umso besseres Ziel bilden sie für unsere Büchsen.«
»Seit wann beobachten Sie schon die Roten?«
»Seit dem vergangenen Morgen.«
»Und Sie haben dieselben hingehalten, sonst wären sie wohl schon heute Abend ins Tal eingebrochen?«
»Allerdings, ich habe ihnen einen Schabernack gespielt, der ihnen obendrein einen Mann kostete.«
»Wie vermochten Sie das?«
»Da ist nicht viel darüber zu sagen, Herr. Sie kamen aus Nordwest und hielten zuerst auf German Flats, schwenkten dann aber mehr auf Little Falls ein. Da es immerhin sein konnte, dass sie noch am Abend in das Tal niederstiegen, sandte ich sofort den Ranger nach dem Fort, Lärm zu schlagen, um die Roten womöglich noch hier oben auf den Höhen, ehe sie ihren Anschlag auszuführen vermochten, zu fassen. Um diesen Zweck zu erreichen, war nötig, sie in ihrem Vormarsch aufzuhalten, und das war eine sehr einfache Sache. Sie zogen pfadlos durch den Wald, ich aber bog ihnen aus und folgte ihnen, um für das, was ich vorhatte, womöglich den Einbruch der Dämmerung abzuwarten. Als ich den günstigen Zeitpunkt für gekommen erachtete, pirschte ich an die roten Burschen heran und knallte ihnen eins in den Rücken. Eine halbe Minute später saß ich schon oben im Geäst einer dichten Baumkrone und da mochten sie nun lange nach mir suchen. Was ich aber bezwecken wollte, hatte ich erreicht. Die Rothäute kehrten zum größten Teil sogleich um, streiften den Wald weithin ab, fanden natürlich nichts, witterten aber Unheil und traten zu einer Beratschlagung zusammen. Mittlerweile war die Dunkelheit hereingebrochen. Ich stieg nieder von dem Baum, unterrichtete mich noch, so gut ich konnte, über den Verbleib des Feindes – und da bin ich.«
»In der Tat, das haben Sie gut gemacht. Sie sind ein kühner Mann!«, versetzte der Leutnant.
Addy erwiderte nichts und der Offizier fragte über eine kleine Weile: »Sie haben inzwischen wohl schon gehört, dass heute Abend wahrscheinlicher Weise auch im Herkimer County Rote eingefallen sind?«
»Der Grenzer sagte mir bereits davon. Hätte ich das als sicher annehmen können, konnte ich mir den Schuss sparen.«
»Wieso das?«
»Weil die Indianer, die wir hier erwarten, dann kaum des Abends noch hier durch wären.«
»Woraus ziehen Sie diesen Schluss? Die Aufmerksamkeit im Tal war auf den Brand gerichtet und die Roten hätten dadurch leichteres Spiel gehabt.«
»Noch leichter wird ihnen der Überfall am kommenden Morgen. Thayendanegeas ist ein überaus schlauer Hecht. Er sagt sich, und nicht mit Unrecht, dass die Farmer und etwa auch die Schützen aus den Forts die Brandstifter heute Abend kaum mehr verfolgen werden. Das Nachsetzen in den dichten Wäldern hätte bei Nacht auch einen nur sehr zweifelhaften Erfolg. Morgen mit dem frühesten aber werden sich die erbitterten Milizmänner ganz sicher auf den Weg machen.«
»Glauben Sie wirklich, dass Thayendanegeas ein solch scharfer Rechner ist?«
»Er ist abgefeimt, durch und durch. Er sagt sich, dass er alle die Farmer, die morgen früh hinter den anderen Roten her sind, nicht gegen sich haben wird; ja, er lässt sie durch jene Spießgesellen, so gut es geht, irreführen.«
Der Leutnant musste die Stichhaltigkeit dieser Behauptungen zugeben und die beiden berieten noch über manche Frage, die der bevorstehende Zusammenstoß mit den roten Kriegern mit sich bringen konnte.
Endlich mahnte Addy den Offizier, dass er sich noch ein wenig Ruhe gönnen möge, was dieser anfänglich von sich wies, dann aber doch befolgte.
Mehrere Stunden vergingen. Über diese ganze Zeit hindurch lag über der bewaldeten Höhe tiefes Schweigen.
Ehe noch der junge Tag anzubrechen begann, weckte Addy den Leutnant.
Rasch ermunterte sich derselbe und die beiden gingen sofort daran, die Leute entlang dem Höhenrand so zwischen den dichten Büschen aufzustellen, dass jeder Einzelne gut versteckt lag und doch einen ungehinderten Ausblick über das schmale Tal hatte, welches der Feind nach der Annahme des Jägers passieren würde. Die Leute wurden über das, was zu erwarten stand, unterrichtet, zugleich aber auch der strenge Befehl erteilt, dass erst auf das Zeichen des Leutnants geschossen werden dürfe.
