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Nick Carter – Das Entführungssyndikat – Kapitel 10

Nick Carter
Das Entführungssyndikat
oder: Nick Carter gegen das Syndikat
Kapitel 10

Wie Nick Carter es wiedergutmachen konnte

Zehn Uhr.

Ein langer Speisesaal in einem Haus in Westchester. Geschlossene Fensterläden und zugezogene Vorhänge. Öllampen in Bronzebügeln an den getäfelten Wänden. In der Mitte des Raumes ein langer, mit dunklem Tuch bedeckter Tisch, an dem zehn Männer und eine Frau saßen. Alle bis auf einen waren maskiert.

Die Ausnahme machte Manuel Vasca.

Auf an der Wand aufgereihten Stühlen saßen fünf Männer, jeder an Händen und Füßen gefesselt und an seinen Stuhl gebunden – Nick Carter, Chick Carter, Morton, Chadwick und Deland, drei Multimillionäre von Weltruf.

Das Entführungssyndikat war zusammengekommen. Vasca, der Begründer, Sprecher und Generaldirektor, hatte die Versammlung einberufen. Die Gesichter der drei Magnaten sahen blass und ängstlich aus; die von Nick Carter und Chick dagegen ernst und entschlossen.

Manuel Vasca war der Erste, der das Schweigen nach unerheblichen Sachverhalten und Anmerkungen, die diesem Moment vorausgingen, brach.

»Mir gefällt der Blick in Ihren Augen nicht, Carter«, sagte er mit unheilvoller Strenge. »Sie sollten nicht überrascht sein über das, was geschehen ist. Wie Sie mich kennen, hätten Sie nicht weniger erwarten dürfen. Ich habe diesen Moment vorhergesehen. Ich habe Sie gewarnt, dass ich diese Männer kriegen würde – und Sie auch.«

»Das haben Sie gut gemacht, Vasca, dass Sie mich erwischt haben«, antwortete Nick kalt und mit subtiler Ironie. Diese war nicht an den Meisterverbrecher verschwendet.

Seine schwarzen Brauen senkten sich merklich. Seine Augen nahmen einen bedrohlichen Schimmer an.

»Verspotten Sie mich jetzt noch?«, fragte er mit einem Knurren. »Sind Sie blind für die Tatsache, dass ich Sie in meiner Gewalt habe, dass ich mit Ihrem Ausschalten das einzige Hindernis für meine Pläne beseitigt habe, die …«

»Ich bin für nichts in Bezug auf diese teuflische Verschwörung verblendet, Vasca«, unterbrach Nick schroff.

»In der Tat!« Vasca sprach mit ungläubigem Hohngelächter, aber die anderen am Tisch sitzenden Männer bewegten sich unruhig.

»Sie waren mutig genug, mir zu Beginn nicht zu sagen, worin Ihr fauler Plan bestand, sondern in einem Projekt, das mich für die Wahrheit blind machen sollte. Sie haben es nicht geschafft, mich zu bekommen, da Sie bisher Ihren eigentlichen Plan nicht ausgeführt haben.«

»Gescheitert! Sieht das nach Scheitern aus?«

»Für jemanden, der in der Lage ist, unter die Oberfläche zu blicken – ja!«

»Unter die Oberfläche – was meinen Sie damit?« Vasca grummelte harsch.

»Dass Sie das nicht wissen, zeugt von Ihrer eigenen Blindheit, von Ihrer Unfähigkeit, mit mir erfolgreich fertig zu werden.«

»Mit Ihnen erfolgreich zu kooperieren – bah! Sie sind in meiner Macht.«

»Sie haben mit einem Misserfolg begonnen und werden mit einem Misserfolg enden«, betonte Nick mit Nachdruck. »Sie begannen damit, dass Sie vorgaben, diese Männer zu entführen, um ein Lösegeld zu erpressen. Das war nicht Ihr Ziel.«

»Ist das so?«

»Ihr wahrer Plan, den Sie ausgeheckt haben, um den Bedarf einer Menge von Spekulanten zu decken, die so geringe Liquidität an Aktien hatten, dass sie in der Hoffnung, ihre Verluste wieder hereinzuholen, zu Gaunern wurden – Ihr wahrer Plan war es, diese Magnaten zu entführen, um den Weg für gewalttätige Angriffe auf den Markt zu ebnen und Panik auszulösen. Ihr Entführungssyndikat besteht aus den gleichen Leuten, die mit Ihnen an diesem Tisch sitzen. Sie haben versagt, Vasca, auf schlimmste Weise versagt. Denn auf meine Veranlassung wurde der Markt trotz des Vorteils, den Sie sich verschafft haben, nachdrücklich unterstützt.

»Unterstützt – bah!«, konstatierte Vasca höhnisch. »Der Markt existiert zwar immer noch, aber unter noch angespannteren Bedingungen. Wir werden ihn zerbrechen – in Atome zerlegen, Carter. Entweder das oder ich werde noch mehr seiner Unterstützer entfernen. Sie werden nicht mehr in der Lage sein, den Kurs zu diktieren, den sie einschlagen werden.«

»Es wird nicht länger notwendig sein.«

»Sie werden nicht mehr aktiv werden?«

»Morgen wird sich der Markt erholen, wird wieder zu seiner früheren Stärke zurückfinden, wird unter Aktionären voranschreiten, die durch die Aufdeckung Ihrer schurkischen Verschwörung und die Tatsache, dass Sie und Ihre Verbündeten in Gefängniszellen schmoren werden, Fahrt aufnehmen.«

Nicks raue Stimme hatte eine schärfere Tonlage angenommen.