Wieder verging einige Zeit. Allmählich begann es etwas zu dämmern und im Geäst der Bäume erhoben sich die ersten Vogelstimmen.
Da tauchte der Grenzjäger neben Addy und dem Leutnant auf und ersuchte im Flüsterton um äußerste Ruhe.
Sofort wurden die Leute in den Büschen durch Zeichen verständigt. Nicht der geringste Laut ließ sich vernehmen, kein Ästchen rührte sich.
Auch der Grenzer, Addy und der Leutnant warfen sich jetzt flach auf die Erde nieder.
Wieder eine kurze Weile verging, da legte der Jäger seine Hand auf des Offiziers Schulter und zeigte in der Richtung, aus welcher der Feind erwartet wurde, empor in das Geäst der Bäume.
Das fröhliche Gezwitscher der Vögel oben in den Baumkronen war inzwischen erheblich lauter geworden, aber auch merklich unruhiger. Da und dort flog ein Vogel kreischend auf, dem alsbald andere folgten, die dann alle ängstlich das Weite suchten.
Bald darauf ließen sich leichte Tritte vernehmen, die sich immer mehr näherten. Welke Blätter rauschten, einzelne trockene Ästchen knisterten.
Jetzt mussten die Menschen dicht heran sein. Man unterschied deutlich, dass es deren drei waren, dann entfernten sich die Tritte allmählich wieder.
Fragend sah der Leutnant auf Addy. Dieser gewahrte es und lächelte, indem er zugleich den Offizier durch eine entsprechende Handbewegung aufforderte, zu der Höhe jenseits des Tales hinüberzublicken.
Die Dämmerung war bereits so weit vorgeschritten, dass man auch dort einige dunkle Silhouetten gewahren konnte, die zwischen den Bäumen und Büschen dahinglitten.
Der Offizier verstand: Die Roten waren vorsichtig und schickten auf beiden Höhen einige Leute voraus. Nun war es auch kaum mehr zweifelhaft, dass die Annahme des Jägers, die Indianer würden entlang des Baches in das Tal niedersteigen, sich erfüllen würde.
Und in der Tat, die Schritte der vorausgehenden Späher waren noch nicht lange verklungen, als auf dem von hier aus sichtbaren höchstgelegenen Punkt des Tales einige Rothäute um die dort befindliche Biegung traten, gewissermaßen die Vorhut, denen kurz darauf etwa siebzig Mann folgten.
Jeden Augenblick schussbereit, beobachteten die im Hinterhalt liegenden Weißen die schlanken, dunklen, mit grellen Farben bemalten Gestalten, die flink und gelenkig, einer hinter dem anderen, jeder fast genau in die Fußstapfen des Vordermannes tretend, von Terrasse zu Terrasse herabstiegen. Dem Haupttrupp voraus ging ein Krieger, welcher weniger durch eine hervorragende Gestalt, als durch den reich geschmückten sogenannten Warbonnet (Federhaube) sich auszeichnete, der am Scheitel strahlenförmig mit Adlerfedern besetzt war, über den Rücken sich fortsetzte und fast bis zu den Knien niederfiel.
»Thayendanegeas!«, hauchte Addy dem dicht neben ihm liegenden Leutnant ins Ohr, was dieser mit einem kaum merklichen Nicken des Kopfes beantwortete.
Die Mannschaften hatten sich bisher musterhaft gehalten. Sie lagen bewegungslos in den Verstecken, alles schien nach Wunsch zu gehen. Binnen weniger Minuten mussten die Indianer tief genug in das Tal niedergestiegen sein und dann saßen sie in der Falle.
Da, mit einem Mal – die vordersten Rothäute waren noch nicht einmal bis zu dem schmalen Brückchen gelangt – krachte dicht neben dem Leutnant ein Schuss. Wie mit einem Zauberschlag waren die Rothäute in der Einsattelung hinter den Bäumen verschwunden.
Fluchend sprang Leutnant Woodworth auf und es stellte sich heraus, dass einem Mann die Flinte ganz zufällig losgegangen war.
Auch Addy hatte sich erhoben und maß finsteren Blickes den Unglücksmenschen, der sich dem Offizier gegenüber lebhaft entschuldigte und dem seine Unvorsichtigkeit sichtlich schwer genug zu Herzen ging.
Es blieb nunmehr natürlich nichts anderes übrig, als das Feuer auf den Feind zu eröffnen, denn wenn auch durch den verfrühten Schuss der wohlvorbereitete Anschlag in die Brüche gegangen war, immerhin befanden sich die Weißen in der vorteilhafteren Stellung.
Der Leutnant gab also wohl oder übel dementsprechend seine Befehle, die Gewehrhähne knackten und es richteten sich vierzig Büchsenläufe zu der Stelle, wo die Indianer verschwunden waren.
Der Feind vermied es aber natürlich sorgfältig, sich als Zielscheibe darzubieten. Die sehr üppige Vegetation, die auf beiden Seiten ganz nahe an den Wildbach heranreichte, bildete ein gutes Versteck und man sah daher nur ab und zu eine Rothaut flink von einer Deckung hinter die andere springen, sodass die vereinzelten Schüsse, die von oben her fielen, fast ohne Wirkung blieben.
Nach und nach wurde es unten zwar lebendiger, hier und dort tauchten unter den Bäumen und zwischen den Büschen dunkle Gestalten auf, doch die Rothäute blieben überall, wo sie sich eine Blöße geben mussten, nur auf Augenblicke sichtbar.
Aus allem ging hervor, dass Thayendanegeas das Gefecht nicht annahm und es wäre das angesichts der Notwendigkeit, einem unsichtbaren Feind gegenüber bergauf vordringen zu müssen, auch wenig klug gewesen. Es schien vielmehr, dass er trachtete, sich mit seinen Kriegern im Schutz des Holzes zu dem Punkt oben zurückzuziehen, wo er um die Biegung herumgekommen war.
Des Jägers Plan richtete sich infolgedessen darauf, das, was er gegebenenfalls erst für später vorhatte, nun schon auszuführen, dem Feind nämlich den Rückweg zu verlegen, also den Talausgang oben zu besetzen. Er erbat sich zu diesem Zweck von dem Leutnant einen Teil der Leute.
Bis Addy aber oben an der Biegung ankam, hatte sich bereits auch ein nicht unerheblicher Bruchteil der Rothäute die Berglehne entlang nach der Höhe geschlichen, sich dort festgesetzt und empfing die anrückenden Weißen mit lebhaftem Feuer. Da Addy infolgedessen gezwungen wurde, mit seinen Leuten hinter den Bäumen Schutz zu suchen, war die gegenseitige Gefechtsposition nun ganz von selbst gegeben.
Die Gegner befanden sich hier auf gleicher Höhe und auf fast ebenem Terrain im dichten Wald. Die Rothäute hatten überdies die Taleinsenkung zu ihrer Rechten, was den in der Einsattelung Aufsteigenden ermöglichte, ungesehen die Biegung zu passieren, eine Rechtsschwenkung zu vollziehen und den Weißen dann gerade entgegenzurücken, ein Manöver, das sie denn auch mit Geschick ausführten. Von Minute zu Minute gewann dadurch ihre Stellung an Ausdehnung, ihr Feuer wurde stärker.
Als der Leutnant hinten bald genug einsehen musste, dass ihm die Rothäute unten allmählich alle entschlüpft waren, kam auch er mit seinen Leuten herbei und warf sich neben die hier bereits im Feuer stehenden Schützen.
Es entwickelte sich nun hinter den Bäumen hervor ein nachhaltiges Feuergefecht, das aber, da man sich beiderseits in guter Deckung befand, nur wenige Opfer forderte.
Die Haltung der Indianer war eine zuversichtliche, doch bezeigten sie wenig Lust zum Vorgehen.
Thayendanegeas schien sich offenbar vorerst darauf beschränken zu wollen, die Stärke des Gegners auszukundschaften.
Die kluge Zurückhaltung, die er sich damit auferlegte, bestärkte nun aber den tatendurstigen Leutnant in dem Vorhaben, seinerseits einen kräftigen Vorstoß zu wagen und er hätte ihn auch unverweilt ausgeführt, wenn nicht der Jäger im Hinblick auf die überlegene Zahl der Rothäute ganz entschieden widerraten haben würde; dagegen erbot sich der Letztere, die feindliche Stellung zu umgehen, um die Indianer von der Seite her zu fassen. Der Leutnant war damit einverstanden. Gleich darauf verschwand Addy mit dem Grenzer und einigen der beherztesten Leute.
Es dauerte keine Viertelstunde, als auch von rechts her gegen die Indianer Schüsse fielen.
Diese Schüsse mussten gut gezielt sein, denn bald schon machte sich auf der ganzen Linie der Rothäute eine lebhafte Bewegung geltend. Deutlich war drüben beim Feind eine befehlende Stimme zu vernehmen und gleich darauf begannen sich die Indianer Schritt für Schritt zurückzuziehen.
Dem konnte der Leutnant nun nicht widerstehen. Seine Leute zu mutigem Vorgehen anfeuernd, drängte er an ihrer Spitze ungestüm vor und es hatte dies in der Tat die Wirkung, dass die Rothäute noch weiter zurückgingen.