Auf den Gesichtern der zuhörenden Magnaten zeichneten sich staunende Blicke ab.

Die maskierten Männer an den Tischen rutschten nervös auf ihren Stühlen hin und her.

Vasca blickte finsterer drein, mit gezeichneten Zügen und zuckenden Lippen.

»Warum sagen Sie mir das?«, knurrte er heftig.

»Weil es wahr ist.«

»Bah! Sie sind verrückt.«

Nick rückte mit leuchtenden Augen auf seinem Stuhl vor. »Sie waren es, der verrückt ist, Vasca, dass Sie mich hierher brachten«, versicherte er mit Nachdruck. »Ich weiß weder, noch interessiert es mich, warum Sie Ihre Gaunerbande einberufen und uns vor sie gestellt haben, noch habe ich Geduld, diesen nutzlosen Vorgang zu verlängern. Sie sind verrückt, wiederhole ich, als Sie mich festsetzten. Ihr dachtet, mir könnte nicht gefolgt werden …«

»Sie auch nicht!«, sagte Vasca.

»Sie dachten«, fuhr Nick ernsthaft fort, »dass Sie mich in Sicherheit bringen, bevor ich meinen und Ihren Aufenthaltsort und die genaue Stunde, zu der Sie und Ihre ganze Bande hier gefasst werden könnten, preisgeben würde. Nochmals, Vasca, Sie haben versagt.«

»Versagt!«

»Sie glauben, ich sei in Ihrer Macht«, schrie Nick. »Stattdessen sind Sie in meiner.«

Einige der maskierten Männer erhoben sich halb von ihren Stühlen, um sich dann wieder zurückfallen zu lassen, als Vasca ziemlich schreiend und mit einem wilden, spöttischen Lachen aufschrie: »Eure Macht – absurd! Sie haben den Kopf verloren, Carter. Probieren geht über Studieren, und Sie sollen …«

»Siehe da, der Beweis!«, dröhnte Nick.

Auf seine eindringlichen Worte folgte ein durchdringendes Pfeifen.

Es wurde sofort von einem von außen wiederholt.

Dann kamen das Bersten von Glas Fenster, das Krachen von Türen, die aus den Angeln gerissen wurden, die schweren Schritte der Männer, die durch die Flure und in den Raum stürmten, Polizisten in Uniform, Polizisten in Zivil aus dem Central Office und vor allem der wild triumphierende Schrei von Patsy Garvan, als er mit einem Revolver in der Hand durch ein zerbrochenes Fenster stürmte und aus vollem Halse schrie: »Hierher, Chef! Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.«

Die maskierten Männer am Tisch waren aufgestanden.

Vasca holte mit einem wütenden Schrei einen Revolver hervor und richtete ihn auf den Mann, der ihn dreimal überwältigt hatte.

Sofort ertönte Patsys Waffe, und die Kugel traf.

Manuel Vasca riss beide Hände in die Höhe, stieß einen wilden Schrei aus, ließ den Kopf nach vorn auf den Tisch fallen. Kopfschuss!

Was folgte, lässt sich in wenigen und einfachen Worten erzählen. Mit dem Fall von Manuel Vasca, der sofort getötet wurde, ergaben sich seine entsetzten Verbündeten kampflos den Polizisten, die in den Raum strömten. Innerhalb weniger Minuten waren alle in Sicherheit, darunter die drei Mitglieder der Maklerfirma Dudley, Deacon & Scott, der Börsenspekulant Tom Kinnicut und fünf seiner Mitarbeiter sowie Hobart, Murdock und Nancy Gibson. Alle waren bald auf dem Weg zu den Tombs, erhielten und verbüßten anschließend die Strafen, die sie aufgrund ihrer Verbrechen rechtskräftig erhalten hatten.

Der Papierschnipsel, den Nick unmittelbar nach seiner Ankunft im Haus beschrieben hatte und der seine genaue Position verriet, war in einen Federkiel am Bein einer Brieftaube gesteckt worden, von denen Nick mehrere in einem seiner Dachzimmer aufbewahrte und eine in einer eigens für diesen Zweck angefertigten Geheimtasche mitgebracht hatte.

Innerhalb von sechzig Minuten nach dem Freilassen des Vogels aus dem Fenster der Bibliothek las Patsy Nicks Nachricht und war in der Lage, die Anweisungen zu befolgen, die ihm kurz vor ihrer Trennung gegeben worden waren, was zu der erfolgreichen Razzia als Reaktion auf Nicks Signal führte.

So machte Nick Carter es wieder gut, und die Auswirkungen waren genau so, wie er es vorausgesagt hatte. Die Aufdeckung des Komplotts und die Verhaftung der Verschwörer brachten frisches Kapital auf den Markt, und Morton und seine Mitarbeiter führten ihr Kartell zu einem wünschenswerten Höhepunkt.

Nick Carters Honorar, dessen Ansetzung von Anfang an völlig richtig gewesen war, entsprach der großen Arbeit, die er geleistet, und der Verantwortung, die er übernommen hatte. Mit dem Tod von Manuel Vasca war einer der größten Gauner der damaligen Zeit beseitigt worden, und Nick Carter bemerkte zu Recht, dass die Welt für ihn umso besser war, je weniger von dieser Sorte sich in ihr befand.

 

ENDE