Dadurch waren die Pennsylvanier rasch auf gleiche Höhe mit Addy gelangt, der, als er die Uniformen vor seinem Büchsenlauf auftauchen sah, das Feuer einstellen musste. Es blieb ihm, wenn er die Indianer auch fernerhin von der Seite her beschäftigen wollte, nichts anderes übrig, als ebenfalls vorzugehen, doch schien ihm dies nicht sonderlich zu gefallen, denn er schickte den Grenzer ab, den Leutnant zur Mäßigung zu ermahnen. Es sei keineswegs sicher, dass er geradeaus alle Rothäute vor sich habe, vielmehr anzunehmen, dass noch ein Teil derselben seitlich nächst der Einsattelung stecke; jedenfalls möchte er daran denken, seine linke Flanke bestmöglich zu decken.
Der Grenzer richtete die Botschaft getreulich aus, doch der Offizier hörte nur halb auf seine Vorstellungen. Er war mit seinen Leuten eben im besten Zug und rückte den weichenden Rothäuten immer schärfer zu Leibe.
Da erschollen in den Reihen der Pennsylvanier vereinzelte Jubelrufe und es schien in der Tat, als ob das mutige Vorgehen des Offiziers von Erfolg gekrönt würde. Denn die Indianer, die in der letzten Minute auf eine Lichtung hinausgedrängt worden waren und fast panikartig über dieselbe hinwegliefen, hielten jenseits derselben plötzlich an, brachen grüne Zweige von den Bäumen und schwangen dieselben zum Zeichen des Ergebens über ihren Köpfen.
Dies ließ den Leutnant vollends alle Vorsicht vergessen. Er gebot dem Feuer seiner Leute Einhalt, ging auf die Rothäute zu und forderte sie in englischer Sprache auf, die Waffen abzulegen.
Ein riesiger Indianer legte denn auch seine Büchse und den Tomahawk sofort auf die Erde nieder und kam gemessenen Schrittes dem Leutnant entgegen, als schicke er sich an, mit ihm eine Unterhandlung anzuknüpfen.
Schon hatte dieser rote Mann sich dem Offizier bis auf zehn Schritte genähert, da knallten von links her schnell hintereinander mehrere Schüsse und gleich darauf brachen etwa dreißig Rothäute unter der persönlichen Führung Thayendanegeas mit gellenden Rufen aus dem Wald hervor, sich auf die Weißen stürzend.
Als die geradeaus haltenden Indianer dies gewahrten, warfen sie ihre Zweige von sich und gingen, ebenfalls ihren Kriegsruf anstimmend, gleich den anderen zum Angriff über.
Nur noch einzelne Schüsse vermochten die Weißen abzugeben.
Die Wilden stürmten wie eine Windsbraut daher und im Handumdrehen hatte sich das erbittertste Handgemenge entsponnen.
Auch die Mannschaften waren, dem Beispiel ihres Leutnants folgend, bereits frei auf die Lichtung hinausgetreten und hier, von zwei Seiten angegriffen, hatten sie nun einen schweren Stand.
Wohl fochten sie mit der größten Bravour und zahlten die Verluste, die sie im ersten Anprall erlitten hatten, blutig heim, doch sie waren im Handgemenge den an Zahl übermächtigen, flinken und geschmeidigen Gegnern bei Weitem nicht gewachsen.
Als Addy, der das hereingebrochene Unheil beim ersten indianischen Kriegsruf sofort erriet, auf dem Kampfplatz erschien, lag die Hälfte der Pennsylvanier, darunter der Leutnant und der Grenzer, bereits erschlagen und der Rest der Weißen musste sicherlich binnen kürzester Zeit unterliegen.
»Rette sich, wer kann!«, schrie der Jäger, der das Verzweifelte der Situation sofort erkannte. Die Folge war, dass, wer es überhaupt noch vermochte, sich den unbarmherzig darein wütenden Waffen der Indianer durch die Flucht zu entziehen versuchte.
Auch den wenigen Leuten, die der Jäger mit sich führte, rief derselbe zu, dass hier alles verloren sei, sie würden am besten ihr Heil in der Schnelligkeit der Beine suchen.
Nur er selbst blieb mit erhobener Büchse unweit des Waldrandes stehen, wie ein Fels in tosender Brandung.
Seine mächtige, weithin hallende Stimme hatte aber auch auf die Indianer eine unerwartete Wirkung ausgeübt.
Viele derselben, die bereits im Begriff standen, den fliehenden Pennsylvaniern nachzusetzen, ließen davon ab und wandten sich jetzt gegen den Jäger.
Und seltsam, nicht eine einzige Rothaut erhob gegen denselben die Waffe, wohl aber hatten sie ihn binnen weniger Sekunden in weitem Kreis umzingelt und starrten den Mann nun in völliger Untätigkeit wie etwas Wunderbares an, der denn auch stolz erhobenen Hauptes, ein Bild von achtunggebietender Ruhe, dastand.
Da trat der federgeschmückte Häuptling, den Addy kurz vor dem Kampf dem inzwischen gefallenen Leutnant als Thayendanegeas bezeichnet hatte, aus dem Kreis.
Er ging Addy einige Schritte entgegen, betrachtete ihn geraume Zeit vom Kopf bis zu den Füßen und rief dann in fließendem Englisch, mit erhobener Stimme, halb zu dem Jäger, halb an seine Krieger gewendet: »Mögen sich die fliehenden Bleichgesichter nach ihrer Festung am Mohawk begeben und dort zu unserem Ruhm verkünden, dass die meisten ihrer Brüder hier erschlagen liegen.«
Dann wendete er sich in übertrieben würdevoller Haltung unmittelbar an Addy und fuhr fort: »Thayendanegeas und seine Krieger begrüßen es dafür mit großer Freude, dass an ihrer statt einer der berühmtesten der weißen Mohawkkrieger ihr Gefangener ist.«
Gellende Jubelrufe erschollen rings im Kreis und mit wilden Bewegungen schwangen die Rothäute ihre Waffen.
Der Jäger ließ den Lauf seiner Kugelbüchse etwas sinken, besah eine Weile kaltblütig rings herum das tolle Treiben und senkte dann die Rohrmündung vollends.
»Das Bleichgesicht tut recht, es mag die Kugel in seiner Flinte sparen«, ließ, als die Freudenrufe der Indianer nach und nach verstummt waren, Thayendanegeas sich wieder vernehmen. »Seine silberne Büchse soll von nun an nie mehr einem Huronenkrieger Schaden bringen.«
Auf den Wink des Häuptlings stürzten sich etwa ein halbes Dutzend Rothäute auf den Jäger, rissen ihm die Büchse aus den Händen, was er mit einem schmerzlichen Blick auf dieselbe, jedoch ohne jede Gegenwehr, geschehen ließ.
Noch mehr: Er selbst langte nach seinem Jagdmesser, zog es vor und warf es Thayendanegeas, der mit seinen Kriegern inzwischen wieder in den Kreis der übrigen Rothäute zurückgetreten war, vor die Füße.
»Der berühmte weiße Mann vom Mohawk verzichtet selbst auf seine Waffen«, rief daraufhin verwundert der Häuptling und fügte nach einer kleinen Pause höhnischen Tones hinzu: »Er ist in Wahrheit das, was man von ihm bis zum Ontario hinauf behauptet: Ein weiser Krieger, denn es ist das Klügste, was er unter diesen Umständen tun kann.«
»Spare deine Worte!«, entgegnete Addy in der Sprache der Huronen verächtlich. »Über das Unglück eines Gefangenen zu spotten, das kann in der Tat nur einem Thayendanegeas, dem Häuptling der Huronen, einfallen.«
Blitzenden Auges maß ob dieser dreisten Gegenrede Thayendanegeas den Jäger.
»Es wäre besser, deine Sache kurzweg zu sagen, was mit mir geschehen soll«, fuhr Addy fort, ohne sich durch das Wetterleuchten im Auge des Häuptlings aus seiner Ruhe bringen zu lassen. »Befändest du dich in meiner Gewalt, ich würde mit dir nicht viele Umstände machen!«
»Was könnte ›Addy, der Rifleman‹ mit Thayendanegeas vorhaben«, höhnte der Häuptling, »wenn so, wie er sagt, der Fall umgekehrt läge?«
»Du solltest deinen Lohn bei Heller und Pfennig empfangen, genauso, wie du ihn verdientest, denn lass dir sagen, Häuptling, dass du nicht mehr derselbe bist, wie damals, als ich in deinem Wigwam die Friedenspfeife mit dir rauchte, den Hirsch und den Bären mit dir jagte – ja, zu jener Zeit, da warst du noch ein tapferer und ehrlicher Jäger und Krieger!«
Ein Murren des Unwillens erhob sich rings im Kreis der Huronen und einzelne erhoben drohend ihre Waffen.
Doch Thayendanegeas gebot Ruhe, trat dem Gefangenen einige Schritte näher und sagte anscheinend gelassen: »Das Bleichgesicht hüte seine Zunge! War es nicht Addy, der weiße Jäger, der einst an den Feuern der Huronenkrieger willkommen geheißen wurde, und hat nicht dieser selbe weiße Mann dem Volk der Huronen ewige Freundschaft geschworen? Und wer ist es, der jetzt gegen mich und meine Krieger kämpft als einer der ersten unter den weißen Männern am Mohawk?«
»Halte ein, Häuptling, die Sache liegt denn doch ein wenig anders und deine Einfalt kann nicht so groß sein, dass du mich nicht verständest. Ich weilte zu jener Zeit auch in den Hütten der Oneida, der Onondaga, der Seneca, kurzum, ich war ein gern gesehener Gast bei allen fünf Nationen; ich rauchte in gar vielen Dörfern die Friedenspfeife und tauschte den Wampungürtel. Ich und alle Weißen am Mohawk leben mit allen anderen Kriegern oben an den Seen in Freundschaft und Frieden, warum, weil auch sie uns ihre freundschaftliche Gesinnung treulich bewahren und sie würde auch dir und deinem Volk bewahrt geblieben sein, wenn du nicht selbst den Stab entzweigebrochen hättest. Der Zufall wollte, dass ich später am Mohawk meine Hütte aufschlug – wer ist es, so frage ich, der die friedvolle Arbeit der weißen Männer dort immer stört? Bedrohst du nicht mich und meine weißen Brüder täglich, stündlich? Bin ich nicht ein Bleichgesicht, dem die heiligste Pflicht erwächst, im Kampf zu seinen Stammesgenossen zu halten? Thayendanegeas, würdest du es verstehen, wenn ich an dich das Verlangen stellte, mit den Weißen im Bunde gegen dein eigenes Volk zu kämpfen?«
»Addy, der Rifleman, hat von jeher die Zunge zu seinem Vorteil zu führen gewusst und dreht und wendet auch jetzt wieder die Worte nach seinem Belieben.«
»Nun, was die Übervorteilung, die Wortverdrehung und die Verwechslung der Begriffe anbelangt, edler Thayendanegeas, da bist du dann, wenn es sich um dein Interesse handelt, jeglichem weit und breit über. Zu deiner Entschuldigung mag gelten, dass dir die Johnsons stetig in den Ohren lagen, und dass sie in deinem Kopf eine arge Verwirrung angerichtet haben. Sie wussten dir einen ungesunden Ehrgeiz einzupflanzen und deinen dir von jeher eigen gewesenen Egoismus zur eklen Habgier aufzustacheln. Sonst ließe es sich nicht begreifen, dass ein freier roter Mann wie du den Englishmen die erbärmlichsten Hundedienste leistet.«
Unwillkürlich zuckte Thayendanegeas bei den letzten Worten des Jägers jäh auf und erhob mit einem wilden Rufe das Kriegsbeil. Schnell aber besann er sich eines anderen und ließ die Waffe langsam wieder sinken.
So sehr er sich aber auch von diesem Augenblick an bemühte, äußerlich Ruhe zur Schau zu tragen, man sah es ihm an, dass er die lodernde Glut des Zornes, die in ihm aufgestiegen war, nur mit der größten Anstrengung meisterte.
Mit einem Wink verwies er seinen Kriegern die Entrüstungsrufe, welche wieder im ganzen Kreis, gellend und wilder wie je, laut geworden waren.
Addy aber sah gelassen zu dem Häuptling hinüber, und ein leichtes Lächeln umschwebte seine Lippen, als er, wie unabsichtlich, eine lässigere Stellung annahm, die Arme über der Brust kreuzte und mit kühler Gelassenheit wieder das Wort nahm.
»Ja, die Zeiten und die Umstände ändern sich«, begann er, »und eben diese Umstände, sie machen den Menschen. Ich würde, Thayendanegeas, sehr wünschen, dass die Verhältnisse günstiger für dich gewesen wären, denn sie haben dich keineswegs zu deinem Vorteil verändert. Ich sehe wohl den Zorn in deinen Augen, aber das soll mich nicht hindern, so lange noch das Blut in meinen Adern kreist, zu sagen, was ich dir zu sagen wünsche. Ich weiß, was mir bevorsteht, denn ich kenne nur zu gut deine Grausamkeit, die ja bereits im ganzen Tryon County und weit darüber hinaus eine sprichwörtliche geworden ist. Ja, ich weiß es, du wirst mich an den Marterpfahl binden lassen und deine Krieger werden mir unter heulenden Freudengesängen die Fleischstücke vom Leib reißen. Du wirst dieser Unmenschlichkeit mit Wollust zusehen und nicht entfernt bedenken, dass du unter ausgesuchten Qualen einen weißen Mann dahinmordest, der, wenn du selbst ein anderer geblieben wärest, noch immer dein Freund sein könnte. Aber weil ich eben nichts anderes erwarte, so werde ich mir kein Blatt vor den Mund nehmen, ja, ich glaube, freundschaftlich zu handeln und ein gutes Werk zu tun, wenn ich dir deine Fehler vorhalte, vielleicht, dass es dich zur Besinnung bringt … vielleicht vermag es dich zu überzeugen, dass deine Wege nicht mehr die Wege eines ehrlich kämpfenden Kriegers, sondern diejenigen eines hinterlistigen Räubers, eines Brandstifters, eines Diebes, diejenigen eines bestochenen und erkauften Schurken geworden sind …«
War schon während der Rede des Jägers die Zornesader des Häuptlings gewaltig angeschwollen und hatte aus seinen Augen ein unheilverheißendes Feuer geleuchtet, bei den letzten Worten vermochte er nicht mehr an sich zu halten – mit einem gurgelnd tierischen Schrei sprang er gegen den Jäger an, durchwirbelte mit seinem Kriegsbeil die Luft und blitzend in den Strahlen der eben aufgehenden Sonne flog es pfeifend zu des Gefangenen Schädel.
Doch Addy hatte seinen Gegner nicht einen Augenblick aus den Augen gelassen. Als der Wurf drohte, sank der Jäger blitzschnell auf das rechte Knie, beugte den Oberkörper etwas vor, legte sich dann mit dem Flug der Waffe jählings nach rückwärts und fing so das Beil mit sicherer Faust an seinem Handgriff … in der Sekunde darauf fuhr es sausend zurück auf den Häuptling. Dies war von Thayendanegeas so wenig erwartet worden, dass er nur noch im letzten Augenblick eine kleine Wendung zu vollziehen vermochte. Die Waffe fuhr dicht an seinem zur Seite gebeugten Kopf vorbei, grub sich tief in seine Schulter und riss ihn durch die Wucht des Wurfes jählings zu Boden.
Dies alles war so plötzlich gekommen und spielte sich so rasch ab, dass die Rothäute zunächst gar nicht im Klaren schienen. Vielleicht war es auch der kühne Wurf des Jägers, der sie in einer Weise verblüffte, dass sie sekundenlang an den Platz gebannt blieben. Erst als sich Addy die so geschaffene Lage zunutze machte, sich rasch wendete, blitzschnell einige hinter ihm stehende Rothäute überrannte und dann in weiten Sätzen dem Wald zueilte, da brach unter ihnen ein unbeschreiblicher Tumult los; fast die ganze Schar machte sich nun auf und stürmte wutheulend hinter dem Jäger her.
Addy aber, den keine Waffe behinderte, war ein sehr guter Läufer und er hatte zudem einen nicht unerheblichen Vorsprung.
Mit der Schnelligkeit des gehetzten Wildes rannte er dahin, die flinksten Läufer mit wilden Sätzen hinter ihm drein.
Er schlug sich, nicht ohne Absicht, stets in das dichteste Unterholz, das ihn mit seiner reichen Blätterfülle oftmals auf kleine Zeitspannen den Blicken seiner Verfolger entzog. Sein Vorsprung hatte auf diese Weise noch keine Einbuße erlitten, ja eine Weile schien es, als ob sich der Abstand zwischen ihm und den Indianern sogar vergrößere.
Das Geheul der hinter ihm herjagenden Rothäute verstummte nach und nach, dafür aber entfalteten sie nun ihre ganze Energie.
Leicht und kaum den Boden berührend flogen sie dahin, durch das dichteste Buschwerk hindurch und allmählich rückten die Vordersten bedenklich auf.
Addy setzte seine ganze Kraft ein, doch waren Einzelne seiner Verfolger ihm allmählich so nahe gekommen, dass ein sicherer Beilwurf ihn erreichen musste. Doch sie wollten ihn wohl unverletzt in ihre Gewalt bringen, kein Tomahawk erhob sich. Dagegen wurde der Abstand nun von Minute zu Minute ein geringerer. Schon waren einige der schlanken dunklen Gestalten bis auf wenige Armlängen an ihn heran. Nun holte die vorderste Rothaut zu einigen gewaltigen Sprüngen aus und war im Begriff, den Jäger im Genick zu fassen, als dieser im letzten Augenblick noch mit einer blitzschnellen Wendung nach rechts ausbog.
Während die Rothaut mehrere Meter nach vorn ins Leere schoss, jagte Addy in der neu eingeschlagenen Richtung weiter und war nach etlichen Sätzen am Rand der zuvor von den Schützen besetzt gewesenen Tallehne angekommen, die er nun, so steil sie hier war, in rasendem Tempo, auf Beinen und Gesäß, hinabschlitterte. Büsche rauschten, Äste knackten, Steine rollten, er selbst überschlug sich einige Male, doch er kam in wenigen Sekunden glücklich und mit heilen Gliedern unten an.
Einen Augenblick hielt er in seinem tollen Jagen tief aufatmend inne und sah sich nach seinen Verfolgern um.
Da sprangen und fuhren auch sie schon zu Dutzenden die Berglehne nieder.
Nun galt es, entscheidend zu handeln, denn schon waren die vordersten Rothäute unten angekommen, ersahen ihn und sprangen mit Freudenrufen auf ihn ein.
Nun fasste die erste Rothaut zu – da wendete sich Addy blitzschnell zur Seite, stieß hohnlachend den Kriegsruf der Huronen aus und war im nächsten Augenblick mit jähem Sprung in der trüb dahinrollenden Flut des hoch angeschwollenen Wildbaches verschwunden.
Die Indianer standen einen Augenblick wie vom Donner gerührt, dann brachen sie in ein Wutgeschrei aus, das weithin den Wald durchgellte und sich hundertfach an der gegenüberliegenden Bergwand brach.
Rasch erhoben sich einige Büchsen in der Richtung, in welcher der Kopf des Jägers voraussichtlich wieder erscheinen musste, während die Flinksten der roten Leute, so schnell sie es vermochten, dem Ufer entlang liefen.
Da endlich tauchte der Kopf des Jägers auf.
Schüsse krachten und zischend durchfurchten einige Kugeln die Oberfläche des Gewässers.
Doch Addy verschwand sofort wieder wie eine Tauchente und wurde erst weit unten wieder sichtbar, denn das reißende Wasser trug ihn mit größter Schnelligkeit talab.
Auch jetzt erhoben sich wieder mehrere Büchsen, Schüsse krachten und ein dicht gedrängtes Rudel der besten Läufer war noch immer dem Ufer entlang hinter dem Flüchtling her. Addy hatte unterdessen aber eine solche Entfernung zwischen sich und seine Verfolger gelegt, dass er es bereits nicht mehr für nötig hielt, unter dem Wasser Schutz zu suchen. Mit kräftigem, regelmäßigem Ruderschlag durchschnitt er nun die Flut und kam dadurch noch schneller vorwärts. Immer weiter blieben die Rothäute zurück – da wurde oben im Wald Trommelwirbel hörbar und aufblickend gewahrte er zu seiner größten Überraschung und Freude Uniformen und Waffen durch die Bäume schimmern. Das waren Scharfschützen und Leute vom Pennsylvanischen Regiment. Nun gab es keine Gefahr mehr, jetzt konnte er sich als entronnen betrachten. Mit einigen kräftigen Armbewegungen arbeitete er sich an das Ufer und stieg an Land.
*
Die Brandröte am Abend zuvor war in der Tat auf einen Überfall der Indianer zurückzuführen gewesen und hatte eine aus sieben Familien bestehende Niederlassung ungemein schwer betroffen. Es wurden dabei mehrere Personen getötet und skalpiert und ein Farmer, der den Rothäuten hartnäckigen Widerstand entgegensetzte, kam schließlich mit den seinen in den Flammen des eigenen Hauses um.
Als die Bewohner von Little Falls und die weiter westlich davon gelegenen Ansiedler von German Flats durch die Kanonen des Herkimer Forts und durch Boten Kenntnis von dem Einfall erhielten, rotteten sie sich sofort mit Wehr und Waffen zusammen, den Überfallenen zu Hilfe zu eilen und den heimtückischen Feind zu vertreiben.
Bis sie aber zu Fuß und zu Pferde die oft stundenweite Entfernung zu der südöstlichsten Ecke des Herkimer County zurücklegten, hatten die Rothäute ihre blutige Arbeit bereits getan, mehrere Gefangene hinweggeführt, die Wohnhäuser und Kornschober angezündet und alles, was nicht niet- und nagelfest war, geplündert.
Als darüber nähere Nachrichten auf Fort Dayton eintrafen und bekannt wurde, dass nur etwa zwanzig Indianer den Überfall ausgeführt hatten, da war der Kommandant dieser Befestigung alsbald überzeugt, dass die abends zuvor durch den Grenzer übermittelte Botschaft Addys, dass von der anderen Seite größere Gefahr drohe, zuträfe. Noch in der Nacht zog er einige Milizen und aus dem Nachbarort eine Scharfschützenabteilung an sich, verstärkte sie durch eine Halbkompanie der eigenen Pennsylvanier und gab dieser Truppe den Befehl, dem Leutnant Woodworth nachzurücken und diesen, wenn nötig, zu unterstützen.
Als diese kombinierte Abteilung dann auf der Höhe den Wald durchstreifte, kam ihnen ein flüchtender Kamerad mit der Hiobspost entgegen, dass der Leutnant und die Hälfte seiner Leute gefallen wären, und der vernommene Trommelwirbel sollte den Zweck haben, dem Reste der Versprengten anzuzeigen, wo sie Schutz und Zuflucht fänden.
Addy, an das Land gestiegen, hatte sich zunächst wie ein nasser Pudel geschüttelt und erstieg dann schnell die Höhe.
Als auch er dem Führer der Truppe von der erlittenen Schlappe berichtete, ließ dieser seine Leute sofort vorrücken. Soweit man aber auch über das Gefechtsfeld hinaus die ganze Gegend abstreifte, es war keine Rothaut mehr zu erblicken.
Nach mehreren Stunden erst kehrte man auf die Stelle, wo der Kampf stattgefunden hatte, zurück, brachte den wenigen Verwundeten, die sich hier vorfanden, Linderung und bestattete in einem gemeinsamen Grab die Toten.